Pressemitteilung vom 26.11.2013
Die internationale
Arbeitsgruppe HondurasDelegation arbeitet seit dem Putsch 2009 in den
Bereichen Menschenrechte und Journalismus zu Honduras. Unsere
diesjährige Delegationsreise hat das Ziel, die Menschenrechtslage um
den Zeitpunkt der Wahl zu erfassen. Dabei steht die Situation sozialer Bewegungen im Vordergrund, die ihre Landrechte verteidigen. Zu diesem Zweck bereisten
wir in den zwei Wochen vor der Wahl verschiedene Regionen in
Honduras. Wir dokumentieren eine Auswahl der uns geschilderten
Vorfälle:
- In der Gemeinde Nueva Esperanza, im Departamento Atlandida setzt sich die Bevölkerung gegen ein Minenvorhaben der honduranischen Gesellschaft „Minerales Victoria“ zur Wehr. Vor gut einem halben Jahr errichteten bewaffnete „Sicherheitskräfte“ der Minengesellschaft unter dem Schutz der lokalen Polizei einen Stützpunkt in der Gemeinde. Seitdem werden Gemeindemitglieder bedroht, eine Familie musste fliehen, zwei Menschenrechtsbeobachter aus Frankreich und der Schweiz wurden Ende Juli kurzzeitig entführt und erhielten Morddrohungen. In diesem Fall wurde ein Haftbefehl ausgesprochen, der bisher nicht vollstreckt wird. Alle anderen Vorfälle werden von der Staatsanwaltschaft nicht verhandelt.
Vor der Wahl drohte der Eigentümer von Minerales Victoria, Lenir Perez, im Falle eines Wahlsiegs von Juan Orlando mit dem Einmarsch der Militärs in die Gemeinde.
- In der Gemeinde Rio Blanco im Departamento Intibucá setzen sich die Bewohner_innen gegen ein Staudammprojekt der honduranischen Firma DESA zur Wehr. Die Lenca-Indigenas beklagen den Bruch der Konvention ILO 169, die vorschreibt, dass Bauvorhaben auf indigenem Land der Zustimmung der Bevölkerung bedürfen. Es liegen uns Zeugenaussagen von Kindern vor, die bei einem Übergriff bewaffneter Polizisten am 1. November mit dem Tode bedroht wurden. Die Bewohner_innen befürchten im Fall eines Wahlsiegs von Juan Orlando die Vollstreckung eines bereits bestehenden Räumungstitels.
- Der Fall Rio Blanco gilt als exemplarisch für 46 weitere Staudammprojekte im Territorium der Lenca-Indigenas, für die die Putsch-Regierung Micheletti 2009 bereits Konzessionen ausgestellt hat. Die Lenca-Organisation COPINH ist in Zusammenhang mit der Verteidigung der Bevölkerung gegen die Staudamm- und Minenprojekte einer Kriminalisierungs- und Hetzkampagne ausgesetzt. Für den Fall eines Wahlsiegs von Juan Orlando befürchtet die Organisation eine Zunahme der Militarisierung des Lenca-Territoriums und eine gewaltsame Durchsetzung der geplanten Projekte.
- Die Frauenorganisation Foro de Mujeres in San Pedro Sula berichtete uns von dem Vorhaben der Regierung Lobo, die bestehende Staatsanwaltschaft für Gewalt gegen Frauen aufzulösen und der Staatsanwaltschaft für Kinder einzugliedern. Sie erwartet, dass dies unter einer Präsidentschaft von Juan Orlando umgesetzt wird, was der Straflosigkeit im Bereich Gewalt gegen Frauen weiter Vorschub leisten wird.
- In der Vereinigung MADJ, ebenfalls mit Sitz in San Pedro Sula, sind Rechtsanwälte organisiert, die Gemeinden in Fragen von Landrechten unterstützen. Dort wurde uns u.a. der Fall der Tolupan-Indigenas geschildert, die in der Reserva Texigua im Departement Yoro gegen acht unkonzessionierte Antimon-Minenunternehmen sowie illegalen Holzeinschlag protestieren. Lokale Auftragsmörder ermordeten am 25. August 2013 drei Tolupan-Aktivisten bei einer Straßenblockade. Die Mörder bewegen sich weiter frei und bewaffnet in der Öffentlichkeit. Die Staatsanwaltschaft empfahl den Tolupanes, die die Tat anzeigten, sich doch am besten selbst zu bewaffnen. Acht Bewohner der Gemeinde Locomapa mussten seither die Region aus Sicherheitsgründen verlassen.
- In der Organisation CNTC im Departamento Yoro vereinigen sich 45 Bauernkooperativen. Nach einer Besetzung von Land in der Gemeinde Agua Blanca, welches sich unrechtmäßig im Besitz der englischen Zuckergesellschaft ASUNOSA befand, standen die Bäuer_innen in Verhandlungen mit dem Nationalen Agrarinstitut INA. Die englische Zuckergesellschaft ASUNOSA zerstörte unter dem Schutz von Polizei und Militär am 26. August 2013 1000 Manzanas von den Bäuer_innen der CNTC kultivierten Landes. Deren Vorsitzende Madgalena Morales wird verfolgt und erhält Drohungen. Sie wurde verurteilt, das Gebiet um Agua Zarca nicht mehr zu betreten.Der Menschenrechtsorganisation FIDH und der Indigenenorganisation COPINH liegt eine Liste aus Militärkreisen (?) vor, auf der führende Persönlichkeiten aus den sozialen Bewegungen, der Partei LIBRE sowie von Menschenrechtsorganisationen stehen, die ermordet werden sollen. Darunter befinden sich Bertha Oliva, Berta Caceres (COPINH), Victor Fernandez (MADJ), Felix Molina (Journalist).
Im Verlauf des Wahlkampfs seit Mai 2012 sind 39 Kandidat_innen und Parteiaktivist_innen ermordet worden, darunter die Mehrzahl von der Partei LIBRE.
In allen von uns
besuchten Orten zeigte sich einheitlich die Untätigkeit staatlicher
Institutionen gegenüber den Interessen der mehrheitlich armen
Bevölkerung und deren Organisationen, sowie deren Machtmissbrauch
zugunsten nationaler und internationaler Unternehmen. Dies spiegelt
die Machtverteilung im Vorfeld der Wahlen wider: Der gesamte Zeitraum
des Wahlkampfs seit Mai 2012 war geprägt von einem Klima der Angst.-
Der unterschiedliche Zugang der Parteien und sozialen Bewegungen zu
finanziellen Ressourcen und medialer Repräsentation schafft zudem
extrem ungleiche Ausgangsbedingungen. Wie gefährlich kritische
Berichterstattung und die juristische Vertretung der sozialen
Bewegungen ist, zeigen die zahlreichen Morde an Journalist_innen und
Anwält_innen in den letzten Jahren. - Soziales Engagement ist
zwangsläufig mit dem Einsatz des Lebens verbunden. In einem solchen
Klima sind freie und faire Wahlen völlig undenkbar.
Es bestehen keinerlei
Anzeichen, dass die Nationale Partei die Menschenrechtssituation
unter einer Präsidentschaft Juan Orlando Hernández verbessern wird.
Die von uns besuchten Organisationen befürchten im Gegenteil eine
Verschlimmerung des bestehenden Zustands.
Wer einer solchen
Regierung Vertrauen schenkt, weil aus technischer Sicht keine
eindeutigen Beweise für einen Wahlbetrug vorliegen, der verkennt die
Realitäten in einem Land, dessen staatliche Strukturen der
Bevölkerung praktisch keinen Schutz bieten und den
Partikularinteressen einzelner Machtgruppen untergeordnet sind.
Am Wahltag selbst
verzeichneten Menschenrechtsorganisationen und unabhängige
Beobachter_innen eine Vielzahl von Unregelmäßigkeiten wie
Stimmenkauf, Drohungen und Einschüchterungen durch bewaffnete
Personen und die Ermordung von mindestens zwei LIBRE-Aktivist_innen.