Sechs Monate nach dem Schuldspruch gegen einen der Auftraggeber des Mordes gibt es immer noch kein rechtskräftiges Urteil. Gespräch mit dem Anwalt Victor Fernández
In der Nacht vom 2. auf den 3.März 2016 wurde die indigene Menschenrechtsverteidigerin Berta Cáceres in ihrem Haus in La Esperanza in Honduras ermordet. Sie hatte sich gemeinsam mit indigenen Lenca-Gemeinden gegen die illegale Errichtung des Wasserkraftwerkprojektes Agua Zarca gewehrt, hinter deren Betreiberfirma Desarollos Energéticos S.A. (Desa) einflussreiche Personen aus Wirtschaft und Politik stehen. 2018 wurden mehrere Auftragsmörder und Mittelsmänner zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Urteil gegen einen der Auftraggeber des Mordes liegt indes immer noch nicht vor, Ermittlungen gegen weitere mutmaßliche Täter aus der mächtigen Unternehmerfamilie Atala stehen aus. Amerika21 sprach mit Victor Fernández, Anwalt der Familie Cáceres und des Zivilen Rates für indigene und Volksorganisationen von Honduras (COPINH) über die aktuellen Entwicklungen.
Im Juli 2021 wurde der geschäftsführende Direktor des Unternehmens Desa, David Castillo, als einer der Auftraggeber (Co-Autoren) des Mordes an Berta Cáceres verurteilt. Es sind nun sechs Monate vergangen und das Gericht hat noch immer kein schriftliches Urteil samt Urteilsbegründung veröffentlicht. Warum dauert es so lange, bis dieses Urteil rechtskräftig wird?
Eine Begründung des Gerichtes könnte sein, dass die Bewertung der Beweise sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Das sind Abertausende von Textnachrichten, dazu eine Menge Gutachten und Dokumente. Dennoch sollte es nicht so lange dauern, denn das Verfahren gegen David Castillo wegen des Mordes an Berta Cáceres ist ein emblematischer Fall für die honduranische Justiz. Neben der rein rationalen, fundierten Analyse ist auch die Unmittelbarkeit, die zeitliche Nähe zur Verhandlung, ein wichtiges rechtsstaatliches Prinzip. Sechs Monate später gibt es nicht mehr dieselbe Erfahrung, die Eindrücke haben nicht mehr dieselbe Frische. Die Verzögerung ist bedauerlich für den Fall und für unser Justizsystem, das sich der Welt auf diese Weise präsentiert. Und vor allem warten die Opfer immer noch auf Gewissheit. Letztlich wissen wir nicht wirklich, warum es immer noch kein Urteil gibt. Ich kann dazu nur sagen: Weil das Gericht noch keines gefällt hat. Dahinter können alle möglichen Machenschaften stecken.
Der Desa-Finanzchef Daniel Atala wurde als Zeuge im Prozess gegen David Castillo geladen. Er verweigerte die Aussage, weil die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittle. Bislang wurde Daniel Atala nicht angeklagt. Was ist über die Ermittlungen bekannt?
Gegen Daniel Atala ermittelt die Sonderstaatsanwaltschaft gegen Korruption (UFERCO) im Fall "Betrug am Gualcarque-Fluss". Wir haben die Extraktion der Informationen aus seinen Computern beantragt, die bereits im Mai 2016, zwei Monate nach Berta Cáceres‘ Ermordung, konfisziert wurden. Das wurde nun, im Dezember 2021, vom Anti-Korruptionsgericht angeordnet, vor dem der Fall verhandelt wird. Die Informationen auf den Computern werden aber sicherlich noch andere Hinweise enthalten, die für die Causa Berta Cáceres relevant sein könnten.
Die Staatsanwaltschaft für Mordfälle hat bei der nationalen Gerichtsbarkeit weitere Untersuchungen beantragt, um Informationen aus Telefonen zu erlangen, die bei David Castillo zum Zeitpunkt seiner Festnahme beschlagnahmt wurden. Im Laufe der Verhandlung gegen Castillo stellte sich heraus, dass die Staatsanwaltschaft nicht über ausreichende Technik verfügt, um die Informationen aus seinen Telefonen zu extrahieren. Die Verhandlung wurde beendet, ohne dass das nachgeholt wurde.
Anschließend schlug die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Ermittlungen gegen Daniel Atala dem Gericht vor, die bei David Castillo sichergestellten Telefone in die USA zu schicken, um sie dort auslesen und analysieren zu lassen. Dagegen wird von Daniel Atalas Verteidigung Widerspruch eingelegt. Sie begründet dies mit der Verletzung von internationalen Konventionen. Anfang Januar 2022 wird es dazu eine Anhörung geben.
Die Ermittlungen im Fall "Betrug am Gualcarque" haben ergeben, dass es Absprachen zwischen Geschäftsleuten und Staatsbediensteten gab und Genehmigungsverfahren für die von der Desa erhaltene Konzession für den Bau des Wasserkraftwerks Agua Zarca nicht ordnungsgemäß waren. Notwendige Gutachten wurden nicht eingereicht und wesentliche Voraussetzungen für die Erteilung der Konzession nicht erfüllt. Ein Erfolg war, dass COPINH sich 2021 erkämpfen konnte, als Nebenkläger in dem Verfahren vertreten zu sein. Wie geht es nun weiter?
Bisher fand eine Vorverhandlung statt. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass alle 16 beschuldigten Personen zitiert werden, was jedoch abgelehnt wurde. Die Hauptverhandlung vor dem Anti-Korruptionsgericht wird nun nur gegen sechs Personen geführt. Dagegen haben wir Berufung eingelegt. Im Jahr 2022 wird der Prozess sicherlich beginnen.
Um wen handelt es sich bei den sechs Personen?
Die wichtigsten sind der ehemalige Manager des staatlichen Energieunternehmens (ENEE), Roberto Martínez Lozano, der ehemalige technische Assistent der Geschäftsführung des ENEE und Desa-Geschäftsführer David Castillo und Carolina Castillo, die damals Vorsitzende der Gewerkschaft des ENEE war. Bei den anderen handelt es sich um Beamte der unteren bis mittleren Ebene der Umweltprüfung und –kontrolle des Umweltministeriums.
Im Zusammenhang mit dem Wasserkraftwerksprojekt Agua Zarca wurden in Honduras Korruption und ein kriminelles Netzwerk, das Berta ermorden ließ, aufgedeckt. Es gibt jedoch auch eine internationale Dimension. Die Finanzierung durch die niederländische Entwicklungsbank FMO und in kleinerem Ausmaß auch Finnfund war sogar entscheidend, damit die Desa das Projekt Agua Zarca überhaupt vorantreiben konnte. Im Mai 2021 hat die FMO, vermutlich wegen des Drucks zahlreicher internationaler NGO, der honduranischen Bank Ficohsa ein Darlehen von über 60 Millionen-US-Dollar verweigert. Wenige Monate später schrieb die niederländische Presse, dass FMO auch seine Anteile an Ficohsa diskret verkauft habe. Ficohsa gehört der Familie Atala. Die Bank steht im Verdacht, ebenfalls Agua Zarca finanziert zu haben, bestreitet dies aber. Die FMO ihrerseits hat in den Niederlanden erhebliche Probleme: Sie musste im Sommer 2021 für sechs Wochen schließen, weil sich herausgestellt hatte, dass Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche nicht eingehalten wurden. Wie sehen Sie die Rolle internationaler Entwicklungsbanken bei vermeintlichen Entwicklungsprojekten wie Agua Zarca in Honduras?
Die Logik der Zentralamerikanischen Bank für wirtschaftliche Integration (BCIE), von FMO und Finnfund, die das Projekt Agua Zarca finanziert haben, ist eine Logik der Durchsetzung ihrer Politik gemeinsam mit anderen Wirtschaftsakteuren gegen die Bevölkerung. Wenn eine Entscheidung einmal getroffen ist, ist alles andere erlaubt und die Banken folgen nicht einmal mehr ihren eigenen, internen Regeln.
An der Konzession von Agua Zarca waren beispielsweise mehrere Unternehmen beteiligt, von der Baufirma des Projekts, über das Stromerzeugungsunternehmen, das von dem Projekt profitiert, bis hin zu den Unternehmen, die eine Art Audit über diese Projekte durchführen. Alle diese Unternehmen sollten unabhängig kontrolliert und voneinander getrennt sein. Ich bin mir aber nahezu sicher, dass alle unter der Kontrolle von Desa-Führungskräften standen
Mit anderen Worten, hier wurde Smurfing betrieben, es wurde alles in kleine, scheinbar unabhängige Einzelunternehmen aufgeteilt. Sie treffen Absprachen, teilen sich zwischen der einen Bank und der anderen Bank auf, aber letztendlich ist es dasselbe Geschäft, sogar von denselben Familien. Und die niederländische Bank wusste das oder hätte es zumindest wissen müssen. Berta Cáceres hat diese Machenschaften wiederholt angeprangert. Aber man hat sie unterschätzt, man hat sich über sie lustig gemacht: Das Verhalten von Weißen gegenüber indigenen Gemeinden.
Die niederländische Entwicklungsbank gehört zu 51 Prozent dem Staat. Aber die Bürger haben jegliche Kontrolle darüber verloren. Ich glaube nicht, dass die Niederländer oder die Finnen einverstanden sind, dass ihre Banken sich an Projekten beteiligen, die korrumpieren, Menschenrechte verletzen und das soziale Gefüge zerstören. Doch die finanzielle Unterstützung ist zu einem wesentlichen Bestandteil des Raubes der Gemeingüter geworden. Für mich ist klar, dass das Finanzsystem ein Glied der Mafia ist, die hinter einer Fassade der Korrektheit unsere Völker ausplündert.
Die Atalas sind keine kleinen Fische, sondern gehören zu den reichsten Familien in ganz Zentralamerika. Und die Finanzierung so genannter "Entwicklung" hat die Großen in Honduras noch größer gemacht.
Wir haben in Honduras eine Armutsquote von über 70 Prozent, die extreme Armut liegt bei 50 Prozent. Investitionen in Projekte wie Agua Zarca vergrößern die Ungleichheit und Ungerechtigkeit und töten Menschen. Sie finanzieren Polizei und Armee, destabilisieren Gruppen, die sich widersetzen, bezahlen Auftragsmörder.
In den "Pandora Papers" (amerika21 berichtete) tauchen auch die Finanzgruppe Ficohsa und die Internationale Finanzgesellschaft Ficohsa mit Dutzenden von Offshore-Firmen auf. Neben den Banken und der Firma Desa machen Mitglieder der Familie Atala Geschäfte mit Immobilien und Hotels. Auch Jacobo Atala Zablah, Mitglied des Desa-Vorstands, soll in eine offshore-Firma gegründet und an den ehemaligen honduranischen Präsidenten Porfirio Lobo übertragen haben. Camilo Atala, laut Forbes Magazin, der reichste Mann von Honduras, war Minister für Investitionen. Wie sind die Verflechtungen zwischen der Bankiersfamilie mit dem Staat?
In Honduras gibt es einen Pakt zwischen politischen, wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren, die die Kontrolle über die Institutionen haben. Und deshalb ist es so schwierig, dass der Staat überhaupt funktioniert. Da geht es nicht um eine ideologische Diskussion, welches Staatsmodell das bessere wäre. Es geht um das Funktionieren der Grundlagen des liberalen Staates, der liberalen Demokratie. Die einflussreichen Familien im Land waren in dieser Hinsicht schon immer ein Problem, aber in jüngerer Zeit haben sie einen qualitativen Sprung gemacht. Es geht ihnen nicht mehr nur um Spekulation, um Manöver, die um jeden Preis den eigenen Reichtum vermehren, sondern sie sind inzwischen auch mit kriminellen Praktiken, wie Drogenhandel und Geldwäsche, verbunden.
Der Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Korruption, Luis Santos, erklärte dazu, dass das gesamte schmutzige Geld in diesem Land zwangsläufig durch das Finanzsystem fließt.
Ich finde es inakzeptabel, dass dies in der Kriminalpolitik des Staates bisher keine Priorität hat. Für uns als Anwaltsteam ist klar: Wenn es einen Fall gibt, an dem wir jetzt arbeiten müssen, ist es ein Fall von Korruption im Finanzsystem. Durch den wir an all die Banker wirklich herankommen.
In einer Text-Nachricht eines der konfiszierten Telefone äußerte sich einer der Inhaber der Konzession des Flusses Gualcarque: "Wenn Libre gewinnt, nehmen sie mir die Konzessionen weg". Nun hat Xiomara Castro von der linken Partei Libre (Libertad y Refundación) die Präsidentschaftswahlen 2021 gewonnen. Was erwarten Sie von der neuen Regierung in Bezug auf die illegal vergebenen Konzessionen?
Dass all diese Konzessionen zurückgenommen werden!