Dienstag, 24. Juli 2012

Von der JournalistInnen-Delegation 2012 - Bericht 9

Lempira vive!

La Esperanza, Donnerstag, 19. Juli. Auf den Gängen des bäuerlichen Vierkanthofes riecht es nach frischer Farbe, die auf Wandmalereien wie auch auf selbstgemachten Transparenten trocknet; an einem Tisch fertigen Berta Cáceres‘ Tochter und ihr Freund Masken aus Zeitungspapier an, Tische und Sessel werden unter das Dach der Freiluft-Versammlungshalle getragen, Lautsprecherkabel über die Kuhweide verlegt. Süßlicher Kaffeedampf nebelt die Feuerstelle am Küchenplatz ein; gekocht wird heute für über hundert Mägen.
Bereits seit den frühen Morgenstunden schmücken, klirren, klappern, rühren, räumen und organisieren Dutzende Menschen im Ausbildungszentrums "Utopía" von COPINH: Die Köpfe der Menschenrechtsorganisation, die sich für die Rechte der inidigenen Bevölkerung – insbesondere der Lenca - in vier Departements einsetzt, hat anlässlich des Gedenktages an Lempira am 20. Juli geladen.



Lempira ist ein honduranischer Nationalheld, sein Konterfei ziert die hiesigen Geldscheine. Und er ist ein Lenca. Am 20. Juli laufen auf den Strassen die Schuljungen mit Indianerfedern im Haar herum und die kleinen Mädchen präsentieren sich stolz in spanischer Kolonialtracht. COPINH und die Lenca wehren sich allerdings seit 20 Jahren gegen diese folkloristische Vereinnahmung, die im Widerspruch zu einem groben Alltagsrassismus steht: Noch heute werden etwa Lenca-Frauen vor dem Einkaufszentrum mit Wasser beschüttet, weil sie angeblich stinken. Auf Ämtern oder in Krankenhäusern werden die Nachkommen des Urvolkes wie Menschen zweiter Klasse behandelt, von politischen Gegnern bedroht und ermordet, von der Polizei kriminalisiert; ihre Kultstätten werden für Tourismusprojekte missbraucht und zubetoniert.


Morgendliches Musizieren mit Pascualita Vásquez,
Mitglied des Ältestenrates und spirituelle Führerin der Lenca.
(C) NK


Deswegen ist für Freitag eine große Demonstration geplant. Am Tag zuvor wird über die aktuelle politische Lage (des Landes) reflektiert und diskutiert. Auch Doña Pascualita, Mitglied des Ältestenrates und spirituelle Führerin der Lenca, ist mit dabei.


Diskussionen in der Versammlungshalle.
Luz Esperanza Reyes erläutert die Konsequenzen patriachalischer Strukturen.
(C) NK


Padre Fausto Milla, einer der bekanntesten Systemkritiker des Landes, und Tomás Gámez Membrello von COPINH analysieren die indigenen Rechte, Luz Esperanza Reyes und Melisa Cardoso die Bedeutung von Frauenrechten. Der Politologe Roverto Barra spricht über die nationale politische und ökonomischen Krise und die Folgen für die Arbeit von Volksorganisationen sowie über das geplante Bergbaugesetz und seine möglichen Konsequenzen für die in COPINH organisierten Lenca-Gemeinden. Er thematisiert auch den kommenden Wahlkampf und die Chancen der Partei LIBRE sowie die Risiken für Basisorganisationen, die nun in Versuchung geraten könnten, ihr eigenes Engagement zugunsten verfehlter Hoffnungen auf einen Wahlsieg zu vernachlässigen.

COPINH-Frontfrau Berta Cáceres überzeugt mit ihren Visionen.
(C) NK

An diesen Punkt knüpft schließlich die Rede von Berta Cáceres an: „Wenn ich mir jetzt erlaube zu träumen, dass es eine verfassungsgebende Versammlung wirklich geben wird, dann sind wir es, die dort für die Rechte der indigenen Gemeinden eintreten müssen. Das wird kein Abgeordneter von LIBRE für uns tun und auch nicht 90 Abgeordnete. Manche bilden sich ja ein, so viele könnten es werden. Letztendlich werden sie uns sogar dankbar sein. Denn was glaubt ihr denn, wer den Kopf hinhalten wird, wenn es zu einer direkten Konfrontation mit den mächtigen Kräften der Oligarchie in diesem Land kommt?" Und sie ruft zur Eigenverantwortung auf: „Wer die Arbeit der Neugründung über eine verfassungsgebende Versammlung wirklich leisten muss, das sind wir. Wenn wir das nicht tun, werden wieder andere für uns sprechen. Und wisst ihr, wie wir das erreichen? Nicht über einen Sitz im Parlament. Das geht nur mit massiver sozialer Mobilisierung, Leute!"
Dies wurde am nächsten Tag, dem 20. Juli, umgesetzt:

Die farbigen Masken als Symbol für Friedensstiftung – aber auch für Kampfbereitschaft.
(C) NK

Während am nächsten Morgen, dem großen Feiertag, in den städtischen Schulen
zu konservativen Lempira-Feiern geladen wird, starten die COPINH-Delegierten ihr Gegenprogramm:
Ein bunter und lauter Demo-Zug bewegt sich in Richtung Stadt.
(C) NK

 Zwischendurch hält Doña Pascualita eine Zeremonie für neun Ermordete
von COPINH und bittet die Götter der vier Himmelsrichtungen um Beistand.
(C) NK

Die Polizei wird als Institution, die straflos mordet, angeprangert.
Einzelne Polizisten, aus Lenca-Gemeinden sympathisieren allerdings durchaus mit COPINH.
(C) NK

Abschluss der Demo an dem Wallfahrtsort „La Gruta",
die – wahrscheinlich sogar mit UNESCO-Unterstützung – in ein Touristenzentrum umgewandelt werden soll.
(C) NK