Delegationsbericht 7
Am Morgen, in aller Frühe, findet unser Abschied von Vallecito statt. Gegen sechs wartet der Fahrer auf uns, um uns nach Trujillo zu bringen. Wir sind gespannt, da uns einige interessante Projekte erwarten: das Wiederaneignungsprojekt Wabato, eine Herberge für Personen der LGBTI-Community und ein Zentrum für traditionelle Heilmethoden (casa de salud ancestral). Nach zweieinhalbstündiger Fahrt erreichen wir an der Stadtgrenze von Trujillo, nur wenige Schritte vom Strand entfernt, die recuperación Wabato. An einem großen Haus vorbei geht es in den Garten. Dort sehen wir gleich eine Küche und dahinter viel Grün. Hier werden wir von Mario Solórzano und seinen Mitstreiter*innen begrüßt. Mario ist hier der Koordinator und momentan Präsident des patronato von Trujillo. Bevor wir uns das Gelände genauer anschauen, stärken wir uns bei einem leckeren Kaffee, den wir bei unserem Aufbruch in aller Frühe nicht mehr trinken konnten. Und schnell wird uns klar, in Wabato befinden sich auch alle anderen Projekte, die wir heute kennenlernen wollen.
Mario Solórzano am Strand von Trujillo |
Die Leute von Wabato erzählen, dass der Ort seit 2019 von einer Gruppe von mehreren Dutzend Garífuna wieder in Besitz genommen wurde, basierend auf einem Landtitel von 1901, den der damalige Präsident Manuel Bonilla den Garífuna an der Bucht von Trujillo ausgestellt hatte. 2019 galten als die offiziellen Besitzer*innen des Grundstücks Leute aus dem Ausland, vermutlich aus Nordamerika, wie auf unzähligen anderen Grundstücken in dieser Gegend. Die Aktiven gaben ihnen Zeit, zu beweisen, dass sie die rechtmäßigen Besitzer*innen sind. Als dies ausblieb „sind wir mit unseren Trommeln und maracas gekommen, mit der Kraft unserer Ahn*innen und haben das Gebiet wieder in Besitz genommen,“ erzählt uns Mario. Am Anfang kam immer wieder die Polizei, um die Wiederaneignung zu stoppen. Inzwischen ist es ruhiger. Mario musste für diesen friedlichen Akt der Wiederaneignung aber einen hohen Preis zahlen. Gemeinsam mit seiner Schwester wurde er im März 2021 festgenommen und saß gemeinsam mit ihr mehrere Tage im Gefängnis. Vorgeworfen wurde ihnen u.a. Land-Usurpation. Bis heute muss er sich alle 15 Tage bei der lokalen Polizeistelle melden und darf Wabato nicht betreten. Er lässt sich aber nicht davon abhalten, sich für den Aufbau des Projekts zu engagieren.
Ein Teil des Landes wurde parzelliert, um jungen Menschen, Personen der LGBTI-Community und alleinerziehenden Frauen ein Stück Land zur Verfügung zu stellen, um dort ein kleines Feld zu bestellen. Auf einem anderen Teil wird für die Gemeinschaft produziert, gerade werden Kokospalmen aus Vallecito herangezogen und bald soll hier auch Mais wachsen. Einige Elemente des Zusammenlebens sind von Vallecito inspiriert, wie die Gemeinschaftsküche, wo im traditionellen Holzofen für alle Essen gekocht wird. Bei unserem Besuch werden wir mit leckerem Fisch und allerlei Gemüse verköstigt. Auch fällt auf, dass es hier wenig Müll gibt. Die Leute von Wabato versuchen, so wenig Plastikmüll wie möglich zu produzieren.
In Wabato werden Lebensmittel wie Bananen angebaut
Doch in Wabato gibt es noch einiges mehr. Hinter den Parzellen sehen wir drei Häuser, die in der traditionellen Bauweise der Garifuna gebaut wurden. Hier wird bald das casa de salud ancestral eröffnet. Bis dahin werden Hausbesuche gemacht und direkt vor Ort der traditionelle Tee verteilt sowie Blutzucker und Bluthochdruck gemessen. Diabetes und Bluthochdruck sind sehr verbreitete Krankheiten in den Garífuna-Gemeinden. Um die Häuser wachsen schon einige Sträucher mit heilender Wirkung. Tita, die hier die Expertin der Heilpflanzen ist, macht eine kleine Führung durch das Gelände und lässt uns an verschiedenen duftenden Kräutern riechen und erklärt uns die Wirkung der unterschiedlichen Pflanzen.
casas de salud ancestral in der recuperación Wabato |
Eine weitere Besonderheit ist hier der Fokus auf die LGBTI-Community. Einige von denen, die das Projekt maßgeblich stemmen, gehören der Community an. In dem Haus, das bereits vor der Rückgewinnung auf dem Gelände stand, ist ein Zimmer für Angehörige der Community vorgesehen, die sich in komplizierten Lebenslagen befinden. Entstanden ist diese Idee bereits 2016, doch während der Pandemie, als viele aus der Community ohne jegliche Unterstützung dastanden, wurde die Notwendigkeit für einen solchen Ort nochmal deutlicher. Auch in La Ceiba und San Pedro Sula wurden Herbergen eröffnet. Zu den schlimmsten Zeiten der Pandemie waren zehn bis 15 Personen in jeder Herberge, heute sind es weniger.
Auch Cinia ist Teil von Wabato, eine junge indigene Pech, die schon seit acht Monaten hier ist. Sie wurde durch Treffen, die von OFRANEH organisiert wurden, darauf aufmerksam, dass es eine Gruppe von LGBT-Aktivist*innen innerhalb der Organisation gibt und hat sich ihnen angeschlossen. Neben ihr sitzt ein noch jüngerer Freund, der gerade in einer persönlichen Orientierungsphase ist und den sie eingeladen hat, Wabato und die compas dort kennenzulernen. „Wo wir herkommen, gibt es viele mit einer anderen sexuellen Orientierung,“ erzählt uns Cinia, „aber viele trauen sich nicht, dazu zu stehen, weil sie Angst davor haben, was die Leute sagen und dass sie diskriminiert werden.“ Wir sind beeindruckt von dem Mut der jungen Leute und von dem Ansatz, dass in Wabato explizit auch Menschen anderer indigener Gemeinschaften eingeladen sind, mitzumachen.
Wabatos Grenze liegt nur wenige Meter vom Strand entfernt. Davor schiebt sich eine Reihe von Privatgrundstücke mit exklusivem Meerblick. Zumindest ein schmaler Weg zwischen zwei der Grundstücke bietet noch einen Strandzugang für die Garífuna. In manchen Gebieten der Bucht von Trujillo ist noch nicht einmal mehr das geblieben. Mit einigen compas gehen wir an den Strand, um uns in der Mittagshitze etwas abzukühlen. Am Strand finden wir viele leckere Meertrauben, deren Gehölze gleichzeitig die Erosion der Küsten aufhalten. Trotzdem ist der Küstenstreifen sehr schmal, viel bleibt nicht mehr vom Strand übrig. Auch hier zeigt der Klimawandel seine Wirkung.
Die Garífuna sagen dem Meer heilende Wirkung nach. Bereits in Vallecito haben wir gelernt: „Hast du eine Erkältung, dann musst du ans Meer.“ Glücklicherweise ist keine*r von uns krank und wird es dank des Meeres auch hoffentlich so schnell nicht werden.