Donnerstag, 21. November 2013

Reisebericht 5. Teil: Warum sich bisher niemand für Honduras interessierte

Der jesuitische Publizist Ismael Moreno erläutert uns Wissenswertes über die honduranische Geschichte

In dem sehr gepflegten und weitläufigen Areal der Jesuiten in der Stadt El Progreso ist Ismael Moreno, bekannt als Padre Melo, die zentrale Figur. „Für was bin ich gut?“ fragt er in die Runde unserer Delegation. Wir wollen gern mit ihm über seine Analyse des aktuellen politischen Panoramas sprechen. Als Herausgeber der Zeitschrift Envío und Redakteur von Radio Progreso ist er landesweit bekannt als eine der bestinformiertesten Stimmen der Linken. Melo setzt jedoch völlig anders an: Dass hier Hunderte von ausländischen Beobachter_innen kommen, um eine Wahl zu verfolgen, hat es soweit er sich entsinnen kann in Honduras noch nicht gegeben. Woran liegt das?

 

„Jedes Land hat seine Zeit, und als in den 80er und 90er Jahren die Augen der Weltöffentlichkeit auf die zentralamerikanischen Nachbarländer gerichtet waren, galt Honduras als „Etcetera-Land“, das in Aufzählungen nicht einmal mit Namen erwähnt wurde. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gab es in Zentralamerika drei wichtige linke Bewegungen: Die Guerilla des nicaraguanischen Antiimperialisten Augusto Sandino, die Reformregierung des guatemaltekischen Präsidenten Arbenz und der Bananenarbeiterstreik in Honduras im Jahr 1954, der das Land in eine revolutionäre Situation brachte. Während Sandino ermordet und Arbenz weggeputscht wurde, jeweils gefolgt von Jahrzehnte andauernden Diktaturen, entwickelten sich die Dinge in Honduras anders. Die mächtigen US-Bananenkonzerne und die honduranische Regierung integrierten Bananenarbeiter:innen und Bäuer_innen in einem Reformmodell. Im Rahmen der „Allianz für den Fortschritt“, einem Programm der US-Regierung, erhielten viele Bauernfamilien Ackerland, die Gewerkschaften wurden in den Staatsapparat eingebunden und respektiert. Frauen- und Arbeitsrechte sowie eine Sozialversicherung wurden eingeführt. 1962 fand ein Staatsstreich statt, dessen Losung war „Als Erstes die Agrarreform“, und der von der Kommunistischen Partei unterstützt wurde. Als sich in den 70er und 80er Jahren in den Nachbarländern Guerillas formierten, herrschte in Honduras das Selbstverständnis, ein friedliches Land zu sein. Die „Konterrevolution“, so Padre Melo, hatte die Mehrheit der Gesellschaft eingebunden, reagierte aber mit großer Härte auf die wenigen, die sich widersetzten. Die „Oase des Friedens“ Honduras diente den USA in den 80er Jahren als Basis zur Bekämpfung der Bewegungen in den drei Nachbarländern Guaemala, El Salvador und Nicaragua. „Nichtsdestotrotz: Armut, Repression der Opposition und US-Einfluss sind in Honduras heute stärker ausgeprägt als in den Nachbarländern“, so Padre Melo. Das Kooptationsmodell kam mit der Durchsetzung des Neoliberalismus in den 90ern zum Ende, der Landbesitz konzentrierte sich wieder in den Händen neuer Großgrundbesitzer, Ungleichheit und Repression nahmen zu. Diese Entwicklung wiederum durchbrach die Präsidentschaft Zelayas. Soziale Reformen, Einschränkung der Eliten und der Beitritt zum ALBA-Bündnis führten zum Putsch gegen den Reformer und zu einer seit den 50er Jahren unbekannten gesellschaftlichen Polarisation. „Jedes Land hat seine Zeit“, sagt Melo, und auch wenn die Aufmerksamkeit für Honduras aus unserer Sicht gerne größer sein könnte, die Bewegung hier fühlt sich nicht mehr, als sei sie in einem „Etcetera-Land“.
Was er glaubt, wie die Wahlen ausgehen, wollen wir noch von ihm wissen. Melos Intuition ist, das die Rechte durchkommen wird (er lässt offen, wieviel davon Wahlbetrug und wieviel der haushoch überlegenen Medienpräsenz geschuldet ist). “Aber wer auch immer gewinnt, wird mit der anderen Seite verhandeln müssen, um die Regierbarkeit im Lande herzustellen.“ Auf einen solchen „Gobernabilitätspakt“ wirkten US- und europäische Botschaften bereits jetzt hin.