Samstag, 28. November 2020

Mit allen Mitteln gegen Landrechte - Wie Staat und Unternehmen in Honduras die afro-indigenen Garífuna-Gemeinden an der Karibikküste verfolgen

aus: ila Nr. 440, November 2020

18. Juli 2020: Fünf Männer werden in Triunfo de la Cruz um 6 Uhr morgens von bewaffneten Männern mit Westen der Ermittlungspolizei DPI gewaltsam aus ihren Häusern gezerrt. Seitdem sind Albert Snaider Centeno, Milton Joel Martínez Álvarez, Suami Aparicio Mejía García, Gerardo Misael Trochez Calix verschwunden. Das gewaltsame Verschwindenlassen steht im Zusammenhang mit Bedrohungen, Einschüchterungen und Morden an den afro-indigenen Garífuna, die in Honduras ihr Territorium verteidigen.


 
 
Wir blicken 15 Jahre zurück: Im November 2005 werden Haus und Grundstück von Wilfredo Guerrero, Menschenrechtsverteidiger in San Juan Tela, komplett zerstört. Seit Jahren verteidigte er das Land der Garífuna-Gemeinde gegen das Tourismusprojekt Indura Beach & Golf Resort. Am 22. Juni 2006 wird
Jessica Garcia, die Vorsitzende des Gemeindevorstandes von San Juan Tela, mit vorgehaltener Waffe und unter Androhung, sie und ihre Kinder zu töten, gezwungen, ein Dokument zu unterzeichnen, mit dem sie Land und Rechte an Investor*innen des Tourismusprojektes abtritt. Im Februar 2006 werden Epson Andrés Castillo und Gino Eligio López aus San Juan Tela außergerichtlich von staatlichen Sicherheitskräften hingerichtet. Dies ist nur ein Auszug aus einer langen Liste von Repressionen gegen die Garífuna alleine in der Bucht von Tela.

Seit 2003 hatte sich die Situation in den dortigen Gemeinden verschärft. Den in- und ausländischen Investor*innen des touristischen Großprojektes Los Micos & Golf Resort (später umbenannt in Indura Beach & Golf Resort) sind sie ein Dorn im Auge. Für die Menschen in Río Tinto, Miami, Tornabé, San Juan, La Ensenada und Triunfo de la Cruz beginnt ein gefährlicher Kampf um ihr Land.

Im Oktober 2003 stellt die Garífuna-Organisation OFRANEH ein Gesuch an die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH, die Fälle einiger Gemeinden, unter anderem den von Triunfo de la Cruz, zu behandeln. OFRANEH (Organización Fraternal Negra Hondureña) tritt seit über 40 Jahren für kulturelle und Landrechte der afro-indigenen Garífuna-Bevölkerung ein und verteidigt die Gemeinden gegen Tourismusprojekte und die illegale Landnahme für den Anbau von Ölpalmen, Viehwirtschaft, Wasserkraft- und andere Energieprojekte.

In dem Gesuch von 2003 ging es um Menschenrechtsverletzungen und Landraub. Kurz zuvor hatte Honduras ein neues Gesetz zur Regelung von Landbesitz erlassen, das die kollektiven Landtitel der Gemeinden gefährdete. Zudem existierte bereits die Planung für das touristische Großprojekt in der Bucht von Tela. Im Jahre 2006 forderte die CIDH den honduranischen Staat auf, den Landbesitz der Gemeinde Triunfo de la Cruz anzuerkennen. 2012 folgte ein Bericht der CIDH mit Empfehlungen an den Staat. Er solle das Land der Gemeinde markieren und Landtitel vergeben. Auch solle der Staat unter Beteiligung der indigenen Völker Verfahren etablieren, um eine freie, informierte und vorherige Konsultation gemäß den internationalen Abkommen umzusetzen. Menschenrechtsverletzungen solle er aufklären und sanktionieren. Der Bericht blieb ohne Antwort. 2013 wurde der Fall dem Interamerikanischen Gerichtshof übergeben, ein Urteil erfolgte 2015 – zwölf Jahre nach Eingang des Gesuchs. Es verpflichtet die Regierung in Honduras unter anderem zu einem Eingeständnis ihrer Verantwortung, der Ausstellung kollektiver Landtitel über das angestammte Territorium der Gemeinden, dem Rückkauf und der Rückübertragung bereits illegal vergebener oder gleichwertiger Ländereien und dem Aufbau eines Entwicklungsfonds für die Dörfer und ihre Bewohner*innen.

Bis heute kämpfen die Gemeinden für die Umsetzung dieses Urteils. Doch statt das endlich anzugehen, bekämpfen Regierung und Unternehmen die Garífuna. Im Juni dieses Jahres wurde Antonio Bernárdez aus Punta Piedra ermordet, er war als einer der Betroffenen im Urteil erwähnt. Albert Snaider Centeno ist Gemeindevorsteher von Triunfo de la Cruz. Bis zu seinem gewaltsamen Verschwindenlassen hat er sich federführend für die Umsetzung des Urteils eingesetzt. Kurz vor seiner Verschleppung hat er diese öffentlich von der Kommunalregierung des Landkreises Tela gefordert und dabei die Politiker*innen angeklagt, illegal Konzessionen für Tourismusprojekte auf Garífuna-Land zu vergeben und mit Militärs und Ölpalmenunternehmen verbandelt zu sein.

Wer sich in den Gemeinden für die Umsetzung der Urteile einsetzt, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Betroffen sind nicht nur die Dörfer an der Bucht von Tela, sondern fast alle Garífuna-Gemeinden. Dennoch sind die Urteile für OFRANEH ein Erfolg. Denn das Urteil im Fall der Gemeinden Triunfo de la Cruz und Punta Piedra gibt den Garífuna Recht und weist deutlich auf die Defizite des honduranischen Staates hin, die afro-indigene Bevölkerung gleichberechtigt zu behandeln. Im Oktober 2020 wurde ein weiterer Fall dem Gerichtshof übergeben, in dem es um die Garífuna-Gemeinde San Juan Tela geht. Dieser letzte Fall und auch zukünftige Fälle hängen u.a. auch von der Entwicklung des nationalen Konsultationsgesetzes ab, was aktuell debattiert wird.

Die ILO-Konvention 169 ist für OFRANEH und andere indigene Organisationen das wichtigste juristische Mittel im Kampf gegen die illegale Landnahme. Honduras ratifizierte das internationale Abkommen 1995. Berta Cáceres, frühere Koordinatorin der Lenca-Organisation COPINH, kämpfte u. a. für die Implementierung der in der Konvention verankerten vorherigen Konsultationen als ein Mechanismus der Anerkennung der Rechte der indigenen und afro-indigenen Bevölkerung. Noch kurz vor ihrer Ermordung im März 2016 wurde sie von der UN-Sonderberichterstatterin für indigene Völker, Victoria Tauli-Corpuz, darin unterstützt. Diese forderte den honduranischen Staat auf, das Recht auf Konsultation zu respektieren. Die Regierung von Honduras beauftragte 2015 ausgerechnet den Juristen Ivan Lanegra, der das von den Indigenen kritisierte Konsultationsgesetz Perus ausgearbeitet hatte, mit der Formulierung eines Gesetzentwurfs. Hauptstreitpunkt ist in Honduras das Vetorecht. Während Artikel 6 Absatz 2 der Konvention klar besagt, dass ihr Ziel ist, zu einer Einigung zu gelangen, lässt sie die Art der Konsultation oder ein mögliches Vetorecht vage. Diesen Spielraum will die honduranische Regierung nutzen und so sieht das in den Kongress eingebrachte Gesetz kein Vetorecht vor.

Gesetzesvorschläge, die von Indigenen-Organisationen in Honduras ausgearbeitet wurden, werden ignoriert. Kollektive Landtitel und die Definition indigener Territorien gelten als Entwicklungshemmnisse und stehen der neoliberalen Logik entgegen. Die indigenen und afro-indigenen Organisationen betrachten die aktuelle Gesetzesinitiative mit Misstrauen und als Versuch von Wirtschaft und Politik, die Konvention zu ihren Gunsten auszulegen und im Falle der Garífuna als Teil des Plans, „die Garífuna auszurotten“. Der nächste Schritt ist die Verabschiedung des Gesetzes durch das Parlament, der von der internationalen Gemeinschaft genau beobachtet werden sollte, denn eine vorherige Konsultation der Indigenen und Afro-Indigenen gab es nicht.

Das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit und die HondurasDelegation planen für Sommer 2021 eine Solidaritätsreise zu OFRANEH, die in das selbstverwaltete Dorf Vallecito geht. 
 
von Kirstin Büttner und Rita Trautmann//Link zum Artikel