von Daniela Dreißig erschienen in Lateinamerika Nachrichten 499 // Januar 2016
DAS STAUDAMMPROJEKT AGUA ZARCA BEDROHT DIE LEBENSGRUNDLAGE
DER LENCA
Seit
fünf Jahren kämpfen die indigenen Lenca in der Region Rio Blanco gegen die
Stauung des Flusses Gualcarque. Dabei sind sie massiver Gewalt durch Polizei,
Militär und private Sicherheitsfirmen ausgesetzt. Trotz mehrfacher Rügen vom
Genfer Menschenrechtsrat werden indigene Rechte in Honduras immer noch missachtet
und Menschenrechtsverletzungen nicht geahndet.
„Die grundlegenden Probleme, mit denen sich die indigenen
Völker konfrontiert sehen, sind die fehlende volle Anerkennung sowie der Schutz
und die Nutzung ihrer Rechte in Bezug auf Boden, Territorien und ihre natürlichen
Ressourcen“, erklärte die UN-Sonderberichterstatterin
für indigene Völker Victoria Tauli-Corpuz auf einer Pressekonferenz in Honduras. Die
Menschenrechte in Honduras wurden dieses Jahr zum zweiten Mal vor dem Menschenrechtsrat
in Genf überprüft (siehe LN 489). Im Vergleich zu 2010 hat sich die Menschenrechtslage
noch weiter verschlechtert. Bei der Anhörung im Mai 2015 wurden 159
Empfehlungen ausgesprochen, 2010 waren es noch 129, auf die der honduranische
Staat mit einigen kosmetischen Maßnahmen reagierte, ohne dabei tiefgreifende Ursachen
anzugehen. Tauli-Corpuz besuchte die Region Rio Blanco und besichtigte das
Baugelände des Staudamms Agua Zarca, der unrechtmäßig auf dem Siedlungsgebiet
der Lenca, der größten indigenen Gruppe in Honduras, errichtet wird.
Die Mehrheit der Bevölkerung in Rio Blanco sind Lenca, sie
leben von der Subsistenzwirtschaft. Die Region ist von extremer Armut geprägt,
dazu ist die indigene Bevölkerung einem tief verankerten Rassismus durch die
mestizische Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt. Bisher war Rio Blanco für die
politischen und wirtschaftlichen Eliten Honduras nur alle vier Jahre zu den Präsidentschaftswahlen
interessant. Dies änderte sich jedoch, als die Folgeregierung nach dem Putsch
2009 die Weichen für einen umfassenden Ausverkauf aller natürlichen Ressourcen
stellte. Die großen Wasservorkommen und reichen Bodenschätze der Region locken honduranische
und transnationale Investor*innen an. Nun soll der Fluss Gualcarque unter
Anwendung massiver Gewalt und gegen den Willen der Bevölkerung gestaut werden.
Militär- und Polizeipräsenz in Rio Blanco Foto: COPINH |
Durch den Baubeginn des Staudamms in Rio Blanco 2012 wurden
landwirtschaftliche Anbauflächen und angrenzende Wälder zerstört. Dazu kommt,
dass das Sicherheitspersonal der Firma Desarrollo Energéticos S.A. (DESA),
Polizei und Militär den Menschen den Zugang zum Fluss verwehrt. Für die
betroffenen Gemeinden Anlass genug mit Hilfe des Zivilen Rates der Volks- und
indigenen Organisationen Honduras (COPINH) zivilen Ungehorsam zu leisten.
Tomás García im Juli 2013 durch Militärs ermordet Foto: CADEHO |
Im November 2015 kam er zur ersten Gerichtsverhandlung im
Falle des ermordeten Tomás García. Der angeklagte Militärangehörige wurde nach
kurzer Zeit lachend aus dem Gerichtgebäude abgeführt. Die Verhandlungen waren
durch eine hohe Militärpräsenz, Einschüchterungen und Bedrohungen der
anwesenden Lenca, des Anwaltes Victor Fernández und der Richter*innen der
Sonderstaatsanwaltschaft für Ethnien und Kulturerbe geprägt. Am 10. Dezember 2015
wurde das Urteil verkündet. Saravia wurde wegen einfachen Mordes an Tomás
Garcia verurteilt, im Falle des versuchten Mordes an Garcias Sohn Alan wurde er
freigesprochen. Seine Verteidigung hat zudem angekündigt, die Aufhebung des
Gerichtsurteils wegen guter Führung zu beantragen.
Die Klage gegen DESA wegen Landgrabbing und der Verletzung
kollektiver indigener Rechte wurde schon vor Jahren eingereicht. In der
Vergangenheit zeigte sich jedoch, dass jegliche Klagen, die von indigenen
Bewegungen eingereicht wurden, vom honduranischen Justizsystem missachtet
wurden. Tauli-Corpuz unterstreicht in ihrer Erklärung, dass „das Justizpersonal
keine Kenntnisse über indigene Rechte besitzt“ und dass „Rassismus und
Diskriminierung die Schaffung legaler Mechanismen notwendig machen, so dass die
indigene Bevölkerung Klagen über territoriale Verletzungen und
Menschenrechtsverletzungen einbringen können“.
Der Konflikt in Rio Blanco hat eine extreme Militarisierung
entlegener Regionen geführt und ist begleitet von einer Kriminalisierung und
Diffamierung sozialer Bewegungen. Besonders betroffen sind die
Umweltaktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen von COPINH. „Lokale
Auftragsmörder haben im Oktober 2015 eine Liste mit Namen von mehr als 20
Staudammgegner*innen mit der Drohung veröffentlicht, dass sie die ersten wären,
die sterben würden“, so ein Mitarbeiter von COPINH.
Bereits 2013 waren die Mitglieder COPINHs einer Welle von
Kriminalisierung und Repression ausgesetzt. Neben willkürlichen Durchsuchungen
und massiven Bedrohungen der indigenen Gemeinden wurden drei Koordinator*innen
von COPINH auch strafrechtlich verfolgt. Die Verfahren wurden jedoch
eingestellt bzw. mit einem Freispruch beendet. Schon damals wurden die
Gerichtsprozesse durch Diffamierungen in den Medien begleitet. Diesmal rief Kardinal
Oscar Andrés Rodríguez, Befürworter des militär-zivilen Putsches 2009, die
indigenen Gläubigen auf, sich weder in COPINH zu organisieren noch deren Radios
La Voz Lenca und andere
regierungskritische Sender zu hören.
Doch trotz Repression, extremer Gewalt und absoluter
Straflosigkeit bleibt der friedliche Widerstand gegen Agua Zarca ungebrochen.
Erfolge ihrer Proteste sind in dem Rückzug des chinesischen Unternehmens
Sinohydro sowie des zentralamerikanischen Entwicklungsfonds CAMIF aus dem
Projekt zu sehen. DESA läuft die Zeit davon, denn das Wasserkraftwerk sollte
schon im Jahr 2014 fertig gestellt sein.
Es liegt auf der Hand, dass die Menschenrechtsverletzungen
in diesem Konflikt nicht ausschließlich auf dem dysfunktionalen Staat Honduras
mit seinen schwachen und abhängigen Institutionen zurück zu führen ist. An der
Fertigstellung von Agua Zarca haben auch internationale Player großes
Interesse. So finanzieren u.a. die finnische Entwicklungsbank Finnfund als auch
die niederländische Entwicklungsbank FMO das Projekt. Von deutscher Seite ist
die Voith Hydro Holding GmbH, ein Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und
Voith, beteiligt, und ist für die Lieferung der drei Turbinen verantwortlich.
Für die Lenca geht es um viel mehr als ein unrechtmäßig
angeeignetes Land. Der Fluss Gualcarque ist Existenzgrundlage der indigenen
Gemeinden und bildet das Fundament ihrer kulturellen Identität. Indigene Rechte
stehen der Gewinnmaximierung der Unternehmen und dem Wirtschaftswachstumswunsch
des Staates entgegen. Es bleibt abzuwarten, inwiefern der UN-Menschenrechtsrat
mit all seinen Sonderberichterstatter*innen, die das Land noch besuchen werden,
den allgegenwärtigen Wirtschaftsinteressen Einhalt gebieten kann.