Samstag, 20. Oktober 2018

Die Wahrheit verschleiern und verschleppen

PROZESSAUFTAKT IM FALL BERTA CÁCERES BIRGT WENIG HOFFNUNG

in Lateinamerika Nachrichten (533 // November 2018)

Gegen acht Beschuldigte begann Mitte September in Tegucigalpa der Prozess im Fall der am 2. März 2016 ermordeten Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Berta Cáceres. Der Prozess wird unter anderem von 17 honduranischen und internationalen Rechtsexpert*innen beobachtet, die auf ein ordnungsgemäßes Verfahren achten. Trotzdem lässt sich bisher an einem Interesse der Ermittlungsbehörden an der juristischen Aufarbeitung des Mordes und einer Aufdeckung der dahinter liegenden kriminellen Strukturen zweifeln.

Bereits wenige Minuten nach Beginn des Prozesses am 17. September gab es die erste Unterbrechung. So reichten die Anwält*innen der Nebenklage, der Familie von Cáceres, einen Antrag wegen Befangenheit der Richter*innen ein, woraufhin die Anhörung zunächst suspendiert wurde. Laut Rodil Vásquez, Anwalt der Nebenklage, begründete sich der Antrag auf „Amtsmissbrauch durch Verschleierung, Verzögerung der Justiz, Nichteinhaltung der Pflichten der Beamten und Nichtbefolgung von Anweisungen durch die Staatsanwaltschaft." Man habe seit zweieinhalb Jahren wiederholt die vollständige Einsicht in Ermittlungsakten gefordert. Dem sei nicht nachgekommen worden, so Vásquez weiter. Einen weiteren Grund für eine Voreingenommenheit des Gerichtes sah Victor Fernández, ebenfalls Anwalt der Nebenklage, zunächst in der Nichtanerkennung des Zivilen Rats der Basis- und indigenen Organisationen (COPINH) als Opfer und somit Nebenkläger.

Gerechtigkeit für Berta! Das Bild von Cáceres ist auf jeder COPINH-Demo präsent // Foto Giorgio Trucchi
Berta Cáceres, die im Jahr 2015 den renommierten Goldman-Umweltpreis erhielt, koordinierte COPINH. Zusammen mit den indigenen Lenca-Gemeinden widersetzte sie sich seit 2010 dem Bau des Wasserkraftprojektes Agua Zarca. Aus diesem Kontext heraus ist das Beharren auf Anerkennung des Rats als Opfer zu verstehen, denn sowohl Cáceres als auch die Mitglieder des COPINH wurden permanent diffamiert und attackiert. Mindestens drei weitere Morde wurden an Aktivisten der Organisation verübt (siehe LN 502). Über die Forderung, COPINH als Opfer  anzuerkennen, wird nun ein Berufungsgericht entscheiden.


 

Die Zeit scheint für die Nebenklage, Opfer und Angehörige davon zu laufen.

Eine Neubesetzung des Gerichtes hingegen wurde vom Berufungsgericht für Strafsachen am 25. September negativ beschieden. Insgesamt waren fünf Rechtsmittel präsentiert worden. Davon wurden die beantragte Live-Übertragung und der Mitschnitt der Verhandlungen abgewiesen. Ein weiterer Antrag der Nebenklage bezieht sich auf die Forderung, Mitglieder der Familie Atala Zablah als Zeug*innen zu laden. Laut vorläufigem Bericht der Rechtsexpert*innen im Fall Berta Cáceres äußerte sich das Gericht dazu, „dass keine Zeugen geladen würden, da das Gericht nicht über genügend Personal verfüge, und nahegelegt wurde, diese Aufgabe selbst zu erledigen.“ COPINH und die Familie von Cáceres kritisieren, dass gegen die Auftraggeber*innen des Mordes scheinbar nicht ermittelt wird. Die unabhängige internationale Expertengruppe GAIPE stellte in ihrem Abschlussbericht im November 2017 fest, dass der Mord an Cáceres in Koordination mit den Angestellten und Besitzer*innen der Firma Desarrollo Energético S.A. (Desa) sowie Militärangehörigen und Auftragsmördern ausgeführt wurde. Die Angehörigen der einflussreichen Familie Atala Zablah sind Eigentümer*innen von Desa und der mitfinanzierenden honduranischen Bank FICOHSA.

Die Ermittlungen im Mordfall sind durch gravierende Unregelmäßigkeiten geprägt. Dazu gehören unter anderem die Manipulation von Beweismittel durch Polizisten und der Diebstahl von Rechtsakten. In der Nacht des Mordes an Cáceres war ebenfalls auf den mexikanischen Umweltaktivisten Gustavo Castro geschossen worden, der sich im Haus aufhielt und verletzt überlebte. Edy Tabora, Anwalt von Castro, sagte gegenüber den Lateinamerika Nachrichten, dass es bis zum heutigen Tag zu keiner Gegenüberstellung mit einem der Beschuldigten gekommen ist, obwohl diese bereits im Februar 2017 beantragt worden war.

Die an extraktivistischen Projekten interessierte Unternehmerschaft betreibt eine Schmutzkampagne.

Unter den acht Festgenommenen befinden sich neben den fünf mutmaßlichen Auftragsmördern auch Mariano Díaz, zum Tatzeitpunkt Major der honduranischen Streitkräfte; Sergio Rodriguez, Ingenieur für Umwelt und Soziales von Desa, und der ehemalige Desa-Sicherheitschef Douglas Bustillo. Díaz und Bustillo sind nachweislich an der School of the Americas, der US-Akademie für lateinamerikanische Militärs, ausgebildet worden. Ein neunter Inhaftierter, der ehemalige Präsident und Geschäftsführer von Desa, David Castillo, wartet auf sein gesondertes Gerichtsverfahren, mit dessen Beginn im Jahr 2020 gerechnet wird. Seine Karriere als Absolvent der US-Militärakademie West Point und ehemaliger Offizier des Militärgeheimdienstes mit besten Verbindungen zu Politik und dem Energiesektor in Honduras wirft seine Schatten voraus.

Koordiniert jetzt COPINH Bertha Zúniga Cáceres, Tochter von Berta Cáceres // Foto: Giorgio Trucchi
Die Rechtsmittel der Nebenklage sind unabdingbar, um die Rechtsstaatlichkeit und den Respekt vor den Opfern einzufordern. Es wird darauf gehofft, dass das Gericht in Zukunft unparteiischer agiert und einen rechtsstaatlichen Prozess für die Angeklagten ebenso wie für die Nebenkläger*innen gewährleistet. „Wir wollen auf keinen Fall, dass die Angeklagten in einem zweifelhaften, von Unregelmäßigkeiten geprägten Verfahren verurteilt werden, denn das öffnet einer späteren Annullierung wegen Verfahrensfehlern Tür und Tor”, betont Bertha Zúniga, Tochter von Cáceres und aktuelle COPINH-Koordinatorin.

Aus der solidarischen Koordination JusticiaParaBerta („Gerechtigkeit für Berta“) heißt es, dass die Verhandlung sich nicht ausschließlich auf die Mordnacht konzentrieren dürfe, denn dies blende die permanente Bedrohung vor und nach dem Mord aus. Dazu müsse weiter national und international über den Prozess berichtet werden. Die Prozessbegleitung durch Mitarbeiter*innen der Diplomatie und anderer Organisationen bildet dabei einen wichtigen Baustein gegen die bisherigen Verschleierungstendenzen in dem Fall.

Neben dem Prozess betreibt die an Extraktivismus interessierte Unternehmer*innenschaft eine mediale Schmutzkampagne. In sozialen Medien, korporativen Fernsehsendern und Printmedien erscheinen diffamierende Beiträge gegen COPINH und besonders gegen die Anwälte Victor und Martín Fernández, die sich mit ihrer Organisation Movimiento Amplio seit über zehn Jahren umweltpolitisch engagieren. In Honduras sind Diffamierungen und Hetze im Vorfeld von schweren Gewalttaten immer wieder zu beobachten. Ziel ist dabei die systematische Einschüchterung, Bedrohung und Kriminalisierung bis zur Beseitigung der Opposition. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Honduras äußerte sich kürzlich besorgt über diese Diffamierungen und wies darauf hin, dass die Interamerikanische Menschenrechtskommission den Anwälten spezielle Schutzmaßnahmen zuerkannt habe. Die aggressive Kampagne wird ebenfalls durch die von Desa engagierte US-amerikanische Anwaltskanzlei Amsterdam & Partners geführt. Sie initiierte mit dem Prozessbeginn eine Anzeigenkampagne in großen Printmedien des Landes, in denen sie COPINH als radikal und per se-Opposition gegen Entwicklung und Rechtsstaat darstellt. Auch Nina Lakhani, unabhängige Journalistin, sieht sich seit September einer Hetzkampagne ausgesetzt. Sie berichtet seit Cáceres Ermordung für The Guardian regelmäßig über Strukturen, Interessengruppen und die Umstände des Mordes.

COPINH bestätigt, dass indessen Klage gegen die niederländische Entwicklungsbank FMO wegen deren Finanzierung von Agua Zarca in den Niederlanden eingereicht wurde (siehe LN 531/532). Neben der FMO finanzierten auch die finnische Entwicklungsbank Finnfund und die Zentralamerikanische Bank für wirtschaftliche Integration (BCIE) das Wasserkraftprojekt. Nach Aussagen von COPINH behält Desa die Konzession über den Fluss Gualcarque für 50 Jahre, was bedeutet, dass das Projekt nicht beendet ist, sondern nur ruht. Es wird vermutet, dass Zeit vergehen soll, bevor man den Bau wieder aufnimmt. Amsterdam & Partners schrieb kürzlich an die 50 Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Die Kanzlei teilte mit, dass die unabhängige Expert*innenkommission GAIPE Fehlinformationen verbreiten würde. Außerdem kündigte die Kanzlei einen eigenen Besuch in Brüssel an.

Die Zeit scheint davonzulaufen, denn fünf der Inhaftierten müssten entsprechend der am 2. November ablaufenden Präventivhaft entlassen werden. Allgemein wird befürchtet, dass die honduranische Justiz den Prozess schnell abwickeln möchte, ohne die kriminellen Strukturen, die bis in Politik, Militär und Wirtschaft reichen, aufzudecken.

// Daniela Dreißig