Immer mehr Kinder und Jugendliche aus Mittelamerika fliehen vor Gewalt 
und Armut in Richtung USA. Oft landen sie auf sich allein gestellt in 
Abschiebegefängnissen. Doch die Abschottung der Aufnahmeländer kann die 
Ursachen für die Migration nicht beseitigen und die Flucht bleibt 
lebensgefährlich.
von Kathrin Zeiske, erschienen in der Jungle-World
»Die Kinder haben ein Recht auf Asyl«, konstatiert Pater Richard 
Estrada. Derzeit ist er in Mexiko unterwegs, um Verbündete für ein 
internationales Netzwerk zum Schutz der Kinder aus Mittelamerika zu 
suchen. Einst gründete der weißhaarige Kirchenmann in Los Angeles die 
Nichtregierungsorganisation Jovenes, Inc., die Straßenkindern und 
Jugendlichen mit Gewalt- und Missbrauchserfahrungen ein Zuhause gibt. 
Betroffen macht ihn der unverhohlene Rassismus, der den jugendlichen 
Einwanderern derzeit in den USA entgegenschlägt.
Der Weg mittelamerikanischer Migranten durch Mexiko in die USA ist 
einer der gefährlichsten der Welt. Dennoch sind ein paar hunderttausend 
Menschen jährlich unterwegs: auf klandestinen Pfaden, den Dächern der 
Güterzüge, mit Hilfe professioneller »Kojoten« (sogenannter Schlepper) 
und immer auf der Hut vor Drogenkartellen und Polizei. Dass immer mehr 
Kinder und Jugendliche den beschwerlichen Weg auf sich nehmen, ist in 
der Region schon lange bekannt. Erst die Aufforderung von US-Präsident 
Barack Obama Ende Juni an mittelamerikanische Eltern, ihre Kinder nicht 
in die USA zu schicken, brachte das Thema weltweit in die Schlagzeilen. 
Doch in der politischen Diskussion stehen weder die Ursachen für den 
Exodus der Minderjährigen noch internationale Schutzmaßnahmen für sie 
im Mittelpunkt. Während bislang der »humanitären Katastrophe« mit 
Massenabschiebungen begegnet wird, sollen nun die die mexikanische 
Südgrenze und die Migrationsrouten durch Mexiko militärisch überwacht 
werden.
Estrada glaubt nicht, dass das Thema zufällig in die US-amerikanischen Medien gelangt ist.
 Die durch die Presse gegangenen Aufnahmen von Kindern und Jugendlichen 
in Abschiebegefängnissen entlang der Grenze zu Mexiko scheinen vielmehr 
gezielt an die Presse gestreut worden zu sein. Tatsächlich wurden sie 
erstmals am 5. Juni auf einer der rechten Tea-Party-Bewegung 
zugeordneten Website veröffentlicht. Auch der Tenor der Diskussion in 
den USA ist ablehnend gegenüber Obamas Vorhaben, ein moderates 
Einwanderungsgesetz durchzusetzen. »Der einst angekündigte Dream Act, 
Legalisierungsmöglichkeiten für Kinder, die ohne Papiere in den USA 
aufgewachsen sind, wird als Pull-Faktor für die Migration von 
Minderjährigen dargestellt«, sagt der Pater.
Unter Kindern wie Erwachsenen auf dem Weg nach Norden sind die in den
 USA stattfindenden Diskussionen weitgehend unbekannt. »Ausschlaggebend 
für den Exodus ist die Situation der Herkunftsländer«, bekundet der 
Prediger Ramón Verdugo, der die Straßenkinderherberge »Todo por Ellos« 
(Alles für sie) an der Südgrenze Mexikos leitet. Es sei kein Zufall, 
»dass die überwältigende Mehrheit der Menschen auf der Flucht aus 
Honduras kommt«. Immer mehr alleinerziehende honduranische Mütter 
bewohnen die Herberge in der Grenzstadt Tapachula. Sie mussten mit ihren
 Kindern Hals über Kopf außer Landes fliehen. »Seit dem Putsch vor fünf 
Jahren ist Honduras einmal mehr in Armut und Gewalt versunken«, sagt 
Verdugo.
Der Zusammenbruch des demokratischen Systems und seiner Institutionen
 geht mit einer Militarisierung des Landes und der Straflosigkeit von 
Verbrechen einher. Hinzu kommt eine autonom agierende Polizei, die eng 
mit Todesschwadronen sowie den sich im Staatsverfall etablierenden 
Drogenkartellen verbunden ist und eine traurige Tradition sozialer 
»Säuberungen« unter marginalisierten Jugendlichen hat. Und dann gibt es 
noch die Jugendbanden, die maras, die in Honduras für die Kartelle als 
Auftragskiller, Geldeintreiber und Kleindealer agieren.
»Die Armen, denen meist nur die Arbeit im informellen Sektor bleibt, 
werden von den maras um ständig steigende Schutzgelder erpresst. Sobald 
sie nicht mehr zahlen können, sind die einzigen Möglichkeiten der Tod 
oder die Flucht außer Landes«, so Verdugo. Zum Schreiben von 
Projektanträgen für die dringend benötigte Finanzierung der viel zu 
kleinen Herberge kommt er kaum. Ein gutes Dutzend Kinder zwischen zwei 
und zwölf Jahren sucht seine Aufmerksamkeit, zieht sich zur Not auf 
seinen Schoß hoch und greift in seinen Bart, um ihm Fragen über das 
Mittagessen, die Herbergskatze und die Auswahl des Fernsehprogramms zu 
stellen.
Drei dieser Kinder sind mit ihrer Mutter Brenda hier. Die junge Witwe
 hat über Nacht ihre Taschen gepackt und ist mit ihren kleinen Söhnen 
aus dem honduranischen San Pedro Sula geflohen, nachdem ihr Mann von 
maras umgebracht und ihr ältester Sohn, gerade einmal zehn Jahre alt, 
von der feindlichen Bande zum Rachefeldzug animiert worden war. »Ich 
wollte meine Kinder aus dieser Gewaltspirale herausholen«, sagt Brenda. 
Sie hat einen Antrag auf Asyl in Mexiko gestellt. Die Sicherheitslage in
 Tapachula empfindet sie als gut: »Hier kann man nach Einbruch der 
Dunkelheit noch auf die Straße gehen.« In honduranischen Großstädten sei
 selbst tagsüber mit Raubüberfällen zu rechnen.
Während Tapachula für Brenda und ihre Söhne einen Neuanfang bedeutet,
 ist die tropische Grenzstadt für viele Migranten und Flüchtlinge die 
Endstation einer Odyssee aus Festnahmen und Abschiebungen auf 
mexikanischem Terrain. Hierhin werden sämtliche Menschen 
zurückgeschoben, die in Mexiko ohne Papiere aufgegriffen werden. Von 
Tapachula aus fahren täglich mehrere Busse ab, die Abgeschobene nach 
Guatemala, Honduras oder El Salvador bringen. Handelt es sich jedoch bei
 den Festgenommenen um Minderjährige, so muss zunächst der zuständige 
Konsul benachrichtigt werden. Dieser muss die Eltern im Herkunftsland 
ausfindig machen – ein langwieriges Unterfangen, da diese oftmals schon 
in den USA oder auf dem Weg dorthin sind.
»Kinder werden monatelang hinter Gitter gesperrt, oftmals ohne eine 
Bezugsperson«, berichtet Lourdes Rosas Aguilar, die beim 
Menschenrechtszentrum Fray Matías de Córdova in Tapachula als Expertin 
für Migration von Kindern arbeitet. Reisen Minderjährige zusammen mit 
anderen Verwandten als ihren Eltern, werden sie bei einer Festnahme von 
diesen getrennt. »Mitreisende von Kindern werden rigoros als ›Schlepper‹
 verdächtigt. Für die Kinder bedeutet das, ganz alleine in Haft zu 
bleiben«, sagt Rosas Aguilar.
Die Haftbedingungen sind im euphemistisch als »Migrationsstation 
21. Jahrhundert« bezeichneten größten Abschiebegefängnis Lateinamerikas 
schon für Erwachsene kaum erträglich. Den Mitarbeitern des 
Menschenrechtszentrums wird seit dem Erscheinen eines kritischen 
Berichts über die dortigen Zustände der Zugang verweigert, Journalisten 
und auswärtigen Nichtregierungsorganisationen wird er sowieso nicht 
gestattet. Lediglich die staatliche Menschenrechtskommission und UNHCR 
haben neben der Migrationspolizei Zutritt.
Jugendliche ab zwölf Jahren werden nach der Festnahme im 
Abschiebegefängnis eingesperrt, kleinere Kinder in ein staatliches Heim 
gebracht. Dort werden sie aber ebenfalls hinter hohen Zäunen und 
verschlossenen Türen verwahrt. »Dass die Anlage einen Garten hat und es 
sonntags Malkurse gibt, ändert herzlich wenig an dem für Kinder 
unzumutbaren Zustand, eingesperrt zu sein«, schließt Rosas Aguilar 
resolut. Sie zeigt Botschaften, die Kinder in Gefangenschaft gemalt 
haben: »Ich habe niemanden umgebracht, warum werde ich eingesperrt?«, 
»Bald ist Weihnachten und ich bin hier«, »Ich möchte meine Mama 
anrufen«, »Ich bin krank und sie geben mir keine Medizin«, »Ich will 
frei sein« ist dort zu lesen.
Während selbst Papst Franziskus am Montag voriger Woche in 
Mexiko-Stadt zum Schutz dieser Kinder aufrief, ließ der mexikanische 
Innenminister Miguel Ángel Osorio Chong verlauten, dass die Nutzung 
mexikanischer Güterzüge durch Migranten bald der Vergangenheit angehören
 werde. Diese reisen oft dicht gedrängt und unter Lebensgefahr Tausende 
Kilometer auf den Dächern der Züge von der Süd- bis zur Nordgrenze des 
Landes. »Die Bestie«, wie der Güterzug von den Reisenden genannt wird, 
solle als Transportmittel für die Menschen ohne Papiere bald »nicht mehr
 zugänglich sein«, so der Innenminister. Gleichzeitig nutzte der 
mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto die letzten Tage der 
Fußball-WM, um in Chiapas das »Programm Südgrenze« auszurufen. Mit 
diesem soll die Grenze zwischen Mexiko und Guatemala beziehungsweise 
Belize militarisiert werden. Ob er sich einen »Baleada Curtain« – 
baleada heißt die honduranische Tortilla aus Weizenmehl – als Gegenstück
 zum »Tortilla Curtain« im Norden des traditionellen Auswanderungslandes
 Mexiko politisch leisten kann, bleibt fraglich.
Fast sicher hingegen ist, dass sich die Fluchtbewegung aus Honduras 
und seinen Nachbarländern nicht aufhalten lässt – weder durch Zäune noch
 durch Mauern. Währenddessen steht die Durchsetzung des Rechts auf 
Bewegungsfreiheit, Asyl und Familienzusammenführung weiter aus. Ebenso 
die Rückkehr eines demokratischen Systems in Honduras, das mehr Menschen
 als nur einer winzigen Führungsschicht dient, die sich mit Hilfe 
internationaler finanzieller Unterstützung über Wasser hält. So will die
 deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) einer 
honduranischen Pressemeldung zufolge den Energieunternehmer Fredy Nasser
 bei der Aufrüstung seines Tankstellensystems UNO mit nachhaltiger 
LED-Beleuchtung unterstützen. Nasser ist einer der Millionäre, die den 
Putsch von 2009 in Honduras finanziert haben.