Samstag, 16. November 2013

Bericht der Menschenrechtsdelegation in Honduras, 1. Teil: Sonntag, 10. bis Mittwoch 13. November

Ankunft in Tegucigalpa


Die Stadt ist noch immer laut und voller Autos, allerdings scheint das Ausmaß des Dauerstaus gewachsen zu sein. Der Taxifahrer schimpft über die Baustelle für die Metrobuslinie, nicht nur über die Baustelle, sondern auch über das Projekt an sich, schließlich kostet es auf jeder Straßenseite eine Autospur.
An allen Straßen prangen großformatige Wahlplakate, vor allem die Nationalpartei sticht mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Juan Orlando Hernandez sofort ins Auge. Am 24. November sollen Parlament, Präsident und KommunalvertreterInnen neu gewählt werden - und kaum jemand redet über etwas anderes. Die Gewissheit, dass das erstarrte Zweiparteiensystem aufgebrochen wird misch sich mit der Angst, dass wie nach dem Staatsstreich 2009 wieder der Ausnahmezustand eintreten könnte.


Nach verschiedenen Anreiseschwierigkeiten wie einem Sturm über Costa Rica sind wir alle leicht verspätet in Tegucigalpa eingetrudelt.
Kaum richtig angekommen, treten wir in einer Pressekonferenz den honduranischen Medien gegenüber, um die Ziele unserer Delegation publik zu machen. Überrascht sehen wir in dem gut gefüllten Raum mindestens sechs Fernsehkameras auf uns gerichtet, das Interesse der Medien übersteigt unsere Erwartungen. Wir erklären, dass wir keineswegs eine offiziell eingeschriebene Wahlbeobachtungsdelegation sind, sondern Teil der überregionalen Arbeitsgruppe HondurasDelegation, die jährlich Delegationsreisen organisiert, bei denen Journalismus und Menschenrechtsarbeit verbunden werden. Bertha Oliva, die Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation COFADEH sitzt mit uns auf dem Podium. Sie verdeutlicht, dass auch unabhängig von den Vorgängen am Wahltag Menschenrechtsverletzungen in Honduras an der Tagesordnung sind, „ganz besonders in den Regionen, wo die Menschen ihr Recht auf Land verteidigen.“ In diesen Wochen kämen zahlreiche Wahlbeobachter_innen ins Land, unsere Delegation sei jedoch die erste, die als Menschenrechtsbeobachter_innen das Land besuchen würden: „Die ganze Welt schaut uns zu“, so Oliva.

Von der Pressekonferenz erhoffen wir uns eine erhöhte Sichtbarkeit, und damit einen erhöhten Effekt unserer Anwesenheit, aber auch ein höheres Maß an Sicherheit für uns. Seit einigen Wochen sind mitunter recht unfreundliche Töne gegen internationalen Beobachter_innen zu hören, die nicht zuletzt vom Präsdenten Pepe Lobo ausgingen.
Ob wir nicht Angst hätten, werden wir in den anschließenden Interviews gefragt. Natürlich sind wir auf das Risiko von Alltagskriminalität vorbereitet, es reist ja niemand von uns zum ersten Mal nach Lateinamerika. Aber auch die Unterstützungsschreiben der deutschen Botschaft, einer MdB und einer MdEP sorgen bei uns angesichts der Nervosität der Regierung für ein besseres Gefühl. Zudem sind wir nicht die einzigen: Angeblich sind beim Obersten Wahlrat ca. 800 offizielle Wahlbeobachter_innen eingeschrieben. Wir erfahren von Delegationen aus Kanada, den USA, El Salvador, Nicaragua, der UNO, der Organisation Amerikanischer Staaten und der EU.

Abends sind wir dann live zu Gast in der Radiosendung „Resistencias“ von Felix Molina, der für uns nicht nur ein wichtiger Partner, sondern auch ein Vorbild in Sachen unterhaltsamer politischer Information ist. Zusammen mit dem Garifuna-Aktivisten Alfredo Lopez von OFRANEH und Wilfredo Mendez von der Menschenrechtsorganisation CIPRODEH sitzen wir im Sendestudio. In der landesweit ausgestrahlten Sendung geht es heute um die Frage, ob Menschenrechtsbeobachter_innen eine politische Anschauung haben dürfen: Mendez bejaht dies mit einer juristisch soliden Begründung.

Anderntags treffen wir uns zu einem Austausch mit Vertreter_innen von Menschenrechtsorganisationen und kritischen Journalist_innen. Das Tagesseminar ist gut besucht und entwickelt sich zu einem Forum, auf dem die verschiedenen in Honduras arbeitenden Netzwerke sich für die heiße Phase vor, während und nach der Wahl koordinieren. Besonders für die Phase nach der Wahl wird mit einer Zunahme von Menschenrechtsverletzungen gerechnet.
Dabei werden nach wie vor eine Reihe von Szenarien für möglich gehalten: Während den Umfragen zufolge nur die neu gegründete linke Partei LIBRE und die regierende Nationale Partei eine Chance auf die Präsidentschaft haben, geben sich auch die Kandidaten der Liberalen Partei und der Antikorruptionspartei PAC siegessicher. Ein möglicher Wahlbetrug seitens der Regierungspartei ist in aller Munde. Bereits im Wahlkampf dominieren die blauen Plakate das Straßenbild von Tegucigalpa, angeblich sind 66% der Plakate von dieser Partei, ebenfalls 55% der Fernsehspots. Auch die Möglichkeiten bei der Stimmauszählung zu manipulieren werden erörtert, besonders der Weg der Auszählungen der Wahlurnen zur Zentrale des Obersten Wahlrats gilt als anfällig. Auch der Wahlrat wird von der Nationalen Partei dominiert. Ob die ausländischen Wahlbeobachter_innen einen Betrug aufdecken können? Und was wäre die Konsequenz? - Dass die Regierungen der EU einem Präsidenten die Anerkennung verweigern, der durch Wahlbetrug an die Macht kommt, daran glaubt niemand. Allenfalls würden Empfehlungen ausgesprochen, was beim nächsten Mal besser laufen müsste. Immerhin halten es die meisten für wahrscheinlich, dass die Wahl an sich stattfinden wird. Ausschreitungen im Wahlkampf sind eher selten. Die Zahl der seit Beginn des Wahlkampfs ermordeten Kandidaten liegt jedoch bei über 30, mehr als die Hälfte davon gehören der Partei LIBRE an.

Gespannt wo das alles enden wird, treffen wir letzte Vorbereitungen für unsere Reise durchs Land. Wir werden in einigen der Regionen Station machen, in denen soziale Auseinandersetzungen statt finden. Unterwegs werden Menschenrechtsbeobacher_innen und Journalist_innen aus anderen europäischen Ländern und aus Honduras selbst zu uns stoßen.