Interview mit Bertha Zúniga Cáceres über den Mord an ihrer Mutter Berta Cáceres vor fünf Jahren
Das Interview führte Andrea Lammers Lateinamerika-Nachrichten Nr. 563, Mai 2021
Am 27. April 2021 begann die Hauptverhandlung im Prozess gegen den ehemaligen Geschäftsführer des Unternehmens Desarollos Energéticos (DESA), Roberto David Castillo Mejía. Castillo wird beschuldigt, den Mord an der bekannten Menschenrechtsverteidigerin Berta Cáceres in Auftrag gegeben zu haben. Sie war im März 2016 in ihrem Haus in La Esperanza-Intibucá von einem Killerkommando erschossen worden. Sieben Täter und Mittelsmänner, darunter ehemalige und aktive Militärs und DESA-Angestellte, wurden 2019 zu langen Haftstrafen verurteilt.
Bertha und Laura Zúniga Cáceres - Töchter von Berta Cáceres Foto: COPINH |
David Castillo ist als bisher einziger Auftraggeber des Mordes an Berta Cáceres angeklagt. Wird er verurteilt werden? Welche Szenarien sind wahrscheinlich?
Die Verteidigung von David Castillo hat Verzögerungen erwirkt, um den Prozess zu umgehen und ihm und den anderen, die erst noch angeklagt werden müssten, Straffreiheit zu verschaffen. Dennoch denke ich, dass es überzeugende und unwiderlegbare Beweise gibt, die zu seiner Verurteilung führen werden. Das ist für uns das wahrscheinlichste Szenario. Uns geht es nicht um eine Verurteilung um der Verurteilung willen, stattdessen möchten wir in dem Gerichtsverfahren deutlich machen, wie systematisch die Angriffe auf Verteidigerinnen der indigenen Territorien sind. Es geht um den Kontext, in dem der Mord an Berta Cáceres stattgefunden hat. Ohne den Kontext ist es unmöglich, die Ereignisse der Nacht vom 2. auf den 3. März 2016 zu verstehen. Und es geht darum, dass Berta Cáceres eine weibliche Führungspersönlichkeit war, der indigenen Gemeinschaft und der sozialen Bewegungen in Honduras.
Das zweite mögliche Szenario wäre katastrophal: Es könnte einen außergerichtlichen Deal mit den Beschützern von David Castillo geben, also mit Mitgliedern der Familie Atala Zablah (Der größte Teil von DESA gehört dieser in Honduras wirtschaftlich und politisch sehr einflussreichen Familie Anm. d. Red.). Das wäre nicht verwunderlich, denn in Honduras werden viele Abkommen zur Straffreiheit durch Bestechung geschlossen. Um das zu verhindern, ist die internationale und nationale Prozessbeobachtung sehr wichtig, ebenso wie Maßnahmen, die den Prozess der Rechtsfindung schützen. Allerdings sind wir eben in Honduras, einem Land der Straflosigkeit, einem Land, in dem Dinge passieren, von denen wir manchmal denken, dass sie nicht passieren können.
Falls Castillo verurteilt wird: Gibt es dann die Chance, auch gegen weitere Auftraggeber*innen vorzugehen?
Diese Möglichkeit besteht aufgrund der internen Hierarchien des Unternehmens und der Unterordnung Castillos unter die Mehrheitsaktionäre. Allerdings hatte der Staat nie den politischen Willen, diese Ebene anzugehen. Mitglieder der Familie Atala Zablah wurden ja nicht einmal vernommen. Solange der Staat keinen politischen Willen zeigt, werden keine Beweise gesammelt, keine weiteren Untersuchungen durchgeführt. Für den Staat ist Castillo derjenige, der geopfert wird. Er wird als der Autor des Verbrechens präsentiert, als die Person, die allein über den Mord entschieden hat. Das macht uns Sorgen. Wir haben in den vergangenen Jahren Informationen über die Finanzen des Unternehmens, die wir eingefordert hatten und wofür wir im vorherigen Prozess ausgeschlossen wurden, analysiert. Wir sehen klare Auffälligkeiten, Anzeichen von Korruption, sogar von Geldwäsche. Dazu müsste viel mehr ermittelt werden. Dann könnten auch die vielen Fragen zur Realisierung des Wasserkraftwerks Agua Zarca aufgeklärt werden.
Die betrügerischen Machenschaften in Bezug auf Agua Zarca sind Teil eines weiteren Verfahrens, das als „Betrug am Gualcarque-Fluss“ bekannt ist. Gibt es einen Zusammenhang mit dem jetzigen Prozess gegen David Castillo?
Wir haben immer betont, dass die Ermordung von Berta Cáceres mit der illegalen und illegitimen Konzession für das Wasserkraftwerk Agua Zarca zusammenhing. Und genau das bringt der Fall „Betrug am Gualcarque“ ans Tageslicht: Unregelmäßigkeiten innerhalb des Konzessionsverfahrens und die Verletzung von Grundrechten bei der Umsetzung des Projekts. Eine Staatsanwaltschaft, die wirklich an einer umfassenden Gerechtigkeit interessiert wäre, hätte die Möglichkeit, neben dem Mord weitere Verbrechen aufzudecken. Es sind dieselben Eigentümer, es sind dieselben Leute, die über ihr „politisches Kapital“ sprachen und davon, dass sie Deals mit staatlichen Institutionen gemacht haben, um zu bekommen, was sie wollten.
Wird es gelingen, neben dem wirtschaftlichen auch das politisch-militärische Geflecht hinter dem Mord aufzudecken?
Viele Informationen aus Telefongesprächen fehlen in den derzeitigen Verfahren, weil sie gar nicht ausgewertet wurden. Es besteht sogar der Verdacht, dass weitere Militärs am Mord an meiner Mutter beteiligt waren. Die Ermittlungsakte des Majors Mariano Díaz Chávez wird geheim gehalten. Der Staat hat eine große Bringschuld, dieses Komplott aufzuklären, auch was die eigene Verantwortung betrifft. Zweifelsohne wurden die Auftraggeber des Mordes geschützt. Wir von COPINH meinen, dass es mindestens eine schweigende Zustimmung von Präsident Hernández gegeben haben muss.
Angesichts des Ausmaßes der Beteiligung des militärischen Nachrichtendienstes und Generalstabs an diesem Verbrechen muss er davon gewusst haben.
Was bedeutet Bertas Vermächtnis heute, wo noch viel offensichtlicher ist, dass Honduras sich in einen autoritären, diktatorischen Narco-Staat verwandelt hat und kurz davor ist, ein failed state zu werden? Welche Möglichkeiten haben die indigenen, kleinbäuerlichen und sozialen Bewegungen in dieser Situation?
Unser Land ist in einer sehr schwierigen Lage, die von großen Frustrationen und von einer sehr tiefen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise geprägt ist. Wir von COPINH bemühen uns weiter, die Kämpfe der Gemeinden zu stärken. Das ist unsere Hauptaufgabe und Verpflichtung, gerade angesichts eines Verbrechens, das uns auf organisatorischer Ebene sehr getroffen hat. Die Kämpfe zur Verteidigung der Territorien gehen auch während der Pandemie weiter. Es gab sogar lokale Aktionen, um den Bau weiterer Projekte zu verhindern oder vor der drohenden Remilitarisierung in den Gemeinden zu warnen. Gleichzeitig müssen wir etwas gegen die akute Nahrungsmittelkrise und die soziale Krise tun. Zudem versuchen wir, landesweite Bündnisse zu schmieden, was eines der Hauptanliegen meiner Mutter war. Nur dadurch können wir heute überhaupt von einer honduranischen sozialen Bewegung sprechen. Wir leisten unseren Beitrag, sagen unsere Meinung, schauen, wo es hingehen könnte, versuchen, politisches Vertrauen wiederherzustellen, das soziale Gefüge wieder aufzubauen und auch die Probleme der Gewalt anzusprechen, die so viele Organisationsräume zerstört hat. Ich glaube, dass meine Mutter immer ein Bezugspunkt dafür sein wird, wie man verschiedene Kämpfe zusammenbringt, sowohl in territorialen als auch in großen sozialen und politischen Fragen. Sie wusste, wie wir gleichzeitig lokal Widerstand leisten, das soziale Gefüge der Menschen wieder aufbauen und landesweite und sogar internationale Aktionen planen. Wir gehen das sehr langsam an, um das Land wieder auf Kurs zu bringen. Viele Menschen denken gerade darüber nach, wie wir den fortdauernden Putsch und den diktatorischen Staat praktisch überwinden können. Vor allem auch angesichts dessen, wie die Wahlen dieses Jahr ablaufen werden und was dann übrigbleibt. Denn es ist klar, dass bei diesen Wahlen nichts wesentlich anderes herauskommen wird als bisher. Obwohl das Szenario sehr entmutigend ist, müssen wir unser Engagement mittel- und langfristig aufrechterhalten. Nur so können wir der Vision einer Neugründung von Honduras wieder näherkommen, für die Berta Cáceres stand.
Du hast deine Mutter verloren, kämpfst für umfassende Gerechtigkeit und gleichzeitig bist du ihre Nachfolgerin als Generalkoordinatorin von COPINH mit allen Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die das mit sich bringt. Bleibt da noch Raum für Persönliches oder Zeit, mal durchzuatmen?
Wir versuchen immer, für unser emotionales und mentales Wohlergehen zu sorgen, denn manchmal wird die Erschöpfung einfach zu groß. Also versuchen wir, Momente des Ausgleichs zu finden. Ohne die könnten wir gar nicht mehr richtig denken. Wir machen kleine Wanderungen auf dem Land, in den Gemeinden, suchen uns ein Pferd zum Reiten. Aber es ist schon schwierig. Es ist ein sehr hektisches Leben. Ich bewundere meine Mutter jeden Tag mehr. Wie hat sie das nur gemacht, sich immer um alles zu kümmern, alles im Blick zu haben und obendrein vier Kinder zu haben? Meine jetzige Aufgabe ist das Schwerste, was ich je in meinem Leben angepackt habe. Von wegen Abschlussarbeit an der Uni... Was für eine Uni überhaupt? Aber wir gehen unseren Weg. Das Gute ist, dass mich viele Leute unterstützen. Das hilft sehr. COPINH wäre schon mehrmals am Ende gewesen, wenn ich alles allein stemmen müsste.
Foto: COPINH |