Freitag, 23. Mai 2014

Vom Putsch zur „grünen“ Diktatur

erschienen: iz3w (Mai/Juni 2014), Ausgabe 342, S. 15-17.
 
In Honduras wehren sich Indigene gegen den Ausverkauf des Landes

Nach dem Putsch von 2009 sollen neoliberale Wirtschaftspolitik, ausländische Investitionen und Green Economy Honduras aus der Krise helfen. Die damit verbundenen Projekte wie der geplante Staudamm Agua Zarca verletzen jedoch die Rechte der indigenen Bevölkerung. Von der honduranischen Regierung werden die Interessen transnationaler Unternehmen mit harter Hand durchgesetzt.


Von Kirstin Büttner und Daniela Dreißig

Gemeindemitglieder aus Río Blanco mit gefälschten Unterschriftenlisten. CC CADEHO
La Tejera, eine Gemeinde der indigenen Gruppe der Lenca im Department Intibucá, nordwestlich der Hauptstadt Tegucigalpa: Am 1. November 2013 fällt eine maskierte, mit kugelsicheren Westen und Schnellfeuerwaffen ausgerüstete Einheit der Nationalen Polizei in das Dorf ein. Angeblich auf der Suche nach dem Anführer des Dorfes, richten sie ihre Waffen auf Kinder, Frauen und alte Menschen und drohen ein Blutbad an. La Tejera ist eines von elf Dörfern der Region Río Blanco, die sich gegen den Bau des geplanten Staudamms Agua Zarca wehren. Ob im westlichen Hochland, an der Karibikküste oder im Süden des Landes - ähnliche Vorfälle häufen sich im ganzen Land.


„Wir sind vom Putsch zum Putschismus übergegangen, und nun zu einer Diktatur“ resümiert der bekannte Radiojournalist Félix Molina die letzten viereinhalb Jahre. Der Putsch im Juni 2009 hat zwar nicht zu großen Machtverschiebungen geführt, da die wirtschaftlichen und politischen Eliten schon vorher eng miteinander verwoben waren. Ein Novum ist jedoch das Wiedererstarken des Militärs im Machtgefüge. Nach äußerst zweifelhaften Wahlen, die unter verstärkter militärischer Präsenz auf den Straßen durchgeführt wurden, kam es unter der Regierung von Porfirio Lobo (2010 – 2014) zur Übernahme ziviler Ministerien und staatlicher Unternehmen durch Schlüsselfiguren aus dem Militär. So wurde beispielsweise der Putschgeneral Romero Vásquez Velásquez Direktor der Telekommunikationsgesellschaft HONDUTEL.

Gewalt und Militarisierung

Die Menschenrechtsverteidigerin Dina Meza beschreibt die Situation so: „Mit dem Putsch fielen die wenigen institutionellen Errungenschaften, die in drei Jahrzehnten aufgebaut worden waren. Dazu kommen die Korruption und die Unterwanderung der Polizei durch die organisierte Kriminalität und den Drogenhandel. An dieser Stelle dürfen wir nicht die Gendarmenrolle der USA vergessen, die sie seit dem Putsch, den sie mit unterstützt und finanziert haben, ausüben.“

Extreme Gewalt und Straflosigkeit prägen den Alltag. Politisch motivierte Morde an JournalistInnen, AnwältInnen und andere KritikerInnen stehen wieder auf der Tagesordnung. Die Gewalttaten werden von Polizei, Militär, Paramilitär oder Auftragsmördern begangen. Das Justizsystem ist ineffizient und wird von der Regierung dominiert. Bertha Oliva von der Menschenrechtsorganisation COFADEH konstatiert: „Wir sind zurück gekehrt in die Realität der alten und schlimmen Praktiken, die wir aus den Militärdiktaturen kennen. Wir sind uns bewusst, dass wir es seit dem Militärputsch mit einem sterbenden Land zu tun haben, mit einem Land, das von der Stimme des Militärs beherrscht wird.“

Die Militarisierung der ländlichen Regionen und die Kriminalisierung der sozialen Bewegungen haben ein klar erkennbares Ziel: den Ausverkauf jeglicher Ressourcen. Besonders offensichtlich wird dies am Beispiel des Staudammprojektes Agua Zarca. Für den Bau wurde das honduranische Unternehmen Desarrollo Energéticos S.A. (DESA) beauftragt. In Zusammenarbeit mit dem chinesischen und weltweit größten Staudammunternehmen Sinohydro sollte die Anlage bis 2014 fertig gestellt werden. 2010 hat DESA von der Regierung eine Konzession erhalten, die die Nutzung des Flusses Gualcuarque für zwanzig Jahre garantiert.

Gegen Landgrabbing

Agua Zarca wird auf Land errichtet, das den indigenen Gemeinden nicht nur dem Anbau ihrer Lebensmittel dient, sondern das Fundament ihrer kulturellen Identität bildet. Die indigenen und afro-indigenen Gemeinden stellen rund ein Zehntel der honduranischen Bevölkerung. Überwiegend leben sie in entlegenen und infrastrukturell benachteiligten Regionen. Neben der größten Gruppe der Lenca gibt es unter anderen die Garífuna, Miskitos, Tolupanes, Chortí und Pech.

In Río Blanco erhielten die Lenca 1925 den Landtitel für die von ihnen besiedelten und bewirtschafteten Ländereien. Seitdem wird vor allem von Großgrundbesitzern versucht, sich das Land illegal und gewaltsam anzueignen. Der Fluss Gualcuarque ist Lebensmittelpunkt und Existenzgrundlage der anliegenden Gemeinden. Er wird zur Bewässerung der Felder, zur Trinkwasserversorgung, zum Wäschewaschen und Fischen genutzt. 2012 begann DESA, das erworbene Land inklusive angrenzender Flächen zu bebauen. Zahlreiche Anbauflächen mit Mais, Bohnen, Kaffee und Obstbäumen wurden dabei zerstört. Ende März 2013 verbot das Sicherheitspersonal von DESA den Zugang zum Fluss. Daraufhin begannen die betroffenen Gemeinden im April mit einer bis heute anhaltenden Straßenblockade.

Mit dem Putsch kam es in Honduras zu einer Massenmobilisierung, die es seit dem Generalstreik 1954 nicht mehr gab. Über drei Monate waren täglich Menschen in ganz Honduras auf den Straßen und protestierten trotz des Ausnahmezustandes und der Ausgangssperren gegen das Putschregime. Die daraus hervorgegangene heterogene Widerstandsbewegung unterstützt die zahlreichen sozialen Proteste, beispielsweise die Bäuerinnen und Bauern im Aguántal, die schon seit den 1990er Jahren unter den schwelenden Landkonflikten leiden. Landbesetzungen sind oftmals der einzige Weg, um sich gegen die illegale Landnahme durch Ölpalmenbarone und transnationale Unternehmen wie SABMiller zu wehren.

Eine wichtige Rolle im Widerstand spielen kommunitäre Radios und kritische BerichterstatterInnen. Trotz massiver Bedrohungen, vieler ermordeter JournalistInnen und der Schließung von Sendern kämpfen sie für das Recht auf freie Meinungsäußerung. Besonders in ländlichen Regionen sind sie Sprachrohr der Bevölkerung, mobilisieren bei Protestaktionen und klären über Rechte auf. Tomás Gómez vom kommunitären Radio La Voz Lenca erzählt, dass durch die Radioberichte die Isolation durchbrochen wird. „Sie erfahren von den Kämpfen in den Nachbargemeinden und beginnen selbst aktiv zu werden.“


Versagen der Justiz und Rassismus

Die Gemeinden in Río Blanco haben Klage gegen DESA und die verantwortlichen staatlichen Institutionen wegen Landgrabbing und Verletzung der kollektiven Rechte der indigenen Bevölkerung eingereicht. Sie berufen sich auf Artikel 169 der Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation, die von Honduras 1994 ratifiziert wurde. Danach hätten die betroffenen indigenen Gemeinden zu den Vorhaben konsultiert und ihr Einverständnis eingeholt werden müssen. Beides ist nicht geschehen. Stattdessen sind gefälschte Listen aufgetaucht, die einer Einverständniserklärung mit dem Projekt gleich kommen. Auf diesen Listen erscheinen sowohl Unterschriften von Gemeindemitgliedern, die nie unterschrieben haben, weil sie sich gegen das Projekt wehren, als auch von Personen, die nicht schreiben können. Dass die Klage Erfolg haben wird, ist unwahrscheinlich, denn in Honduras werden die Klagen der indigenen Bevölkerung systematisch ignoriert.

So wie das Rechtssystem die Rechte der indigenen und afro-indigenen Bevölkerung missachtet, so ist auch der Rassismus den Minderheiten gegenüber allgegenwärtig. Allein im Department Intibucá wurden die Lenca von der Mehrheitsgesellschaft in die entlegenen Regionen gedrängt, es wurden für sie eigene Friedhöfe und Kirchen errichtet. „Die Kirche satanisierte die kulturellen Praktiken und verbot sie. Noch heute bestraft die katholische und evangelische Kirche die spirituellen Praktiken der Lenca“, so Bertha Cáceres, Koordinatorin vom Zivilen Rat der Volks- und indigenen Organisationen Honduras (COPINH). Sie berichtet, dass auch in den Gesundheitszentren in Intibucá die Lenca gegenüber der mestizischen Mehrheitsbevölkerung benachteiligt werden. Vergewaltigte Frauen, die in diesen Zentren und bei Behörden Hilfe suchen, werden von ÄrztInnen, PolizistInnen und RichterInnen abfällig behandelt.

Auch im politischen System haben die indigenen Gemeinden keine Stimme, im aktuellen Parlament sind sie nicht vertreten. Die staatliche Behörde für ethnische Minderheiten wurde mit der neuen Regierung unter Juan Orlando Hernández (Nationale Partei) abgeschafft.

Opposition = Terrorismus

Seit zwanzig Jahren kämpft COPINH gegen Rassismus, für Gleichberechtigung von Frauen und für indigene Landrechte. Auch der friedliche Widerstand der Gemeinden gegen Agua Zarca wird durch COPINH organisiert. Führende Personen von COPINH stehen mittlerweile in der medialen Schusslinie. Da die Medien überwiegend einflussreichen Unternehmerfamilien gehören, wundert es nicht, dass die willkürlichen Durchsuchungen und gerichtlichen Verfolgungen der COPINH-Koordination mit einer Diskreditierungskampagne in den Medien zusammenfallen. Bertha Cáceres und zwei weiteren Koordinatoren des Protestes wird wegen „Beschädigung von DESA-Eigentum“ und „terroristischer Akte“ der Prozess gemacht.

Agua Zarca steht exemplarisch für 48 weitere Projekte erneuerbarer Energie, die seit dem Putsch vorangetrieben werden, vor allem durch die Verabschiedung unternehmerfreundlicher Gesetze. Während der Amtszeit Lobos hat das honduranische Parlament die legislative Absicherung der Landübernahme durch die nationalen und internationalen RepräsentantInnen eines ungezügelten Kapitalismus vollzogen. Gesetze zur Energiegewinnung durch Wasser- und Windkraft sowie ein Dekret zur Erdölförderung wurden erlassen. Das Allgemeine Wassergesetz regelt die Vergabe der Konzessionen sämtlicher Wasservorkommen. Das Neue Bergbaugesetz erlaubt den offenen Tagebau, der 2006 in Honduras verboten worden war.

Den sozialen Protesten gegen die Megaprojekte begegnet der Staat mit repressiver Gesetzgebung. Das Gesetz zur Kontrolle der Nichtregierungsorganisationen, das Geheimdienstgesetz sowie das Abhör- und Antiterrorgesetz erleichtern die Kriminalisierung sozialer Bewegungen. Der Menschenrechtsverteidiger Pedro Landa, Koordinator im Zentrum zur Förderung der Gemeindeentwicklung (CEHPROEC), konstatiert: „Wir wissen, dass wir den Staat, die Polizei, die Armee, die Unternehmen und auch die Gesetze gegen uns haben. Seit kurzem wird sogar die Opposition gegen unternehmerische Freiheit als terroristisches Delikt geahndet. Das heißt, ich kann ein Unternehmen nicht mehr wegen der Verletzung von Menschenrechten kritisieren.“

Zusätzlich fördern die Übertragung von Polizeiaufgaben an das Militär sowie die Gründung einer Militärpolizei und der Spezialeinheit TIGRES die Militarisierung. Die ständige Präsenz bewaffneter privater Sicherheitskräfte, des Militärs und der Polizei hat ein Klima der Angst etabliert und zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen geführt. In Río Blanco eskalierte die Situation im Juli 2013, als der Staudammgegner Tomas García während einer friedlichen Demonstration vor dem Firmengelände von DESA durch das Militär erschossen und sein Sohn schwer verletzt wurde.

Die DESA-Interessen und deren Verflechtung mit Finanzkapital und Militär sind offensichtlich. Der Manager von DESA war nach einer Ausbildung an der US-Militärakademie Assistent des Geheimdienstdirektors der honduranischen Armee und Technischer Direktor der Energiefirma ENEE, die den Zuliefervertrag für Agua Zarca und 23 weitere Projekte erhalten hat. Zwei Drittel des Gründungskapitals von DESA gehört den Brüdern Atala Zeblah, die in den Vorständen jener zentralamerikanischen Handelskammern und Banken sitzen, die Millionenkredite an DESA bewilligten. Die Finanzflüsse führen unter anderem zur Weltbank, zur Europäischen Investmentbank und zu USAID. Die sozialen Auswirkungen der Projekte werden von den internationalen Geldgebern, wenn überhaupt, erst dann hinterfragt, wenn die Proteste dagegen eskalieren. Die Rechte von nationalen und internationalen Unternehmen sind derweil per Gesetz geschützt. Immerhin: Aufgrund des „ernsten Konfliktes zwischen dem Auftraggeber und den lokalen Gemeinden", der als unvorhersehbar und unkontrollierbar eingeschätzt wird, hat Sinohydro inzwischen alle Verträge mit DESA aufgelöst.

Die an den Energiegewinnungsprojekten beteiligten Firmen argumentieren ganz im Sinn der Green Economy mit Reduzierung des CO²-Ausstoßes, Schaffung von Arbeitsplätzen, Armutsbekämpfung und Entwicklung. Auf seiner Homepage wirbt DESA mit einem sozial verantwortlichen Image, das den Gemeinden im „Einflussbereich des Wasserkraft-Projektes Agua Zarca“ Hilfe verspricht. Darüber hinaus informiert DESA über Emissionseinsparungen – mit großer Wahrscheinlichkeit werden also früher oder später Gelder aus dem Emissionshandel fließen.

Siemens will „helfen“

Das deutsche Unternehmen Voith Hydro GmbH – ein Joint-Venture-Unternehmen mit Siemens – liefert unter anderen drei Turbinen für Agua Zarca. An den gravierenden Rechtsverletzungen vor Ort stört sich das Unternehmen nicht. Als die HondurasDelegation auf der letzten Aktionärsversammlung von Siemens in einem Appell auf die Menschenrechtsverletzungen in Río Blanco aufmerksam machte, wiegelte Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, ab: Siemens sehe die Probleme "armer indigener Völker" und wolle "helfen", könne aber "nicht die ganze Welt retten".

Der Ausverkauf Honduras, der schon seit dem Putsch an Geschwindigkeit zugenommen hat, wird durch die neue Regierung noch vehementer durchgesetzt. Mit den Wahlen im November 2013 wurde erstmals das starre Zweiparteiensystem aufgebrochen, die Nationale Partei von Präsident Juan Orlando Hernández hat keine absolute Mehrheit im Kongress mehr. Aus diesem Grund wurde bis zur Amtsübernahme Ende Januar 2014 mit Hochdruck an der Verabschiedung von weiteren unternehmerfreundlichen Gesetzen gearbeitet. Der zweifelhafte Sieg von Hernández - einem Befürworter der Militarisierung - bedeutet die Fortsetzung der repressiven, neoliberalen Politik. In Río Blanco wird befürchtet, dass der friedliche Protest gewaltsam beendet wird. Für ganz Honduras gilt, dass sich Vorfälle wie in La Tejera überall da häufen, wo sozialer Protest entsteht.


Kirstin Büttner ist Autorin. Als Mitglied der HondurasDelegation begleitete sie unter anderem zwei Monate lang Basisradios von indigenen Organisationen. Daniela Dreißig ist Politologin und Mitglied der Menschenrechtskette Honduras (CADEHO), der HondurasDelegation und arbeitete in Honduras. Mehr Infos: www.hondurasdelegation.blogspot.de und http://cadeho.blogspot.de