Von Rita Trautmann und Dennis Muñoz erschienen in der Aprilausgabe
Selten war Honduras so oft in der Presse wie in den vergangenen Monaten. Nicht die Proteste der Bevölkerung gegen die korrupte Regierung oder die Morde an Menschenrechtsverteidigern haben eine solche Aufmerksamkeit erregt, sondern die Karawanen tausender Männer, Frauen und Kinder aus Honduras. Sie haben sich zusammengeschlossen, um ihr Land zu verlassen mit dem Ziel USA.
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Migranten-Karawane aus Honduras auf einer Autobahn in El
Salvador im Januar 2019. Die Menschen versuchen, zu Fuß in die USA zu
gelangen. |
Der Weg ist weit und gehört zu einer der gefährlichsten
Migrationsrouten der Welt. Überfälle, Entführungen, Erpressungen und
Verschwindenlassen sind einige der Gefahren. Drogenkartelle und
Jugendbanden machen ein Geschäft mit den Menschen auf der Flucht. Eine
Flucht mit ungewissem Ausgang, denn kurz vor dem Ziel liegt eine sehr
gut bewachte Grenze. In Honduras weiß man das alles, und trotzdem machen
sich die Menschen auf den Weg. „Wir fliehen aus Armut und wegen der
Regierung“, sagt ein 35-Jähriger, „und wir fliehen auch wegen der
Kriminalität“.
Hoffnungslosigkeit treibt die Menschen aus dem Land. Honduras ist
eines der ärmsten Länder Lateinamerikas. In den vergangenen vier Jahren
ist der Anteil der Armen in der Bevölkerung auf fast 66 Prozent
gestiegen. Aber das ist nur eine von vielen Fluchtursachen. Hinzu kommen
ein korruptes politisches System, das den Eliten, aber nicht der
Bevölkerung dient, eine gescheiterte Sicherheitspolitik, fehlende
Arbeitsplätze und eine Wirtschaftspolitik, die auf die Ausbeutung der
natürlichen Ressourcen statt auf Landreformen setzt.
Korruption ist parteiübergreifend und zieht sich durch alle Bereiche.
2015 wurde einer der größten Skandale aufgedeckt, bei dem dem
Sozialversicherungsinstitut Millionen von Lempira für die Wahlkampagne
der damals wie heute regierenden Nationalen Partei entwendet wurden.
Dies löste eine Protestwelle in der Bevölkerung aus. Auf die Forderung,
eine Anti-Korruptions-Mission ähnlich der Kommission CICIG in Guatemala
einzuberufen, antwortete die Regierung mit der Unterstützungsmission
gegen Korruption und Straflosigkeit (MACCIH). Sie steht nicht wie die
Kommission in Guatemala unter der Schirmherrschaft der UN, sondern ist
bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) angesiedelt.
Gefährdete Korruptionsbekämpfung
Obwohl die MACCIH nicht selbst ermitteln darf, sondern die
Generalstaatsanwaltschaft lediglich unterstützt, hat sie einige Steine
ins Rollen gebracht. Die Wirkung ihrer Arbeit lässt sich auch daran
messen, wie stark die Mission von der Regierung und den Eliten behindert
und angefeindet wird. Aktuell ist die MACCIH in ihrer Existenz so stark
gefährdet wie noch nie. Im Herbst 2019 müsste die Vereinbarung dazu
zwischen der Regierung von Honduras und der OAS verlängert werden.
Offiziell gibt es keine Aussagen seitens der Regierung, aber immer
wieder werden von Staatsfunktionären und Abgeordneten der Nationalen
Partei Verlautbarungen bekannt, die das Ende der MACCIH nahelegen. So
sagte beispielsweise der Präsident des Obersten Gerichtshofes kürzlich,
dass er die Aufgabe der Mission als erfüllt ansehe. Viele der im
vergangenen Jahr aufgedeckten Fälle werden jedoch bis Ende 2019 nicht
komplett bearbeitet sein. Zu groß sind die Netzwerke von Scheinfirmen,
Scheinorganisationen und Abgeordneten, die systematisch den Staat
schröpfen – ob im Gesundheitswesen oder im Landwirtschaftsministerium,
um nur zwei Fälle zu nennen.
Die Regierung von Präsident Juan Orlando Hernández hat in den
vergangenen Jahren alle Institutionen im Staat unter die Kontrolle der
Regierungspartei gebracht. Die kürzlich durchgeführten Reformen der
Wahlgesetze blieben weit hinter dem Notwenigen zurück und sind eher
Schönheitsreparaturen als tatsächliche Änderungen hin zu transparenten
Wahlen. Die Krise nach den Wahlen im November 2017 hat deutlich gemacht,
wie nötig eine Reform wäre und wie satt es die Bevölkerung hat, nicht
ernst genommen zu werden. Die Regierung bemüht sich zwar sehr, ihre
Politik als Erfolg darzustellen, aber die Bevölkerung ist weder von der
Sicherheits- noch von der Wirtschaftspolitik überzeugt.
Gescheiterte Politik
Auch das Justizsystem versagt. Ein Indiz dafür ist die Straflosigkeit
vieler Täter: 94 Prozent der Morde allgemein und 97 Prozent der Morde
an Frauen (Femizide) bleiben straffrei. Die Femizidrate geht
kontinuierlich nach oben. Dies ist ein Grund dafür, dass auch immer mehr
Frauen Honduras verlassen. Eine von ihnen, Joselyn, begründet ihren Weg
in die USA mit der Unsicherheit und Perspektivlosigkeit im Land: „Es
gibt keine Arbeit, und wenn einer Arbeit hat, was dann? Der Lohn reicht
nicht, um satt zu werden, und die Mareros (Anm. der Red.: Jugendbanden)
nehmen davon noch Schutzgeld.“
Nur ein kleiner Teil der rund vier Millionen arbeitsfähigen Menschen
hat einen Job. Die Regierung setzt auf Rohstoff- und Energiegewinnung zu
Lasten indigener und ländlicher Gemeinden. Fast 40 Prozent der
Beschäftigten arbeiten in der Landwirtschaft, davon die Mehrheit in der
Subsistenzwirtschaft. Ihre Existenzgrundlage ist gefährdet. Ein knappes
Drittel der Landesfläche sind bereits per Konzessionen an Unternehmen
vergeben. Viele Gemeinden setzen sich gegen diese Projekte zur Wehr.
Doch sie werden bedroht und kriminalisiert. Unter der aktuellen
Regierung hat die Kriminalisierung sozialer Proteste zugenommen, und der
Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft wird stetig eingeschränkt.
Allein im Jahr 2018 wurden mehr als 130 Menschenrechtsverteidiger
angezeigt, und die Nichtregierungsorganisation COFADEH registrierte
mehr als 700 Fälle von Bedrohungen.
Prekarisierung, Unterbeschäftigung und informelle Arbeit prägen die
Lebenssituation vieler Honduraner. Hinzu kommt, dass knapp eine Million
junger Menschen zwischen 12 und 30 Jahren weder zur Schule oder
Hochschule geht noch arbeitet (
siehe Beitrag von Rita Trautmann in E+Z/D+C e-Paper 2018/11, Schwerpunkt).
Wer nicht von den Jugendbanden rekrutiert werden oder keine Belastung
für seine Familie sein möchte, sucht sein Glück in den USA.
Dies ist erschreckend und legt die Vermutung nahe, dass es für die
Regierung von Honduras rentabler ist, dass eine große Zahl von Menschen
migriert und durch sie Rücküberweisungen ins Land kommen. Doch von den
Tausenden aus den Karawanen seit Ende 2018 wird es nur ein kleiner Teil
schaffen, sich in den USA ein neues Leben aufzubauen.
Migration aus Honduras in die USA gibt es seit Jahrzehnten. Neu ist
die kollektive und damit sichtbare Auswanderung. Sie führt der Welt
deutlich das Versagen der Regierung und ihrer Institutionen vor Augen.
Rita Trautmann ist Ethnologin. Sie war als Fachkraft
für den Deutschen Entwicklungsdienst in Honduras tätig und ist seit 2011
in der Menschenrechtsarbeit zu Honduras aktiv. Die Originalzitate im
Text stammen aus Interviews, die der Journalist Martin Reischke geführt
und freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
trari@protonmail.com
Dennis Muñoz ist Menschenrechtsverteidiger und arbeitet seit Jahren zu Korruption und Straflosigkeit. Momentan lebt er im Exil.
munozdennishn@gmail.com