Eine Übersetzung der Erklärung der Organisation OFRANEH über die Einmischung der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in der Moskitia. Die Originalerklärung ist auf dem Blog von OFRANEH zu finden
Honduras
– Neokoloniale Einmischung
der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in
der Moskitia?
In
den vergangenen Monaten führte die Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit und Entwicklung (GIZ) eine Reihe von
„Diagnose-Workshops“ in Garífuna-Gemeinden der
Verwaltungsbezirke Colón
und Gracias a Dios (Moskitia/Honduranische
Karibikküste) durch.
Eines
der Themen dieser Veranstaltungen war die Vorbereitung der
vorherigen, freien und informierten Konsultation des binationalen
Programmes der GIZ der zentralen Zone des Mesoamerikanischen
Biokorridors.
Für
die indigenen Völker von Honduras ist das Recht auf freie,
informierte und vorherige Zustimmung (FPIC - free, prior and informed
consent) eines der akutesten
Themen. Dieses Recht wird ihnen im Abkommen 169 der
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und durch die UN-Erklärung
über die Rechte indigener Völker zugesprochen.
Honduras ratifizierte und unterzeichnete das Abkommen (1995) und die
Erklärung (1997). Dennoch fehlt bis heute eine Umsetzung des FPIC in
nationales Recht, was zu einer Reihe von Verletzungen der Menschen-
und Landrechte der indigenen Bevölkerung geführt hat.
Kommunale
Konsultationen und die Nichtanerkennung des FPIC durch den Staat
Seit
dem Jahr 2003 führt die Indigenen-Organisation OFRANEH, gefördert
durch die Weltbank, Gemeinde-Konsultationen zu Landrechtsfragen
durch. Dabei handelte es sich um die ersten Erfahrungen des Landes
mit Gemeinde-Konsultationen im Rahmen des ILO-Abkommens 169
überhaupt.1
2004 verabschiedete der Kongress ein Gesetz, welches die Vorschläge
der zwei aus Beratungen in Durugubuty (San Juan Tela)
hervorgegangenen Gesetzesentwürfe gar nicht beachtet. Mehr noch, das
verabschiedete Gesetz enthält eine Reihe von Bestimmungen, die das
angestammte Land der indigenen Bevölkerung gefährden. Dazu zählt
insbesondere der Artikel 100 des dritten Kapitels, der die Auflösung
der kommunitären Verwaltungsformen des Landbesitzes fördert.
2006
wendete sich OFRANEH an den Untersuchungsausschuss der Weltbank,
welcher im Jahr 2007 ein Gutachten2
vorlegte, in welchem dem honduranischen Staat vorgeworfen wurde, das
ILO-Abkommen 169 verletzt zu haben.
Funktionäre der aktuellen honduranischen Regierung, genauer
gesagt des Agrarministeriums und des Ministeriums Indigener Völker,
haben mit Nachdruck darauf hingewiesen, welche Gefahren das
honduranische Eigentumsrecht in Bezug auf die Auflösung kommunitärer
Landtitel beinhaltet. Im Augenblick verhandelt OFRANEH einen Fall3
der Verletzung des FPIC vor dem Interamerikanischen
Menschengerichtshof und bereitet eine das Eigentumsrecht betreffende
Petition vor, die der Interamerikanischen Kommission für
Menschenrechte übergeben werden soll.
Von
Seiten des honduranische Staat existiert ein vorsätzliches
Desinteresse in Bezug auf die Verabschiedung eines FPIC-Gesetzes.
Hinzu kommt ein unverhohlener Angriff gegen die indigene Bevölkerung
und ihre Gebiete, die durch Megaprojekte in den Bereichen Bergbau,
Wasserkraft, Tourismus und durch den Bau von Staudämmen bedroht
werden. Hinzu kommen die Bestrebungen der aktuellen Regierung Teile
des nationalen Territoriums zum Ausverkauf anzubieten und mit den
sogenannten „Modellstädten“4
quasi unabhängige Staaten zu schaffen. Diese Initiativen gefährden
indigene Territorien sowie das überleben der indigenen Völker als
unterschiedliche Kulturen.
In
der honduranischen Moskitia sind vier indigene Stämme verwurzelt:
Miskito, Tawahka, Pech und Garífuna. Das Gebiet, das wir uns teilen,
verfügt über eine enorme Biodiversität. Der Staat und die
internationale Entwicklungszusammenarbeit sehen darin einen
Reichtum an „natürlichen Ressourcen“. Aufgrund dieser Situation
gerät das Gebiet unter enormen Druck: Es kommt zur Ausbeutung der
Erdöl- und Erdgasvorkommen, zum Abbau der sogenannten
„biogenetischen Ressourcen“, zum Bau von Mega-Staudämmen und zu
Projekten zur Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und
Walddegradierung (REDD). Letzteres ist von großem Interesse für die
GIZ.
Militärische
Interessen in der Moskitia
Während
sich Honduras, insbesondere nach dem zivil-militärischen Putsch von
2009, mehr und mehr zu einem gescheiterten Staat entwickelt,
verwandelt sich die Moskitia geradezu in einen Zufluchtsort für die
organisierte Kriminalität. Gleichzeitig wächst die Präsenz
US-amerikanischer Truppen und Militärbasen.5
Ende
2011 führte das US-amerikanische Militär im Verbund mit der
Universität von Kansas im Zuge der Bowman Expeditionen eine
Kartierung durch, die dem sogenannten Human Terrain System6
dienen sollte. Im Mai 2011 ereignete sich das Massaker von Ahuas:
Helikopter der US-amerikanischen Drogenvollzugsbehörde (DEA) nahmen
unschuldige Zivilist_innen unter Beschuss. Der Vorfall wurde bis
jetzt nicht von den US-amerikanischen, und noch weniger von den
honduranischen Behörden, aufgeklärt. Bisher wurde das Human Terrain
System
im
Irak, Afghanistan und konfliktreichen Gebieten in Mexikos angewendet;
offensichtlich sind die indigenen Völker Mittelamerikas und
besonders in der Moskitia, ein Militärisches Ziel. Angesichts der
komplizierten Menschenrechtssituation in Honduras, vor allem in der
Moskitia, sollte jede Intervention gründlich überprüft werden, da
sie eine Erhöhung der bereits bestehende Repression von Seiten der
honduranischen staatlichen Sicherheitskräften darstellt, welche
oftmals mit dem organisierten Verbrechen zusammenarbeiten.
Die
GIZ und das FPIC: „Entwicklungszusammenarbeit“ oder Eingriff in
die Selbstbestimmung indigener Völker?
Die
Dokumentation
des im Jahr 2012 von der GIZ in Eschborn abgehaltenen Seminars
„Umsetzung der vorhergehenden, freien und informierten Zustimmung
indigener Völker in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit:
Entwicklungshindernis oder Mittel zur Konfliktprävention?“ wirft
unserer Ansicht nach eher Fragen auf, als dass es Antworten gäbe.
Schon
der Begriff „Entwicklung“ ist weiterhin ein Rätsel für die
indigenen Völker, da die meisten Entwicklungsprojekte nichts anderes
als paternalistische Einmischungen mit desaströsen Folgen für die
Mutter Erde sind.
Das
FPIC ist für indigene Völker ein Mittel des Schutzes ihrer Gebiete
vor der Vielzahl von Eingriffen welche die Vision der „Entwicklung“
hervorbringt, oftmals aufgedrängt von der Entwicklungszusammenarbeit
und internationalen Finanzorganen.
Gemäß
der Zusammenfassung des genannten Seminars herrscht eine „unsichere
politische“ Situation, in der jede unerwünschte Intervention die
Gefahr birgt, ins Neokolonialistische überzugehen. Beim Binationalen
Projekt ist dies der Fall. Im Zuge des Projektes wurden eine Reihe
von Workshops in Garífuna-Gemeinden, von Tocamacho bis Plapaya,
durchgeführt. Diese Workshops dienten in erster Linie der Planung
von vermeintlichen Projekten, ohne die Realität in der Moskitia zu
kennen und erschaffen falsche Erwartungen.
OFRANEH
fordert als einen ersten Schritt mit Nachdruck die Verabschiedung
eines FPIC-Gesetzes.
Die
Benutzung des alten Tricks der Perlen und Spiegel (jetzt kommunitäre
Projekte genannt) lockt angesichts der existierenden enormen
ökonomischen Armut weiterhin die Gemeindeführer an und produziert
falsche Erwartungen.
Obwohl
OFRANEH die Funktionäre der GIZ auf die schwierige Situation in der
Moskitia, wo der gescheiterte Staat offensichtlich ist, aufmerksam
gemacht hat, besteht die deutsche Entwicklungspolitik darauf, den von
ihr eingeschlagenen Weg weiterzugehen, anstatt die Notwendigkeit
eines FPIC Gesetzes ernstzunehmen. Dieses Verhalten ist so
neokolonialistisch wie arrogant.
Wir
verstehen natürlich, wie wichtig es ist den Waldbestand zu retten.
Uns ist aber auch klar, dass REDD für das Problem des
Klimawandels keine Lösung bietet. Die Abholzung des Waldes wird
solange weitergehen, wie das organisierte Verbrechen einen Verbündeten in den staatlichen Sicherheitskräften hat,
eine
Situation die sich, wie es scheint, in Honduras immer mehr verschlimmert.
Organizacion Fraternal Negra Hondureña, OFRANEH
1
http://www.youtube.com/watch?v=cemMm6mmQzM