Mittwoch, 18. Juli 2012

Von der JournalistInnen-Delegation 2012 - Bericht 6

„Ist das vielleicht Entwicklung?“ 

(Teil 1) Lenca-Gemeinden streiten für ihre Autonomie
 
© NK
Eine bucklige Wiese auf einem Hügel, ein kleines Schulgebäude aus Lehmziegeln mit einem einzigen Klassenraum und zwei Latrinen nebendran, dahinter ein großes rechteckiges Erdloch, in dem bald eine gemeindeeigene Fischzucht beginnen soll, eine große Versammlungshalle ebenfalls aus Lehmziegeln: Das Zentrum von San Bartolomé, einer kleinen Gemeinde im Hochland von Honduras. Rundum bewaldete Hügel, das großes Flusstal des Rio Blanco, kleinbäuerliche Kaffeeplantagen. In der Gemeindehalle, die auch als Kirche dient, haben sich etwa 30 Männer und 20 Frauen versammelt. Sie sind Delegierte aus den Gemeinden Rio Blanco, La Unión, San Bartolomé und Buena Vista, säuberlich aufgeteilt nach Frauen und Männern im rechten und linken Teil, als beginne gleich der Sonntagsgottesdienst. Aber es geht lebhaft her, fast alle wollen mitreden. Endlich seien die Compas von COPINH (dem „Rat der Volks-und Indigenen Organisationen“) aus der Provinzstadt La Esperanza herauf gekommen, es sei höchste Zeit, denn die Probleme in den Gemeinden nähmen überhand und man brauche dringend Unterstützung. Immer wieder rufen die RednerInnen zum Zusammenhalten auf, denn Zersplitterung und innere Zerwürfnisse bedrohen das Gut, das die indigene Bevölkerung der Lenca hier seit Jahrhunderten verteidigt: Die Autonomie ihres Territoriums. Ein Redner berichtet über den Druck, der auf sie ausgeübt wird: „Die Leute vom Bürgermeisteramt und die Ausländer von den Projekten gehen durchs Dorf und sagten allen: ,Wenn ihr mitmacht, dann bekommt ihr Projekte, Infrastruktur, eine neue Schule. Wir tun etwas für die Ausbildung eurer Kinder. Wer sich weigert, wird in diesem Gebiet keine Arbeit mehr kriegen‘“. Ein junger Mann namens Justo ergreift das Wort: „Sie nehmen unser Wasser, unser Land, unsere Wälder. Den Sauerstoff, den die Wälder produzieren, machen sie zu einer Ware und sogar unsere Toten wollen sie ausgraben und woanders hinbringen. Schaut doch die Straße dort drüben am Hang an, die sie für ihre Projekte gebaut haben! Jetzt verstopft die Erde, die da runtergewaschen wird, unsere Trinkwasserquelle. Ist das vielleicht Entwicklung?“



Die nächsten drei Stunden wird eifrig diskutiert. In der Hauptsache geht es um den Widerstand gegen das große Wasserkraftwerk am Rio Blanco, das eine Vielzahl von Lenca-Gemeinden beeinträchtigen und ihrer Lebensgrundlagen berauben würde. „Sie haben keine Verständigung mit uns gesucht,“ erzählt ein älterer Mann im karierten Hemd: „Sie sind gekommen, haben irgendwelche Schriftstücke vorgelesen und sie für genehmigt erklärt, ohne dass unsere Gemeinde sie hätte verstehen, diskutieren und zustimmen oder ablehnen können.“ Schwierigkeiten gibt es auch, weil einzelne Familien Land verkaufen, auf diese Weise das gemeindeeigene Territorium zerstückeln und den Widerstand schwächen. Und fast alle Delegierten machen sich offenbar Sorgen, dass Fremde sich - oft mit Unterstützung der Bürgermeisterämter - in ihrem Gemeinden auf illegale Weise Land beschaffen und dort ansiedeln: „Sie werden uns regelrecht reingesetzt. Wir dürfen das nicht zulassen, aber wie können wir uns wehren?“ Tomás von COPINH erklärt, dass indigene Gemeinden, im Gegensatz zu bäuerlichen Agrarkooperativen, nicht nur ein Anrecht auf das Land haben, das sie bebauen, sondern auf das ganze Territorium, das sie seit vielen Jahrhunderten besiedeln, also auch auf Quellen und Flussläufe, nicht bebautes Land, Wälder, „das ganze Habitat“. Er schärft den GemeindevertreterInnen ein, sich auf die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation zu stützen und nicht zu warten, bis sie ihre kommunalen Landtitel in der Hand haben. „COPINH verhandelt eure Landtitel mit den zuständigen Behörden, aber das kann fünf, zehn oder auch zwanzig Jahre dauern. Das ist nur eine Ergänzung. Ihr könnt eure Rechte schon vorher verteidigen, dafür gibt es internationale Gesetze, die Honduras anerkannt hat! Die Gemeinden haben ein Recht auf den vollen Besitz ihrer Kultur, ihrer Identität und ihrer Naturgüter.“

In der zweiten Hälfte der Versammlung geht es um die internen Reglements, die nötig sind, um die Autonomie der Gemeinden zu bewahren. Sie müssen z.B. indigene Naturschutzbeauftragte ausbilden, sich selbst Regeln geben, wann und zu welchen Bedingungen ein Tropenholzbaum für den Hausbau gefällt werden darf, bestimmen, welche Anbauflächen für soziale Zwecke, etwa um Alte und Kranke mit Lebensmitteln zu unterstützen, genutzt werden, ein eigenes Gesundheitssystem aufbauen und die traditionellen Heilpflanzen gegen Biopiraterie schützen. Es geht um die selbstbestimmte Regelung interner Konflikte auf der Basis der Traditionen der Lenca und schließlich auch dem geregelten „humanen“ Umgang mit den fremden Eindringlingen, die sich illegal angesiedelt haben. Ein riesiger Berg an Aufgaben: „Wir helfen euch, all diese Fragen aufzulisten, aber ihr solltest euch Zeit nehmen, sie ausführlich in euren Gemeinen zu diskutieren“, rät Juan von COPINH: „Es geht nicht an, vorher einen Text aufzusetzen und dann darüber abzustimmen. Das will alles im Detail beratschlagt und im Konsens entschieden werden. Fangt jetzt damit an!“


(Teil 2) Der Preis des Widerstandes
 
© NK
Das Engagement für COPINH kann einen hohen Preis fordern: Zehn Wochen sind vergangen seit Santos Alberto Domínguez Benítez, neben dem Haus seiner Familie, das nur ein paar hundert Meter von der Versammlungshalle entfernt ist, erschossen wurde. Der 24jährige war ein eifriger Mitstreiter von COPINH gegen den Bau des Wasserkraftwerks am Rio Blanco. Seine Mutter, María de los Santos Domínguez Benítez berichtet uns: „Es war mittags als die Polizisten hier auftauchten. Ein Junge aus dem Dorf hat ihnen den Weg gezeigt. Mein Sohn kam gerade zum Essen nachhause. Er hatte seine Machete in der Hand und sie haben ihm vorgeworfen, er würde sie bedrohen. Er sagte, er käme nur vom Feld und habe deshalb seine Machete dabei. Sie drängten ihn neben das Haus. Ich war grade dabei, Feuerholz zu holen, das da an der Wand gestapelt ist. Sie haben mit dem Gewehr auf ihn gezielt. Da hab ich versucht, einem von den Polizisten mit dem Holzscheit eins überzubraten. Jetzt haben sie auch auf mich gezielt und mein Sohn ist hier ins Gebüsch zurückgewichen. Dort haben sie ihn erschossen und mit dem Gesicht nach oben liegen gelassen.“

© NK
Inzwischen sind schon Maschinen für den Bau einer Zufahrtsstrasse angerückt. „Sie zerstören unsere Maisfelder“, berichtet einer von Santos Albertos älteren Brüdern. Die Familie ist in tiefer Trauer, aber sie ist auch wütend. Die Polizisten, die an jenem Mittag ankamen und ihr Helfer sind gegen Kaution auf freiem Fuß. „Sie sollen endlich verhaftet und vor Gericht gestellt werden,“ sagt Doña María entschieden, bevor ihr dann doch Tränen übers Gesicht laufen. Die ganze Familie und viele Leute aus San Bartolomé haben Angst. Leute aus der eigenen Gemeinde bedrohen und verfolgen sie. Wer soll sie aufhalten, wenn einmal mehr klar ist, dass einem potentiellen Mörder nichts passiert?

Inzwischen ist es Mittag geworden und hinter dem Hügelkamm dräuen die ersten dicken Regenwolken. Der Fahrer drängt zum Aufbruch, denn die kurvigen zerfurchten Bergstraßen aus roter Erde verwandeln sich schon beim ersten Regenguss in glitschige Rutschbahnen. Wir kauen also rasch unser Stück wohlschmeckendes Landhühnchen mit Maisfladen und Gemüse, verabschieden uns, erklimmen wieder die Ladefläche des Pick-Up, auf dem wir zusammen mit den Leuten von COPINH hergekommen sind und zerren schon mal die große blaue Plastikplane zurecht - für den Fall der Fälle. Es wird windig und kühl auf der Fahrt durch die Berge, aber der erwartete Regenguss bleibt aus. Über die Plane spähend beäugen wir auf den letzten 15 Kilometern, wie uns ein großer weißer Toyota mit Vierradantrieb und mit abgedunkelten Scheiben folgt. Das vordere Nummernschild fehlt. Etwas penetrant, wie der Toyota in kurzem Abstand und ohne je einen Ansatz zum Überholen zu machen, Kilometer für Kilometer hinter unserem relativ langsamen Gefährt her fährt. Wir sind froh, dass Juan, auf den vor ein paar Wochen auf der gleichen Strecke von einem Motorrad aus geschossen wurde, einen Platz innen in der Fahrgastkabine des Pick-Up hat. Tomás, der mit uns hinten auf der Ladefläche sitzt, blinzelt im Fahrtwind in Richtung Toyota: „Die Sorte Fahrzeug werdet ihr immer wieder sehen. Sind immer dieselben, die uns überwachen.“