Die designierte honduranische Präsidentin Xiomara Castro hat versprochen, die totalkapitalistischen Privatstädte in Honduras zu stoppen. Doch die sind durch eine illegale Verfassungsänderung, ein Gesetz und internationale Verträge ziemlich gut abgesichert. Honduranische Jurist*innen meinen, es gibt dennoch Wege, das äußerst unpopuläre Projekt auszuhebeln – aber nur, wenn der politische Druck aus den Gemeinden und von den sozialen Bewegungen weiterhin groß bleibt.
Auszüge aus Gespräch und Publikumsdiskussion mit dem Filmemacher Dassaev Aguilar und den Jurist*innen Andrea Nuila und Joaquín Mejía (ERIC SJ) über die Zukunft der totalkapitalistischen Privatstädte am 21.Dezember 2021
JUTTA BLUME (Mod.): Wir haben im Film Expulsados beobachten können, wie die ZEDE Morazán gebaut wird und haben einiges über ZEDE Próspera erfahren. Dassaev, konnten Sie die Entwicklung dieser Privatstädte in den vergangenen Monaten nach den Dreharbeiten weiter verfolgen?
DASSAEV AGUILAR: Morazán City hat vor einigen Monaten angekündigt, dass ihr ursprüngliches Territorium ausgeweitet werden soll. Sie haben mit einer Zeitungsanzeige alle Grundstückseigentümer rund um die ZEDE informiert, dass sie 30 Tage Zeit haben, um einen Preis für den Verkauf ihrer Grundstücke anzugeben. Andernfalls werde Morazán City ihre Grundstücke direkt enteignen. Ich bin weiterhin in Kontakt mit einigen Personen, die im ersten Teil meines Films vorkommen. Sie haben mir gesagt, dass sie sich ein wenig von ihrem öffentlichen Aktivismus zurückgezogen haben, denn sie fürchten unter anderem Probleme mit den wenigen Leuten, die ZEDE Morazán akzeptieren und bereit sind, ihre Grundstücke zu verkaufen.
Honduras ist ein schwieriges und gefährliches Land für journalistische Arbeit. Sie selbst haben ja auch Repression erlebt, unter anderem bei der Berichterstattung über die Proteste nach dem Wahlbetrug 2017. Auch der Zugang zu offiziellen Informationen ist sehr schwierig, für regierungskritische Journalist*innen umso mehr. Wie war es bei den Recherchen und dem Dreh zu diesem Film?
Kein Zugang zu offiziellen Quellen
DASSAEV AGUILAR: Es war praktisch unmöglich, an verlässliche offizielle Quellen heranzukommen. Ein Beispiel ist das CAMP (Komitee zur Anwendung guter Praktiken, Aufsichts- und Kontrollgremium der ZEDE, d.Red.). Abgesehen von zwei Funktionären der honduranischen Regierung, dem ehemaligen Minister im Präsidialamt von Juan Orlando Hernández, Ebal Díaz und dem ehemaligen Entwicklungsminister Ricardo Cardona, ist unklar, wer heute in diesem Gremium sitzt. Wir hatten keinen Zugang zu Informationen, wer die Mitglieder sind, ob es dort Wechsel gab, wer welche spezielle Funktion im CAMP hat.
Was die angefragten Interviews angeht, so haben wir von Massimo Mazzone, dem Haupteigentümer von ZEDE Morazán, sehr schnell eine Zusage bekommen. Die Bedingung war, das das gesamte Gespräch aufgezeichnet und an den Inhalten durch den Schnitt nichts verändert würde. Und wir durften innerhalb von Morazán City filmen. Das war uns auch von ZEDE Próspera auf Roatán per E-Mail zugesagt worden. Aber als wir dort ankamen, wurde uns plötzlich mitgeteilt, dass wir nichts filmen dürften und es nur Zeit für ein Interview geben würde.
Organisationen und Personen aus verschiedenen Gemeinden haben uns unterstützt und wir haben meist von frühmorgens bis abends gedreht: insgesamt etwa zehn Stunden Material, aus dem wir diese 43 Minuten ausgewählt haben. Was wir, denke ich, geschafft haben, ist deutlich herauszuarbeiten, wie die Bevölkerung zu den ZEDE steht.
"Honduras steht nicht zum Verkauf" - Protest gegen ZEDE Próspera auf Roatán. (c) Filmstill Dassaev Aguilar |
ANDREA NUILA: Das ist eine schwierige Frage. Um das ZEDE-Gesetz und möglichst auch die Paragraphen in der Verfassung, die mit den ZEDE zu tun haben, außer Kraft zu setzen, braucht es die entsprechenden Mehrheiten im Kongress (Zweidrittel- bzw. für Verfassungsänderungen Dreiviertel-Mehrheit). Selbst wenn man die Stimmen der Liberalen Partei dazu rechnet, sind diese Mehrheiten von den künftigen Regierungsparteien nicht zu erreichen. Ich denke allerdings, dass einige Abgeordnete der dann oppositionellen Nationalen Partei wissen, dass ihr Ansehen und ihre Legitimität als Politiker*innen auf dem Spiel stehen und sie ihre Karriere gefährden, wenn sie weiter für die ZEDE stimmen.
ZEDE sind auch durch bilaterale Abkommen geschützt
Das weit schwierigere Problem sind die verschiedenen Regelwerke, die die ZEDE trotzdem zementieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass die ZEDE nicht nur durch Gesetze und die Verfassung geschützt sind, sondern auch durch bilaterale Investitions-Abkommen, die weitere Akteure mit einbeziehen, also Abkommen zum Beispiel mit den USA. Dies ist insofern von Bedeutung, als diejenigen, die die ZEDE vorantreiben und verwalten Unternehmen mit Sitz in den USA sind. Für den Fall von ZEDE Próspera haben sie ihren Hauptsitz z.B. in Delaware. CAMP und ZEDE Próspera haben vereinbart und in ihr verbindliches juristisches Regelwerk aufgenommen, dass ZEDE Próspera durch das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Zentralamerika und der Dominikanischen Republik und weitere zwischenstaatliche Abkommen abgesichert ist. Die beabsichtigten Reformen der neuen Regierung können also durch Klagen auf internationaler Ebene beeinträchtigt werden.
Ein weiteres Problem ist dass der honduranische Oberste Gerichtshof und die Generalstaatsanwaltschaft ja zunächst die gleichen bleiben wie bisher. Und dieser Oberste Gerichtshof hat in Bezug auf die ZEDE total verfassungswidrig geurteilt und damit das völlig illegitime ZEDE-Regime legitimiert. Die Generalstaatsanwaltschaft ist nicht gegen all die Abgeordneten vorgegangen, die für die ZEDE abgestimmt haben und sich damit wegen Landesverrates strafbar gemacht haben. Erst wenn wir 2023 eine neuen Obersten Gerichtshof haben, der rechtsstaatlich und mit einer menschenrechtlichen Vision handelt, können wir da eine Änderung erwarten.
Keine staatsbürgerlichen und politischen Rechte
Trotz der Schwierigkeiten denke ich, dass es genug Gründe gibt, das ZEDE-Gesetz außer Kraft zu setzen: Zum einen haben sich bisher bereits 47 Gemeindebezirke als „frei von ZEDEs“ erklärt; dieses Votum der Bevölkerung muss auch Gewicht haben. Zum anderen gibt es genug verfassungsrechtliche Argumente gegen die ZEDE. Und auch das internationale Recht, die Frage der Menschenrechte spricht gegen sie. In einer ZEDE kann man seine staatsbürgerlichen und politischen Rechte nicht ausüben und seine Repräsentant*innen nicht frei wählen. Denn das Wahlrecht ist mit dem Grundbesitz verknüpft und die Ausübung von Rechten hängt von den Investor*innen ab, die das Gebiet beherrschen. Es gibt in den ZEDE natürlich auch keinen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Und die Einrichtung der ZEDE auf Roatán hat die ILO-Konvention 169 über die Rechte indigener Völker verletzt, denn es gab keine vorherige, freie und informierte Konsultation.
Der honduranische Staat muss, wenn er jetzt seine Außenpolitik und seine Rolle in einer globalisierten Welt überdenkt, endlich auch an die Menschenwürde denken. Um sich selbst und seine nationale Souveränität zu verteidigen, muss er das ZEDE-Gesetz aufheben. Ein grundlegender Punkt ist die Gewährleistung einer effektiven Kontrolle über das Staatsgebiet in allen administrativen, judikativen und legislativen Aspekten. Das geht nur durch die Aufhebung des Gesetzes.
Meines Erachtens besteht da keinen Verhandlungsspielraum für die Unternehmen, die die ZEDE betreiben. Sie müssen sich den bereits bestehenden rechtlichen Regelungen fügen, die z. B. für die Freihandelszonen und die Zonen der verarbeitenden Exportindustrie gelten. Das sind zwar auch nicht die besten Modelle und sie müssten ebenfalls reformiert werden, aber sie können eine Alternative sein. Aus meiner Sicht gibt es keine andere.
Joaquín, vielleicht möchten Sie etwas zu den Ausführungen von Andrea Nuila ergänzen? Mel Zelaya hat ja zum Beispiel vorgeschlagen, die ZEDE über ein Plebiszit abzuschaffen. Oder man könnte auch über internationale Wege nachdenken, falls der parlamentarische Weg in Honduras nicht möglich sein sollte. Was ist Ihre Position?
Vier Schwachpunkte der ZEDE
JOAQUÍN MEJÍA: Ich bin völlig einverstanden damit, was Andrea Nuila zu den juristischen Aspekten ausgeführt hat. Ich sehe „Wenn der Baum verrottet ist, sind auch die Früchte verdorben“.. Erstens das juristische Prinzip „Wenn der Baum verrottet ist, sind auch die Früchte verdorben“. Das heißt, wenn eine gerichtliche oder legislative Entscheidung getroffen wird, die die Verfassung verletzt, dann sind auch die Konsequenzen dieser Entscheidung verfassungswidrig. Zweitens verletzen die ZEDE sogar das ZEDE-Gesetz selbst. Dort ist von „unbewohnten Gebieten“ die Rede, sie machen sich aber in bewohnten Gebieten breit. Drittens wurden, wie schon gesagt, die ILO-Konvention 169 und die amerikanische Menschenrechtskonvention nicht eingehalten, die besonders auch die indigene Selbstbestimmung garantieren. Und viertens sind die Erklärungen der Munizipien zu erwähnen, die die „frei von ZEDEs“ sein wollen. Hierauf möchte ich näher eingehen, denn es ist wichtig, die Rolle der Gesellschaft als Gegengewicht zu verstehen.
Die juristischen Erwägungen zu den ZEDE sind wichtig, aber die Lösung muss letztendlich eine politische sein. Artikel 2 unserer Verfassung bestimmt, dass die Souveränität und die Macht beim Volk liegen und dass die Staatsgewalten, die Exekutive, Legislative und Judikative, von dieser souveränen Macht abgeleitet sind. Die Staatsgewalten haben, als sie die ZEDE genehmigt haben, die Macht an sich gerissen, die dem Volk gehört. Das Volk hat also gemäß Artikel 2 und 3 der Verfassung das Recht, die Macht zurückzugewinnen, die ihm weggenommen wurde. Worauf will ich hinaus und warum sage ich, dass es eine politische Frage ist? Die ZEDE brauchen Rechtssicherheit, um existieren zu können. Und das souveräne Volk hat das Recht und die Pflicht dafür zu sorgen, dass die ZEDE solange nicht als „normal“ angesehen werden, bis sie es selber satt haben und einsehen, dass ihre Einrichtung illegal ist und nichts weiter als „de facto“. Denn sie wurden im Rahmen einer Diktatur unter Verletzung der Verfassung zugelassen.
Gegenmacht der Bevölkerung
Im Visier von Tourismusunternehmen: Die Garífuna-Gemeinde Barra Vieja an der Karibikküste kämpft seit Jahrzehnten gegen Landraub. (c) Filmstill Dassaev Aguilar |
Die neue Regierung wird das Verteidigungs- und das Sicherheitsministerium kontrollieren. Das gibt den Volksorganisationen die Möglichkeit, massiv und friedlich auf die Straßen zu strömen, um zu verhindern, dass die ZEDE normalisiert werden und zu erreichen, dass sie keine Ruhe haben. Und wenn die Regierung den politischen Willen hat, muss sie verhindern, dass diese friedlichen Demonstrationen wie in der Vergangenheit unter Juan Orlando Hernández gewaltsam unterdrückt werden und garantieren, dass wir unsere Meinung zur Verteidigung der Volkssouveränität frei ausdrücken. Das ist eine historische Chance für die Regierung - zu zeigen, dass sie auf der Seite der Bevölkerung steht. Und für die Bevölkerung zu zeigen, dass sie in der Lage ist, Gegenmacht auszuüben. Das war es doch, was am 28. November bei den Wahlen demonstriert wurde: Eine symbolische Gegenmacht, die mit der Diktatur von Juan Orlando Hernández Schluss gemacht hat. Jetzt muss diese Gegenmacht gesellschaftlichen Druck ausüben. Denn letztlich bedeutet das friedliche Demonstrieren und Protestieren, wie der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte sagt, Demokratie im öffentlichen Leben herzustellen. Die kollektive Ausübung unseres Rechts auf freie Meinungsäußerung und der anderen bürgerlichen und politischen Rechte und Freiheiten stärkt unsere Gesellschaft. Deshalb ist es selbstverständlich sehr wichtig, an den juristischen Schritten gegen die ZEDE zu arbeiten, aber mindestens genauso wichtig ist es, die Gegenmacht des Volkes auszuüben.
Mir scheint das fundamental. Auch Dassaevs Dokumentarfilm zeigt ja ganz deutlich, dass es nicht allein um die wachsende Bewegung gegen die ZEDE geht, sondern ganz grundsätzlich um die Kämpfe vor allem der indigenen, der Garífuna und kleinbäuerlichen Gemeinden um ihre Territorien. Wird der Sieg von Xiomara Castro die sozialen Bewegungen letztendlich eher stärken oder schwächen?
ANDREA NUILA: Ich glaube fest an die Macht der sozialen Bewegungen innerhalb und außerhalb der Partei LIBRE. Nur durch sie wird die Zurückweisung der ZEDE gelingen. Deswegen ist es auch so wichtig, dass weiter Bürgerversammlungen und -abstimmungen in den Gemeinden stattfinden, dass weiter Diskussionen stattfinden, dass weiter über die Bedeutung und die negativen Folgen der ZEDE gesprochen wird.
Eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf
JOAQUÍN MEJÍA: Die Tatsache, dass Xiomara Castro ein Übergangskomitee für den Dialog mit den sozialen Bewegungen ernannt hat, ist eine wichtiger Indikator dafür, wie wichtig die designierte Präsidentin das Thema nimmt. Es wird also eine Stelle geben, die die sozialen Bewegungen anhört und ihre Vorstellungen, Ziele und Bedenken in diesem neuen politischen Prozess aufnimmt. Ich bin mir sicher, dass das Komitee auch die unverzügliche Abschaffung der ZEDE in sein Arbeitsdokument aufnehmen wird. Ich denke aber auch, dass die sozialen Bewegungen unbedingt ihre Unabhängigkeit von jeder Regierung bewahren müssen, unabhängig davon, ob sie in bestimmten Punkten mit deren politischen Plänen übereinstimmen. Wenn die sozialen Bewegungen nicht mehr unabhängig sind, verlieren wir die Möglichkeit wirklich demokratisch und mit dem nötigen sozialen Druck zu agieren. Das heißt nicht, dass es keine Übereinstimmung, keine Zusammenarbeit, keine Gemeinsamkeiten geben darf, aber es gibt da eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf: Die sozialen Bewegungen dürfen nicht in Regierungsorganisationen transformiert werden; es darf nicht passieren, dass die Linie, die soziale Bewegungen und Regierung unterscheidet, verwischt wird und wir es womöglich nicht mal merken.
Die Erfahrung vor allem in Lateinamerika zeigt doch, dass die Macht immer ein Risiko für die Menschenwürde und die Menschenrechte darstellt. Immer. Um diesem Risiko zu begegnen müssen wir die Courage haben, diese rote Linie einzuhalten. Das heißt nicht, dass es keine partielle Zusammenarbeit zugunsten des Landes geben kann.
Druck aus dem Globalen Norden nötig
Die indigene Gemeinde Crawfish Rock bangt um ihre Existenz, falls US-amerikanische und europäische Investor*innen die Erweiterung von ZEDE Próspera vorantreiben. (c) Filmstill Dassaev Aguilar |
ANDREA NUILA: Ich möchte hinzufügen, dass es in diesem Sinne auch wichtig ist, dass die sozialen Bewegungen außerhalb von Honduras, zum Beispiel in Deutschland, Druck auf ihre Regierungen machen. Deutsche spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung der ZEDEs. Es gab sogar einen Antrag im deutschen Bundestag, Privatstädte zum Modell für die Entwicklungszusammenarbeit zu machen. Und der deutsche Botschafter hat sich mit ZEDE-Betreibern in Honduras getroffen.
Das heißt, wenn wir eine politische Lösung anstreben, dann müssen auch die Regierungen außerhalb von Honduras ihre Unternehmen und Investoren in Honduras regulieren. Auch die Korruption ist ja ein globales Phänomen. Sie existiert nicht nur in Honduras, weil es ein Land der so genannten „Dritten Welt“ ist, oder angeblich „von Natur aus“ korrupt, sondern es gibt Gründe, warum diese Projekte ausgerechnet in Honduras durchgeführt werden. Es gibt eine Menge internationale wirtschaftliche Interessen, die diese Projekte unterstützen.
PUBLIKUMSFRAGE: Sind außer ausländischen Investor*innen und Betreiber*innen, z.B. aus den USA, Deutschland und der Schweiz, auch Mitglieder der (noch) herrschenden Nationalen Partei in Honduras oder ihre Familienangehörigen an den ZEDE beteiligt?
DASSAEV AGUILAR: Ich habe bei meinen Recherchen „off the record“ erfahren, dass ein ehemaliger Präsident von Honduras an ZEDE Próspera beteiligt ist. Und es gibt offensichtlich Mitglieder der scheidenden Regierung, die ebenfalls an dem Projekt beteiligt sind. Wir haben journalistische Anfragen und legale Auskunftsanträge gestellt, um diese Information zu bestätigen und zu konkretisieren. Sie wurden abgelehnt.
PUBLIKUMSFRAGE: Stimmt es, dass die ZEDE „Steuerparadiese“ sind?
Exklusive Steuervorteile für Investor*innen
ANDREA NUILA: Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, aber dieses Jahr hat eine Journalistin in Österreich getwittert, dass Barbara Kolm, die zu Beginn CAMP-Mitglied war und heute Vizepräsidentin der österreichischen Zentralbank ist, an der Schaffung einer Steueroase in Honduras beteiligt war. Die Journalistin wurde wegen Verleumdung verklagt und ihr Anwalt hatte die Aufgabe zu beweisen, dass die ZEDEs in Honduras tatsächlich Steueroasen sind. Er vertrat die Ansicht, dass für eine Steueroase zwei Merkmale berücksichtigt werden müssen, die in Honduras beide erfüllt sind. Einerseits die Einführung einer niedrigen Steuer, um Kapital aus dem Ausland ins Land zu holen. Und zum anderen die Schaffung eines rechtlichen Umfelds, das diese Steuervorteile ausnutzt, indem sie diese einer bestimmten Gruppe von Begünstigten garantiert und auf sie beschränkt, in diesem Fall die Investor*innen der ZEDEs und alle natürlichen oder juristischen Personen, mit denen die Betreibergesellschaft, wie zum Beispiel Próspera LLC, Verträge schließen. Und in Honduras wurde errechnet, dass die ZEDEs aus quantitativer steuerlicher Sicht einen effektiven Steuersatz von einem Prozent aufweisen.
PUBLIKUMSFRAGE: Denken Sie, dass die Gemeindebezirke ihre Ablehnung der ZEDE beibehalten werden? Inwiefern sind die Beschlüsse der Bürgerversammlungen, dass ihre Gemeinden „frei von ZEDE“ sein sollen, rechtlich bindend? In früheren Jahren wurde ja viel darüber spekuliert, dass Gemeinden selbst Investoren werden können und einer ZEDE beitreten. Können die Beschlüsse das verhindern?
JOAQUIN MEJÍA: Ich möchte nochmal darauf beharren, dass das nicht allein ein rechtliches Problem ist, sondern mindestens ebenso ein politisches. Wir Anwält*innen sollten nie vergessen, dass das Volk laut Verfassung der Hauptakteur und der Souverän in solchen Fragen ist. Das heißt, wer diese Macht des Souveräns an sich reißt, macht sich des Landesverrates schuldig und seine Handlungen sind nichtig. Die Verfassung selbst sagt auch, dass die Artikel, die das Grundgerüst der Verfassung bilden, in Kraft bleiben, selbst wenn sie durch eine Verfassungsänderung, die ihnen zuwiderläuft, außer Kraft gesetzt wurden. I
Ich betone das auch deshalb, weil es ja nicht notwendigerweise die Gemeindebezirke selbst sind, die von sich aus Bürgerversammlungen abhalten. Es sind die Bürger*innen, die Druck machen und die Munizipien dazu verpflichten, diese Prozesse direkter demokratischer Mitbestimmung zu ermöglichen, woraus dann die Beschlüsse entstehen. Es ist sehr wichtig, dass die Gemeindebezirke durch demokratische Aktion aufgefordert werden, die jeweiligen Beschlüsse zu beachten.
Die ZEDE sind auf Rechtsunsicherheit gebaut
Warum reite ich so darauf herum? Weil ich überzeugt bin, dass Unternehmen ihre Geschäfte auf einer rechtssicheren Basis machen wollen. Die ZEDEs sind aber auf Rechtsunsicherheit gebaut. Warum wohl hat zum Beispiel ZEDE Próspera sich beeilt, die designierte Präsidentin zu einem Dialog einzuladen? Weil sie genau wissen, dass ihre Existenz rechtlich unsicher ist. Ich bin wirklich fest überzeugt, dass die Kraft und die Gegenmacht, die das honduranische Volk in den Wahlen vom 28. November gezeigt hat, ein historischer Vorgang, wie wir ihn seit 1997 nicht mehr erlebt haben, sich jetzt weiter auf den Straßen manifestieren muss. Wenn Tausende auf die Straße gehen, wenn diese Leute von ZEDE Próspera täglich ein Protestcamp vor der Nase haben, gegen das sie nichts unternehmen können, dann bewirkt das etwas. Allein auf die rechtlichen Möglichkeiten zu setzen, die wir hier erörtert haben, wird auf keinen Fall ausreichen. Ohne sozialen Druck werden wir nichts erreichen. Deshalb sind die Akte direkter Demokratie und die offenen Bürger*innenversammlungen fundamental. Oder wie Alain Touraine sagt, wenn dieser soziale Druck und die öffentliche Kritik fehlen, dann verwandelt sich die Demokratie in Oligarchie. Wir müssen diesen Schwung, die Gegenmacht, die sich bei den letzten Wahlen gezeigt haben, nutzen und Druck aufbauen, zum Beispiel durch Camps für Würde und Gerechtigkeit, wie uns die Beispiele des Movimiento Amplio, aus Guapinol, von COPINH etc. längst gezeigt haben. Es geht darum, den Leute, die sich mit den ZEDE eingelassen haben, klar zu machen, dass sie von Beginn an auf unsicherer Rechtsgrundlage gearbeitet haben.
PUBLIKUMSFRAGE: Dassaev, werden Sie zum Thema der ZEDEs in Honduras weiterarbeiten, gerade auch über die verschiedenen Investor*innen?
DASSAEV: Ja, wir haben mit dem Film nur einen vorläufigen Schlusspunkt gesetzt und warten jetzt ab, welche Informationen, etwa über das CAMP, nach dem Amtsantritt von Xiomara Castro ans Tageslicht kommen, um weiter recherchieren zu können. Es gibt auch noch andere Recherchelinien wie zum Beispiel das im Film bereits thematisierte gewaltsame Verschwindenlassen der vier Garífuna in Triunfo de la Cruz. Es geht, über den Kontext der ZEDEs hinaus, um die Verfolgung und Unterdrückung der Gemeinden, die ihre Territorien verteidigen. Diese Szenarien haben viele Facetten und sie bestehen weiter, so dass hier noch sehr viel journalistische Arbeit zu leisten ist.