Donnerstag, 9. August 2012

Von der JournalistInnen-Delegation 2012 - Bericht 15

COPINH trauert um seinen Taxifahrer und Freund Don Piro
Foto © NK
La Esperanza-Intibucá. Das strenge, um Jahre gealterte, wächserne Gesicht, das da im Fenster des Sarges zu sehen ist, hat nichts mehr mit dem fröhlichen Lachen von „Don Piro” zu tun, das uns noch vor ein paar Tagen entgegenstrahlte. Wir waren im Büro von COPINH, dem „Zivile Rat der Volks- und indigenen Organisationen von Honduras“ (COPINH) und es war spät geworden über den tausend Dingen, die noch zu besprechen waren für eine Reise in das abgelegene Urwaldgebiet der Moskitia. Spät ist es in der Stadt La Esperanza schon, sobald gegen 18 Uhr die Dunkelheit anbricht und alle Geschäfte Rollläden und Gittertüren fest verschlossen haben. Und entsprechend schwierig, hier um 19 Uhr noch einen Taxifahrer aufzutreiben, der bereit ist, uns über einen Feldweg zum außerhalb gelegenen COPINH-Schulungszentrum „Utopía“ zu bringen. An diesem Abend - wie an vielen - war „Don Piro“ zur Stelle. Weniger ehrwürdiger Don (Herr) als gut gelaunter und stets zu einem Scherz aufgelegter, jungenhafter Kumpel. Da sein Taxi gerade kaputt war, hatte er einen Freund mit dessen Privatauto angeheuert und wir waren erleichtert von einem „taxista de confianza“, einem Taxifahrer des Vertrauens, sicher nach „Utopía“ gebracht zu werden.



Nun sind wir von der großen Reise zurück und dieses seltsam weiße, von der Gerichtsmedizin zurechtbalsamierte Gesicht mit dem blauen Fleck um ein Auge soll irgendetwas mit dem „Don Piro“ zu tun haben, den wir kannten: Adán Adalberto Ferrera Orellana (38), verheirat, drei Kinder. Einer von mindestens 20 Menschen, die Tag für Tag in Honduras ermordet werden. Zwei Unbekannte, oder angeblich Unbekannte, haben ihn am Montag, dem 6. August, in seinem Taxi in den Rücken und in den Hinterkopf geschossen. Am helllichten Morgen, etwa gegen 9 Uhr, in einer verlassenen Ecke, die man nur über Feldwege erreicht, nicht allzu weit von der Stadt, nicht allzu weit von „Utopía“.

Für Berta Cáceres, die Koordinatorin von COPINH, war „Piro“ ein Junge, den sie von klein auf kannte, ein Nachbarskind aus ihrem Stadtviertel „El Calvario“. Wir laufen zusammen mit ihr und einer ganzen Schar weiterer COPINHes zur Totenwache. Eine Art dichtes Entsetzen umgibt heute die sonst so fröhlich-kämpferische Truppe. Don Piros Mutter, Geschwister, Ehefrau, eine große Schar von Freunden, Nachbarn, Taxifahrerkollegen, lautes Weinen, Berge von Plastik- und natürlichen Blumen, Kerzen und kartonweise herbeigeschafftes süßes Weißbrot begleiten die Trauergesellschaft, die hier die ganze Nacht ausharren wird. Die Stadt wirkt wie in Trance als wir mit dem letzten Bus um 17 Uhr das Stück zur Abzweigung nach „Utopía“ zurückfahren. Das einzige Gesprächsthema der Fahrgäste: „Warum Don Piro?“

Eine wirkliche Antwort gibt es nicht, einige Anzeichen schon: Es war kein Raubüberfall, sondern eine Hinrichtung. Vor knapp zwei Wochen wurde in La Esperanza ein siebzehnjähriges Mädchen, im achten Monat schwanger, ebenfalls mit einem Kopfschuss ermordet. Ihr Bruder wurde mit einem Schuss in den Rücken getötet. Er hatte noch versucht, Passanten auf das Baby aufmerksam zu machen. Aber niemand wagte es, den Leichnam seiner Schwester ins Krankenhaus zu bringen, um das Ungeborene zu retten. Jugendliche von COPINH, die die Geschwister gut kannten, erzählten uns, die beiden hätten eben auch einen etwas anderen, unkonventionelleren und freieren Lebensstil gepflegt: „Deswegen haben sie unsere Freunde gehasst.“

„Sie“ - das ist wohl niemand anderes als Killer des so genannten organisierten Verbrechens. Sie können nur unbehelligt arbeiten kann, wenn und weil sie auf von staatlichen Stellen garantierte Straflosigkeit zählen können. Ihre Absicht: Terror verbreiten, die Gegend hier fester in den Griff nehmen.

In ihrem Nachruf auf „Don Piro“ schreibt die Poetin und feministische Menschenrechtsaktivistin Melissa Cardoza aus La Esperanza:

Zwei Schüsse, die uns, die wir zurückbleiben, ein Stück Leben nehmen. Die Morde in La Esperanza vervielfachen sich, die Gewalt reicht uns bis zum Hals, in unserer staubigen, frischen, bluehenden Stadt. Es war zu erwarten. Nie gab es so viel Polizei und Militär und nie so viel gewaltsamen Tod zur gleichen Zeit. All das war zu erwarten - und doch kommt es so schnell. Unsere Art zu leben wird ausgelöscht, unser Leben verlöscht, das Land ausgeliefert, seine Leute ermordet. Die Feinde des Lachens breiten sich überall aus und wir verstehen es nicht und wissen nicht, wie reagieren.

Wir kämpfen weiter, weil wir an der Reihe sind und es an der Zeit ist. Manchmal können wir leichtfüßig kämpfen, lichterfüllt und voll Zuversicht, dass bessere Zeiten kommen. Und manchmal reichen zwei Schüsse, um uns die Leichtigkeit zu nehmen und blutige Erde kosten zu lassen.

Die Erde, die an diesem traurigen Tag in La Esperanza das schönste Lächeln dieser Stadt bedeckt.