Neben den Vorbereitungen auf den Strafprozess bereitet COPINH eine
Zivilklage gegen die niederländische Entwicklungsbank FMO vor
Zwischen dem 10. und dem 28. September 2018 soll laut honduranischer
Justiz der Prozess gegen acht Angeklagte im Mordfall Berta Cáceres
beginnen. Nach monatelangen Verzögerungen beeilt sich das Gericht, das
Verfahren bis Ende November über die Bühne zu bringen. Dann nämlich
müssten die überwiegend seit Mai 2016 in Untersuchungshaft sitzenden
Häftlinge auf freien Fuß gesetzt werden. Bertas Organisation COPINH und
ihre Familie fordern weiter die vollständige Aufklärung der kriminellen
Strukturen hinter dem Mord.
Berta Cáceres war Generaldirektorin des Zivilen Rats der indigenen und
Basisorganisationen von Honduras (COPINH), als sie am 2. März 2016 wegen
ihres Kampfes gegen den Bau des Wasserkraftwerks Agua Zarca erschossen
wurde. Im Mai 2018 reisten nun Bertas Töchter Bertha und Laura mit
Francisco Sánchez, Mitglied der Leitung des COPINH, und Víctor Fernández
als Verteidiger der Nebenklage durch mehrere europäische Länder, um
Defizite der bisherigen Ermittlungen aufzuzeigen, die internationalen
Dimensionen des Falles deutlich zu machen und eine Muster-Klage gegen
eine europäische Entwicklungsbank, die niederländische halbstaatliche
FMO, anzukündigen. Unterstützt wurde die Delegation von dem
guatemaltekischen Juristen Miguel Ángel Urbina, der Mitglied der
internationalen Expertengruppe Grupo Asesor Internacional de Personas
Expertas (GAIPE) gewesen war (siehe LN 522).
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Miguel Urbina, Francisco Sánchez und Laura Zúniga, im ECCHR in Berlin Quelle:
CADEHO | |
Urbina stellte bei Gesprächen in Berlin klar, dass die GAIPE sich in
ihrem Bericht, ganz wie eine offizielle Untersuchungskommission, die ja
von der honduranischen Regierung nicht zugelassen wurde, ausschließlich
auf belegbare Taten und Strukturen beschränkt habe. Ein Hauptproblem des
aktuellen Verfahrens sei, dass die Anwälte der Nebenklage (COPINH und
Bertas Familie) wie auch die Anwälte der Angeklagten nicht die
vollständige Akteneinsicht erhielten, die ihnen als Prozessbeteiligten
zustehe. Die Rechte der Nebenklage seien von Anfang an verletzt worden.
Kritikwürdig sei aber auch die Anklage an sich: Es fehle der Punkt
„Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Als solche habe Desarollos
Energéticos (DESA) aber gehandelt, indem das Unternehmen seit 2012
Diffamierungskampagnen, Drohungen und Angriffe gegen die Gegner*innen
des Kraftwerks Agua Zarca und COPINH organisiert habe. Anwälte seien
angeheuert worden, um Berta Cáceres und weitere Leitungspersonen des
COPINH zu kriminalisieren, Staatsanwälte und Richter seien bestochen,
ein Auftragsmörder sei geschützt worden. Die honduranische Justiz
weigere sich jedoch, die existierende Gesetzgebung im Sinne des
Palermo-Abkommens auf die DESA anzuwenden. Sie verfolge damit
ausschließlich die kriminellen Banden der so genannten Maras, nicht aber
kriminell operierende Unternehmen.
Der Mordfall Berta Cáceres weise alle Charakteristika eines „Verbrechens
gegen die Menschlichkeit“ auf. Die honduranische Gesetzgebung entspreche
jedoch nicht den internationalen Standards, wie sie das Rom-Statut
vorgibt, sodass im bevorstehenden Prozess die Anklage nur auf „Mord“
laute, und nicht, wie es korrekt wäre, auf „außergerichtliche
Hinrichtung“, also ein Staatsverbrechen. Internationalen Standards
widerspreche auch, so Urbina weiter, dass die Angeklagten keinerlei
Rechtssicherheit hätten. So habe GAIPE herausgefunden, dass einer der
mutmaßlichen Auftragsmörder, bei dem die angebliche Tatwaffe gefunden
wurde, höchstwahrscheinlich gar nichts mit dem Mordfall zu tun habe.
Die Delegation kritisierte heftig, dass als mutmaßlicher Auftraggeber
des Mordes bisher nur der Geschäftsführer der DESA, David Castillo,
verhaftet wurde. Castillo sei ganz klar Angestellter gewesen und habe
keine endgültigen Entscheidungen getroffen. Allein die begrenzten
Ermittlungen der GAIPE hätten ergeben, dass mindestens eine Person aus
der Ebene oberhalb der Geschäftsführung mutmaßlicher Auftraggeber des
Mordes gewesen sei. Gegen diese Person und das Netzwerk hinter ihr werde
jedoch nicht vorgegangen. Castillo, ein früherer Offizier des
militärischen Geheimdienstes, wurde in einer spektakulären,
medienwirksamen Aktion genau am zweiten Todestag von Berta Cáceres,
dem 2. März 2018, verhaftet. Mit einem Prozess gegen ihn wird – wenn
überhaupt – erst für 2020 gerechnet.
Der Präsident des indigenen Rates der Region Río Blanco, Francisco
Sánchez berichtete, dass die Bauarbeiten für das Wasserkraftwerk Agua
Zarca zwar eingestellt worden seien, die DESA aber weiter vor Ort
präsent sei und dafür sorge, dass die für den Bau des Kraftwerks
absichtlich geschürte tiefe Spaltung der Gemeinden bestehen bleibe. Es
gebe weiter Drohungen und einzelne Aktionen, wie das Niederbrennen von
Bohnenpflanzungen. Auch Auftragsmörder*innen seien noch immer in der
Gegend.
Laura Zúñiga Cáceres betonte, es seien die Opfer gewesen, die den
Prozess vorangetrieben hätten, obwohl der Staat alles getan habe, um sie
immer wieder beiseite zu schieben. Bertas Familie und COPINH forderten
Garantien für die Nicht-Wiederholung derartiger Verbrechen. Diese
Garantien seien nicht gegeben, solange die Auftraggeber*innen des Mordes
und die Strukturen, die das Verbrechen ermöglicht haben nicht angetastet
würden, solange Menschenrechtsverteidiger*innen in Honduras nicht
geschützt und die Selbstbestimmungsrechte indigener und bäuerlicher
Gemeinden nicht respektiert würden: „Die gleichen Faktoren, die Berta
und COPINH so verwundbar gemacht haben, werden immer weiter
reproduziert. Und sogar die Missachtung der Rechte der Gemeinden wird
nun auch noch legalisiert.“ Bertas Tochter kritisierte die
Unterstützung der Europäischen Union für das marode und korrupte
honduranische Justizsystem mit Programmen wie EUROJUSTICIA, die teuer
seien, aber keine positive Wirkung erkennen ließen.
Noch schwerer wiegen die Vorwürfe gegen europäische Entwicklungsbanken.
Miguel Urbina: „Es gab eine Allianz zwischen dem internationalen
Finanzsystem, dem Unternehmen und der Regierung. Die DESA hatte in einem
bestimmten Moment kaum eigene Geldmittel. Das einzige Kapital, das sie
besaß, war ihr politisches Kapital.“ Die niederländische FMO sei zu
einem Zeitpunkt in die Finanzierung von Agua Zarca eingestiegen, als
klar war, dass der DESA das Geld auszugehen drohte und gleichzeitig die
Berichte über Menschenrechtsverletzungen – einschließlich Morden – schon
lange nicht mehr auszublenden waren. In Amsterdam kündigte COPINH
deshalb eine zivilrechtliche Klage gegen die niederländische
Entwicklungsbank FMO wegen unterlassener Sorgfaltspflichten an. Ein
weiterer Geldgeber, die Zentralamerikanische Bank für
Wirtschaftsintegration (span. BCIE, engl. CABEI) hat sich im Gegensatz
zu FMO, Finnfund und dem Turbinenlieferanten Voith Hydro (einem
Siemens-Joint-Venture, siehe LN 513) immer noch nicht aus dem Projekt
Agua Zarca zurückgezogen. Spanien ist Teilhaber dieser multilateralen
Entwicklungsbank. Gelder an sie fließen auch über die deutsche
Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Österreichische Entwicklungsbank.
Während die Anwälte der Nebenklage sich auf den Prozess vorbereiten und
internationale Expert*innen an Strategien tüfteln, um nach und nach die
größeren Dimensionen des Falls in verschiedenen Ländern justiziabel zu
machen, kursiert in Honduras seit einigen Monaten eine als seriöses Buch
getarnte Schmähschrift: Berta Cáceres – Las intimidades de un
conflicto. Sie versucht auf ebenso plumpe wie kuriose Weise von den
Verstrickungen der DESA abzulenken. Eine kursorische erste Lektüre des
über 100-seitigen Pamphlets zeigt die Grundzüge der Dramaturgie.
Zunächst wird über viele Seiten das Bild einer bösen, wilden Frau
(ungezogenes Mädchen, Guerillakämpferin, Verführerin) aufgebaut, um dann
einen dramatischen Wandel einzuleiten: Ein Jahr vor ihrer Ermordung
einigt sich die geläuterte Berta friedlich mit DESA-Geschäftsführer
David Castillo. Der hilft ihr großzügig aus privaten Finanznöten,
bezahlt den Krankenhausaufenthalt ihrer Mutter und die DESA finanziert
fortan stillschweigend COPINH mit. So bewirkt der tapfere Held, dass die
ehedem gefährliche Organisation nur noch eine symbolische Protestfassade
aufrechterhält, die den guten Unternehmensinteressen nicht mehr schadet.
Und ganz nebenbei sind Geschäftsführer und Unternehmen von jedem
möglichen Tatmotiv gereinigt. Ende gut, alles gut. Nicht ganz. Ein paar
mögliche Motive des „wirklichen, bisher vollkommen unbekannten Mörders“
muss der Autor dann doch noch anbieten: Neben der sattsam bekannten und
nun wieder aufgewärmten Hypothese „Verbrechen aus Leidenschaft“ und dem
„gewöhnlichen Raubmord“ fallen zwei zusätzliche Varianten auf: eine
Verschwörung honduranischer Militärs, die aber so undurchsichtig und
geheimnisvoll ist, dass sie nicht aufgeklärt werden kann; und, ganz
handfest, das Abwälzen aller Verantwortung auf einen einzigen Bösewicht
– den mitangeklagten Ex-Sicherheitschef der DESA, Douglas Bustillo. Er
habe aus Rache das Mordkomplott eingefädelt, weil die geläuterte Berta
bei der DESA seinen Rausschmiss wegen Disziplinlosigkeit erwirkt habe.
Ab September wird sich zeigen, ob das Gericht zulässt, dass Teile
dieser abgeschmackten Telenovela auf offener Bühne weitergespielt
werden. Sicher ist schon jetzt, dass der nicht sehr subtile Subtext des
Drehbuchs, nämlich die Diffamierungs- und Hetzkampagne gegen
honduranische und internationale Menschenrechtsverteidiger*innen,
kritische Medien, Anwält*innen, COPINH und befreundete Organisationen
sich weiter in realen Aktionen entfalten wird.