Soldaten eröffnen Feuer auf Kraftwerksgegner. Sozialer Protest wird kriminalisiert
Bei einer Demonstration in dem Weiler El Achotal; Gemeinde Río Blanco im Department Intibucá kam es am Montag, 15. Juli 2013 zu zwei Toten und einem Schwerverletzen. Die EinwohnerInnen von Río Blanco protestieren seit über 100 Tagen gegen den Bau des Staudammprojektes Agua Zarca am Fluss Gualcarque. Tomás García, Mitglied des indigenen Rates von Río Blanco und ehrenamtlicher Gemeindevorsteher wurde von einem Soldaten erschossen. García war aktives Mitglied des „Zivilen Rates der Basis und indigenen Organisationen von Honduras“ COPINH, der etwa 200 Lenca-Gemeinden im Hochland von Honduras umfasst. Sein Sohn, Allan García Domínguez (17) wurde ebenfalls von Kugeln getroffen und schwer verletzt.
Der Vorfall ereignete sich, als etwa 300 DorfbewohnerInnen eine friedliche Kundgebung vor dem Gelände der Firmen Desarrollos Energéticos S.A. de C.V. (DESA) und SINOHYDRO abhalten wollten, was in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen war. Bei der Ankunft in der Nähe des Eingangstors des Firmengeländes von DESA und SINOHYDRO eröffneten uniformierte Mitglieder der Armee ohne Vorwarnung das Feuer, erklärte Berta Cáceres, Koordinatorin des COPINH. Polizisten, die zusammen mit den Soldaten auf dem Gelände der Unternehmen anwesend waren, hätten die Ereignisse beobachtet, jedoch nichts unternommen. Später wurde zudem die Leiche des Jugendlichen Cristian Anael Madrid Muñoz gefunden. Unbestätigten Angaben zufolge soll Muñoz Enkel eines regionalen Gemeindeführers bzw. Sohn eines DESA-Mitarbeiters sein. Die Umstände seines Todes sind bis dato ungeklärt. Dem Vernehmen nach wurde auch er Opfer von Schüssen.
Den Vorfällen vom Montag folgte eine Presseerklärung des Unternehmens DESA, in der behauptet wird, 80 bewaffnete COPINH-AktivistInnen hätten sich Zugang zum Firmengelände verschafft und Techniker sowie Sicherheitspersonal der Firmen angegriffen. Das Militär habe in Notwehr gehandelt. Die Verantwortung für den Tod des von Muñoz wird den Demonstranten zugewiesen, die den Jungen an einem nicht näher bezeichneten Ort bei „landwirtschaftlichen Arbeiten überrascht“ hätten.
COPINH bestreitet diese Anschuldigungen entschieden. Aureliano Molina, Aktivist des COPINH und indigener Gemeindeführer betonte in einem Interview mit dem italienischen Journalisten Giorgio Trucchi am 19.07.2013: “Wir weisen zurück, dass das Militär in Selbstverteidigung handelte. Genauso wie den Vorwurf der Streitkräfte und des Unternehmens, dass wir bewaffnet waren und das Gelände betraten. Wir bedauern den Tod des Jungen Cristian, aber wir hatten absolut nichts damit zu tun”. Laut COPINH sind bewaffnete Zivilisten, die sich im Auftrag der Unternehmen am Ort befanden, für den Tod von Muñoz verantwortlich.
Menschenrechtsorganisationen zeigen sich entsetzt über die Vorfälle und sehen darin auch den Versuch der weiteren Kriminalisierung des sozialen Protestes. Dem Vernehmen nach sind Haftbefehle und Ermittlungen wegen „Terrorismus und Beschädigung ausländischer Investitionen“ gegen mehrere MenschenrechtsverteidigerInnen des COPINH und BewohnerInnen der Region in Vorbereitung. Gegen 17 DorfbewohnerInnen wurde Strafanzeige gestellt. COPINH hat in einem Eilantrag besondere Schutzmaßnahmen für die Dörfer in Río Blanco von der interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) beantragt. Die CIDH gab am Freitag, 19. Juli 2013 eine erste Erklärung heraus, in der sie den honduranischen Staat energisch zum rechtsstaatlichen Handeln im Río Blanco-Konflikt auffordert.
Hintergrund:
Seit dem 1. April 2013 halten die BewohnerInnen mehrerer indigener Dörfer in der Region die Zufahrtsstraße zu dem Staudammprojekt Agua Zarca besetzt und sind dabei zunehmenden Einschüchterungen und Aggressionen von Seiten der an dem Wasserkraftwerk beteiligten Unternehmen, der honduranischen DESA und des chinesischen Staatskonzerns SINOHYDRO ausgesetzt.
Polizei- und Militäreinheiten sind (nach Aussagen der DESA seit dem 17. Mai 2013) auf dem Gelände der Unternehmen untergebracht, werden von diesen verpflegt und bewegen sich vor Ort in Firmenfahrzeugen. Zudem beteiligt sich laut Aussage von AnwohnerInnen das in die Region entsandte Ingenieursbataillon aus Siguatepeque aktiv am Bau des Staudammes und übernimmt logistische Arbeiten für die Unternehmen.
Auch die deutsche Firma Voith Hydro GmbH ist als Lieferantin u.a der Turbinen an dem umstrittenen 22 MW-Wasserkraftwerk beteiligt. Am 12. Juli 2013 hatten mehrere europäische Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen das Unternehmen auf die gravierende Menschenrechtssituation in Río Blanco aufmerksam gemacht und den Rückzug der Voith Hydro GmbH aus dem Vertrag mit der Partnerfirma DESA gefordert.
Nach Auffassung von COPINH sind die umliegenden Gemeinden rechtmäßige Eigentümer der betroffenen Landflächen. Laut der Konvention 169 zu indigenen Rechten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die Honduras 1995 ratifizierte, muss die betroffene indigene Bevölkerung vor Beginn derartiger Projekte informiert werden und diesen zustimmen. Die BewohnerInnen der betroffenen Region Río Blanco haben sich jedoch in mehreren indigenen und kommunalen Versammlungen (unter anderem am 10. Oktober 2011) gegen das Staudammprojekt Agua Zarca ausgesprochen.
Dennoch erteilte der Bürgermeister von Intibucá, Martiniano Dominguez Meza, die Erlaubnis zum Bau des Projektes. Gegen das Projekt Agua Zarca wurden seither mehrere Anzeigen erstattet, unter anderem bei der honduranischen Sonderstaatsanwaltschaft für Ethnien und beim UN-Sonderbeauftragten für indigene Völker. Eine Umweltverträglichkeitsstudie für das Projekt, die von der staatlichen Umweltbehörde SERNA durchgeführt wurde, ist trotz mehrerer Anfragen nicht öffentlich gemacht worden, was ebenfalls gegen honduranisches Recht verstößt.
Seit Beginn der Straßenblockaden gehen die Unternehmen DESA und SINOHYDRO eskalierend und aggressiv gegen den Protest vor. So berichten BewohnerInnen der Region von Einschüchterungen, Drohungen und körperlichen Aggressionen durch Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen. Durch Bestechung und Korruption versuchen die Unternehmen überdies die Bevölkerung zu spalten und gewalttätige Konflikte auch innerhalb der Gemeinden zu erzeugen.
Besonders besorgniserregend ist überdies das Abfeuern von Schusswaffen auf dem Gelände der Unternehmen, die Anwesenheit von zivilen bewaffneten Personen im Auftrag der Unternehmen in den umliegenden Gemeinden und die Verfolgung von Dorfbewohner_innen und MenschenrechtsverteidigerInnen durch Mitarbeiter von DESA und SINOHYDRO. Am 29. Juni 2013 griffen vier Personen den Dorfbewohner Roque Domínguez, Aktivist des COPINH und Gegner des Projektes Agua Zarca, mit Macheten an und verletzten ihn schwer.
Die friedliche Straßenblockade wurde mehrfach gewaltsam von Polizei- und Militäreinheiten geräumt, die gesamte Region wurde stark militarisiert und der Protest wird kriminalisiert. Am 24. Mai 2013 nahmen Soldaten und Polizisten die indigenen MenschenrechtsverteidigerInnen Bertha Cáceres Flores und Tomás Gómez Membreño fest. Gegen Cáceres, die aufgrund ihres Engagements für Menschenrechte im vergangenen Jahr den Shalompreis der Katholischen Universität Eichstätt erhalten hat, wurde auf der Grundlage offensichtlich falscher Anschuldigungen ein Gerichtsverfahren wegen illegalen Waffenbesitzes eingeleitet, das am 13. Juni 2013 mangels Beweisen vorläufig eingestellt wurde.
Agua Zarca gehört zu einer Serie von 24 Projekten sogenannter „Erneuerbarer Energien“ mit einer Gesamtinvestitionssumme von nahezu einer Milliarde Dollar, die zwischen Juni 2010 und November vom honduranischen Kongress genehmigt wurden. Finanziert werden die Projekte u.a. über den “Banco Interamericano de Integración Económica” (BCIE). An der Finanzierung ist über die honduranische „Financiera Comercial Hondureña S.A.“ (Banco Ficohsa) indirekt auch die französische Proparco und damit die staatliche französische Entwicklungsagentur AFD beteiligt.