Dienstag, 9. August 2022

Pressemitteilung OFRANEH zum internationalen Tag der indigenen Völker

Tegucigalpa, 9. August 2022. Heute, am 9. August 2022, dem Internationalen Tag der indigenen Völker, sind mehr als zwei Jahre vergangen seit vier Garífuna aus der Gemeinde Triunfo de la Cruz gewaltsam verschwinden gelassen wurden, unter ihnen der Leiter dieser Gemeinschaft. Wieder einmal sind wir gezwungen, einen weiten Weg zurückzulegen, von Plaplaya im Departement Gracias a Dios im Osten bis nach Masca in Omoa im Westen, von Küste zu Küste, von Sonne zu Sonne. Wir kommen aus unseren Territorien, die von Dritten besetzt sind. Wir werden von Palmöl-Unternehmen vertrieben, von Tourismuszentren und durch die umstrittene Ausbeutung unserer Naturgüter. In unseren angestammten Territorien haben sich Drogenlabore festgesetzt, Strandhäuser der Mächtigen dieses Landes. Dies geschieht just dort, wo so genannte Schutzgebiete eingerichtet worden sind, zu denen wir nicht konsultiert wurden. Sie wurden stattdessen an Stiftungen übergeben, die unsere Territorien dem Tourismus und den Realityshows übereignen. Wir kommen heute aus den Gemeinden, in denen wir nur Kerzenlicht haben, Gemeinden, die die meiste Zeit des Jahres vom Straßennetz abgeschnitten sind. Wir kommen aus Territorien, aus denen Tausende von Garífuna in den Norden vertrieben wurden, aus den Gemeinschaften, in denen das Wissen unserer Vorfahren uns entwunden wurde und unsere Wurzeln zur Folklore verkommen sind. Wir kommen aus Gebieten, um die die organisierte Kriminalität sich streitet, in denen unsere Compañeros und Compañeras verfolgt, kriminalisiert, verurteilt, inhaftiert, ermordet und gewaltsam verschwinden gelassen werden.

Aber wir kommen gleichzeitig aus eben diesen Territorien, in denen wir kämpfen und Leben aufbauen, für Würde und Wohlergehen sorgen, mit dem langen Atem derer, die uns in unserer rebellischen Geschichte vorausgegangen sind.
 

Wir sind heute hier, um über die Schlaglöcher im Asphalt der Hauptstadt zu laufen. Wir setzen unseren Demonstrationszug in Bewegung und senden einen Alarmruf an die landesweite und die internationale Gemeinschaft, die schwierige und dringliche Lage der GARIFUNA wahrzunehmen und sich ebenfalls in Bewegung zu setzen:


Wir heben folgende Punkte hervor:

1. Wir leben in einer zutiefst rassistischen Gesellschaft. Sie gründet sich auf einen neoliberalen Multikulturalismus, der indigene und Schwarze Menschen gering schätzt. Dieses System positioniert uns, durchaus raffiniert, in der Matrix der Unterdrückung, die uns unsere eigene „Unterlegenheit“ verinnerlichen lässt. Es handelt sich um eine klassistische, patriarchalische, lebensverachtende Gesellschaft, die sich auf ihren Überlegenheitskomplex stützt. Eine vermeintliche Überlegenheit, die sich in Privilegien für die Weißen und Verachtung für die Nicht-Weißen niederschlägt.

2. Die Territorien der Garifuna-Gemeinschaften sind von Politiker*innen, Unternehmer*innen und kriminellen Gruppen besetzt. Gemeinsam widmen sich diese der Kapitalakkumulation und Geldwäsche. Sie haben diese Gemeinden nicht nur zu einem Drogenumschlagplatz gemacht, sondern auch zu geschützten Zonen für die Aussaat und Produktion dieser Drogen.

Ohne Territorium gibt es keine Ernährungssicherheit und keine Kultur
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3. Am 8. Oktober 2015 hat der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IACtHR) Urteile zu Gunsten der Garífuna-Gemeinden von Triunfo de la Cruz in der Bucht von Tela und Punta Piedra im Departement Colón gefällt. Es betrifft die Verletzung des Rechts auf kollektiven Landbesitz des angestammten Territoriums und das Recht auf freie, vorherige und informierte Konsultation. Sieben Jahre sind vergangen und der Staat weigert sich, die Urteile umzusetzen. Im Gegenteil, Gewalt und Feindseligkeit haben in den Garífuna-Territorien zugenommen.

4. Aufgrund dieser mangelnden Bereitschaft, die Urteile umzusetzen, ist der Staat für die Welle der Gewalt verantwortlich, die sich gegen die Anführer*innen unserer Gemeinschaften richtet. Dieser Mechanismus des Drucks und der Bedrohung soll unsere Territorien enteignen und leeren. Das hat zu massiven Migrationswellen der Garífuna geführt und dient dem Ziel, unser Land den Drogen-Unternehmer*innen zu überlassen, die heute unsere Gemeinschaften kontrollieren und in Besitz genommen haben.

5. Wir haben das Garífuna-Komitee für die Ermittlung und Suche nach den gewaltsam Verschwundenen von Triunfo de la Cruz (in Garífuna SUNLA) mit dem Mandat gegründet, das gewaltsame Verschwinden der vier Garífuna aus der Gemeinde Triunfo de la Cruz zu untersuchen, um ihren Verbleib zu ermitteln, Gerechtigkeit zu erlangen und die Verantwortlichen zu identifizieren.

6. Wir haben uns sowohl an die Staatsanwaltschaft, als auch an die Generalstaatsanwaltschaft der Republik gewandt; ihre Antworten beruhen weiterhin auf denselben historischen rassistischen Argumenten und der Missachtung der angestammten Rechte auf Autonomie und Selbstbestimmung der Garífuna.


Aufgrund der obigen Ausführungen FORDERN WIR:


1. Die Konzeption und Umsetzung von Maßnahmen und Plänen zur Suche nach den gewaltsam verschwundenen Personen aus Triunfo de la Cruz, auf der Grundlage der UN-Leitprinzipien für die Suche nach verschwundenen Personen. Maßnahmen, die die Würde der Vermissten achten, die kulturellen Eigenheiten respektieren, ihre extreme Verletzlichkeit berücksichtigen und, wie in Grundsatz 1 festgelegt, die Suche nach vermissten Personen unter der Vermutung des LEBENS durchgeführt werden. Diese Suche sollte so lange fortgesetzt werden, bis das Schicksal und/oder der Verbleib der gewaltsam Verschwundenen mit Sicherheit geklärt ist.

2. Die Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft für das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen, um den Fall der gewaltsam Verschwundenen aus Triunfo de la Cruz, und den anderen, die täglich in Honduras gewaltsam verschwinden gelassen werden, zu untersuchen; eine Sonderstaatsanwaltschaft, die den Anforderungen der Sorgfaltspflichten für alle Phasen der Suche und der Ermittlungsverfahren genügt (und eine offizielle, umfassende und sofortige Untersuchung beinhaltet); die den Anforderungen an Unabhängigkeit, fachliche Kompetenz und Unparteilichkeit der beteiligten Institutionen und des Fachpersonals gerecht wird sowie die umfassende Beteiligung der Vertreter*innen und Angehörigen der Betroffenen der gewaltsamen Verschwundenen garantiert.

3. An die Staatsanwaltschaft: Die Einbindung des Garífuna-Komitees für die Ermittlung und Suche nach den Verschwundenen von Triunfo de la Cruz (in Garifuna SUNLA) als unabhängige Instanz in die Ermittlungen und Suche nach den vermissten Garífuna, auf der Grundlage der Grundsätze des Gewohnheitsrechts und der UN-Leitprinzipien für die Suche nach gewaltsam Verschwundenen.

5. die Exekutivvereinbarung 01-2016 aufzuheben, mit der die Interinstitutionelle Kommission für die Einhaltung der internationalen Urteile (CICSI) geschaffen wurde, die ihre Funktion nicht erfüllt. Ihr Ziel wäre es gewesen, Hindernisse zu beseitigen und wirksame Kriterien und Maßnahmen einzuführen, um die Urteile, Empfehlungen und internationalen Verpflichtungen einzuhalten.

Der Staat sollte stattdessen eine echte interinstitutionelle Kommission einrichten, um die Einhaltung der Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofs zu den Gemeinden von Triunfo de la Cruz und Punta Piedra zu garantieren. Diese sollte aus hochrangigen Beamt*innen mit Entscheidungsbefugnis der drei Staatsgewalten bestehen und sich wie folgt zusammensetzen:

- ein*e Vertreter*in des Ministerrats

- ein*e Vertreter*in des Obersten Gerichtshofs (Ein*e Richter*in)

- ein*e Vertreter*in des Nationalkongresses (Ein*e Abgeordnete*r)

- ein*e Vertreter*in der Staatsanwaltschaft (mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft für ethnische Gruppen)

- die Generalstaatsanwaltschaft

6. Wir rufen die Garífuna, die sich auf nationaler und internationaler Ebene mobilisiert haben, ihre Alliierten, solidarische Organisationen und Regierungen auf, die Forderung nach einem lebendigen Erscheinen der gewaltsam verschwindengelassenen Garífuna aus Triunfo de la Cruz aufrechtzuerhalten, sowie die Forderung, dass die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden und dass die Gewalt gegen und die Morde an den Verteidiger*innen der Territorien und des Lebens der Garífuna aufhören.

7. Wir sind nicht hier, um Geld zu verlangen, sondern um die Rückgabe unseres angestammten Territoriums zu fordern, die Respektierung unserer angestammten territorialen Rechte, die Achtung unserer Identität und unserer Autonomie, um uns den Frieden und die Sicherheit zurückzugeben, die in unseren Gemeinschaften geherrscht haben.

Wir sind dankbar für die Unterstützung des Nationalen Netzwerks der Menschenrechtsverteidigerinnen in Honduras, der Nationalen Koordination der indigenen Frauen CONAMINH, der Versammlung der kämpfenden Frauen von Honduras und aller Personen und Organisationen, die den Kampf der Garífuna zu ihrer Angelegenheit machen.

Tegucigalpa, Francisco Morazán, am 9. August 2022

#Für Leben und Territorium, Gerechtigkeit und Wahrheit für die Garifuna

#Ohne Territorium gibt es keine Identität und keine Garífuna

#Zwangsumsiedlung zerstört unsere Wurzeln

#Lebendig wurden sie genommen, lebendig wollen wir sie wiederhaben