In dem sehr gepflegten und weitläufigen
Areal der Jesuiten in der Stadt El Progreso ist Ismael Moreno,
bekannt als Padre Melo, die zentrale Figur. „Für was bin ich gut?“
fragt er in die Runde unserer Delegation. Wir wollen gern mit ihm
über seine Analyse des aktuellen politischen Panoramas sprechen. Als
Herausgeber der Zeitschrift Envío und Redakteur von Radio Progreso
ist er landesweit bekannt als eine der bestinformiertesten Stimmen
der Linken. Melo setzt jedoch völlig anders an: Dass hier Hunderte
von ausländischen Beobachter_innen kommen, um eine Wahl zu
verfolgen, hat es soweit er sich entsinnen kann in Honduras noch
nicht gegeben. Woran liegt das?
„Jedes Land hat seine Zeit, und als
in den 80er und 90er Jahren die Augen der Weltöffentlichkeit auf die
zentralamerikanischen Nachbarländer gerichtet waren, galt Honduras
als „Etcetera-Land“, das in Aufzählungen nicht einmal mit Namen
erwähnt wurde. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gab es
in Zentralamerika drei wichtige linke Bewegungen: Die Guerilla des
nicaraguanischen Antiimperialisten Augusto Sandino, die
Reformregierung des guatemaltekischen Präsidenten Arbenz und der
Bananenarbeiterstreik in Honduras im Jahr 1954, der das Land in eine
revolutionäre Situation brachte. Während Sandino ermordet und
Arbenz weggeputscht wurde, jeweils gefolgt von Jahrzehnte andauernden
Diktaturen, entwickelten sich die Dinge in Honduras anders. Die
mächtigen US-Bananenkonzerne und die honduranische Regierung integrierten
Bananenarbeiter:innen und Bäuer_innen in einem Reformmodell. Im
Rahmen der „Allianz für den Fortschritt“, einem Programm der
US-Regierung, erhielten viele Bauernfamilien Ackerland, die
Gewerkschaften wurden in den Staatsapparat eingebunden und
respektiert. Frauen- und Arbeitsrechte sowie eine Sozialversicherung
wurden eingeführt. 1962 fand ein Staatsstreich statt, dessen Losung
war „Als Erstes die Agrarreform“, und der von der Kommunistischen
Partei unterstützt wurde. Als sich in den 70er und 80er Jahren in
den Nachbarländern Guerillas formierten, herrschte in Honduras das
Selbstverständnis, ein friedliches Land zu sein. Die
„Konterrevolution“, so Padre Melo, hatte die Mehrheit der
Gesellschaft eingebunden, reagierte aber mit großer Härte auf die
wenigen, die sich widersetzten. Die „Oase des Friedens“ Honduras
diente den USA in den 80er Jahren als Basis zur Bekämpfung der
Bewegungen in den drei Nachbarländern Guaemala, El Salvador und
Nicaragua. „Nichtsdestotrotz: Armut, Repression der Opposition und
US-Einfluss sind in Honduras heute stärker ausgeprägt als in den
Nachbarländern“, so Padre Melo. Das Kooptationsmodell kam mit der
Durchsetzung des Neoliberalismus in den 90ern zum Ende, der
Landbesitz konzentrierte sich wieder in den Händen neuer
Großgrundbesitzer, Ungleichheit und Repression nahmen zu. Diese
Entwicklung wiederum durchbrach die Präsidentschaft Zelayas. Soziale
Reformen, Einschränkung der Eliten und der Beitritt zum ALBA-Bündnis
führten zum Putsch gegen den Reformer und zu einer seit den 50er
Jahren unbekannten gesellschaftlichen Polarisation. „Jedes Land hat
seine Zeit“, sagt Melo, und auch wenn die Aufmerksamkeit für
Honduras aus unserer Sicht gerne größer sein könnte, die Bewegung
hier fühlt sich nicht mehr, als sei sie in einem „Etcetera-Land“.
Was er glaubt, wie die Wahlen ausgehen,
wollen wir noch von ihm wissen. Melos Intuition ist, das die Rechte
durchkommen wird (er lässt offen, wieviel davon Wahlbetrug und
wieviel der haushoch überlegenen Medienpräsenz geschuldet ist). “Aber wer auch immer gewinnt, wird mit der anderen Seite verhandeln
müssen, um die Regierbarkeit im Lande herzustellen.“ Auf einen
solchen „Gobernabilitätspakt“ wirkten US- und europäische
Botschaften bereits jetzt hin.