Donnerstag, 11. April 2013

…y libertad para Chavelo!

Artikel erschienen auf Tortilladigital

Online-Petition für die Freilassung von Chavelo

Da letzte Woche eine Anhörung im Fall von José Isabel „Chavelo“ Morales in Tegucigalpa geplant war, hatte ich die Möglichkeit mit Greg McCain zu sprechen. Er beschäftigt sich schon länger mit Chavelo und lebt nun schon seit über einem halben Jahr bei seiner Familie.
Das Gespräch fand am ersten April statt.



Greg, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast für dieses Gespräch. Stell dich doch kurz vor und erzähl wie du auf Honduras und Chavelos Fall aufmerksam wurdest.

Ich bin ursprünglich aus Chicago und beschäftige mich seit längerer Zeit mit Honduras. Ich bin lose an die Basisorganisation La voz de los de abajo angegliedert, die in Chicago seit Anfang 2000 zu Honduras arbeitet. Sie schicken immer wieder Delegationen nach Honduras und beschäftigen sich hauptsächlich mit der campesin@s-Bewegung. Für mich selbst war dies auch immer das Hauptthema und seit dem Sturz im 2009 informierte ich mich durch La voz de los abajo und eigene Recherchen über die Lage in Honduras.
Im Januar 2012 hatte ich dann die Möglichkeit bei einer Delegation Right’s Action – Alliance for Global Justice mitzureisen. Der Schwerpunkt lag in der Bajo Aguán Region, wo zurzeit die Lage für die campesin@s äusserst schwierig ist. Mir wurde bewusst, dass eine grosse Notwendigkeit betreffend internationaler Präsenz in dieser Region herrscht. Da es zeitlich für mich gerade passte und ich das Gefühl hatte dort Gutes tun zu können, kehrte ich im Mai mit einer weiteren Delegation in den Aguán zurück und blieb. Seit August 2012 lebe ich nun direkt mit der Familie von Chavelo zusammen.

Bevor du nach Honduras kamst, was wusstest du über den Fall von Chavelo?

In den Mainstream-Medien gab es natürlich keine Informationen dazu. Alles was ich wusste, erfuhr ich durch Organisationen, die sich direkt mit Honduras beschäftigten. Auf der Delegation im Mai habe ich dann Chavelo persönlich im Gefängnis getroffen und mich danach verstärkt mit seinem Fall auseinander gesetzt. Bevor ich dann eben bei seiner Familie einzog.

Chavelos Fall zog sich bei deiner Ankunft schon seit längerer Zeit hin, er wurde ja schon 2008 verhaftet. Wie brachest du dich anfangs ein? 

Im Wesentlichen war es seine Art “hier bin ich, was kann ich tun.” Ich begann eigene Netzwerke aufzubauen, mit Organisationen und auch Einzelpersonen. Und danach die direkte Verbindung mit Chavelos Familie war natürlich sehr hilfreich.
Als ich in sein Dorf Guadalupe Carney zog, war er zwar schon über zwei Jahren im Gefängnis, jedoch ohne Verurteilung. Dies verletzt das honduranische Strafgesetzbuch…

Bevor wir in die Details von Chavelos Fall gehen, könntest du einen Überblick geben über die Bajo Aguán Region und was die Problematik dort ist?

Das Grundproblem ist ein Kampf um Land und somit um Lebensmöglichkeiten. Zwei Ereignisse führten in den 90er Jahre zu einer Verschärfung der Landproblematik. Einerseits La Ley de la Modernización y Desarollo del Sector Agrícola von 1992, welches den Zugang zu Land für die campesin@s erheblich erschwerte.  Andererseits der Hurrikan Mitch, der 1998 zum Tod und Vertreibung von tausenden Menschen in ganz Zentralamerika führte. Gleichzeitig zogen sich die Amerikaner in den 90er Jahren teilweise aus Honduras zurück und hinterliessen in der Aguán Region ein ehemaliges Militärlager.
In der Verfassung von Honduras heisst es, dass ungenutztes Land teilweise campesin@s für die Subsistenzwirtschaft zur Verfügung gestellt werden muss. Deshalb begann die Organisation Movimiento Campesino del Aguán (MCA), zu der auch Chavelo gehört, die legalen Schritte einzuleiten um ihren Anspruch am Land zu verwirklichen. Doch obwohl sie alle legalen Bedingungen erfüllten, wurden sie von staatlicher Seite blockiert und ignoriert. Nach dem sich dies über Jahre hinzog und die Verzweiflung grösser wurde, beschlossen gut 700 campesin@s am 14. Mai 2000 Teile dieses Gebiet zu besetzten und zu bewirtschaften.
Das Problem war nun aber, dass in der Zwischenzeit der reicher Landbesitzer Henry Osorto, der Teil der honduranischen Oligarchie ist, dieses Land von der Gemeinde Trujillo für einen lächerlich niedrigen Preis gekauft hat. Land, das die Gemeinde gar nie besitzt hatte, denn es war immer in Staatsbesitz. Trotz dieser rechtlich klaren Ausgangslage begann ein jahrelanger Rechtsstreit, mit Drohungen bis zu Ermordungen von campesin@s durch die Hände von Osortos eigenen Sicherheitsleuten. Die Lage wurde immer angespannter, bis es schliesslich wortwörtlich zu einer Explosion kam.

Und ab hier bekommt auch Chavelo in die Sache involviert, nicht wahr?

Genau. Chavelo selbst war zwar schon lange aktives Mitglied bei MCA und setzte sich stark für die Organisation ein, doch war er nie der Antreiber, wie die Ankläger ab diesem Zeitpunkt glaubhaft machen wollten. Er hatte finanziell für seine Familie zu sorgen und er verdiente Geld als Glace-Verkäufer. Mit dem Fahrrad fuhr er jeweils zwischen den Dörfern hin und her und ging so seinem Geschäft nach. Auch an diesem Sonntag dem 3. August 2008 war er stundenlang unterwegs und erfuhr erst nach der Rückkehr in sein Dorf, was sich seit den frühen Morgenstunden abspielte.
Kurz zuvor gewannen die campesin@s vor Gericht Teile von Osortos beanspruchtem Land. Dieser wollte dies nicht hinnehmen und so kamen am 3. August 2008 um 5 Uhr morgens Osortos Security-Männer ins Dorf. Sie begannen wahllos auf die Hütten der campesin@s zu schiessen und vertrieben sie in die Wälder. Ein 13 jähriges Mädchen versteckte sich anstatt zu fliehen. Sie wurde von den Männern geschlagen und getreten, damit sie die Namen der Führer der Bewegung nennen würde. Nach 30 minütiger Tortur zogen sie ab. Als die campesin@s davon erfuhren entschlossen sie sich, die Osorto Familie zu konfrontieren und ca. 300 Leute gingen in Richtung der Ranch von Henry Osorto.
Es kam zu einer Belagerung, wobei anwesende Polizisten tatenlos zusahen. Im Haus waren fünf Mitglieder der Osorto Familie (jedoch nicht Henry Osorto) und fünf Wächter. Sie schossen immer wieder auf die campesion@s, wobei der campesino José Arnulfo Guevera ums Leben kam. Die Frau des Opfers sah nur dass er getroffen wurde und rannte schnellstens ins Dorf um Hilfe zu holen. Dort traf sie auf Chavelo, der sich danach mit seinem Fahrrad direkt zur Ranch aufmachte, um seinem bereits verstorbenen Freund zu helfen. Als er ankam, hatten sich ein dutzend campesinos bereits entschieden, dass Haus zu stürmen, da von der Polizei weiterhin keine Hilfe kam.

Waren die campesinos in diesem Fall auch bewaffnet?

Ja, im Gegensatz zu den grosskaliberigen Waffen der Osortos, waren es aber einfache Waffen, wie Kaninchentöter. Es war ein Akt der Verzweiflung nach jahrelanger Terrorisierung und fehlender Hilfe von staatlicher Seite. Dann kam es plötzlich zu einer Explosion in der Ranch und Feuer breitete sich rasch aus. Hier ist anzumerken, dass Henry Osorto ein ehemaliger Militäroffizier ist und damals Unterkommandant der Polizei war. Zudem ist er ein Waffennarr und so fanden sich neben den schweren Waffen auch Granaten im Haus. Der Verdacht liegt nahe, dass eine davon explodierte. Doch da es nie eine forensische Untersuchung gab, behauptet die Osorto Familie weiterhin die abstrusesten Dinge. Henry Osorto gab einen Tag nach dem Ereignis zu Protokoll, dass alle 300 campesin@s mit AK47 bewaffnet, das Haus stürmten und die Familie überwältigten. Danach sollen sie das Haus angezündet haben um ihre Spuren zu verwischen, notabene während dutzende PolizstInnen in der Nähe zuschauten. Vielmehr ist es so, dass die campesin@s nach Ausbruch des Feuers der Polizei halfen, die Opfer zu bergen. Es kam auch zu keinen Verhaftungen an diesem Abend.
Doch später nahm das honduranische Pendant zum FBI den Fall auf. Nach einer oberflächlichen Untersuchung ohne forensische Analysen wurden über 300 Haftbefehle ausgestellt! 32 sind auch heute noch offen, d.h. diese campesin@s könnten jederzeit verhaftet werden. 12 Fälle wurden sogar an Interpol weitergeleitet, davon auch der von Chavelo. Sie wurden gezwungen wöchentlich nach Trujillo, den Hauptort des Departementes, zu fahren um dort jeweils ein Formular zu unterschreiben. Offiziell war es damit sie nicht das Land verlassen würden, während ihr Fall untersucht wird. Aber es diente mehr als Einschüchterung und Schikane.

Und was passierte danach?

Im Oktober 2008 wurde Chavelo dann in Trujillo verhaftet und mehrere Stunden ohne Möglichkeit zu telefonieren festgehalten. Danach flogen sie in via Helikopter nach La Ceiba ins dortige Gefängnis, wo er heute noch ist.
Er wurde anfangs mit elffachem Mord – inkl. seines Freunds José Arnulfo Guevera – und Brandstiftung angeklagt. Danach passierte auf staatlicher Seite lange nichts. Am 14. Juni 2010 begann dann der Prozess, wobei die Anklage auf einen Mord reduziert wurde. Der einzige Zeuge war der überlebende Neffe von Henry Osorto. Das Schicksal will es, dass genau dieser von den campesin@s in Sicherheit gebracht wurde, nachdem er damals nach einem Schusswechsel verletzt wurde.
Es stand seine Aussage gegen die von den campesin@s. Das einzige Beweisstück war ein Foto, das Chavelo mit vier Männer zeigte, die den verstorbenen José zu einem Auto trugen.
Nachdem Prozess wurde er zurück ins Gefängnis gebracht, wo er weitere zwei Jahre auf das Urteil warten musste. Am 24. Juli 2012 wurde er in Abwesenheit von ihm und seinen Anwälten für 20 Jahre Gefängnis verurteilt.

Wie geht es Chavelo heute nach als diesen Strapazen?

Er ist ein Kämpfer, doch lässt seine Kraft auch nach. Man muss sicher vorstellen, was dieser Mann alles erleben musste. Während seiner Zeit im Gefängnis ist seine eineinhalb jährige Tochter ertrunken, sein Vater bei einem Autounfall gestorben und zwei Tanten verstarben. Im Gefängnis wurde er aufgrund von Druck von Henry Osorto bedroht und zwei Zellennachbarn wurden durch Orangensaft vergiftet, der für ihn gedacht war. Seit diesem Zeitpunkt isst er nichts mehr vom Gefängnis und ist auf Hilfe von aussen angewiesen. Es ist ein unglaubliches Schicksal.

Gibt es dann Hoffnung? Wie geht es weiter?

Ein wichtiger Schritt war natürlich, dass Chavelo’s Befreiung zu einem der drei Hauptforderungen des Marsches für Würde und Souveränität wurde. Zusammen mit einer internationalen Kampagne hat dies den Druck auf die honduranische Regierung stark erhöht. Chavelo gilt heute als Symbol der Kriminalisierung der campesin@s-Bewegung und bekommt auch im Inland immer mehr Unterstützung.
Heute, am ersten April, warten wir jetzt aber immer noch auf eine Bestätigung des Gerichtes betreffend einer Audienz. Ich hoffe, dass dies möglichst bald sein wird, doch hier weiss man nie.

Wie siehst du die ganze Geschichte?

Ich habe immer noch die Hoffnung, dass irgendjemand mit Macht endlich entscheidet, dass jetzt genug passiert ist und dass dieses System geändert werden muss. Doch wie jemand von der letzten Delegation treffend sagte: „Es ist gezielt unangemessen, korrupt und konfus.“ Die Oligarchie hält das Justizsystem absichtlich ineffizient, weil sie nur so überleben können. So ist es natürlich leicht die Hoffnung zu verlieren, aber so weit will ich es nicht kommen lassen.
Greg, vielen Dank für das Gespräch und deinen Einsatz.

Nachtrag vom 10. April
Gestern fand nun die Anhörung vor Gericht statt. Die Sache war äussertst kurz – keine zehn Minuten – und es wurden nun vier VertreterInnen von Chavelo zugelassen. Sie zeigten auf warum der Fall neu verhandelt werden muss, während die Staatsanwaltschaft dagegen argumentierte. Die Richter haben nun, je nach Quelle, 5-20 Tage Zeit um ihr Urteil zu fällen, d.h. ob der Fall neu aufgerollt wird. Doch laut Chavelo’s Anwalt, kann dies in Honduras auch Monate bis Jahre dauern. Deshalb ist es doppelt wichtig den internationalen Druck aufrecht zu halten, dass die Sache nicht wieder einschläft und vor allem dass sie den richtigen Entscheid treffen.

Online-Petition für die Freilassung von Chavelo: https://secure.avaaz.org/en/petition/We_Demand_a_Retrial_and_Freedom_for_Honduran_Political_Prisoner_Chavelo_Morales/

Einen ausführlichen Bericht von Greg zu Chavelo’s Fall: http://www.counterpunch.org/2013/01/22/the-framing-of-chavelo-morales/