von Giorgio Trucchi, LINyM
(Berlin, 26. Juli 2013, LINyM-poonal).-
„Der Terror, den wir ein paar Stunden durchlebten, ist für dieses Volk
tragischer Alltag“, erklärte die französische Menschenrechtsbeobachterin
Orlane Vidal nach ihrer Entführung in Nueva Esperanza am 25. Juli. Zum
Zeitpunkt des Interviews mit Orlane Vidal sind noch nicht einmal 24
Stunden vergangen, seit sie und ihr Kollege,, der Schweizer Daniel
Langmeier, von Bewaffneten im Dienst eines Minenbetreibers umstellt
worden waren.
Sie wurden bedroht und mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden, auf
ein Fahrzeug zu steigen, das sie schließlich in einer anderen Gemeinde
wieder absetzte. Vidal und Langmeier sind als internationale
MenschenrechtsbeobachterInnen des Begleitprojekts Proah1
(Proyecto de acompañamiento en Honduras) in Honduras. Am 24. Juli hatten
sie sich in die Gemeinde Nueva Esperanza im Department Atlántida
aufgemacht, um dort in ihrer Mission als MenschenrechtsbeobachterInnen
tätig zu werden. In der dortigen Region gibt es einen schweren Konflikt
um ein Bergbauprojekt2.
LINyM: Was genau geschah am 25. Juli?
Orlane Vidal: Wir sind am Mittwochnachmittag in
Nueva Esperanza angekommen und haben im Haus einer Frau übernachtet, die
Concepción heißt. Das Haus ist etwa eine halbe Stunde von der Gemeinde
entfernt. Concepción hatte die Verfolgung und die ständigen Drohungen
seitens der Bergbaufirma angezeigt, mit der das Unternehmen erreichen
wollte, dass sie ihr Land verkauft.
Am nächsten Morgen ging unsere Gastgeberin früh aus dem Haus. Als sie
um 8.30 Uhr zurückkehrte, warnte sie uns, dass bewaffnete Männer in der
Gemeinde seien und es sich bei ihnen möglicherweise um Sicherheitsleute
der Firma Minerales Victoria handele. Wir bemühten uns, sie zu
beruhigen indem wir sagten, wir würden mit denen reden und versuchen
herauszufinden, was diese Männer wollten.
Eine halbe Stunde später kamen zehn mit Gewehren bewaffnete Männer.
Ihre Augen waren gerötet und ihre Gesichter wirkten seltsam, wie unter
Drogeneinfluss. Mit ihnen kamen zwölf oder 13 Arbeiter der Bergbaufirma
mit ihren Macheten und umstellten das Haus.
Daniel und ich gingen hinaus. Die Männer zielten mit den Gewehren auf
uns und begannen uns zu sagen, dass wir hier nichts zu suchen hätten,
dass wir die Arbeit in der Mine behindern würden. Sie fragten uns viele
Male, weshalb wir versuchen würden, uns zu verstecken ob wir Kommunisten
wären.
Wir erklärten ihnen unsere Aufgaben als Beobachter in Honduras und
der Gemeinde Nueva Esperanza, doch die Männer wurden immer nervöser, bis
plötzlich Schusssalven zu hören waren. Sie luden ihre Gewehre und
zielten dabei ständig auf uns.
LINyM: Was geschah dann?
Orlane Vidal: Plötzlich tauchten weitere Arbeiter
der Firma auf. Sie verfolgten offensichtlich den Ehemann von Concepción,
der, erschrocken angerannt kam, dorthin wo wir waren. In diesem Moment
bemerkten wir, dass das Haus von mehr als 40 mit Macheten und Gewehren
bewaffneten Männern umstellt war.
Ungefähr eine Stunde lang versuchten wir, die Situation zu
entschärfen. Die angeblichen Sicherheitskräfte wurden trotzdem immer
nervöser und kamen näher. Sie sagten uns, wir sollten den Ort hier
verlassen und mit ihnen gehen. In diesem Moment überkam mich die Angst,
was uns wohl passieren könnte.
Schließlich nahmen wir unsere Sachen und sie zwangen uns, eine halbe
Stunde auf einem unbefestigten Weg zu laufen, bis wir an einen Ort
kamen, wo ein Auto wartete. Die Arbeiter versuchten höflich zu uns zu
sein, während die Wächter weiterhin mit ihren Waffen auf uns zielten.
LINyM: Wer war in dem Fahrzeug?
Orlane Vidal: Es war ein Fahrzeug der Firma. Im
Fahrzeug war eine Person, die ein Ingenieur derselben Firma gewesen sein
könnte und Wilfredo Funes, ein Bewohner der Gemeinde, der schon immer
das Bergbauprojekt unterstützt hat, stieg ein. Hinten im Auto saßen
mehrere bewaffnete Männer.
Sie ließen den Motor an und sagten zu uns, dass wir nicht in die
Gemeinde zurückkehren würden, weil uns etwas Schlimmes passieren könnte.
Wir versuchten, mit ihnen zu reden und fragten sie, wer sie geschickt
habe. Sie gaben uns indirekt zu verstehen, dass es der Unternehmer Lenir
Pérez sei.
Als wir immer noch im Haus waren, hatte Wilfredo Funes einen Anruf
erhalten und zu uns gesagt: “Der große Boss will mit euch sprechen“. Als
wir ihm antworteten: „Wer? Lenir Pérez?“ und ihnen klar wurde, dass wir
informiert waren, legte die Person auf.
Schließlich ließen sie uns in der Gemeinde Nueva Florida heraus und
mit Hilfe von Cofadeh und Proah gelang es uns, nach Tegucigalpa
zurückzukehren.
LINyM: Hast du zu irgendeinem Zeitpunkt gedacht, dein Leben sei in Gefahr?
Orlane Vidal: Die bewaffneten Männer waren außer
Kontrolle und wirkten sehr seltsam, nervös, und so als würde es sie
überhaupt nicht interessieren, was gerade passiert und was mit unseren
Leben geschieht. Danach hörten wir die Gewehrsalven. In diesem Moment
dachte ich, sie würden uns erschießen und dass es auf ein Massaker in
der Gemeinde hinauslaufen könnte.
Trotzdem, was mich am meisten besorgt ist, was die Menschen dieser
Gemeinde durchmachen. Für uns waren es zwei Stunden Terror. Aber für die
Leute hier hört das nie auf. Es ist ihr Alltag.
In diesem Sinne müssen wir das, was geschehen ist, nutzen, um
national und international anzuzeigen, was in dieser Region vor sich
geht. Ich spüre in mir eine große Wut und das wird uns Kraft geben, um
unsere Arbeit fortzusetzen.
Anmerkungen:
1 Proah ist
ein Projekt der US-amerikanischen Organisation Friendship Office of the
Americas), das unmittelbar nach dem Staatsstreich von 2009 begann. Zu
diesem Projekt gehört die Entsendung von internationalen
MenschenrechtsbeobachterInnen, die mit ihrer physischen Präsenz
MenschenrechtsverteidigerInnen, einschließlich Personen und
Organisationen der sozialen und gemeindebasierten Bewegungen
unterstützen.
2 Das Unternehmen Minerales Victoria befindet sich im Besitz von Lenir Pérez, Schwiegersohn des Oligarchen und Großgrundbesitzers Miguel Facussé.
Es operiert durch die Firma Alutech, die zu Inversiones EMCO gehört und
eine Lizenz für 1.000 Hektar Land erhalten hat. Das konzessionierte
Gebiet umfasst auch 16 Gemeinden, die vor allem von Viehzucht leben und
durch den Bergbau ihre Lebensgrundlage verlieren könnten, da
Umweltverschmutzung und das Versiegen von Flüssen und Quellen zu
befürchten sind. Deshalb sind die BewohnerInnen entschlossen, ihren
Widerstand gegen das Eindringen des Unternehmens in ihr Territorium
deutlich zu äußern, was zu Drohungen und Druck auf BewohnerInnen geführt
hat, damit diese ihre Parzellen verkaufen (weitere Informationen – auf
Spanisch – finden Sie hier)