Artikel erschienen auf Tortilladigital
Online-Petition für die Freilassung von Chavelo
Da letzte Woche eine Anhörung im Fall von José Isabel „Chavelo“
Morales in Tegucigalpa geplant war, hatte ich die Möglichkeit mit Greg
McCain zu sprechen. Er beschäftigt sich schon länger mit Chavelo und
lebt nun schon seit über einem halben Jahr bei seiner Familie.
Das Gespräch fand am ersten April statt.
Greg, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast für dieses
Gespräch. Stell dich doch kurz vor und erzähl wie du auf Honduras und
Chavelos Fall aufmerksam wurdest.
Ich bin ursprünglich aus Chicago und beschäftige mich seit längerer Zeit mit Honduras. Ich bin lose an die Basisorganisation La voz de los de abajo angegliedert,
die in Chicago seit Anfang 2000 zu Honduras arbeitet. Sie schicken
immer wieder Delegationen nach Honduras und beschäftigen sich
hauptsächlich mit der campesin@s-Bewegung. Für mich selbst war dies auch immer das Hauptthema und seit dem Sturz im 2009 informierte ich mich durch La voz de los abajo und eigene Recherchen über die Lage in Honduras.
Im Januar 2012 hatte ich dann die Möglichkeit bei einer Delegation Right’s Action – Alliance for Global Justice mitzureisen. Der Schwerpunkt lag in der Bajo Aguán Region, wo zurzeit die Lage für die campesin@s äusserst
schwierig ist. Mir wurde bewusst, dass eine grosse Notwendigkeit
betreffend internationaler Präsenz in dieser Region herrscht. Da es
zeitlich für mich gerade passte und ich das Gefühl hatte dort Gutes tun
zu können, kehrte ich im Mai mit einer weiteren Delegation in den Aguán
zurück und blieb. Seit August 2012 lebe ich nun direkt mit der Familie
von Chavelo zusammen.
Bevor du nach Honduras kamst, was wusstest du über den Fall von Chavelo?
In den Mainstream-Medien gab es natürlich keine Informationen dazu.
Alles was ich wusste, erfuhr ich durch Organisationen, die sich direkt
mit Honduras beschäftigten. Auf der Delegation im Mai habe ich dann
Chavelo persönlich im Gefängnis getroffen und mich danach verstärkt mit
seinem Fall auseinander gesetzt. Bevor ich dann eben bei seiner Familie
einzog.
Chavelos Fall zog sich bei deiner Ankunft schon seit längerer Zeit
hin, er wurde ja schon 2008 verhaftet. Wie brachest du dich anfangs
ein?
Im Wesentlichen war es seine Art “hier bin ich, was kann ich tun.”
Ich begann eigene Netzwerke aufzubauen, mit Organisationen und auch
Einzelpersonen. Und danach die direkte Verbindung mit Chavelos Familie
war natürlich sehr hilfreich.
Als ich in sein Dorf Guadalupe Carney zog, war er zwar schon über zwei
Jahren im Gefängnis, jedoch ohne Verurteilung. Dies verletzt das
honduranische Strafgesetzbuch…
Bevor wir in die Details von Chavelos Fall gehen, könntest du
einen Überblick geben über die Bajo Aguán Region und was die Problematik
dort ist?
Das Grundproblem ist ein Kampf um Land und somit um
Lebensmöglichkeiten. Zwei Ereignisse führten in den 90er Jahre zu einer
Verschärfung der Landproblematik. Einerseits La Ley de la Modernización y Desarollo del Sector Agrícola von 1992, welches den Zugang zu Land für die campesin@s erheblich erschwerte. Andererseits
der Hurrikan Mitch, der 1998 zum Tod und Vertreibung von tausenden
Menschen in ganz Zentralamerika führte. Gleichzeitig zogen sich die
Amerikaner in den 90er Jahren teilweise aus Honduras zurück und
hinterliessen in der Aguán Region ein ehemaliges Militärlager.
In der Verfassung von Honduras heisst es, dass ungenutztes Land teilweise campesin@s für die Subsistenzwirtschaft zur Verfügung gestellt werden muss. Deshalb begann die Organisation Movimiento Campesino del Aguán (MCA),
zu der auch Chavelo gehört, die legalen Schritte einzuleiten um ihren
Anspruch am Land zu verwirklichen. Doch obwohl sie alle legalen
Bedingungen erfüllten, wurden sie von staatlicher Seite blockiert und
ignoriert. Nach dem sich dies über Jahre hinzog und die Verzweiflung
grösser wurde, beschlossen gut 700 campesin@s am 14. Mai 2000 Teile dieses Gebiet zu besetzten und zu bewirtschaften.
Das Problem war nun aber, dass in der Zwischenzeit der reicher
Landbesitzer Henry Osorto, der Teil der honduranischen Oligarchie ist,
dieses Land von der Gemeinde Trujillo für einen lächerlich niedrigen
Preis gekauft hat. Land, das die Gemeinde gar nie besitzt hatte, denn es
war immer in Staatsbesitz. Trotz dieser rechtlich klaren Ausgangslage
begann ein jahrelanger Rechtsstreit, mit Drohungen bis zu Ermordungen
von campesin@s durch die Hände von Osortos eigenen
Sicherheitsleuten. Die Lage wurde immer angespannter, bis es
schliesslich wortwörtlich zu einer Explosion kam.
Und ab hier bekommt auch Chavelo in die Sache involviert, nicht wahr?
Genau. Chavelo selbst war zwar schon lange aktives Mitglied bei MCA
und setzte sich stark für die Organisation ein, doch war er nie der
Antreiber, wie die Ankläger ab diesem Zeitpunkt glaubhaft machen
wollten. Er hatte finanziell für seine Familie zu sorgen und er
verdiente Geld als Glace-Verkäufer. Mit dem Fahrrad fuhr er jeweils
zwischen den Dörfern hin und her und ging so seinem Geschäft nach. Auch
an diesem Sonntag dem 3. August 2008 war er stundenlang unterwegs und
erfuhr erst nach der Rückkehr in sein Dorf, was sich seit den frühen
Morgenstunden abspielte.
Kurz zuvor gewannen die campesin@s vor Gericht Teile von
Osortos beanspruchtem Land. Dieser wollte dies nicht hinnehmen und so
kamen am 3. August 2008 um 5 Uhr morgens Osortos Security-Männer ins
Dorf. Sie begannen wahllos auf die Hütten der campesin@s zu
schiessen und vertrieben sie in die Wälder. Ein 13 jähriges Mädchen
versteckte sich anstatt zu fliehen. Sie wurde von den Männern geschlagen
und getreten, damit sie die Namen der Führer der Bewegung nennen würde.
Nach 30 minütiger Tortur zogen sie ab. Als die campesin@s davon
erfuhren entschlossen sie sich, die Osorto Familie zu konfrontieren und
ca. 300 Leute gingen in Richtung der Ranch von Henry Osorto.
Es kam zu einer Belagerung, wobei anwesende Polizisten tatenlos
zusahen. Im Haus waren fünf Mitglieder der Osorto Familie (jedoch nicht
Henry Osorto) und fünf Wächter. Sie schossen immer wieder auf die campesion@s, wobei der campesino
José Arnulfo Guevera ums Leben kam. Die Frau des Opfers sah nur dass er
getroffen wurde und rannte schnellstens ins Dorf um Hilfe zu holen.
Dort traf sie auf Chavelo, der sich danach mit seinem Fahrrad direkt zur
Ranch aufmachte, um seinem bereits verstorbenen Freund zu helfen. Als
er ankam, hatten sich ein dutzend campesinos bereits entschieden, dass Haus zu stürmen, da von der Polizei weiterhin keine Hilfe kam.
Waren die campesinos in diesem Fall auch bewaffnet?
Ja, im Gegensatz zu den grosskaliberigen Waffen der Osortos, waren es
aber einfache Waffen, wie Kaninchentöter. Es war ein Akt der
Verzweiflung nach jahrelanger Terrorisierung und fehlender Hilfe von
staatlicher Seite. Dann kam es plötzlich zu einer Explosion in der Ranch
und Feuer breitete sich rasch aus. Hier ist anzumerken, dass Henry
Osorto ein ehemaliger Militäroffizier ist und damals Unterkommandant der
Polizei war. Zudem ist er ein Waffennarr und so fanden sich neben den
schweren Waffen auch Granaten im Haus. Der Verdacht liegt nahe, dass
eine davon explodierte. Doch da es nie eine forensische Untersuchung
gab, behauptet die Osorto Familie weiterhin die abstrusesten Dinge.
Henry Osorto gab einen Tag nach dem Ereignis zu Protokoll, dass alle 300
campesin@s mit AK47 bewaffnet, das Haus stürmten und die Familie
überwältigten. Danach sollen sie das Haus angezündet haben um ihre
Spuren zu verwischen, notabene während dutzende PolizstInnen in der Nähe
zuschauten. Vielmehr ist es so, dass die campesin@s nach Ausbruch des Feuers der Polizei halfen, die Opfer zu bergen. Es kam auch zu keinen Verhaftungen an diesem Abend.
Doch später nahm das honduranische Pendant zum FBI den Fall auf. Nach
einer oberflächlichen Untersuchung ohne forensische Analysen wurden
über 300 Haftbefehle ausgestellt! 32 sind auch heute noch offen, d.h.
diese campesin@s könnten jederzeit verhaftet werden. 12 Fälle
wurden sogar an Interpol weitergeleitet, davon auch der von Chavelo. Sie
wurden gezwungen wöchentlich nach Trujillo, den Hauptort des
Departementes, zu fahren um dort jeweils ein Formular zu unterschreiben.
Offiziell war es damit sie nicht das Land verlassen würden, während ihr
Fall untersucht wird. Aber es diente mehr als Einschüchterung und
Schikane.
Und was passierte danach?
Im Oktober 2008 wurde Chavelo dann in Trujillo verhaftet und mehrere
Stunden ohne Möglichkeit zu telefonieren festgehalten. Danach flogen sie
in via Helikopter nach La Ceiba ins dortige Gefängnis, wo er heute noch
ist.
Er wurde anfangs mit elffachem Mord – inkl. seines Freunds José
Arnulfo Guevera – und Brandstiftung angeklagt. Danach passierte auf
staatlicher Seite lange nichts. Am 14. Juni 2010 begann dann der
Prozess, wobei die Anklage auf einen Mord reduziert wurde. Der einzige
Zeuge war der überlebende Neffe von Henry Osorto. Das Schicksal will es,
dass genau dieser von den campesin@s in Sicherheit gebracht wurde, nachdem er damals nach einem Schusswechsel verletzt wurde.
Es stand seine Aussage gegen die von den campesin@s. Das einzige Beweisstück war ein Foto, das Chavelo mit vier Männer zeigte, die den verstorbenen José zu einem Auto trugen.
Nachdem Prozess wurde er zurück ins Gefängnis gebracht, wo er weitere
zwei Jahre auf das Urteil warten musste. Am 24. Juli 2012 wurde er in
Abwesenheit von ihm und seinen Anwälten für 20 Jahre Gefängnis
verurteilt.
Wie geht es Chavelo heute nach als diesen Strapazen?
Er ist ein Kämpfer, doch lässt seine Kraft auch nach. Man muss sicher
vorstellen, was dieser Mann alles erleben musste. Während seiner Zeit
im Gefängnis ist seine eineinhalb jährige Tochter ertrunken, sein Vater
bei einem Autounfall gestorben und zwei Tanten verstarben. Im Gefängnis
wurde er aufgrund von Druck von Henry Osorto bedroht und zwei
Zellennachbarn wurden durch Orangensaft vergiftet, der für ihn gedacht
war. Seit diesem Zeitpunkt isst er nichts mehr vom Gefängnis und ist auf
Hilfe von aussen angewiesen. Es ist ein unglaubliches Schicksal.
Gibt es dann Hoffnung? Wie geht es weiter?
Ein wichtiger Schritt war natürlich, dass Chavelo’s Befreiung zu
einem der drei Hauptforderungen des Marsches für Würde und Souveränität
wurde. Zusammen mit einer internationalen Kampagne hat dies den Druck
auf die honduranische Regierung stark erhöht. Chavelo gilt heute als
Symbol der Kriminalisierung der campesin@s-Bewegung und bekommt auch im Inland immer mehr Unterstützung.
Heute, am ersten April, warten wir jetzt aber immer noch auf eine
Bestätigung des Gerichtes betreffend einer Audienz. Ich hoffe, dass dies
möglichst bald sein wird, doch hier weiss man nie.
Wie siehst du die ganze Geschichte?
Ich habe immer noch die Hoffnung, dass irgendjemand mit Macht endlich
entscheidet, dass jetzt genug passiert ist und dass dieses System
geändert werden muss. Doch wie jemand von der letzten Delegation
treffend sagte: „Es ist gezielt unangemessen, korrupt und konfus.“ Die
Oligarchie hält das Justizsystem absichtlich ineffizient, weil sie nur
so überleben können. So ist es natürlich leicht die Hoffnung zu
verlieren, aber so weit will ich es nicht kommen lassen.
Greg, vielen Dank für das Gespräch und deinen Einsatz.
Nachtrag vom 10. April
Gestern fand nun die Anhörung vor Gericht statt. Die Sache war
äussertst kurz – keine zehn Minuten – und es wurden nun vier
VertreterInnen von Chavelo zugelassen. Sie zeigten auf warum der Fall
neu verhandelt werden muss, während die Staatsanwaltschaft dagegen
argumentierte. Die Richter haben nun, je nach Quelle, 5-20 Tage Zeit um
ihr Urteil zu fällen, d.h. ob der Fall neu aufgerollt wird. Doch laut
Chavelo’s Anwalt, kann dies in Honduras auch Monate bis Jahre dauern.
Deshalb ist es doppelt wichtig den internationalen Druck aufrecht zu
halten, dass die Sache nicht wieder einschläft und vor allem dass sie
den richtigen Entscheid treffen.
Online-Petition für die Freilassung von Chavelo: https://secure.avaaz.org/en/petition/We_Demand_a_Retrial_and_Freedom_for_Honduran_Political_Prisoner_Chavelo_Morales/
Einen ausführlichen Bericht von Greg zu Chavelo’s Fall: http://www.counterpunch.org/2013/01/22/the-framing-of-chavelo-morales/