In Honduras boomt „grüne“ Energie, stößt aber auch auf viel Widerstand
Von Magdalena Heuwieser
Erschienen in der August-Ausgabe der Analyse&Kritik
Eine Szene am 1. April 2013, in Río Blanco, im westlichen
Honduras: Steine und Äste werden über die Straße gelegt, Zelte aufgebaut, die
Barrikade gegen den Staudamm steht. Und zwar bis zum heutigen Tag, sechs
Räumungsversuchen zum Trotz. Abgeholzt und gebaut wird dennoch schon, die
Maschinen warten unter Aufsicht von Militär, Polizei und Privat-Security
darauf, so richtig mit dem „kleinen“ Wasserkraftwerk Agua Zarca zur Erzeugung
von 22 Megawatt „grüner“ Energie starten zu können – gegen den Willen der dort
ansässigen indigenen Lenca-Bevölkerung.
24. Mai 2013: Eine Militärsperre. Nichts Neues. Berta
bremst und bleibt ruhig, wie immer – die Militärs aber nicht, denn sie kennen
das Gesicht der Koordinatorin der indigenen Bewegung COPINH. Plötzlich
entdecken die Soldaten eine Pistole auf Bertas Pick-Up-Ladefläche. Als wäre die
rund 40-jährige Lenca-Frau so blöd, ihre Waffe auf der Ladefläche durch die
Landschaft zu karren. Abgesehen davon, dass sie keine besitzt. Als
Verhaftungsgrund genügt das allemal. Und so erreicht sie an diesem Tag ihr
Ziel, die Barrikade gegen den Staudamm Agua Zarca, nicht. Seitdem hat Berta ein
Gerichtsverfahren am Hals.
15. Juli 2013: Eine friedliche Demonstration der
Gemeinde- und COPINH-Mitglieder zieht, wie so oft, Richtung Staudammbaustelle.
Die schon monatelang einstudierten Slogans – „Die Flüsse verkaufen wir nie, wir
schützen und verteidigen sie!“ – werden wieder mal ausgepackt, als plötzlich
das auf dem Firmen-Logistikgelände stationierte Militär in die Menge schießt.
Tomas, einer der Leiter des lokalen indigenen Rates und Mitglied von COPINH,
stirbt sofort. Sein 17-jähriger Sohn Allan wird mit schweren Schusswunden
eingeliefert.
Wie konnte es soweit kommen? Weshalb wehren sich die
indigenen Gemeinden überhaupt so vehement gegen ein „kleines“ und „grünes“
Projekt?
Zentralisierte und undemokratische Energiegewinnung
Klein oder „micro“ heißt eigentlich besonders
umweltfreundlich und wird als eine der Alternativen zu den Megastaudämmen
gepriesen, die in Lateinamerika bisher den Großteil der „grünen“ Energie
produzieren. 23 Prozent des Gesamtenergiemixes in Lateinamerika stammt aktuell
(laut Zahlen von 2011) aus erneuerbaren Quellen. In Honduras sind es 44
Prozent, bis 2026 sollen es gar über 70 Prozent sein. Denn das grüne Potential
ist noch lange nicht ausgeschöpft – im Vergleich zu z.B. Europa, wo schon fast
alle Flüsse gestaut sind. Derzeit werden in Honduras neben Windparks und
Biomassewerken deshalb rund 300 Staudammprojekte geplant.
Dass die grüne Energie boomt, ist nicht dem ökologischen
Umdenken der honduranischen PolitikerInnen zu verdanken, die währenddessen auch
den traditionellen braunen Extraktivismus in Form von Bergbau vorantreiben.
Vielmehr ist es auf Dauer sicherer und nicht unbedingt teurer, von importiertem
Öl auf eigene grüne Energieproduktion umzusteigen – ganz abgesehen davon, dass
sowieso mehr Energieträger für den rasch steigenden Stromkonsum durch neue
Maquilas (Weltmarktfabriken), Shopping-Center, Bergbauprojekte oder das
mesoamerikanische Energienetz SIEPAC nötig sind. Investitionen in Ländereien,
sei es für grüne, braune oder rein spekulative Zwecke, sind vor allem seit der
aktuellen Finanz-, Wirtschafts- und Energiekrise weltweit zur höchst
profitablen Strategie geworden. Das ist dem honduranischen Staat sehr recht,
denn je mehr Land an in- und ausländische Investoren konzessioniert werden
kann, desto schneller kommt Geld in die vor allem seit dem Putsch 2009 leere
Staatskasse.
Die neueste Erfindung sind die „Arbeits- und
wirtschaftlichen Entwicklungszonen“ ZEDEs. Diese beinhalten zwölf verschiedene
Arten von Zonen, die als Steuer- und Rechtsoasen völlig außerhalb des honduranischen
Regierungsgebiets stehen sollen. Unter anderem handelt es sich dabei um Internationale
Finanzzentren, Internationale Handelsgerichte, Spezielle Agrarindustrielle Zonen, Spezielle Tourismuszonen, Soziale Minenzonen (!) und
Erneuerbare-Energie-Distrikte.
Viele indigene und ländliche Gemeinden in Honduras freuen
sich über diese braunen oder grünen Zahlen wenig, denn selbst wenn es sich nur
um „kleine“, „nachhaltige“ Staudammprojekte wie Agua Zarca handeln würde,
bedeutet dies eine zentralisierte und undemokratische Energiegewinnung und
somit auch Vertreibung, Militarisierung und Kriminalisierung. Klein, das heißt
im Fall von Agua Zarca einen 300 Meter langen Stausee und drei Kilometer
Wasserumleitungskanal. Groß genug für die Ansässigen, deren Maisfelder trotz
kommunalem indigenem Landtitel aufgerissen werden, denen der Zugang zur
teilweise einzigen Wasserquelle versperrt wird, die dort bisher ihre Wäsche
wuschen oder baden gingen, die weder informiert geschweige denn befragt wurden,
die Todesdrohungen erhalten, von StaudammbefürworterInnen der eigenen
gespaltenen Gemeinde mit Machetenhieben ins Krankenhaus befördert oder vom
Militär erschossen werden, denen klar wird, dass die Versprechen der Firma von
Fortschritt und Entwicklung der Gemeinden nicht eingehalten werden, die kein
Watt Strom abbekommen werden und dennoch ihren Fluss, ihr Leben, die Zukunft
ihrer Kinder auf dem Spiel stehen sehen. Braun oder Grün, Mikro oder Mega,
verdammt bleibt verdammt.
Auch eine deutsche Firma ist am Staudamm beteiligt
Die Firma, die extra für das
Projekt Agua Zarca gegründet wurde, heißt DESA, nennt sich honduranisch und
finanziert sich hauptsächlich über einen 24,4 Millionen US-Dollar schweren
Kredit der Interamerikanischen Bank BCIE. Die deutsche Voith Hydro GmbH, ein
Gemeinschaftsunternehmen von Voith und Siemens, liefert für Agua Zarca die drei
Turbinen. In einem öffentlichen Brief prangerten im Juli 2013 mehrere deutsche
und österreichische zivilgesellschaftliche Organisationen die Firma wegen ihrer
indirekten Mittäterschaft an der eskalierenden Situation an und forderten den
Rückzug aus dem Projekt. Im Antwortschreiben weist Voith Hydro jegliche
Verantwortung von sich und verweist auf die Nachhaltigkeit und die sozialen
Vorteile von Wasserkraft für Honduras. Dass das Hungerproblem wie von Voith
Hydro behauptet durch grüne Energie behoben würde, ist angesichts der
Überschwemmung kommunaler Anbauflächen jedoch wenig glaubwürdig. Trotz seines
ethisch korrekten Images war und ist die deutsche Firma nicht zum ersten Mal in
hoch umstrittene Staudammprojekte involviert.
Auch der weltweit größte Wasserkraftkonzern Sinohydro aus
China ist an Agua Zarca beteiligt. Sinohydro ist für illegale Praktiken
bekannt, unter anderem das Verdünnen der Zementmischung beim Bakum-Damm in
Borneo. In Ecuador wurde Sinohydro aufgrund schwerer Arbeitsrechtsverletzungen
beim Kraftwerk Coca Codo Sinclair vor Gericht gebracht. Der größte Staudamm in
Honduras, Patuca, wird trotz massiver Proteste ebenfalls von Sinohydro
errichtet.
Agua Zarca ist ein Musterbeispiel für aktuelle globale
Wachstumsstrategien: Das transnationale Kapital, verschleiert als eigens für
den Staudamm gegründetes nationales Unternehmen. Der Staat, der durch Gesetze
und Sicherheitsapparat beste Bedingungen für das Privatkapital schafft und mit
diesem engstens zusammenarbeitet. Auch die Strategien zur Implementierung, die
sich von Bergbau- und anderen Megaprojekten nur insofern unterscheiden, als
dass sie durch das grüne Image leichteres Spiel haben, sind exemplarisch: Lokalen
AnwohnerInnen Ländereien abkaufen, ohne sie über den Zweck zu informieren,
einflussreiche Personen der Gegend bestechen, danach um staatliche Erlaubnis
fragen, Studien durchführen und erst, wenn es schon kein Zurück mehr gibt,
erfahren die AnrainerInnen davon und werden aktiv gegeneinander aufgehetzt.
Elsia Paz, Ex-Präsidentin des honduranischen
Unternehmerverbands für erneuerbare Energie AHPPER, beschreibt die
Erfolgsstrategie folgendermaßen: „Wir bitten um Verzeihung, nicht um
Erlaubnis.“
Laut Berta, der Koordinatorin von COPINH, handelt es sich
bei Agua Zarca um „einen aufstandsbekämpfenden Krieg
niedriger Intensität gegen die widerständigen indigenen Gemeinden.“ Sie sieht
Honduras „in einer sehr gefährlichen Etappe, wo die Kräfte, die den
Staatsstreich verübten, sich gefestigt und institutionalisiert haben.“
Im November stehen Wahlen an
Die Menschenrechtslage spitzt sich seit dem
zivil-militärischen Putsch 2009 und speziell im Vorfeld der Neuwahlen im
November 2013 immer mehr zu. Die aktuelle, nach dem Staatsstreich unter
Wahlbetrug entstandene Regierung des Präsidenten Porfirio Lobo der Nationalen
Partei hat das Land noch weiter in die Krise gesteuert. Heute ist Honduras das
Land mit der weltweit höchsten Mordrate. Besonders die Zahl der ermordeten Frauen,
AnwältInnen, JournalistInnen, BäuerInnen im Landkonflikt und
LGBTIQ-AktivistInnen ist stark gestiegen.
Die von Teilen der Widerstandsbewegung und dem
geputschten Präsidenten Zelaya gegründete Linkspartei LIBRE, an deren Spitze
dessen Frau Xiomara Zelaya steht, stellt inzwischen eine ernstzunehmende Gefahr
für das Zweiparteiensystem dar und führt die Umfragen an. Dass das Vertrauen in
dieses stark gesunken ist, wird auch daran deutlich, dass die ebenfalls neue
Anti-Korruptionspartei PAC des Sportkommentators Salvador Nasralla bei Umfragen
an zweiter Stelle steht. Ob nicht dennoch die Nationale oder Liberale Partei
durch Wahlbetrug die über 100-jährige Zweiparteienmacht aufrecht erhalten kann,
ist noch unklar.
Währenddessen vertraut die indigene Bewegung COPINH
anstelle von Wahlen auf die Mobilisierung in den Straßen. Zu unsicher ist, ob
LIBRE dem Extraktivismus- und Green-Economy-Modell tatsächlich ein Ende setzen
würde. Denn auch darin ist Agua Zarca exemplarisch: im unermüdlichen Widerstand
der lokalen indigenen Bevölkerung, der, sollte er am Ende Erfolg haben, einen
hoffnungsvollen Präzedenzfall für die Betroffenen der unzähligen anderen
grün-braunen Mikro- und Megaprojekte darstellen könnte.