Von Øle Schmidt
Veröffentlicht in der Berliner Wochenzeitung der Freitag
»Es bricht mir das Herz. Aber wir mussten den Befehl der Politik ausführen, und das von den Bauern besetzte Land räumen. Wir hatten keine Wahl.« Alex Madrid ist Medienoffizier der honduranischen Polizei. Und er ist geschult. Als ein Familienvater ihn unter Tränen fragt, warum sie Frauen und Kindern ihr Obdach nehmen, antwortet Madrid: »Vielen Dank für ihren Beitrag zur Demokratie.« Und lächelt. Hinter ihm schlagen kleine Flammen aus den provisorischen Hütten der Bauern. Rauch liegt schwer in der Luft. Bewaffnete Soldaten stehen auf kaputtem Geschirr und zerrissener Kleidung. Die landlosen Bauern hatten das Gebiet im Bajo Aguán, im Norden Honduras, besetzt, nachdem die Regierung ihr Versprechen auf die kleinen Parzellen nicht eingelöst hatte. Haben sie Waffen bei der Räumung gefunden? »Nein«, antwortet Alex Madrid. Dann trägt der PR-Offizier mit der martialischen Uniform einem staunenden Publikum ein selbst geschriebenes Gedicht über Ungerechtigkeit in seinem Mutterland vor. Am Abend wird Alex Madrid im Fernsehen sagen, dass Polizei und Armee das besetzte Land räumen mussten, nachdem sie schwere Waffen bei den Bauern gefunden hatten.
In der Region Bajo Aguán schwelt seit dem Putsch gegen Präsident Manuel Zelaya vor zwei Jahren ein blutiger Landkonflikt. Nach Informationen der Gewerkschaft COPINH ist ein Drittel des fruchtbaren Bodens dort im Besitz von einem Prozent der Bevölkerung. Der Zusammenschluss indigener Bauern macht paramilitärische Einheiten des einflussreichen Großgrundbesitzers Miguel Facussé für die Morde an 23 Aktivisten gegen die ungerechte Landverteilung verantwortlich. Die Paramilitärs arbeiteten dabei Hand in Hand mit staatlichen Sicherheitskräften.
Der Putsch in Honduras im Jahr 2009 war eine Zäsur, die bis heute nachwirkt.
Es war die Rückkehr zur Logik der Gewalt unzähliger Militärdiktaturen im vergangenen Jahrhundert und es war ein Wiederanknüpfen an neoliberale Strukturanpassungen der Neunziger Jahre in dem mittelamerikanischen Land. Einerseits. Der Widerstand gegen diese Kontinuitäten hat andererseits einen Aufbruch ausgelöst: das Entstehen der FNRP, der Frente Nacional de Resistencia Popular. Eine sozialpolitische Massenbewegung, die nicht weniger als die »Gründung eines neuen Honduras’« anstrebt.
Rückblende. Es ist der 28. Juni 2009, als Soldaten den liberalen Präsident Manuel Zelaya im Schlafanzug nach Costa Rica entführen. Offensichtlich mit Wissen der US-Regierung, die Putschisten nutzen den amerikanischen Militärstützpunkt Palmerola zu seinem Ausflug. Mit seiner Annäherung an Venezuela, einer Landreform, einem Dialog mit sozialen Bewegungen und einem umstrittenen Verfassungsreferendum hatte Zelaya, selbst Großgrundbesitzer, eine Allianz aus Wirtschaftselite und Militärs gegen sich aufgebracht. Nicht nur in der Hauptstadt Tegucigalpa gehen wütende Menschen auf die Strasse. Putsch-»Präsident« Micheletti setzt Grundrechte außer Kraft, die neue Staatsmacht schlägt brutal zurück. Das UN-Menschenrechtskommissariat listet 19 Ermordete in den Tagen des Putsches auf, durch Schüsse mit scharfer Munition auf Demonstrationen, spricht von gezielten Hinrichtungen. Seit der umstrittenen Wahl im November 2009 – organisiert von den Putschisten, internationale Wahlbeobachter waren nicht zugelassen – ist die Regierung Porfirio Lobo im Amt. Die Botschafter von EU und Deutschland kehren nach Honduras zurück.
Auch zwei Jahre nach dem Putsch müssen Oppositionelle und Angehörige von Minderheiten Bedrohung und Tod fürchten.
Polizei und Armee versagen, die Justiz versagt Rechtstaatlichkeit. Die honduranische Menschenrechtsorganisation COFADEH registrierte allein von Januar bis August 2010 mehr als 100 politische Morde, mehr als 1000 politisch motivierte Menschenrechtsverletzungen.
»Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!« Rund 150 Frauen und Männer machen vor dem Sitz der Staatsanwaltschaft ihrer Wut lautstark Luft. Wobei nicht ganz eindeutig ist, wer sich welchem Geschlecht zugehörig fühlt. Einige sind grell geschminkt, tragen hohen Hacken, andere verbergen ihr Gesicht hinter Masken. Sie sind hier, damit der Aktivist Walter Tróchez nicht in Vergessenheit gerät. »Walter ist 2009 entführt, gefoltert und dann ermordet worden«. Donny Reyes, von einer Bewegung für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen, wirkt äußerlich gefasst. »Wir sind sicher, dass es Angehörige staatlicher Sicherheitskräfte waren. Bis heute ist niemand angeklagt oder verurteilt worden. In Honduras regieren Gleichgültigkeit und Straflosigkeit.« Wie ist die aktuelle Lage der Menschenrechte, frage ich. »Wie können wir Menschenrechte haben, wenn wir umgebracht werden?«, antwortet Reyes. »Wir müssen zunächst für unser Recht auf Leben kämpfen. Seit dem Putsch sind mehr als 30 von uns ermordet worden.«
Im Windschatten von Angst, Gewalt und Militarisierung erfährt Honduras in diesen Tagen eine neoliberale Offensive.
Die Regierung Lobo kürzt soziale Standards, treibt Privatisierungen voran und ermöglicht den Verkauf natürlicher Ressourcen. So wurde der Mindestlohn für Lehrer abgeschafft, fest angestellte Arbeiter können nun einfacher durch Leiharbeiter ohne Anrecht auf Sozialleistungen ersetzt werden. Die Privatisierung des staatlichen Telekommunikationsanbieters Hontel steht vor dem Abschluss, folgen soll der Verkauf des staatlichen Energiekonzerns ENEE. Ein neues Wassergesetz ermöglicht die Verpachtung von bislang 47 Flüssen an ausländische Investoren, 250 weitere Projekte dieser Art sind in Planung. Ausländische Konzerne leasen ganze Wälder, um Zertifikate für Kohlendioxid-Emissionen zu erhalten. Berta Cáceres von der indigenen Organisation COPINH resümiert: »Das Resultat dieses Putsches ist ein noch nie da gewesener Ausverkauf der natürlichen Ressourcen von Honduras«.
Nächstes wirtschaftspolitisches Projekt der Regierung Lobo ist die Errichtung so genannter Charter Citys im Norden des Landes. Nach einer Verfassungsänderung sollen zunächst 33 Quadratkilometer langfristig an ausländische Investoren verpachtet werden, in denen honduranisches Recht weitgehend außer Kraft gesetzt ist. Geplant ist, die Investoren in diesen autonomen Wirtschaftsgebieten am Gesetzgebungsprozess zu beteiligen, damit sie direkte Freihandelsabkommen mit anderen Staaten abschließen können. »Die Regierung überlässt Investoren Land«, sagt Jesus Garza von der Demokratiebewegung FNRP, »und gibt die Kontrolle von Arbeitsrecht, Sicherheit und Umweltschutz auf. Verlierer wären die arme Bevölkerungsmehrheit und der honduranische Staat, der Souveränität und Kontrolle eines Teils seines Territoriums aufgibt.«
Doch auch der Widerstand gegen Putsch und neoliberale Projekte prägen die honduranische Gesellschaft nachhaltig.
Der Historiker Edgar Soriano drückt es so aus: »Der Putsch war wie ein Aufwachen für die Zivilgesellschaft, und der Protest wie eine Schule auf den Straßen.« Mit der Frente Nacional de Resistencia Popular ist eine neuartige sozialpolitische Massenbewegung entstanden. Landlose und Lehrer, Anarchisten und Angestellte, Transsexuelle und Traditionslinke machen die FNRP zu einer kraftvollen und pluralistischen Bewegung. Über eine neue Verfassung strebt sie einen tief greifenden Wandel des politischen und wirtschaftlichen Systems an. Mehr als die Hälfte der honduranischen Wahlberechtigten unterstützen bereits mit ihrer Unterschrift die Einberufung einer dafür notwendigen verfassungsgebenden Versammlung.
Das Schild auf dem Hausdach in einem noblen Hauptstadtviertel ist eingerahmt von Stacheldraht – »Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit«. Christian Lüth ist gut gelaunt und dezent gebräunt. Der Projektleiter der FDP-nahen Stiftung für Honduras, Nicaragua und Guatemala (FNS) ist um moderate Töne bemüht. Lüth war in die Kritik geraten, weil er die Entführung Zelayas im Internet als »Rückkehr zu Rechtsstaat und Verfassungsmäßigkeit« bezeichnet hatte. Dabei hatte der liberale Lobbyist Lüth den liberalen Präsidenten Zelaya lange politisch beraten – bis zu dessen Linkswende. Lüth spricht viel, und er spricht von »Exilierung«, von »Präsidentschaftsnachfolge«. Wie bewertet die Stiftung, die das Wort Freiheit in ihrem Namen trägt, den Putsch heute? »Die Exilierung von Zelaya war ein Verfassungsbruch, aber kein Vergleich zu all den Verfassungsbrüchen von ihm. Es war richtig, ihn aus dem Amt zu entfernen.« Kein Geheimnis macht der Chef der FNS um seine Beratertätigkeit für den Wirtschaftsmagnaten Miguel Facussé. »Als Vorsitzenden der Industriekammer berate ich Herrn Facussé politisch«, sagt Lüth, »ich rate ihm, sich auf dem Boden der Gesetze zu bewegen.« Jener Miguel Facussé, dem Menschenrechtsorganisationen vorwerfen, im Bajo Aguán politische Gegner ermorden zu lassen.
Auch wenn die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit ihrer Legitimation des Putsches weitgehend isoliert ist, gewinnt die umstrittene Regierung Lobo international an Anerkennung. Ungeachtet der alarmierenden Meldungen über schwere Menschenrechtsverletzungen schmieden auch die Bundesregierung und die EU eine enge Partnerschaft mit Honduras. Kritiker werfen ihnen vor, ein moralisch und politisch bankrottes Regime gegen einen breiten gesellschaftlichen Aufbruch zu verteidigen.
Im Januar sicherte die deutsche Regierung Honduras Entwicklungshilfe in Höhe von 47 Millionen Euro zu.
Staatssekretär Jürgen Beerfeltz, FDP, erklärte in Tegucigalpa, dass er seinen Besuch als »internationales Signal« für andere Länder verstehe. Die Europäische Union hat im Mai ein weit reichendes wirtschaftspolitisches Assoziierungsabkommen mit dem mittelamerikanischen Land unterzeichnet. Über ihr PASS-Programm reformiert die EU zudem mit 44 Millionen Euro den dortigen Sicherheitsapparat. »Wir fordern die Aussetzung des Programms», so Andrés Schmidt vom Ökumenischen Büro nach einer Delegationsreise durch Honduras. »Es unterstützt die Institutionen, die für Gewalt und Straflosigkeit mitverantwortlich sind.« Die ehemalige Präsidentin des Zentralamerikanischen Parlaments, Gloria Oqueli, findet deutlichere Worte: »Die EU macht sich zur Komplizin der Barbarei in Honduras.«
Ende Mai ist der gestürzte Präsident Manuel Zelaya offiziell in seine Heimat zurückgekehrt, eine Million Menschen feiern seine Ankunft. Noch ist unklar, ob seine Rückkehr eine Chance für die Achtung von Würde und Menschenrechten in dem zerrissenen Honduras bietet. Die Demokratiebewegung gibt sich anlässlich des zweiten Jahrestages des Putschs kämpferisch. Ihre Botschaft an die internationale Gemeinschaft endet mit den Worten des chilenischen Dichters Pablo Neruda: »Sie können alle Blumen abschneiden, aber niemals werden sie den Frühling aufhalten«.