Delegationsbericht 9
Die letzten Tage unserer Reise haben wir mit politischen Hintergrundgesprächen in der Hauptstadt verbracht. Nach unserer Zeit an der Küste, der Zeit in den dörflichen Gemeinden, fällt es uns schwer, uns durch Lawinen hupender Autos und von Dieselruß getränkte Luft zu bewegen. An diesem, allerletzten Tag führt unser Weg erneut ins Gewerkschaftshaus der STIBYS, wohin wir die Aktivist*innen aus den Garífuna-Gemeinden bereits vor zwei Wochen begleitet hatten und von wo aus am 9. August über 500 Menschen aus den indigenen Gemeinden zum Protest vor der Generalstaatsanwaltschaft (Ministerio Público) aufgebrochen waren.Dort wollten sie endlich Antworten vom Generalstaatsanwalt Oscar Chinchilla erhalten, Antworten über den Verbleib der vier Gemeindemitglieder aus Triunfo de la Cruz, die vor mehr als zwei Jahren gewaltsam Verschwindengelassen wurden, Antworten zu den Verantwortlichen des Verschwindenlassens, Antworten, wie die Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2015 bezüglich der Gemeinden Triunfo de la Cruz und Punta Piedra endlich umgesetzt werden sollen. Doch die Antwort aus dem Ministerio Público war eine sofortige Kriminalisierung der Garífuna und ihrer Alliierten. Am 17. August wurden auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Koordinatorin von OFRANEH, Miriam Miranda, gegen den Anwalt Edy Tábora und gegen den Wissenschaftsminister Luther Castillo aufgenommen, vorgeworfen wird ihnen die Störung der öffentlichen Ordnung und Freiheitsberaubung (https://amerika21.de/2022/08/259672/honduras-justiz-gegen-garifunaaktivisten).
Heute morgen begegnen wir vielen der Aktiven von OFRANEH wieder, die wir unterwegs in den Gemeinden kennengelernt haben und trotz des ernsten Anlasses freuen wir uns, uns noch einmal in die Arme schließen zu können. Auch Vertreter*innen der anderen indigenen Gruppen sind erneut angereist. Vom STIBYS setzt sich eine Demonstration in Richtung des Obersten Gerichtshofs in Bewegung. Die Tore des Gerichts finden die Demonstrierenden vorsorglich verschlossen, das Gebäude von Polizei bewacht.
Wie bei fast allen politischen Aktionen sind die Garífuna mit Trommeln, Maracas und Weihrauch bewaffnet und halten zum Auftakt der Kundgebung eine Zeremonie ab. Eine Delegation wird schließlich ins Gerichtsgebäude vorgelassen, wo sie einen „recurso de amparo“ gegen den Generalstaatsanwalt Oscar Chinchilla und seinen Stellvertreter Daniel Arturo Sibrián Bueso präsentieren. Ein „recurso de amparo“ ist ein Rechtsmittel, das sich auf die Verletzung von Grundrechten bezieht. OFRANEH wirft der Staatsanwaltschaft darin die Unterlassung von Ermittlungen im Fall des gewaltsamen Verschwindenlassens der vier Männer aus Triunfo de la Cruz vor.
Nach kurzer Zeit verlässt die Delegation wieder das Gerichtsgebäude und nach einer Abschlusszeremonie laufen alle gemeinsam zurück zum Gewerkschaftshaus. Wir müssen uns an dieser Stelle verabschieden, um unseren Bus nach San Pedro Sula zu erwischen. Wie der Oberste Gerichtshof mit dem recurso de amparo umgehen wird, werden wir nun wieder von Deutschland aus, aber deswegen nicht weniger aufmerksam verfolgen.