Mittwoch, 24. August 2022

Erklärung von OFRANEH

Am Mittwoch, dem 24. August 2022, haben wir erneut den weiten Weg auf uns genommen und sind aus verschiedenen Garífuna- und anderen indigenen Gemeinden in die Hauptstadt Tegucigalpa gekommen. Wir machen von unserem legitimen Recht Gebrauch, Rechtsgarantien und Rechtsschutz für unsere Gemeinden zu fordern, indem wir Rechtsmittel gegen den Generalstaatsanwalt und den stellvertretenden Generalstaatsanwalt einreichen, weil sie es unterlassen haben, das Verbrechen des gewaltsamen Verschwindenlassens gegen die Garífuna aus Triunfo de la Cruz zu untersuchen.

Am 9. August haben wir uns vor der Staatsanwaltschaft unter der Leitung von Generalstaatsanwalt Oscar Chinchilla und Daniel Arturo Sibrián Buseo als stellvertretendem Generalstaatsanwalt versammelt, um eine Antwort und erkennbare Fortschritte bei der Untersuchung des gewaltsamen Verschwindenlassens des Präsidenten des Patronato der Garífuna-Gemeinde Triunfo de la Cruz, Sneider Centeno, und drei weiterer Männer aus derselben Gemeinde zu fordern. Die Antwort, die wir erhielten, war wie immer eine Verhöhnung und eine notorische Missachtung des Lebens der Garífuna. Sie manifestierte sich in den wiederholten Aufrufen zu Hass und Gewalt durch den stellvertretenden Generalstaatsanwalt über seinen Twitter-Account, in Schikanen und Kriminalisierungsmaßnahmen gegen die Opfer selbst und ihre Vertreter. Ein dreister Versuch, diejenigen zu bestrafen, die Rechenschaft fordern.

Die Generalstaatsanwaltschaft erkennt weder das legitime und gewohnheitsmäßige Recht von OFRANEH und SUNLA an, den Schutz der Menschenrechte von indigenen und afro-indigenen Gemeinschaften in Honduras zu gewährleisten noch die für das Verschwindenlassen Verantwortlichen zu ermitteln, zu verfolgen und zu bestrafen. Im Gegenteil, der Generalstaatsanwalt hat in einem schamlosen Akt der Verfolgung, Schikanierung und Kriminalisierung – der den institutionalisierten Rassismus innerhalb der Generalstaatsanwaltschaft beweist – die Staatsanwaltschaft für allgemeine Verbrechen (fiscalia contra delitos comunes) und die ATIC angewiesen, eine böswillige und voreingenommene strafrechtliche Untersuchung gegen Miriam Miranda, Generalkoordinatorin von OFRANEH, Luther Castillo, derzeitiger Minister für Wissenschaft und Technologie, und Edy Tábora, Anwalt von OFRNEH, einzuleiten.

Wir rufen die auf nationaler und internationaler Ebene engagierte Bevölkerung, Verbündete, solidarische Organisationen und Regierungen auf, die Forderung nach Gerechtigkeit und einem Ende der Kriminalisierung der Führungspersonen unserer Organisation aufrechtzuerhalten.

Wir stellen klar, dass der Staat für die Welle von Gewalt verantwortlich ist, die gegen die Anführer*innen unserer Gemeinden verübt wird. Es sind Mechanismen des Drucks und der Schikane mit dem Ziel, unsere Territorien zu entvölkern und zu enteignen, was zu einer massiven Migration der Garifuna geführt hat. Auf diese Weise wird unser Land denen, die im Drogengeschäft involviert sind, überlassen, die bereits heute alle unsere Gemeinden kontrollieren.

Wir verurteilen diese rassistischen Handlungen und bekräftigen unsere Forderung nach Gerechtigkeit für das gewaltsame Verschwindenlassen von Alberth Centeno Tomas, Suami Mejía García, Gerardo Róchez Cálix und Milton Martínez Álvarez. Wir fordern die Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft gegen Gewaltsames Verschwindenlassen sowie die sofortige Umsetzung die Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugunsten der Gemeinden Punta Piedra und Triunfo de la Cruz, deren angestammtes Territorium von Dritten unter dem Schutz (tutela) des honduranischen Staates widerrechtlich an sich gerissen wird.

 

Mit der Kraft unserer Vorfahr*innen Barauda und Satuye

#Stoppt die Kriminalisierung der Führungspersonen der Garífuna
#Lebend wurden sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück
#Ohne Territorium gibt es keine Identität und keine Garífuna
#Für Leben und Territorium, Gerechtigkeit und Wahrheit für die Garifuna

Gemeinsame Erklärung von: OFRANEH, SUNLA,  Red Nacional de Defensoras de Derechos Humanos an Honduras, Bufete Justicia para los Pueblos



Tegucigalpa, 24. August

Delegationsbericht 9

Die letzten Tage unserer Reise haben wir mit politischen Hintergrundgesprächen in der Hauptstadt verbracht. Nach unserer Zeit an der Küste, der Zeit in den dörflichen Gemeinden, fällt es uns schwer, uns durch Lawinen hupender Autos und von Dieselruß getränkte Luft zu bewegen. An diesem, allerletzten Tag führt unser Weg erneut ins Gewerkschaftshaus der STIBYS, wohin wir die Aktivist*innen aus den Garífuna-Gemeinden bereits vor zwei Wochen begleitet hatten und von wo aus am 9. August über 500 Menschen aus den indigenen Gemeinden zum Protest vor der Generalstaatsanwaltschaft (Ministerio Público) aufgebrochen waren. 
Dort wollten sie endlich Antworten vom Generalstaatsanwalt Oscar Chinchilla erhalten, Antworten über den Verbleib der vier Gemeindemitglieder aus Triunfo de la Cruz, die vor mehr als zwei Jahren gewaltsam Verschwindengelassen wurden, Antworten zu den Verantwortlichen des Verschwindenlassens, Antworten, wie die Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2015 bezüglich der Gemeinden Triunfo de la Cruz und Punta Piedra endlich umgesetzt werden sollen. Doch die Antwort aus dem Ministerio Público war eine sofortige Kriminalisierung der Garífuna und ihrer Alliierten. Am 17. August wurden auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Koordinatorin von OFRANEH, Miriam Miranda, gegen den Anwalt Edy Tábora und gegen den Wissenschaftsminister Luther Castillo aufgenommen, vorgeworfen wird ihnen die Störung der öffentlichen Ordnung und Freiheitsberaubung (https://amerika21.de/2022/08/259672/honduras-justiz-gegen-garifunaaktivisten).


Vor dem Obersten Gerichtshof

Dienstag, 23. August 2022

Roatán, 20. August

Delegationsbericht 8

Nach einer Nacht in La Ceiba begeben wir uns morgens an den Fährterminal auf die Insel Roatán. Etwas erschrocken erblicken wir die große Menschentraube vor dem Eingang. Es stellt sich heraus, dass am heutigen Freitag Morgen ungewöhnlich viele Tourist*innen auf die Insel unterwegs sind und deswegen zwei Fähren hintereinander eingesetzt werden. Etwas erschrocken sind wir auch über die Ticketpreise, die uns für hiesige Einkommen nahezu unerschwinglich erscheinen. Nach zwei Stunden Geschaukel auf der Fähre haben wir wieder festen Boden unter den Füßen und werden von Melissa Martínez aus der Gemeinde Punta Gorda empfangen. Unsere erste Station ist aber die Gemeinde Crawfish Rock, deren Vertreterinnen wir in den letzten Jahren schon auf dem Bildschirm in diversen Online-Konferenzen zu den honduranischen Privatstädten ZEDE kennengelernt haben. Das Dorf mit rund 600 Einwohner*innen grenzt unmittelbar an das Gebiet der ZEDE Próspera, von der die Menschen hier im Jahr 2020 erstmals erfahren haben. In den vergangenen Jahren haben wir aus der Gemeinde immer wieder Befürchtungen gehört, dass die Menschen enteignet werden könnten, damit ihre Grundstücke dem Gebiet von Próspera einverleibt werden können (https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/privates-paradies/). Bereits auf der Anfahrt bemerken wir einige Bauarbeiten für Próspera. Die steile Straße, die den Hafen an der Südküste mit unserem Ziel an der Nordküste verbindet, ist im Mittelteil frisch asphaltiert, der Rest ist weiterhin unbefestigt und buckelig. Ein Tor zur Rechten trägt das Logo von Próspera und ein Stück weiter lässt sich im Tal eine Großbaustelle erkennen.

Blick auf die Großbaustelle der ZEDE Próspera

Sonntag, 21. August 2022

Justiz in Honduras attackiert Garífuna-Aktivist:innen und Rechtsanwalt

 Von  amerika21

Miriam Miranda (am Mikrophon) vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft

Tegucigalpa. Eine friedliche Demonstration im Gebäude der honduranischen Generalstaatsanwaltschaft am 9.August, dem Internationalen Tag der indigenen Völker, hat schwerwiegende Folgen für Miriam Miranda, die Koordinatorin der afro-indigenen Organisation Ofraneh, und den Menschenrechtsanwalt Edy Tábora.

Etwa 300 in Ofraneh-Mitglieder aus Gemeinden an der Karibikküste sowie Unterstützer:innen aus anderen indigenen Gemeinden sowie von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen demonstrierten vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft um effektive Ermittlungen im Fall der im Juli 2020 in der Gemeinde Triunfo de la Cruz verschleppten vier jungen Garífuna zu fordern (a21 berichtete).

Ofraneh wirft den Behörden Untätigkeit, Ineffizienz und Komplizenschaft mit den Tätern vor und verlangt seit über einem Jahr vergeblich die Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft gegen gewaltsames Verschwindenlassen.

Weitere jahrelange Forderungen betreffen genau die Anliegen, die auch von den Opfern des gewaltsamen Verschwindenlassens vertreten wurden: Die vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits in einem Urteil von 2015 verlangte Rückgabe von Gemeindeland an die Garífuna. Auf deren angestammten Territorien machen sich Tourismusressorts, Palmölbarone, Viehzüchter, Villenbesitzer:innen und Drogenbosse breit, ohne dass der Staat bisher dagegen eingeschritten wäre.

Recuperación Wabato, 17. und 18. August

Delegationsbericht 7

Am Morgen, in aller Frühe, findet unser Abschied von Vallecito statt. Gegen sechs wartet der Fahrer auf uns, um uns nach Trujillo zu bringen. Wir sind gespannt, da uns einige interessante Projekte erwarten: das Wiederaneignungsprojekt Wabato, eine Herberge für Personen der LGBTI-Community und ein Zentrum für traditionelle Heilmethoden (casa de salud ancestral). Nach zweieinhalbstündiger Fahrt erreichen wir an der Stadtgrenze von Trujillo, nur wenige Schritte vom Strand entfernt, die recuperación Wabato. An einem großen Haus vorbei geht es in den Garten. Dort sehen wir gleich eine Küche und dahinter viel Grün. Hier werden wir von Mario Solórzano und seinen Mitstreiter*innen begrüßt. Mario ist hier der Koordinator und momentan Präsident des patronato von Trujillo. Bevor wir uns das Gelände genauer anschauen, stärken wir uns bei einem leckeren Kaffee, den wir bei unserem Aufbruch in aller Frühe nicht mehr trinken konnten. Und schnell wird uns klar, in Wabato befinden sich auch alle anderen Projekte, die wir heute kennenlernen wollen.


Mario Solórzano am Strand von Trujillo

Freitag, 19. August 2022

Kommuniqué - Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen in Honduras

Wenn das Einfordern von angestammten Rechten eine Straftat wird

An die Bevölkerung von Honduras

An die internationale Öffentlichkeit

Am 9. August, dem internationalen Tag der indigenen Völker, haben wir,  eine Delegation  mehrerer indigener Gemeinschaften und der Garífuna - zusammen mit Aktivist*innen anderer sozialer Bewegungen und aus anderen Ländern - uns in Tegucigalpa versammelt, um unsere gemeinsame Stimme zu erheben und Gerechtigkeit zu fordern.

Mit einer Aktion in der Generalstaatsanwaltschaft machten wir deutlich, dass wir es satt haben und ermüdet sind, dass ein Staat, der für das Wohlergehen und die Sicherheit der Bevölkerung sorgen sollte, sich gleichgültig zeigt und sogar in vielen Fällen unsere grundlegenden Rechte verletzt. Wir sind abhängig vom Justizsystem, jedoch ist es unser legitimes Recht als Bürger*innen dieses Landes für unsere Territorien und das Leben in unseren Gemeinden zu kämpfen. Aus diesem Grund sagen wir deutlich, dass wir friedliche Menschen sind, jedoch weiteren Missbrauch und Ungerechtigkeit nicht mehr hinnehmen werden.

Wir verurteilen, dass der stellvertretende Generalstaatsanwalt Sibrian Bueso im Namen der Generalstaatsanwaltschaft die Polizei aufforderte, uns aus dem Gebäude zu räumen und uns drohte, ein Strafverfahren gegen die anwesenden Personen einzuleiten. Wir fordern, dass die Todesfälle, das Verschwindenlassen und die Angriffe auf die indigenen Gemeinschaften in ihren Territorien genauso schnell untersucht werden, wie die anwesenden Führungspersonen kriminalisiert werden.

Am 17. August 2022 bestätigten die Staatsanwaltschaft für allgemeine Straftaten und die Ermittlungsbehörde ATIC, dass eine strafrechtliche Untersuchung gegen Miriam Miranda, Koordinatorin von OFRANEH; Luther Castillo, derzeitiger Minister für Wissenschaft und Technologie und den Anwalt unserer Organisation Edy Tábora eingeleitet worden ist. Es gibt auch Informationen, dass Ermittlungen gegen andere führende Persönlichkeiten, die an der Aktion teilgenommen haben, eingeleitet wurden - ein beschämender Akt der juristischen Verfolgung.

Wir möchten noch einmal klarstellen, dass die Generalstaatsanwaltschaft sich irrt, wenn sie glaubt, uns mit diesen Kriminalisierungsmaßnahmen einschüchtern zu können. Wir werden weiterhin für die Rückgabe unserer angestammten Rechte kämpfen. Wir fordern Ermittlungen zum Verbleib unserer Garífuna-Compañeros aus Triunfo de la Cruz. OFRANEH hat Mechanismen vorgeschlagen, aktiv an dieser Untersuchung teilzunehmen, zum einen durch das SUNLA-Komitee und zum anderen durch die Schaffung einer Sonderstaatsanwaltschaft für Fälle gewaltsamen Verschwindenlassens.

Mit der Kraft von Barauda und Satuye

Aura Buni, Amürü Nuni

18. August 2022, La Ceiba, Atlántida



Donnerstag, 18. August 2022

Punta Piedra, 18. August

Delegationsbericht 6

Heute holpern wir durch Palmölplantagen in Richtung Osten und gelangen nach etwa einer Stunde in den kleinen Küstenort Punta Piedra. Hier ist vieles anders als bei unseren bisherigen Besuchen. Wir machen keinen Spaziergang durch den Ort und erst recht nicht zu den von Dritten besetzten Landstücken, die der Garífuna-Gemeinde als traditionelles Gebiet zustehen. 2015 hat der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte den honduranischen Staat verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sie an die Gemeinde zurückgegeben werden. Auch Entschädigung für einen Mord soll es geben.

Palmöl-Monokultur

Vallecito, 15. August

Delegationsbericht 5

Heute brechen wir zu einem kleinen Wochenendausflug ans Meer auf. Die Ladefläche des Pick-Ups wird mit dem Motor fürs Boot und einer Menge Kinder beladen, auch in der Fahrerkabine sitzen wir dicht gedrängt, zwei Motorräder ergänzen die kleine Reisegruppe. Wir fahren durch zwei unscheinbare Betonpfosten hindurch. Diese markieren die Grenze des Gebiets, das 2012 von den Garífuna mit einem Camp wieder in Besitz genommen werden konnte. Dahinter liegt das Gebiet, das sich Drogenhändler angeeignet hatten. Hier stehen die Schule und ein großer, offener Versammlungsraum. Der Weg führt an einer ehemaligen Start- und Landebahn der Drogenhändler entlang, auf der nun junge Kokospalmen wachsen. Drei Krater mit einem Durchmesser von etwa fünf bis sechs Metern sind die Hinterlassenschaft einer Bombardierung dieser Piste durch die Regierung im Jahr 2014. Eigentlich war die Zerstörung im Sinne der Garífuna, nur wurden die im Camp Anwesenden an dem Tag von der Aktion der Regierung überrascht, niemand hatte sie zuvor informiert, wird uns berichtet. Schließlich erreichen wir die Lagune, die hinter dichter Vegetation versteckt liegt. Dort, wo das Boot von Vallecito liegt, wird gerade ein neues Haus gebaut. Dort wird bald eine Familie einziehen, die sich dem Fischfang widmen wird.


Überreste einer Eisenbahnbrücke
aus der Zeit der Bananengesellschaften

Mittwoch, 17. August 2022

Vallecito, 12. und 13. August

Delegationsbericht 4

Nach 13 Stunden Fahrt in klapprigen gelben Bussen und auf einem Pick-up erreichen wir Vallecito, das „gelobte Land“ der Garífuna. Faya heißt es in deren Sprache, ein Wort, das unsere Mitreisenden mit dem Terminus „navegantes“ verbinden, Seefahrer, die von überall her Reisen auf Lagunen und Meer unternehmen. Das passt gut, denn Faya ist eine Gemeinde mit noch wenigen ständigen Bewohner*innen – bisher leben nur 52 Personen das ganze Jahr über hier. Die meisten, die hier temporär mit anpacken, kommen aus verschiedenen Garífuna- und gelegentlich auch Miskito-Gemeinden entlang der honduranischen Atlantikküste. Wir fühlen uns an diesem Spätnachmittag nicht so ganz wie elegant übers Wasser herbeigleitende navegantes, eher wie ordentlich durchgeschüttelte naufragados, Schiffbrüchige, die nach dem Weg durch ein endloses Meer dunkelgrüner Ölpalmen, die Orientierung verloren haben und endlich auf einer lichten Insel landen. Als ein bewaffneter Soldat uns das Eisentor öffnet, tut sich eine andere Welt auf: Eingerahmt von dichtem Mischwald eine riesige freie Fläche, darauf hunderte Kokospalmen in den verschiedensten Größen, schließlich ein Feld mit Yucca-Pflanzen und die ersten Häuser: Gemeinschaftsküche mit Gemüsegarten, Lagerhaus mit Solarpanel auf dem Dach, eine Reihe Latrinen und die pila, das Wasserreservoir mit Schrubbbrettern zum Wäschewaschen. Wer nach Vallecito kommt, erhält alles Nötige von der Gemeinschaft. Es gibt hier keinen Laden, also auch kein Anschreiben von Schulden, keinen Alkoholverkauf, keine Softdrinks und schon gar keine fettigen Snacks in kleinen Plastiktüten, mit denen die Palmöl-Produzenten mächtig Umsatz machen. Solange mensch nicht nach draußen muss, spielt Geld in Faya keine allzu große Rolle. Die meisten, die hier herkommen, arbeiten unentgeltlich mit, Fachpersonal und einige wenige Arbeiter, die zum Beispiel helfen, die Flächen mit den Kokospflanzungen frei zu halten, werden von OFRANEH bezahlt.

 
'Herzlich Willkommen in Faya'


Einen der ganz großen Faya-Enthusiasten lernen wir gleich am nächsten Morgen kennen: Idner Gutierrez, Agraringenieur und Garifuna-Traditionalist aus dem Nachbardorf Punta Piedra zeigt uns die Anzucht von Gemüsepflanzen, die Produktion von biologischen Insektiziden und von Flüssigdünger in großen blauen Plastiktonnen und vor allem sein Spezialgebiet, den Yucca-Anbau. Auf einer großen Expertimentierfläche baut Idner mit Hilfe der Schulkinder, die hier praktischen Unterricht bekommen und von Helfer*innen, die Unmengen Beikräuter zu jäten haben, dreißig Sorten der nahrhaften Wurzeln an. Wir testen zuerst die bittere Variante, die wir wir wegen des hohen Zyanidgehaltes sofort wieder ausspucken. „Keinesfalls runterschlucken!“ warnt uns Idner. Diese Sorte dient ausschließlich der Produktion von Cassaba, einer Art Knäckebrot aus dem Mehl der Yucca-Wurzeln. Cassaba wird sehr aufwendig hergestellt und ist auch im hiesigen Klima mit etwa 32 Gras Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit lange haltbar. Als nächstes zieht Idner ein großes Knollenbündel der süßen Yucca-Variante aus dem Boden. „Die hier ist noch nicht ganz ausgereift“, sagt er stolz, „aber sie hat schon mehr als die vier Pfund Ertrag, die im Durchschnitt von einer Yucca-Pflanze erwartet werden.“ Im September werden die Knollen von 1.500 Pflanzen für die Cassaba-Herstellung geerntet werden. Idners Ehrgeiz ist, alte Sorten für die nachkommenden Generationen zu erhalten. Vielleicht entstehe durch Kreuzungen auch mal eine neue Sorte, die Yucca Faya. „Das wäre auch ein schönes Projekt für eine Doktorarbeit.“

Freitag, 12. August 2022

Lateinamerika: Neue Signale für mehr regionale Integration

 von David Keck

aus: Amerika 21v. 12.08.2022


Präsidentin Xiomara Castro (Honduras)
und Alberto Fernández (Argentinien)
sprachen in Bogotá über eine stärkere Rolle der Celac
Quelle: 
ALBERTO FERNÁNDEZ

Bogotá. Die Präsident:innen von Argentinien und Honduras wünschen sich eine stärkere Kooperation der lateinamerikanischen Staaten. Im Nachgang zur Amtseinführung von Gustavo Petro als neuer kolumbianischer Präsident am Wochenende in Bogotá diskutierten die Staatschefs gemeinsam mit zahlreichen weiteren Politiker:innen aus der Region bei diversen Treffen über die Möglichkeiten, die sich aus einer Integration ihrer Länder ergeben würden.

Noch ist eine genaue Stoßrichtung für einen möglichen Integrationsprozess nicht erkennbar. Jedoch wurde bei einem Treffen zwischen Argentiniens Präsident Alberto Fernández, und der honduranischen Präsidentin, Xiomara Castro, ersichtlich, dass beide der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Celac), dabei eine Schlüsselrolle zusprechen.

Mittwoch, 10. August 2022

Tegucigalpa, 8. und 9. August

Delegationsbericht 3

Ein von OFRANEH gecharterter Bus sammelt morgens früh Gemeindemitglieder aus San Juan und Triunfo ein, Trommeln und Kräuter zum Teekochen werden eingepackt und langsam quält sich der in die Jahre gekommene Bus die Berge hinauf in Richtung der Hauptstadt, mit mehreren Stopps, um den Motor wieder abkühlen zu lassen. Dort werden wir auf Gruppen aus anderen Garífuna-Gemeinden treffen, die sich zu einer großen Demonstration zum Tag der indigenen Bevölkerungen am 9. August versammeln. Erst im Dunklen erreichen wir, noch dazu im Regen, die Stadt und sind erleichtert, im Gewerkschaftshaus Stibys und nicht wie vorher angekündigt im Zeltlager unterzukommen. Der Saal ist bereits komplett in ein riesiges Matratzenlager verwandelt und es werden noch mehr Busse erwartet. Dankbar nehmen wir das Abendessen aus der Campküche entgegen und bald schon nehmen wir unsere Matratzen ein.

In aller Frühe geht das Licht an und „Buenos Días“ und „Buiti Binafi“ schallen durch den Raum. Alle gemeinsam räumen das Matratzenlager auf, dann beginnt der Tag mit einer Zeremonie der Garífuna. Gut 500 Personen sind aus den verschiedenen Gemeinden angereist, nicht nur aus den Garífuna-Gemeinden, sondern auch aus den indigenen Gemeinde der Tolupanes, der Pech und der Maya Chortí. Später auf der Demonstration werden noch bei COPINH organisierte Lenca dazustoßen. Zunächst staunen wir über die Organisation, die es schafft, so viele Menschen im Matratzenlager und in noch schnell vor der Tür errichteten Zelten unterzubringen und mit Abendessen und Frühstück zu versorgen.
 
    
Demonstrationszug
am Internationalen Tag der indigenen Völker


Die Demonstration an sich hat einen traurigen Anlass: Noch immer ist der Fall der vier gewaltsam Verschwindengelassenen aus Triunfo de la Cruz nicht aufgeklärt, über den Verbleib der von Bewaffneten in Polizeiuniformen entführten Männern ist nichts bekannt. Bisherige Forderungen an die Generalstaatsanwaltschaft blieben unbeantwortet. Weder fand eine umfassende Untersuchung statt, noch wurde das von den Garífuna gegründete Ermittlungskomitee SUNLA in die offiziellen Untersuchungen einbezogen. Auch die Forderung nach der Einrichtung einer Staatsanwaltschaft für Fälle von Gewaltsamen Verschwindenlassen ignorierte die Generalstaatsanwaltschaft bisher. Ebensowenig werden die Urteile des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs zu den Gemeinden Triunfo de la Cruz und Punta Piedra aus dem Jahr 2015 umgesetzt, laut denen den Garífuna-Gemeinden ihre angestammten Territorien zurückgegeben werden müssen. Das gewaltsame Verschwindenlassen der Garífuna aus Triunfo de la Cruz, unter ihnen der Präsident des Patronatos Sneider Centeno, stehen höchstwahrscheinlich in Zusammenhang mit deren Kampf für die Rückgabe der angestammten Territorien. In einer Erklärung bringt OFRANEH die bisherigen Forderungen erneut zum Ausdruck, mit der Demonstration zum Gebäude des Ministerio Público, der Generalstaatsanwaltschaft wollen die Garífuna endlich Antworten von der Behörde erhalten.


Wegen dunkler Wolken am Himmel wird die Demonstrationsroute abgekürzt und die Teilnehmenden versammeln sich nur zu einer Kundgebung vor dem Ministerio Público. Mit Trommeln besetzen sie die Stufen vor dem Gebäude und beginnen mit einer weithin hörbaren Zeremonie. Vor einem Jahr hätten sie dem Ministerio Público konkrete Forderungen unterbreitet und dieses hätte nicht einmal geantwortet, reklamiert Miriam Miranda, Koordinatorin von OFRANEH in ihrer Rede. 

Die Koordinatorin von OFRANEH Miriam Miranda
 bei der Auftaktkundgebung

Brief zur Unterstützung von OFRANEH an die honduranische Regierung (englisch/spanisch)

                                                                                                               



Letter to the Honduran Government in Support of OFRANEH and the Garifuna Communities

On the occasion of OFRANEH and Garifuna communities presentation of their demands in Tegucigalpa

August 8, 2022

We are writing in support of OFRANEH and the Garifuna communities in Honduras and their demands for justice and for the defense of their territory.  

Two years after the July 18, 2020 forced disappearance of 4 Garifuna defenders, Snider Centeno, Suami Mejía, Milton Martínez and Gerado Rochez from Triunfo de la Cruz, their disappearance remains in impunity with no serious investigation reported on by the authorities. 

Almost 8 years after the August 2015 Inter-American Human Rights Court (IAHR) ruling in favor of the communities of Triunfo de la Cruz and Punto Piedra, the measures ordered by the court to restore and protect Garifuna territory have still not been  implemented by the Honduran state.  

We understand that the violations in these cases were committed by the narco-coup regime and not the current administration,  but we note that the newly elected government of President Xiomara Castro has inherited the responsibilities for justice related to both cases and is now responsible for guaranteeing the rights of the Garifuna people going forward. President Castro’s election was the result of 12 years of the people’s resistance and it awakened hope for change in Honduras. Now is the time to act on these emblematic cases! 

We support the following demands of OFRANEH and the Garifuna communities:

Forderungen und Unterschriftenaktion


Dienstag, 9. August 2022

Pressemitteilung OFRANEH zum internationalen Tag der indigenen Völker

Tegucigalpa, 9. August 2022. Heute, am 9. August 2022, dem Internationalen Tag der indigenen Völker, sind mehr als zwei Jahre vergangen seit vier Garífuna aus der Gemeinde Triunfo de la Cruz gewaltsam verschwinden gelassen wurden, unter ihnen der Leiter dieser Gemeinschaft. Wieder einmal sind wir gezwungen, einen weiten Weg zurückzulegen, von Plaplaya im Departement Gracias a Dios im Osten bis nach Masca in Omoa im Westen, von Küste zu Küste, von Sonne zu Sonne. Wir kommen aus unseren Territorien, die von Dritten besetzt sind. Wir werden von Palmöl-Unternehmen vertrieben, von Tourismuszentren und durch die umstrittene Ausbeutung unserer Naturgüter. In unseren angestammten Territorien haben sich Drogenlabore festgesetzt, Strandhäuser der Mächtigen dieses Landes. Dies geschieht just dort, wo so genannte Schutzgebiete eingerichtet worden sind, zu denen wir nicht konsultiert wurden. Sie wurden stattdessen an Stiftungen übergeben, die unsere Territorien dem Tourismus und den Realityshows übereignen. Wir kommen heute aus den Gemeinden, in denen wir nur Kerzenlicht haben, Gemeinden, die die meiste Zeit des Jahres vom Straßennetz abgeschnitten sind. Wir kommen aus Territorien, aus denen Tausende von Garífuna in den Norden vertrieben wurden, aus den Gemeinschaften, in denen das Wissen unserer Vorfahren uns entwunden wurde und unsere Wurzeln zur Folklore verkommen sind. Wir kommen aus Gebieten, um die die organisierte Kriminalität sich streitet, in denen unsere Compañeros und Compañeras verfolgt, kriminalisiert, verurteilt, inhaftiert, ermordet und gewaltsam verschwinden gelassen werden.

Aber wir kommen gleichzeitig aus eben diesen Territorien, in denen wir kämpfen und Leben aufbauen, für Würde und Wohlergehen sorgen, mit dem langen Atem derer, die uns in unserer rebellischen Geschichte vorausgegangen sind.

Montag, 8. August 2022

Tornabe, 8. August

Delegationsbericht 2

Dritter Tag. Wir stapfen zwischen Plastikmüll und einigen Holzstücken am weißen Sandstrand der Gemeinde Tornabe entlang. Der Name Tornabe soll aus den Zeiten der Invasion in der Gegend durch das US-Bananenunternehmen Tela Railroad Company stammen und von Turn About, den Scheitelpunkt der Bucht von Tela abgeleitet sein, erzählt uns später der Präsident der indigenen Vertretung, des Patronato von Tornabe. 

Jetzt zeigen sich hier erst mal die Zeichen einer neueren Invasion: Links taucht ein verfallenes Wachhäuschen des Immobilien- und Tourismuskomplexes Indura Ressort auf, in der Ferne quert ein großer Anlegesteg den Strand und ragt weit in die gerade sanften blauen Wellen der Karibik. Wir sind mit Vertretern der Garífuna-Organisation OFRANEH und lokalen Mitgliedern des Landverteidigungskomitees und des Patronato unterwegs.

Wir gehen an einem Schild „Betreten Verboten. Privatgelände“ vorbei. Aus der Entfernung sehen wir angestammtes Gebiet der Garífuna, das eigentlich gar nicht verkauft hätte werden dürfen.
Einige frühere Gemeindeanführer*innen vertrauten dem Staat, der über das Tourismusministerium knapp die Hälfte der Anteile an dieser Private Public Partnership hält. Sie hofften auf tausende neuer Arbeitsplätze. Die kamen nicht, dafür ist das Gelände zur No-go-Area für die Garífuna geworden. 

'Propiedad Privada';
©HondurasDelegation


Indura Beach
©HondurasDelegation










San Juan Tela und Triunfo de la Cruz, 5. und 6. August

Delegationsbericht 1


Nach einer rund 24stündigen Reise landen wir auf dem Flughafen von San Pedro Sula im Norden von Honduras und werden von einem Abgesandten von OFRANEH in Empfang genommen, der uns an die erste Station unserer Reise, die Bucht von Tela bringt. Dort liegen, westlich und östlich der Stadt Tela verschiedene Garífuna-Gemeinden, Triunfo de la Cruz, San Juan, Tornabé und Barra Vieja.

In San Juan werden wir bereits erwartet und direkt, noch bevor wir unsere Rucksäcke ausladen können, zur Begleitung einer kleinen Protestaktion eingeladen. Etwas müde aber gespannt fahren wir an den Ort des Protests. Hier erwarten uns einige Gemeindemitglieder, die Jüngste von ihnen ist sieben, der Älteste 72 Jahre. Es geht um einen Neubau auf dem angestammten Land der Garífuna-Gemeinde. Um darauf aufmerksam zu machen, wurde vor dem Haus ein Autoreifen in Brand gesetzt. Schnell machen wir unsere Aufnahmegerät und Kameras bereit und begeben uns mit der Gruppe von Protestierenden auf einen Rundgang. Denn der Ort des Protests ist bei weitem nicht das einzige Neubauprojekt auf den Territorien der Garífuna-Gemeinde.



                                            © HondurasDelegation

                                            © HondurasDelegation

Sonntag, 7. August 2022

Delegationsreise an die Nordküste von Honduras auf Einladung von OFRANEH


„Der Reichtum der Garífuna ist das Land, das Meer, das Wasser. Wir haben nie irgendwelche Unternehmen gebraucht, um uns selbst zu erhalten.“ (Aurelia Arzú)

Delegationsreise an die Nordküste von Honduras auf Einladung von OFRANEH


Berichterstattung ist ein wichtiger
Bestandteil jeder unserer Delegaionsreisen


Jetzt werden wir an dieser Stelle „Buiti binafi“ (Buenos días, guten Tag) sagen, denn im August reist eine kleine Gruppe von Menschenrechtsbeobachter*innen und Journalist*innen an die Atlantikküste des zentralamerikanischen Landes. Drei Wochen lang dürfen wir dort bei der afro-indigenen Organisation OFRANEH (Organización Fraternal Negra de Honduras) in verschiedenen Garífuna-Gemeinden verbringen.