Die Morde an Aktivist*innen der afro-indigenen Garífuna
erreichten 2019 einen traurigen Höhepunkt
Im vergangenen Jahr wurden 17 Angehörige der
afro-indigenen Garífuna in Honduras ermordet. Sechs von ihnen waren Frauen, die
sich in ihren Gemeinden engagierten. Miriam Miranda, Koordinatorin der
Garífuna-Organisation OFRANEH sieht darin einen „Plan, die Garífuna auszurotten“.
von Rita Trautmann in Lateinamerika Nachrichten (548) Februar 2020
Miriam Miranda: Die Aktivistin kämpft seit Jahren für die Rechte der Garífuna |
María Digna Montero war Lehrerin und Mitglied des Komitees
für interkulturelle zweisprachige (Spanisch und Garífuna) Bildung bei OFRANEH
(Organización Fraternal Negra Hondureña). Am 12. Oktober 2019 saß sie vor ihrem
Haus in der Gemeinde Cusuna (Dpt. Colón), als Unbekannte auf sie schossen und
mit einem Motorrad flohen. Die Morde liefen nach ähnlichem Muster ab; genau wie
bei den anderen 15 Opfern waren es Ortsfremde, die die Taten ausübten.
„Für die Regierung existieren wir nicht“
„Das ist ein Plan, uns Garífuna auszurotten“, sagt Miriam
Miranda, Koordinatorin der Organisation OFRANEH. Die afro-indigenen Garífuna
leben seit ihrer Deportation von St. Vincent in der Karibik im Jahre 1797 durch
England an der Atlantikküste von Zentral-amerika, die meisten von ihnen in 46
Gemeinden in Honduras. Ihre Lebensgrund-lage, das Land, die natürlichen
Ressourcen und das Meer, wird jedoch immer stärker bedroht und die, die sie
verteidigen, werden umgebracht. Auch Miriam Miranda lebt mit ständigen Bedrohungen
und Einschüchterungen, vor allem seitdem sie vor 10 Jahren Koordinatorin von
OFRANEH geworden ist.
Das Territorium der Garífuna in Honduras ist von großem
wirtschaftlichem Interesse von in- und ausländischem Kapital. Die Garífuna
bewohnen das für Investor*innen attraktive Land an der karibischen Küste mit
schönen Stränden und fruchtbarem Boden. Weiter im Landesinneren gibt es etliche
Naturschutzgebiete, um den einzigartigen Waldbestand und die Biodiversität zu
schützen. Doch die neoliberalen Pläne der Regierung vertreiben die Garífuna von
ihrem angestammten Land. OFRANEH klagt auf Grundlage der an die Garífuna
vergebenen Landtitel, diese werden jedoch von korrupten Behörden meist
missachtet. Tourismusprojekte wie in der Bucht von Tela und der Bucht von
Trujillo, Bergbauvorhaben und die geplante Einrichtung von
Sonderwirtschaftszonen (sogenannten Charter Cities nach einem Modell des
Harvard-Ökonomen Paul Romer, siehe LN 535), in Honduras unter dem Namen ZEDEs
(Zonas Especiales de Desarollo y Empleo) bekannt, stellen ernsthafte
Bedrohungen für das Land dar. „Für die Regierung existieren wir nicht. Wenn die
Regierung die ZEDEs im Ausland anpreist, sagen sie, dass die Gebiete
unbesiedelt seien. Aus diesem Grund ist jedes Projekt für uns eine Gefahr“, so
Miriam Miranda.
Unter den Mordopfern sind viele Frauen
Es ist kein Zufall, dass sechs Frauen unter den Ermordeten
sind. Frauen kommt eine große Bedeutung bei der Verteidigung des
Garífuna-Territoriums zu. „Frauen haben eine enge Bindung ans Land, sie sind der
Erde verbundener als Männer, denn sie bauen Maniok an und schützen die Saat.
Frauen kennen aus erster Hand die Notwendigkeit, das Land und die Natur zu
schützen“, führt Miranda aus.
Doch auch wenn Frauen bei den Garífuna eine starke Position
haben, sind auch sie von der dominanten Machismo-Kultur in Honduras betroffen,
denn das Rechtssystem ist von patriarchalen Strukturen geprägt. Miranda sagt,
dass Frauen per se erst einmal schuldig sind, egal, was vorgefallen ist.
Frauen, die sich für die Rechte der Garífuna einsetzen, müssen sich anhören,
dass sie besser am Herd stehen sollten. Sie seien selbst schuld, dass sie vor
Gericht stehen, wenn sie sich in „Männerangelegenheiten“ einmischten. Deshalb
ist es für OFRANEH wichtig, sich neben der Verteidigung des Landes auch mit
Genderfragen und frauenspezifischen Bedürfnissen auseinanderzusetzen. „Wir
Frauen müssen uns selbst schützen und heilen, heilen vor allem vom
Schuldgefühl, mit dem wir permanent konfrontiert sind, wir brauchen unsere
Organisationsformen und unseren Platz für Heilung, der Selbstentdeckung; und
vor allem müssen wir uns bewusst machen, dass die Gewalt nicht normal ist, auch
wenn sie in einem Land voller Gewalt als normal erscheint“, erklärt Miranda die
Arbeit von OFRANEH in Bezug auf Frauen. „Wir beziehen das Recht am eigenen
Körper genauso in die Arbeit ein wie das Recht auf eine intakte Natur.“ Dies
ist für OFRANEH wichtig, da es Frauen sind, die vor allem durch die
Kindererziehung die kulturelle Identität prägen und hierbei mit dem patriarchalen
Schulsystem in Konkurrenz stehen. „Wenn Frauen selbst Land bebauen, erziehen
sie ihre Kinder anders.“ Denn die landwirtschaftliche Praxis der Garífuna, so
Miranda, stehe im Widerspruch mit der hegemonialen Wirtschaftslogik, die an
Gewinnmaximierung orientiert ist, während die Garífuna Flächennutzung mit
Brachzeiten abwechseln, damit sich das Land während der Brache regenerieren
kann. Diese kulturelle Praxis wird durch die Gesetzgebung unterlaufen, die
besagt, dass brach liegendes Land von den Personen in Besitz genommen werden
kann, die es bebauen. Nach drei Jahren Landnutzung können die Landtitel dann
geändert werden.
Viele Garífuna-Gemeinden sehen sich durch staatliche
Interessen bedroht
Die Garífuna können sich bei der Verteidigung ihres Landes
nur auf das von Honduras ratifizierte ILO Abkommen 169 berufen. Doch auch
dieses soll untergraben werden. Ein Entwurf für ein nationales
Konsultationsgesetz ist mit Unterstützung internationaler Institutionen, wie
dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), erarbeitet worden. Der
Entwurf sieht kein Vetorecht für indigene Gemeinden vor. Momentan liegt das
Gesetz jedoch auf Eis. Miranda führt diesen Umstand auch auf die Arbeit von
OFRANEH zurück, die Beschwerdebriefe an die ILO geschrieben hat. In Anbetracht
anderer neu erlassener Gesetze in Honduras ist die ILO Konvention 169 für
Indigene extrem wichtig. So räumt das 2017 erlassene Gesetz zur
Tourismusförderung die Möglichkeit ein, für Tourismusprojekte die Ausdehnung
von Naturschutz- gebieten bis zu ihren Kernzonen zu verkleinern. Miranda
fürchtet, dass auf Tourismusvorhaben später Bergbauprojekte folgen, für die
Naturschutzgebiete reduziert werden, wie es bisher auch schon in Guapinol im
Departamento Colón für ein Bergbauprojekt und in der Garífuna-Gemeinde Sambo
Creek für ein geplantes Wärmekraftwerk geschehen ist. Viele Garífuna- Gemeinden grenzen an
Schutzgebiete und sehen ihr Territorium durch diese Gesetzgebung zusätzlich
gefährdet.
Die Ermordung von María Montero in Cusuna geschah
ausgerechnet am lateinamerikaweiten Tag des Widerstandes, am 12. Oktober – eine
Warnung an alle, die sich der aktuellen Regierung und deren Politik
widersetzen. Die Gemeinde Masca hat dies 2019 besonders deutlich zu spüren
bekommen: Das Jahr endete mit zwei Attentaten in Masca gegen Amada Martínez,
Vorstandsmitglied von OFRANEH und spirituelle Führerin der Garífuna, am 12.
Dezember, dem Tag des Schutzheiligen von Masca, und am 29. Dezember. Amada
Martínez blieb zwar unbeschadet, zwei ihr nahstehende Personen wurden jedoch
zum Teil schwer verletzt. Die Zeichen sind deutlich. Die Morde an den
Menschenrechtsverteidiger*innen und Umweltaktivist*innen unter den Garífuna
haben im Jahr 2019 einen traurigen Rekord erreicht. Doch aufgeben werden die
Garífuna und vor allem die Frauen nicht.
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Infokasten:
Miriam Miranda
Miriam Miranda
ist eine prominente Menschenrechtsaktivistin in Honduras.
Sie ist Koordinatorin der Garífuna-Organisation OFRANEH. Im November 2019
erhielt sie den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie setzt
sich seit 30 Jahren für die Rechte der Garífuna ein. Neben der unermüdlichen
Arbeit, Fälle von Landraub, Menschenrechtsverletzungen und Korruption
anzuzeigen und diesen nachzugehen, arbeitet sie an der Verwirklichung einer
Vision vieler Garífuna mit. Gemeinsam haben sie das selbstverwaltete Dorf
Vallecito, Dpto. Colón inmitten von Ölpalmenplantagen aufgebaut. Für sie ist
die Arbeit in Vallecito eine konkrete Strategie, Land zu verteidigen und zum
Erhalt der Kultur der Garífuna beizutragen.
Im Sommer 2020 findet eine Solidaritätsreise nach Vallecito
statt. Interessent*innen finden weitere Informationen auf der Webseite des Ökubüro München.