Freitag, 14. Februar 2020

Kampf ums Überleben


Die Morde an Aktivist*innen der afro-indigenen Garífuna erreichten 2019 einen traurigen Höhepunkt

Im vergangenen Jahr wurden 17 Angehörige der afro-indigenen Garífuna in Honduras ermordet. Sechs von ihnen waren Frauen, die sich in ihren Gemeinden engagierten. Miriam Miranda, Koordinatorin der Garífuna-Organisation OFRANEH sieht darin einen „Plan, die Garífuna auszurotten“.

Miriam Miranda: Die Aktivistin kämpft seit Jahren für die Rechte der Garífuna
Mirna Teresa Suazo wurde am 8. Septem-ber 2019 von Unbekannten in ihrem Restaurant in Masca (Dpt. Cortés) erschossen. Die Täter flohen mit einem Motorrad. Suazo war Gemeinderats-präsidentin in Masca. Die Gemeinde hatte sich zweimal erfolgreich dem Bau von Wasserkraftwerken am gleichnamigen Fluss entgegengestellt.

María Digna Montero war Lehrerin und Mitglied des Komitees für interkulturelle zweisprachige (Spanisch und Garífuna) Bildung bei OFRANEH (Organización Fraternal Negra Hondureña). Am 12. Oktober 2019 saß sie vor ihrem Haus in der Gemeinde Cusuna (Dpt. Colón), als Unbekannte auf sie schossen und mit einem Motorrad flohen. Die Morde liefen nach ähnlichem Muster ab; genau wie bei den anderen 15 Opfern waren es Ortsfremde, die die Taten ausübten.

 

„Für die Regierung existieren wir nicht“
„Das ist ein Plan, uns Garífuna auszurotten“, sagt Miriam Miranda, Koordinatorin der Organisation OFRANEH. Die afro-indigenen Garífuna leben seit ihrer Deportation von St. Vincent in der Karibik im Jahre 1797 durch England an der Atlantikküste von Zentral-amerika, die meisten von ihnen in 46 Gemeinden in Honduras. Ihre Lebensgrund-lage, das Land, die natürlichen Ressourcen und das Meer, wird jedoch immer stärker bedroht und die, die sie verteidigen, werden umgebracht. Auch Miriam Miranda lebt mit ständigen Bedrohungen und Einschüchterungen, vor allem seitdem sie vor 10 Jahren Koordinatorin von OFRANEH geworden ist.

Das Territorium der Garífuna in Honduras ist von großem wirtschaftlichem Interesse von in- und ausländischem Kapital. Die Garífuna bewohnen das für Investor*innen attraktive Land an der karibischen Küste mit schönen Stränden und fruchtbarem Boden. Weiter im Landesinneren gibt es etliche Naturschutzgebiete, um den einzigartigen Waldbestand und die Biodiversität zu schützen. Doch die neoliberalen Pläne der Regierung vertreiben die Garífuna von ihrem angestammten Land. OFRANEH klagt auf Grundlage der an die Garífuna vergebenen Landtitel, diese werden jedoch von korrupten Behörden meist missachtet. Tourismusprojekte wie in der Bucht von Tela und der Bucht von Trujillo, Bergbauvorhaben und die geplante Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen (sogenannten Charter Cities nach einem Modell des Harvard-Ökonomen Paul Romer, siehe LN 535), in Honduras unter dem Namen ZEDEs (Zonas Especiales de Desarollo y Empleo) bekannt, stellen ernsthafte Bedrohungen für das Land dar. „Für die Regierung existieren wir nicht. Wenn die Regierung die ZEDEs im Ausland anpreist, sagen sie, dass die Gebiete unbesiedelt seien. Aus diesem Grund ist jedes Projekt für uns eine Gefahr“, so Miriam Miranda.

Unter den Mordopfern sind viele Frauen
Es ist kein Zufall, dass sechs Frauen unter den Ermordeten sind. Frauen kommt eine große Bedeutung bei der Verteidigung des Garífuna-Territoriums zu. „Frauen haben eine enge Bindung ans Land, sie sind der Erde verbundener als Männer, denn sie bauen Maniok an und schützen die Saat. Frauen kennen aus erster Hand die Notwendigkeit, das Land und die Natur zu schützen“, führt Miranda aus.

Doch auch wenn Frauen bei den Garífuna eine starke Position haben, sind auch sie von der dominanten Machismo-Kultur in Honduras betroffen, denn das Rechtssystem ist von patriarchalen Strukturen geprägt. Miranda sagt, dass Frauen per se erst einmal schuldig sind, egal, was vorgefallen ist. 

Frauen, die sich für die Rechte der Garífuna einsetzen, müssen sich anhören, dass sie besser am Herd stehen sollten. Sie seien selbst schuld, dass sie vor Gericht stehen, wenn sie sich in „Männerangelegenheiten“ einmischten. Deshalb ist es für OFRANEH wichtig, sich neben der Verteidigung des Landes auch mit Genderfragen und frauenspezifischen Bedürfnissen auseinanderzusetzen. „Wir Frauen müssen uns selbst schützen und heilen, heilen vor allem vom Schuldgefühl, mit dem wir permanent konfrontiert sind, wir brauchen unsere Organisationsformen und unseren Platz für Heilung, der Selbstentdeckung; und vor allem müssen wir uns bewusst machen, dass die Gewalt nicht normal ist, auch wenn sie in einem Land voller Gewalt als normal erscheint“, erklärt Miranda die Arbeit von OFRANEH in Bezug auf Frauen. „Wir beziehen das Recht am eigenen Körper genauso in die Arbeit ein wie das Recht auf eine intakte Natur.“ Dies ist für OFRANEH wichtig, da es Frauen sind, die vor allem durch die Kindererziehung die kulturelle Identität prägen und hierbei mit dem patriarchalen Schulsystem in Konkurrenz stehen. „Wenn Frauen selbst Land bebauen, erziehen sie ihre Kinder anders.“ Denn die landwirtschaftliche Praxis der Garífuna, so Miranda, stehe im Widerspruch mit der hegemonialen Wirtschaftslogik, die an Gewinnmaximierung orientiert ist, während die Garífuna Flächennutzung mit Brachzeiten abwechseln, damit sich das Land während der Brache regenerieren kann. Diese kulturelle Praxis wird durch die Gesetzgebung unterlaufen, die besagt, dass brach liegendes Land von den Personen in Besitz genommen werden kann, die es bebauen. Nach drei Jahren Landnutzung können die Landtitel dann geändert werden.  

Viele Garífuna-Gemeinden sehen sich durch staatliche Interessen bedroht
Die Garífuna können sich bei der Verteidigung ihres Landes nur auf das von Honduras ratifizierte ILO Abkommen 169 berufen. Doch auch dieses soll untergraben werden. Ein Entwurf für ein nationales Konsultationsgesetz ist mit Unterstützung internationaler Institutionen, wie dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), erarbeitet worden. Der Entwurf sieht kein Vetorecht für indigene Gemeinden vor. Momentan liegt das Gesetz jedoch auf Eis. Miranda führt diesen Umstand auch auf die Arbeit von OFRANEH zurück, die Beschwerdebriefe an die ILO geschrieben hat. In Anbetracht anderer neu erlassener Gesetze in Honduras ist die ILO Konvention 169 für Indigene extrem wichtig. So räumt das 2017 erlassene Gesetz zur Tourismusförderung die Möglichkeit ein, für Tourismusprojekte die Ausdehnung von Naturschutz- gebieten bis zu ihren Kernzonen zu verkleinern. Miranda fürchtet, dass auf Tourismusvorhaben später Bergbauprojekte folgen, für die Naturschutzgebiete reduziert werden, wie es bisher auch schon in Guapinol im Departamento Colón für ein Bergbauprojekt und in der Garífuna-Gemeinde Sambo Creek für ein geplantes Wärmekraftwerk geschehen ist.  Viele Garífuna- Gemeinden grenzen an Schutzgebiete und sehen ihr Territorium durch diese Gesetzgebung zusätzlich gefährdet.

Die Ermordung von María Montero in Cusuna geschah ausgerechnet am lateinamerikaweiten Tag des Widerstandes, am 12. Oktober – eine Warnung an alle, die sich der aktuellen Regierung und deren Politik widersetzen. Die Gemeinde Masca hat dies 2019 besonders deutlich zu spüren bekommen: Das Jahr endete mit zwei Attentaten in Masca gegen Amada Martínez, Vorstandsmitglied von OFRANEH und spirituelle Führerin der Garífuna, am 12. Dezember, dem Tag des Schutzheiligen von Masca, und am 29. Dezember. Amada Martínez blieb zwar unbeschadet, zwei ihr nahstehende Personen wurden jedoch zum Teil schwer verletzt. Die Zeichen sind deutlich. Die Morde an den Menschenrechtsverteidiger*innen und Umweltaktivist*innen unter den Garífuna haben im Jahr 2019 einen traurigen Rekord erreicht. Doch aufgeben werden die Garífuna und vor allem die Frauen nicht.

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Infokasten:
Miriam Miranda
ist eine prominente Menschenrechtsaktivistin in Honduras. Sie ist Koordinatorin der Garífuna-Organisation OFRANEH. Im November 2019 erhielt sie den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie setzt sich seit 30 Jahren für die Rechte der Garífuna ein. Neben der unermüdlichen Arbeit, Fälle von Landraub, Menschenrechtsverletzungen und Korruption anzuzeigen und diesen nachzugehen, arbeitet sie an der Verwirklichung einer Vision vieler Garífuna mit. Gemeinsam haben sie das selbstverwaltete Dorf Vallecito, Dpto. Colón inmitten von Ölpalmenplantagen aufgebaut. Für sie ist die Arbeit in Vallecito eine konkrete Strategie, Land zu verteidigen und zum Erhalt der Kultur der Garífuna beizutragen.
Im Sommer 2020 findet eine Solidaritätsreise nach Vallecito statt. Interessent*innen finden weitere Informationen auf der Webseite des Ökubüro München.