Samstag, 15. April 2023

Mitteilung des Movimiento Amplio por la Dignidad y Justicia – MADJ (Breite Bewegung für Würde und Gerechtigkeit) zur Situation in indigenen Gemeinden der Tolupanes in San Francisco de Locomapa

Rosa Adilia Vieda und Ramón Santiago Matute vom indigenen
Gemeinderat  in San Francisco de Locomapa Foto: Rita Trautmann

12. April 2023

MADJ ist eine soziale Basisorganisation, die sich für den Schutz der Menschenrechte, der natürlichen Lebensgrundlagen, der indigenen Völker und für den Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras einsetzt.

Über die Vorfälle, die sich am 12. April 2023 in der Gemeinde der indigenen Tolupanes in San Francisco de Locomapa ereignet haben, sind wir sehr besorgt.  

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Honduras (span.: OACNUDH) und die MADJ planen einen Fortbildungsprozess für die Gemeinden der Tolupanes, um deren Rechte zu stärken. Am 12. April 2023 sollte der Auftaktworkshop zum Thema „Freie, vorherige und informierte Zustimmung nach der ILO-Konvention 169“  im Gebäude des kommunitären Radios von Locomapa in der Gemeinde San Francisco Campo stattfinden.

Der Präsident des indigenen Gemeinderates (Consejo Directivo) von San Francisco de Locomapa, Ramón Santiago Matute, und die Vizepräsidentin, Rosa Adilia Vieda (beide wurden am 26.3.23 neu in ihre Ämter gewählt), fuhren morgens zusammen zum Abzweig El Medio (Yoro), um dort andere Teilnehmer:innen des Workshops abzuholen. Auf dem Weg dorthin erfuhren sie, dass eine Gruppe von Personen, angeführt von José Alberto Alonzo Vieda und Doris Isabel Ramírez, den Abzweig besetzt hielten, um die Durchfahrt für Teilnehmende, Funktionäre des Umweltministeriums (SERNA), der staatlichen Fortbehörde (ICF) sowie dem Team der MADJ und der OACNUDH zu verhindern.

Die kriminellen Handlungen der Einschüchterung, Behinderung und Bedrohung, die von diesen Personen in San Francisco de Locomapa ausgehen, werden von in diesem Gebiet illegal operierenden Unternehmen im Holzhandel und Bergbau finanziert und inszeniert. Diese Unternehmer sehen ihre rechtswidrigen Aktivitäten durch die organisierten und für ihre Rechte eintretenden indigenen Aktivist:innen gefährdet. Informationen zu den illegalen Aktivitäten sind allgemein bekannt und haben die Enteignung der Gemeingüter der indigenen Gemeinden zum Ziel.  

Am Montag, den 10. April, identifizierten mehrere Personen Herrn Santiago Londoño, Eigentümer des Bergbauunternehmens LACHANSA. Er wurde in der Nähe der illegalen Mine seines Unternehmens gesehen. Dies setzte die Gemeinde in Alarmbereitschaft, da die Praxis des Absperrens von Wegen für Gemeindemitglieder bereits 2022 durchgeführt wurde, um illegale Schürfungen für die Firma LACHANSA vorzunehmen. Diese Vorfälle wurden angezeigt und von der Generalstaatsanwaltschaft bestätigt, ohne dass jedoch weitere Schritte seitens der staatlichen Institutionen unternommen wurden.

Unterdessen versucht der Holzunternehmer Wilder Domínguez durch Bestechungen von Gemeindemitgliedern und lokalen Autoritäten eine Gemeindeversammlung einzuberufen, die ihm den Holzeinschlag erlauben soll. Aktuell ist der Managementplan zur Waldbewirtschaftung durch die staatliche Forstbehörde (ICF) suspendiert. Laut Aussagen der Straßenblockierer:innen, soll die Blockade bis zum Abhalten der Versammlung, die für den 16.April 2023 geplant ist, durchgeführt werden. Die Gewalt in den Gemeinden nimmt jedes Mal zu, wenn die Unternehmer in das Gebiet kommen.

Aufgrund der erhaltenen Warnung versammelten sich die Teilnehmenden des geplanten Workshops am Abzweig El Medio und informierten das OACNUDH- Team über die Situation, die daraufhin Polizeibegleitung nach San Francisco de Locomapa organisierten. Gegen 10 Uhr morgens kam eine Polizeipatrouille zum Abzweig und gemeinsam fuhren wir in Richtung des Veranstaltungsortes. Am Abzweig La Conce wurden wir von einer Personengruppe bestehend aus Kindern, älteren Menschen, Frauen und Männern, die mit Machteten und Stöcken bewaffnet waren, an der Weiterfahrt gehindert.

Die Polizeibeamten versuchten mit der Gruppe zu sprechen, um die Lage unter Kontrolle zu bringen und weiterfahren zu können. Trotz der Bemühungen durch die Polizei begann die Gruppe, Drohungen auszusprechen, sie schrien uns an, dass wir nicht weiterfahren dürfen und dass sie das Haus von José María Pineda anzünden würden. José María Pineda ist ein indigener Aktivist, dem die Interamerikanische Menschenrechtskommission (span.: CIDH) Schutzmaßnahmen zugesprochen hat. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in den Gebäuden des kommunitären Radios, um mit lokalen Autoritäten den Workshops vorzubereiten.

Gleichzeitig kam auch der Generalsekretär des Umweltministeriums (SERNA), der Anwalt Ariel Madrid an der Straßenblockade an. Diesem wurde nicht nur die Durchfahrt verweigert, sondern versucht, gewaltsam sein Auto zu öffnen - es wurden auf die Scheiben eingeschlagen und Beleidigungen geschrien. Madrid fuhr umgehend von der Blockade weg. Die Funktionäre der staatlichen Forstbehörde (ICF), die ebenfalls den Workshop unterstützen wollten, wurden auch an der Weiterfahrt gehindert. Beim Wegfahren rannten einige Personen dem Auto hinterher und schrien Beleidigungen, ohne Rücksicht darauf, dass sich die Funktionäre in einem deutlich gekennzeichneten staatseigenen Fahrzeug bewegten.

Um keine weiteren Risiken einzugehen und eine Konfrontation mit dieser Gruppe zu vermeiden, kehrten wir um und fuhren nach Yoro, um im dortigen Rathausgebäude den Workshop durchzuführen.

Gegen 17 Uhr, nach Abschluss des Workshops, wurden wir darüber informiert, dass der Weg immer noch blockiert war. Nun hielt sich die Personengruppe in der Gemeinde Mojinga auf und waren nicht nur mit Macheten und Stöcken, sondern auch mit Schusswaffen ausgerüstet. Sie warteten auf das Fahrzeug, mit dem Ramón Santiago Matute und Rosa Adilia Vieda nach Hause fuhren. Diese sollten angegriffen und daran gehindert werden, ihre Gemeinde zu betreten. Ramón Santiago Matute wurden ebenfalls spezielle Schutzmaßnahmen durch die CIDH zugesprochen, für Rosa Adilia Vieda wurden Schutzmaßnahmen beantragt.

Aufgrund dieser angespannten Sicherheitslage und um Ramón Matute und Rosa Adilia Vieda nicht in Lebensgefahr zu bringen, riefen wir mehrmals die Polizeistation an, die für die Umsetzung der von der CIDH erlassenen Schutzmaßnahmen zuständig sind, sowie den Chef der Nationalen Polizei in Yoro. Unsere Anrufe liefen ins Leere, so dass wir die Polizei in Yoro aufsuchten, um Begleitung zu erhalten. Die Antwort der örtlichen Polizei war, dass sie weder Streifenwagen noch Motorräder und auch kein Personal hätten, die dies übernehmen könnte.

Ramón Santiago Matute und Rosa Adilia Vieda befinden sich in einer lebensgefährlichen Situation. Es ist ihnen zu diesem Zeitpunkt und solange die illegale Blockade anhält, nicht möglich, in ihre Gemeinde zurückzukehren. Beide haben Anzeige erstattet wegen Bedrohung und illegalen Versammlungen und Blockaden.

Wir haben noch einmal die polizeiliche Begleitung der beiden gefordert. Diesmal mussten wir auf die Streifenwagen warten. Als diese kamen, wurde uns mitgeteilt, dass sie die Begleitung bis San Francisco de Locomapa nicht übernehmen könnten, sondern uns nur bis zum Ortsausgang von Yoro (Zona El Medio) begleiten könnten.

Eine weitere besorgniserregende Situation entstand, als das Fahrzeug, in dem Ramón Santiago Matute und Rosa Adilia Vieda saßen, kurz vor der Ankunft in El Medio, von einem anderen Fahrzeug gerammt wurde. Nach dem Aufprall fuhr dieses Auto schnell weg, während das Polizeiauto einfach weiter fuhr, ohne den Aggressor zu verfolgen.

Laut Informationen der Umweltverteidiger:innen in San Francisco de Locomapa, bestehen die Blockaden nach wie vor. Die Gruppe blockiert die zwei zuvor genannten Wege und ist bewaffnet. Sie verbieten allen Personen, die sich für den Schutz der Gemeingüter einsetzen und sich gegen die unkontrollierte Nutzung der Gemeingüter wehren, sowohl den Zugang zu den Gemeinden als auch das Verlassen der Gemeinden.

Trotz der Aufforderungen an die Polizei in Yoro, die Personen, die diese illegalen Handlungen in den Tolupan-Gemeinden begehen, zu vertreiben und festzunehmen, gab es keine positiven Reaktionen. Dies schafft eine angespannte Sicherheitssituation für die unter Schutzmaßnahmen stehenden Personen, die sich aktuell in den Gemeinden befinden und diese nicht verlassen können. Bisher konnten auch Ramón Santiago Matute und Rosa Adilia Vieda nicht nach Hause zurückkehren. Rosa Adilia Vieda kann so ihre drei minderjährigen Kinder nicht versorgen.

Mit größtem Respekt und im Geiste der Solidarität mit dieser schwierigen Situation für die Umweltverteidiger:innen der Tolupan-Gemeinden bitten wir euch, die Situation in San Francisco de Locomapa weiter zu verfolgen.

Estefany Contreras im Namen von MADJ