Geschichte der wirtschaftlichen und politischen Eliten in Honduras
Juan Orlando Hernández Foto: María Patricia Leiva |
Europäische Einwanderung und Pakt mit dem Militär
Nach einer langen Zeit der Ausbeutung führte 1954 der Streik der Bananenplantagenarbeiter*innen zu einer großen landesweiten Mobilisierung, die wichtige soziale Fortschritte, wie Regulierung der Arbeitszeiten, Sozialversicherung und Zugang zu besserer Bildung für die Kinder von Arbeiter*innen, erreichte.
Zu diesem Zeitpunkt war die Welt dabei, die Schrecken des Zweiten Weltkriegs zu überwinden. Viele Migrant*innen aus Europa suchten ihr Glück in Übersee, so auch in Honduras. Das Land verabschiedete ein Gesetz, um Einwanderung zu fördern. Um nach Honduras einzureisen und sich niederlassen zu können, genügte es fortan, über eine berufliche Ausbildung zu verfügen oder sich als Geschäftsmann oder Geschäftsfrau zu bezeichnen. Der Staat gewährte Steuerbefreiungen für einen Zeitraum von zehn bis 20 Jahren und stellte Land zur Verfügung, um inländische Produktion und Export anzukurbeln. Die Neuankömmlinge stammten aus Rumänien, Polen, Deutschland, Italien und Frankreich. Sie unternahmen die ersten Schritte zur Industrialisierung der honduranischen Wirtschaft, die darauf ausgerichtet war, halbverarbeitete Rohstoffe für den US-Markt herzustellen. Ende der 1960er- und in den 1970er-Jahren setzte Honduras weitere Anreize zur Förderung der Einwanderung. In dieser Zeit ließen sich Menschen aus Israel, Palästina und dem Libanon in Honduras nieder und konnten dank der staatlichen Produktions- und Exportförderung schnell eine neue Existenz aufbauen. Die zweite Generation dieser Immigrant*innen, die bereits in Honduras geboren und aufgewachsen war, wurde auf die besten Universitäten im Ausland geschickt, um zu studieren und sich zu spezialisieren, das bedeutete meist: in die USA.
In dieser Zeit blieb Honduras ein Staat mit äußerst eingeschränkter öffentlicher Daseinsvorsorge. Mit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1982 ging eine Zeit der Staatsstreiche und Militärherrschaft zu Ende. Die neue Verfassung griff zeitweise in den Hintergrund gerückte Vorhaben aus der Zeit der Unabhängigkeit wieder auf: Bildung, Gesundheit, Wohnraum und Zugang zu Land als Grundpfeiler für Entwicklung sowie die Schaffung eines entsprechenden institutionellen Rahmens. Dieser Pakt für die Rückkehr zur Demokratie erfolgte jedoch unter bestimmten Bedingungen. So bekam das Militär seine eigene Bank sowie sein eigenes Renten- und Pensionssystem. Auch das Justiz- und Steuersystem wurden überholt, doch erneut fehlte eine Strategie, um die Umverteilung des Reichtums zu bewerkstelligen. Letztlich gingen die gleichen Klassen gestärkt daraus hervor, die das Kolonialerbe der kreolischen Eliten angetreten und sich nun mit mehreren Generationen von Migrant*innen vermischt hatten. Diese noch junge demokratische Institutionalität, die vom Militär bewacht wurde, zeigte schon bald ihren Geburtsfehler: Schwache Volkswirtschaften, die von einem externen Markt abhängig sind und über keinen eigenen starken internen Markt verfügen, werden immer so schwach sein, dass sie auf Kapitalströme von außerhalb angewiesen sind.
Im Jahr 1988, sechs Jahre nach der Rückkehr zur Demokratie, gab es in Honduras den ersten Fall, dass ein Honduraner an die USA ausgeliefert wurde, allerdings war die rechtliche Grundlage dafür nicht eindeutig. Er war von den USA angeklagt worden, die auch seine Ausbürgerung erwirkte, um ihm wegen Drogenhandels den Prozess zu machen. Ramón Mata Ballesteros war ein bekannter Mann, der mit Militärs, Politikern, Bankiers und sogar religiösen Führern verkehrte. Mittlerweile ist er 79 Jahre alt und sitzt immer noch in den USA im Gefängnis. Das Wort „Drogenhandel“ war in Honduras zu jener Zeit wenig gebräuchlich. Vielmehr ging es um die Kapitalströme, für die der Drogenhandel sorgte (und bis heute sorgt). Aktuell ist Honduras wieder Opfer eines erbitterten internen Kampfes um die Kontrolle des Staatsapparates, insbesondere des Sicherheits- und Verteidigungssystems sowie der honduranischen Justiz.
Parteienfinanzierung und öffentliche Aufträge
Dieses System wird aufrechterhalten mit Hilfe der Parteienfinanzierung. Dies erfordert ein Bankensystem, das imstande ist, große Kapitalströme zu managen. Es erfordert aber auch eine Unternehmerklasse, die bereit ist, diese Kapitalströme effektiv zu nutzen. Die Eliten in Honduras sind das Ergebnis von Steuererleichterungen, staatlicher Verschuldung, institutionalisierter Korruption und zunehmender sozialer Ungleichheit, was Bildung, Gesundheitsversorgung und Zugang zu Produktionsmitteln betrifft. Es reicht schon, eine Gruppe von Abgeordneten im Nationalkongress zu haben, die etwa für große Zustimmung für Steuererleichterungen im Fall von Projekten sorgt, die Arbeitsplätze versprechen. Im Gegenzug machen diese Abgeordneten zusammen mit den kreolisch-mestizisch-migrantischen Dynastien Geschäfte mit Staatsaufträgen, vor allem im Energiesektor sowie beim Bau von Straßen und Flughäfen. Vorrangig sind die mit Treuhandgesellschaften abgeschlossenen Verträge, die von den Banken verwaltet werden und sich für das Waschen von Geldern zweifelhafter Herkunft eignen.
Nach über 200 Jahren Unabhängigkeit haben sich die Eliten konsolidieren können und dafür gesorgt, dass Abstammung und Erbe unter den Familien gesichert sind. Die Folge für die Gesamtgesellschaft: Honduras ist nach wie vor eines der ärmsten und ungleichsten Länder der Region. Der Armutsindex wird für 2019 auf 59,3 Prozent geschätzt, während er für 2023 mit 64,1 Prozent angegeben wird (die Entwicklung bei der extremen Armut ist ähnlich: 36,7 beziehungsweise 41,1 Prozent).
Wer sind diese Eliten?
Yani Rosenthal Foto: Renan Lanza |
Die Eliten haben Gesichter und Namen. In Honduras genügt ein Blick auf das Verzeichnis der Steuerbefreiungen oder der Kapitalströme. Ein Beispiel ist die Familie Rosenthal, die gute Verbindungen zum Drogenhandel hatte. Ihr bekanntester Sproß ist Yani Rosenthal, der als Präsident der Continental-Gruppe finanzielle Handhabe über die Banco Continental hatte. Dass diese Bank aktiv an Geldwäsche von Kapitalströmen zwischen Honduras und den USA verwickelt war, wurde im Strafprozess in South County, New York, nachgewiesen. Dieses Verfahren hat gezeigt, wie das organisierte Verbrechen das Finanzsystem nutzt und das honduranische Justizsystem beeinflusst, um im Land ungestraft agieren zu können. Rosenthal war nicht nur Banker, sondern auch Minister der Präsidentschaft (2006-2008), Abgeordneter (2010-2012) und Präsidentschaftskandidat der Republik (2021). Selbst bei seiner Rückkehr nach Honduras im Jahr 2019, nach 36 Monaten Haft in den USA, gelang es ihm, eine Strafminderung in Honduras zu erreichen.
Die honduranische Gesellschaft leidet unter der Kontrolle einer kleptomanischen, perversen und zynischen politischen Klasse. Sie hat sich des Zweiparteiensystems bedient, damit sich stets dieselben politischen Kräfte an der Macht abwechseln. Das hat lange Zeit funktioniert, weil so dafür gesorgt wurde, dass Korruption als normal angesehen wird. Die Eliten in Honduras sind das Ergebnis einer kulturellen Praxis der Korruption. Parteienfinanzierung wird von Abgeordneten, Bürgermeister*innen und Minister*innen dafür genutzt, um ihren Aufstieg an die Macht zu organisieren und die Institutionen zu kontrollieren. Das aktuellste Beispiel dieses Machtmissbrauchs: Im März 2024 hat ein Geschworenengericht im Southern District of New York den ehemaligen honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández für schuldig befunden - wegen Beteiligung am Drogenhandel und Instrumentalisierung der honduranischen Institutionen.