Ankunft in Tegucigalpa
Die Stadt ist noch immer laut und
voller Autos, allerdings scheint das Ausmaß des Dauerstaus gewachsen
zu sein. Der Taxifahrer schimpft über die Baustelle für die
Metrobuslinie, nicht nur über die Baustelle, sondern auch über das
Projekt an sich, schließlich kostet es auf jeder Straßenseite eine
Autospur.
An allen Straßen prangen großformatige
Wahlplakate, vor allem die Nationalpartei sticht mit ihrem
Präsidentschaftskandidaten Juan Orlando Hernandez sofort ins Auge.
Am 24. November sollen Parlament, Präsident und
KommunalvertreterInnen neu gewählt werden - und kaum jemand redet
über etwas anderes. Die Gewissheit, dass das erstarrte
Zweiparteiensystem aufgebrochen wird misch sich mit der Angst, dass
wie nach dem Staatsstreich 2009 wieder der Ausnahmezustand eintreten
könnte.
Nach verschiedenen
Anreiseschwierigkeiten wie einem Sturm über Costa Rica sind wir alle
leicht verspätet in Tegucigalpa eingetrudelt.
Kaum richtig angekommen, treten wir in
einer Pressekonferenz den honduranischen Medien gegenüber, um die
Ziele unserer Delegation publik zu machen. Überrascht sehen wir in
dem gut gefüllten Raum mindestens sechs Fernsehkameras auf uns
gerichtet, das Interesse der Medien übersteigt unsere Erwartungen.
Wir erklären, dass wir keineswegs eine offiziell eingeschriebene
Wahlbeobachtungsdelegation sind, sondern Teil der überregionalen
Arbeitsgruppe HondurasDelegation, die jährlich Delegationsreisen
organisiert, bei denen Journalismus und Menschenrechtsarbeit
verbunden werden. Bertha Oliva, die Koordinatorin der
Menschenrechtsorganisation COFADEH sitzt mit uns auf dem Podium. Sie
verdeutlicht, dass auch unabhängig von den Vorgängen am Wahltag
Menschenrechtsverletzungen in Honduras an der Tagesordnung sind,
„ganz besonders in den Regionen, wo die Menschen ihr Recht auf Land
verteidigen.“ In diesen
Wochen kämen zahlreiche Wahlbeobachter_innen ins Land, unsere
Delegation sei jedoch die erste, die als
Menschenrechtsbeobachter_innen das Land besuchen würden: „Die
ganze Welt schaut uns zu“, so Oliva.
Von der Pressekonferenz erhoffen wir
uns eine erhöhte Sichtbarkeit, und damit einen erhöhten Effekt
unserer Anwesenheit, aber auch ein höheres Maß an Sicherheit für
uns. Seit einigen Wochen sind mitunter recht unfreundliche Töne
gegen internationalen Beobachter_innen zu hören, die nicht zuletzt
vom Präsdenten Pepe Lobo ausgingen.
Ob wir nicht Angst hätten, werden wir
in den anschließenden Interviews gefragt. Natürlich sind wir auf
das Risiko von Alltagskriminalität vorbereitet, es reist ja niemand
von uns zum ersten Mal nach Lateinamerika. Aber auch die
Unterstützungsschreiben der deutschen Botschaft, einer MdB und einer
MdEP sorgen bei uns angesichts der Nervosität der Regierung für ein
besseres Gefühl. Zudem sind wir nicht die einzigen: Angeblich sind
beim Obersten Wahlrat ca. 800 offizielle Wahlbeobachter_innen
eingeschrieben. Wir erfahren von Delegationen aus Kanada, den USA, El
Salvador, Nicaragua, der UNO, der Organisation Amerikanischer Staaten
und der EU.
Abends sind wir dann live zu Gast in
der Radiosendung „Resistencias“ von Felix Molina, der für uns
nicht nur ein wichtiger Partner, sondern auch ein Vorbild in Sachen
unterhaltsamer politischer Information ist. Zusammen mit dem
Garifuna-Aktivisten Alfredo Lopez von OFRANEH und Wilfredo Mendez von
der Menschenrechtsorganisation CIPRODEH sitzen wir im Sendestudio. In
der landesweit ausgestrahlten Sendung geht es heute um die Frage, ob
Menschenrechtsbeobachter_innen eine politische Anschauung haben
dürfen: Mendez bejaht dies mit einer juristisch soliden Begründung.
Anderntags
treffen wir uns zu einem Austausch mit Vertreter_innen von
Menschenrechtsorganisationen und kritischen Journalist_innen. Das
Tagesseminar ist gut besucht und entwickelt sich zu einem Forum, auf
dem die verschiedenen in Honduras arbeitenden Netzwerke sich für die
heiße Phase vor, während und nach der Wahl koordinieren. Besonders
für die Phase nach der Wahl wird mit einer Zunahme von
Menschenrechtsverletzungen gerechnet.
Dabei werden nach wie vor eine Reihe
von Szenarien für möglich gehalten: Während den Umfragen zufolge
nur die neu gegründete linke Partei LIBRE und die regierende
Nationale Partei eine Chance auf die Präsidentschaft haben, geben
sich auch die Kandidaten der Liberalen Partei und der
Antikorruptionspartei PAC siegessicher. Ein möglicher Wahlbetrug
seitens der Regierungspartei ist in aller Munde. Bereits im Wahlkampf
dominieren die blauen Plakate das Straßenbild von Tegucigalpa,
angeblich sind 66% der Plakate von dieser Partei, ebenfalls 55% der
Fernsehspots. Auch die Möglichkeiten bei der Stimmauszählung zu
manipulieren werden erörtert, besonders der Weg der Auszählungen
der Wahlurnen zur Zentrale des Obersten Wahlrats gilt als anfällig.
Auch der Wahlrat wird von der Nationalen Partei dominiert. Ob die
ausländischen Wahlbeobachter_innen einen Betrug aufdecken können?
Und was wäre die Konsequenz? - Dass die Regierungen der EU einem
Präsidenten die Anerkennung verweigern, der durch Wahlbetrug an die
Macht kommt, daran glaubt niemand. Allenfalls würden Empfehlungen
ausgesprochen, was beim nächsten Mal besser laufen müsste. Immerhin
halten es die meisten für wahrscheinlich, dass die Wahl an sich
stattfinden wird. Ausschreitungen im Wahlkampf sind eher selten. Die
Zahl der seit Beginn des Wahlkampfs ermordeten Kandidaten liegt
jedoch bei über 30, mehr als die Hälfte davon gehören der Partei
LIBRE an.
Gespannt wo das alles enden wird,
treffen wir letzte Vorbereitungen für unsere Reise durchs Land. Wir
werden in einigen der Regionen Station machen, in denen soziale Auseinandersetzungen statt finden. Unterwegs werden Menschenrechtsbeobacher_innen
und Journalist_innen aus anderen europäischen Ländern und aus
Honduras selbst zu uns stoßen.