Samstag, 14. November 2020

Honduras unter Wasser

Kritiker machen Regierung für die gegenwärtige Tragödie und die Menschenleben, die sie kosten wird, verantwortlich: "Die staatliche Untätigkeit ist der Hauptverbündete des Hurrikans Eta."                                                            

        Von Übersetzung: amerika21

Überflutung in Villanueva im honduranischen
Am 29. und 30. Oktober hat das Nationale Hurrikanzentrum in Miami Nicaragua und die Länder des Nördlichen Dreiecks alarmiert, dass der Tropensturm Eta auf die Region zusteuert und möglicherweise als Hurrikan in der nördlichen Karibik Nicaraguas auf Festland träfe und dann nach Norden Richtung Honduras und Guatemala drehen würde.

Am Sonntag, dem 1. November, riefen die nicaraguanischen Behörden für die Autonome Region Nordkaribik (RACN) und das Bergbaudreieck Alarmstufe gelb aus. Sofort wurden Notfallpläne und Präventivmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung aktiviert, darüber hinaus wurden Hilfsgüter in die Region gesendet.

 

Am frühen Morgen des 2. November wurde Eta zu einem Hurrikan, der im Laufe des Tages zunahm und sich zu einem Hurrikan der Kategorie 4 ausweitete. Mehr als 30.000 Menschen wurden evakuiert, bevor er am Dienstagmorgen, dem 3. November, südlich von Bilwi, Puerto Cabezas in der Region Mosquitia bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 240 Stundenkilometern auf das Festland traf.

Am nächsten Tag zog Eta durch nicaraguanisches Gebiet, dabei schwächte er sich zu einem Tropensturm ab. Er hinterließ eine Spur der Zerstörung, jedoch führte die rasche Reaktion der Behörden und die sofortige Aktivierung eines effizienten und wirksamen Katastrophenschutzsystems dazu, dass keine Todesfälle als direkte Folge des Hurrikans gemeldet wurden.

Noch am selben Tag erreichte Eta Honduras, wo er sich zu einem tropischen Tiefdruckgebiet weiter abschwächte. Obwohl verlangsamt, traf das Wetterphänomen in der staatlichen Tatenlosigkeit und Verdrängung auf einen "Verbündeten". Dies verursachte Verwüstungen im Norden des Landes und insbesondere zum Überfluten des Sula-Tals durch die Flüsse Ulúa und Chamelecón.

Laut des letzten Berichtes des honduranischen Katastrophenschutzes (Copeco) verursachte Eta den Tod von 63 Menschen, dazu werden acht Personen vermisst. 267.000 Familien (2,1 Millionen Personen) sind direkt und indirekt betroffen. Mehr als 88.000 Personen wurden evakuiert und mehr als 9.000 Familien untergebracht (50.000 Personen). Es gibt mehr als 100.000 Personen, die in 68 Gemeinden immer noch ohne Kontakt zur Außenwelt sind.

Was die Infrastruktur anbelangt, so sind mehr als 14.000 Häuser betroffen, von denen 52 völlig zerstört wurden, sowie 113 beschädigte Straßenabschnitte und 29 Brücken. Weitere 21 Brücken wurden zerstört.

Diese Zahlen erfassen nicht das wahre Ausmaß, und dies besonders im Hinblick auf die Zahl der Toten, die noch steigen könnte, wenn die Flüsse wieder zurück gegangen sind und es den Rettungsmannschaften gelingt, die Gebiete zu erreichen, die noch immer von der Außenwelt abgeschnitten sind.

Am Dienstag, dem 10. November, teilte mir ein Gewerkschaftsführer aus dem agroindustriellen Sektor mit, dass sechs Tage nach Beginn der Überschwemmungen noch immer mindestens 120 Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem Gebiet der Ölpalmenplantagen mit ihren Familien etwa 20 Kilometer von der Stadt El Progreso eingeschlossen sind.

"Ich versuche an Boote zu gelangen, um ihnen wenigstens Wasser und Lebensmittel zu schicken. Die Situation ist katastrophal", sagte er.

Nach Angaben der Gewerkschaft für Landarbeiter (CNTC) ließen der Regen und die über die Ufer tretenden Flüsse mehr als 8.000 Männer und Frauen aus 125 bäuerlichen Siedlungen vor dem Nichts stehen. Darüber hinaus wurden etwa 1.000 Häuser schwer beschädigt, mindestens 35 Quadratkilometer der Anbauflächen gingen verloren. 400 ältere Menschen und 4.300 Kinder sind davon betroffen, so das online-Nachrichtenportal von Defensores en Linea.

Eine abwesende Regierung

Eta verschlimmert die Situation, die durch die Coronavirus-Pandemie schon dramatisch war. In Honduras gibt es 101.000 Infektions- und mehr als 2.750 Todesfälle. 65 Prozent der Bevölkerung sind von Armut betroffen.

"Die Regierung konzentrierte sich auf die Förderung der hier sogenannten 'Morazan-Woche', die für die erste Novemberwoche geplant war. Eine ohnehin schon widersprüchliche Entscheidung, weil wir uns mitten in einer Pandemie befinden. Die Regierung reagierte auf den Druck der Tourismusbranche und des transnationalen Kapitals", erklärte Gilberto Ríos Munguía, politischer Analyst und Mitglied der Oppositionspartei Libertad y Refundación (Libre).

In der Nacht vom 2. November und dem frühen Morgen des 3. Novembers, als Eta als Sturm der Kategorie 4 auf nicaraguanisches Land traf, wurde Honduras von starken Regenfällen heimgesucht, die in mehreren Gemeinden im Norden des Landes zu Überschwemmungen führte.

Trotzdem wartete die Regierung bis Montagnachmittag, um die Feierwoche abzusagen ‒ ohne die Bevölkerung aufzufordern, auf ihren Urlaub zu verzichten, sondern "mit Verantwortung" damit umzugehen. Erst am 4. November, als Eta auf honduranischem Gebiet ankam und Hunderte von Häusern bereits unter Wasser standen, rief sie landesweit die Alarmstufe Rot aus.

"Honduras steht weltweit an dritter Stelle der Länder, die dem Klimawandel gegenüber am verwundbarsten ist. Wir haben bereits unter den Folgen des Hurrikans Mitch vor 22 Jahren, der Zerstörung und Tod hinterlassen hat, gelitten, aber es scheint, dass diese Leute nicht lernen. Es gab keine Warnung, keine präventiven Maßnahmen. Die Bevölkerung war zuversichtlich, weil niemand sie vor dem warnte, was passieren würde. Als sie reagierten, stand ihnen das Wasser bereits bis zum Hals", sagte Rios.

Die verzweifelten Menschen sahen zu, wie die Flüsse über die Ufer traten und Straßen und Wege überfluteten. Um sich selbst zu retten, mussten sie auf die Dächer ihrer Häuser oder auf Bäume klettern und auf jemanden warten, der sie rettet. Tausende von Menschen sind immer noch dort.

"Nur das Volk rettet das Volk"

"Angesichts der Nichtbeachtung durch die Regierung musste die Bevölkerung die Verantwortung dafür übernehmen, Hunderte, Tausende von Menschen zu aktivieren, zu mobilisieren und zu retten. Die materielle Hilfe, die ankommt, ist in erster Linie die Arbeit der helfenden Bevölkerung selbst und von solidarischen Organisationen. Inmitten der Turbulenzen handelte die Regierung völlig absurd, wollte diese Hilfen kontrollieren und über staatliche Stellen kanalisieren, Institutionen, die nicht das Vertrauen der Leute genießen", so Ríos weiter.

Für den politischen Analysten ist das, was in Honduras (und Guatemala) geschieht, auch das Ergebnis einer Intensivierung des neoliberalen Modells, das auf der Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen, der Deregulierung und Prekarisierung des Arbeitsmarktes, sowie dem Verkauf und der Plünderung von Territorien und gemeinschaftlichen Gütern beruht.

Zwischen neoliberalen Regierungen und dem Volk besteht eine Trennung, eine tiefe Spaltung. Das mangelnde Interesse am Leben großer Teile der Bevölkerung ist das greifbarste Ergebnis dieses Modells.

"Im Gegensatz zu Ländern wie Kuba, Nicaragua oder Venezuela, in denen die Bevölkerung im Mittelpunkt der öffentlichen Politik steht und sie am Staat beteiligt ist, konzentriert sich die Regierung in Honduras und den anderen Ländern mit dem neoliberalem Wirtschaftsmodell auf die Maximierung des Profits einiger weniger, und dabei wird sich nicht um die Mehrheit gekümmert. Man darf keinen Gewinn aus der Hilfe für den Nächsten schlagen, und auch nicht im Umgang mit einer Pandemie, um Leben zu retten. Dieses Geschäft folgt der Tragödie und nutzt die Gelegenheit, um weiter öffentliche Kassen zu plündern. Wir warten immer noch auf die mobilen Krankenhäuser, die etwa 47 Millionen US-Dollar kosteten und nie angekommen sind", sagte Ríos.

Die honduranische Organisation Sozialforum für Auslandsverschuldung und Entwicklung (Fosdeh) schätzt, dass jährlich mehr als 2,5 Milliarden US-Dollar durch Korruption in Honduras verloren gehen.

"Die gesamte Verantwortung für die gegenwärtige Tragödie und die Menschenleben, die sie kosten wird", fällt auf die Regierung von Juan Orlando Hernández und die "Gruppe großer, geldgieriger Unternehmer, die ihn unterstützen" zurück, steht in der Erklärung der Konvergenz gegen Kontinuität von Francisco Morazán, einer zivilgesellschaftlichen Plattform Honduras.

"Die Tragödie, in der sich heute die Menschen befinden, ist nicht das Ergebnis eines Naturphänomens, sondern einer vorsätzlichen und kriminellen Politik der Narkodiktatur, die ihre Pläne der Bereicherung aus der internationalen Zusammenarbeit begünstigt", heißt es darin weiter.

Was wird jetzt passieren?

Mit der Pandemie stiegen die Schulden auf fast 18,5 Milliarden US-Dollar, und dies wird das Land noch weiter verschulden. Darüber hinaus wird es zwischen zehn und 15 Prozent zu einem Sinken des Bruttoinlandproduktes kommen. Mehr als 50 Prozent des Staatsetats würde für die Zahlung der Auslandsschulden verwendet.

Es wird ein höheres Maß an wirtschaftlicher Polarisierung geben, was zu einer stärkeren politischen und sozialen Gegensätzlichkeit führen könnte, d.h. auch mehr Gewalt, mehr Migration und ein schnellerer Abbau des sozialen Miteinanders. Im vergangenen Jahr wurden 73 Massaker verzeichnet. In diesem Jahr haben wir trotz der pandemiebedingten Einschränkung bereits 37.

Leider gibt es eine gespaltene Opposition, die es bisher nicht geschafft hat, ein gemeinsames Vorgehen gegen die Diktatur und das nationalistische Regime zu beschließen. Ohne dies wird es kaum eine Gelegenheit für politische und soziale Veränderungen im Land geben.