Seit 2009 nehmen Asylanträge von Menschen aus Zentralamerika in
ihren Nachbarländern, in Mexiko und den USA zu, und seit 2014 kommen
mehr Migranten und Geflüchtete aus Zentralamerika in den USA an als aus
Mexiko. Seit 2013 gibt es Studien zu den Fluchtursachen von Kindern und
Minderjährigen aus einer Region, die ihnen weder Zukunftsperspektiven
bietet noch Schutz vor Zwangsrekrutierung durch kriminelle Banden oder
familiärer Gewalt. 2015 öffnete das Flüchtlingshochkommissariat der
Vereinten Nationen (UNHCR) ein Büro in Tenosique im südlichen Mexiko und
warnte
vor einer absehbar noch größeren Fluchtbewegung angesichts zunehmender
Gewalt und Instabilität. Auch Amnesty International machte 2016 auf die
"unsichtbare Krise" der Flüchtenden aus Zentralamerika aufmerksam und
forderte
alle betroffenen Staaten auf, diese entsprechend menschenrechtlicher
Standards zu behandeln und die Gründe für Migration und Flucht zu
beseitigen.
Die Karawane aus Honduras macht für die Weltöffentlichkeit sichtbar,
was bereits seit langem tägliche Realität in der Region ist: Menschen
sehen sich gezwungen ihr Leben zu riskieren, um überleben zu können.
Das Schicksal der Menschen, die in der Karawane unterwegs sind, ist
auch das Schicksal vieler Menschen in Guatemala. Das Land ist selbst von
massiver Emigration betroffen und viele der Zurückgebliebenen leiden
darunter, dass ihre Angehörigen die gefährliche Reise nicht überlebt
haben oder als „verschwunden“ gelten. Angesichts extremer sozialer
Ungleichheit, hoher Kriminalitätsraten und mangelnder Perspektiven
insbesondere für junge Menschen verlassen täglich Unzählige das Land in
Richtung USA. Gleichzeitig ist Guatemala selbst Durchreiseland für
Geflüchtete und Migranten aus ganz Zentralamerika und in den
Grenzregionen der Tieflandprovinz Petén leben Gemeinden von Menschen,
die es nicht über die mexikanische Grenze geschafft haben oder aus
anderen Gründen nicht mehr weiterreisen.
Die im Vergleich zu Europa oder den USA sehr tolerante Gesetzeslage,
die Migranten aus den Mitgliedsstaaten der ehemaligen
Zentralamerikanischen Föderation (1823-1838) innerhalb dieser Staaten –
mit Ausnahme von Costa Rica – weitgehende Rechte
einräumt,
findet in der Praxis oft nur wenig Anwendung. So werden auch in
Guatemala Migranten und Geflüchtete anderer zentralamerikanischer
Ländern von Schleppern ausgebeutet und müssen bei Kontrollen Schmiergeld
an die Polizei zahlen. Immer wieder werden sie Opfer xenophober
Rhetorik nationaler und lokaler Politiker.
Die Honduranerinnen und Honduraner, die aktuell durch Guatemala
ziehen, erfahren umfangreiche Hilfe durch die lokale Bevölkerung. Selbst
in den Gebieten des Corredor Seco, einem von häufigen Dürren
betroffenen Gebiet mit besonders hohen Raten an Armut und
Mangelernährung,
unterstützt
die Bevölkerung sie mit Essen und Kleidung. Universitäten und Kirchen
bieten Unterkunft an und Busunternehmen stellen ihre Dienste gratis zur
Verfügung. Dabei
weiß niemand,
wie viele Menschen sich in dem so noch nie in der Region gesehenen Zug
auf den Weg machen: Die Hilfsorganisation Casa del Migrante in Guatemala
Stadt spricht von 12.000 Migranten, und zwei weitere Karawanen aus El
Salvador kündigen ihren Marsch an. Andere Quellen sprechen von an die
5.000 MigrantInnen. Unter ihnen befinden sich zahlreiche Frauen und
Kinder.
Eine Woche nach dem Beginn der Karawane war der honduranische Präsident Juan Orlando Hernández in Guatemala zu einem
Staatsbesuch,
um gemeinsam mit seinem guatemaltekischen Amtskollegen Jimmy Morales
einen Plan zur Rückführung der Geflüchteten und Migranten zu erarbeiten.
Beide
diskreditieren
diese als von honduranischen oppositionellen Kreisen zu politischen
Zwecken missbraucht. Die gesetzlich vorgesehene Einbindung der
Menschenrechtsombudstelle PDH greift nicht immer: Im Fall der
Abschiebung des honduranischen Journalisten Bartolo Fuentes zum Beispiel
wurde die PDH nicht rechtzeitig von den Behörden
informiert.
Der Journalist wird beschuldigt, die Karawane organisiert zu haben.
Drei Tage wurde er von guatemaltekischen Behörden festgehalten und am
19. Oktober nach Honduras ausgewiesen. Es ist die zweite Karawane, die
Fuentes in diesem Jahr begleitet, um über die prekäre Situation in den
Nachbarländern zu berichten.
Seit Freitag haben Tausende die guatemaltekisch-mexikanische Grenze
überschritten, und am Sonntagabend, dem 21. Oktober machten sich mehr
als 7.000 Geflüchtete aus Mexiko in Richtung USA
auf den Weg.
Die US-Regierung macht Druck auf die gesamte Region, die Migration zu
stoppen und droht mit militärischen Maßnahmen und Familientrennungen an
der Grenze. Präsident Donald Trump verkündete, er habe die Einstellung
von finanziellen Hilfen an die Regierungen der Region bereits
angewiesen. Zeitgleich berichtet Prensa Comunitaria am Montag von einer
Militarisierung der Grenze Guatemalas zu Honduras.
Guatemala befindet sich selbst in einer tiefen politischen und
wirtschaftlichen Krise und erlebte während des Bürgerkriegs massive
Fluchtbewegungen sowohl innerhalb des Landes als auch nach Mexiko und
andere Staaten. In den Medien wird nun angesichts des Exodus aus dem
Nachbarland immer wieder die Frage gestellt, wie wahrscheinlich solch
eine Entwicklung für das eigene Land ist. Die renommierte
Sozialwissenschaftlerin Irma Alicia Velásquez Nimatuj wendet sich in
diesen Zusammenhang in einem offenen Brief an Präsident Trump und
fordert
ihn auf, angesichts der Krise in Zentralamerika das erfolgreiche Modell
der Internationalen Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala
(CICIG) als Initiative gegen kriminelle Strukturen in staatlichen
Institutionen, Korruption und Gewalt zu verteidigen und ihre Einrichtung
in anderen zentralamerikanischen Staaten ebenfalls zu unterstützen.