Rosa Adilia Vieda und Ramón Santiago Matute vom indigenen Gemeinderat in San Francisco de Locomapa Foto: Rita Trautmann |
12. April 2023
MADJ ist eine soziale Basisorganisation, die sich für den Schutz der Menschenrechte, der natürlichen Lebensgrundlagen, der indigenen Völker und für den Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras einsetzt.
Über die Vorfälle, die sich am 12. April 2023 in der
Gemeinde der indigenen Tolupanes in San Francisco de Locomapa ereignet haben, sind
wir sehr besorgt.
Das UN-Hochkommissariat für
Menschenrechte in Honduras (span.: OACNUDH) und die MADJ planen einen
Fortbildungsprozess für die Gemeinden der Tolupanes, um deren Rechte zu
stärken. Am 12. April 2023 sollte der Auftaktworkshop zum Thema „Freie,
vorherige und informierte Zustimmung nach der ILO-Konvention 169“ im Gebäude des kommunitären Radios von
Locomapa in der Gemeinde San Francisco Campo stattfinden.
Der Präsident des indigenen Gemeinderates (Consejo
Directivo) von San Francisco de Locomapa, Ramón Santiago Matute, und die
Vizepräsidentin, Rosa Adilia Vieda (beide wurden am 26.3.23 neu in ihre Ämter
gewählt), fuhren morgens zusammen zum Abzweig El Medio (Yoro), um dort andere Teilnehmer:innen
des Workshops abzuholen. Auf dem Weg dorthin erfuhren sie, dass eine Gruppe von
Personen, angeführt von José Alberto Alonzo Vieda und Doris Isabel Ramírez, den
Abzweig besetzt hielten, um die Durchfahrt für Teilnehmende, Funktionäre des
Umweltministeriums (SERNA), der staatlichen Fortbehörde (ICF) sowie dem Team
der MADJ und der OACNUDH zu verhindern.
Die kriminellen Handlungen der Einschüchterung, Behinderung
und Bedrohung, die von diesen Personen in San Francisco de Locomapa ausgehen,
werden von in diesem Gebiet illegal operierenden Unternehmen im Holzhandel und
Bergbau finanziert und inszeniert. Diese Unternehmer sehen ihre rechtswidrigen
Aktivitäten durch die organisierten und für ihre Rechte eintretenden indigenen Aktivist:innen
gefährdet. Informationen zu den illegalen Aktivitäten sind allgemein bekannt
und haben die Enteignung der Gemeingüter der indigenen Gemeinden zum Ziel.
Am Montag, den 10. April, identifizierten mehrere Personen
Herrn Santiago Londoño, Eigentümer des Bergbauunternehmens LACHANSA. Er wurde
in der Nähe der illegalen Mine seines Unternehmens gesehen. Dies setzte die
Gemeinde in Alarmbereitschaft, da die Praxis des Absperrens von Wegen für
Gemeindemitglieder bereits 2022 durchgeführt wurde, um illegale Schürfungen für
die Firma LACHANSA vorzunehmen. Diese Vorfälle wurden angezeigt und von der Generalstaatsanwaltschaft
bestätigt, ohne dass jedoch weitere Schritte seitens der staatlichen
Institutionen unternommen wurden.
Unterdessen versucht der Holzunternehmer Wilder Domínguez
durch Bestechungen von Gemeindemitgliedern und lokalen Autoritäten eine
Gemeindeversammlung einzuberufen, die ihm den Holzeinschlag erlauben soll.
Aktuell ist der Managementplan zur Waldbewirtschaftung durch die staatliche Forstbehörde
(ICF) suspendiert. Laut Aussagen der Straßenblockierer:innen, soll die Blockade
bis zum Abhalten der Versammlung, die für den 16.April 2023 geplant ist,
durchgeführt werden. Die Gewalt in den Gemeinden nimmt jedes Mal zu, wenn die
Unternehmer in das Gebiet kommen.
Aufgrund der erhaltenen Warnung versammelten sich die Teilnehmenden
des geplanten Workshops am Abzweig El Medio und informierten das OACNUDH- Team über
die Situation, die daraufhin Polizeibegleitung nach San Francisco de Locomapa
organisierten. Gegen 10 Uhr morgens kam eine Polizeipatrouille zum Abzweig und
gemeinsam fuhren wir in Richtung des Veranstaltungsortes. Am Abzweig La Conce
wurden wir von einer Personengruppe bestehend aus Kindern, älteren Menschen,
Frauen und Männern, die mit Machteten und Stöcken bewaffnet waren, an der
Weiterfahrt gehindert.
Die Polizeibeamten versuchten mit der Gruppe zu sprechen, um
die Lage unter Kontrolle zu bringen und weiterfahren zu können. Trotz der
Bemühungen durch die Polizei begann die Gruppe, Drohungen auszusprechen, sie
schrien uns an, dass wir nicht weiterfahren dürfen und dass sie das Haus von José
María Pineda anzünden würden. José María Pineda ist ein indigener Aktivist, dem
die Interamerikanische Menschenrechtskommission (span.: CIDH) Schutzmaßnahmen
zugesprochen hat. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in den Gebäuden des
kommunitären Radios, um mit lokalen Autoritäten den Workshops vorzubereiten.
Gleichzeitig kam auch der Generalsekretär des
Umweltministeriums (SERNA), der Anwalt Ariel Madrid an der Straßenblockade an. Diesem
wurde nicht nur die Durchfahrt verweigert, sondern versucht, gewaltsam sein
Auto zu öffnen - es wurden auf die Scheiben eingeschlagen und Beleidigungen
geschrien. Madrid fuhr umgehend von der Blockade weg. Die Funktionäre der
staatlichen Forstbehörde (ICF), die ebenfalls den Workshop unterstützen
wollten, wurden auch an der Weiterfahrt gehindert. Beim Wegfahren rannten
einige Personen dem Auto hinterher und schrien Beleidigungen, ohne Rücksicht
darauf, dass sich die Funktionäre in einem deutlich gekennzeichneten
staatseigenen Fahrzeug bewegten.
Um keine weiteren Risiken einzugehen und eine Konfrontation
mit dieser Gruppe zu vermeiden, kehrten wir um und fuhren nach Yoro, um im
dortigen Rathausgebäude den Workshop durchzuführen.
Gegen 17 Uhr, nach Abschluss des Workshops, wurden wir
darüber informiert, dass der Weg immer noch blockiert war. Nun hielt sich die
Personengruppe in der Gemeinde Mojinga auf und waren nicht nur mit Macheten und
Stöcken, sondern auch mit Schusswaffen ausgerüstet. Sie warteten auf das
Fahrzeug, mit dem Ramón Santiago Matute und Rosa Adilia Vieda nach Hause
fuhren. Diese sollten angegriffen und daran gehindert werden, ihre Gemeinde zu
betreten. Ramón Santiago Matute wurden ebenfalls spezielle Schutzmaßnahmen
durch die CIDH zugesprochen, für Rosa Adilia Vieda wurden Schutzmaßnahmen
beantragt.
Aufgrund dieser angespannten Sicherheitslage und um Ramón
Matute und Rosa Adilia Vieda nicht in Lebensgefahr zu bringen, riefen wir
mehrmals die Polizeistation an, die für die Umsetzung der von der CIDH
erlassenen Schutzmaßnahmen zuständig sind, sowie den Chef der Nationalen
Polizei in Yoro. Unsere Anrufe liefen ins Leere, so dass wir die Polizei in
Yoro aufsuchten, um Begleitung zu erhalten. Die Antwort der örtlichen Polizei
war, dass sie weder Streifenwagen noch Motorräder und auch kein Personal
hätten, die dies übernehmen könnte.
Ramón Santiago Matute und Rosa Adilia Vieda befinden sich in
einer lebensgefährlichen Situation. Es ist ihnen zu diesem Zeitpunkt und
solange die illegale Blockade anhält, nicht möglich, in ihre Gemeinde
zurückzukehren. Beide haben Anzeige erstattet wegen Bedrohung und illegalen
Versammlungen und Blockaden.
Wir haben noch einmal die polizeiliche Begleitung der beiden
gefordert. Diesmal mussten wir auf die Streifenwagen warten. Als diese kamen,
wurde uns mitgeteilt, dass sie die Begleitung bis San Francisco de Locomapa
nicht übernehmen könnten, sondern uns nur bis zum Ortsausgang von Yoro (Zona El
Medio) begleiten könnten.
Eine weitere besorgniserregende Situation entstand, als das
Fahrzeug, in dem Ramón Santiago Matute und Rosa Adilia Vieda saßen, kurz vor
der Ankunft in El Medio, von einem anderen Fahrzeug gerammt wurde. Nach dem
Aufprall fuhr dieses Auto schnell weg, während das Polizeiauto einfach weiter
fuhr, ohne den Aggressor zu verfolgen.
Laut Informationen der Umweltverteidiger:innen in San
Francisco de Locomapa, bestehen die Blockaden nach wie vor. Die Gruppe
blockiert die zwei zuvor genannten Wege und ist bewaffnet. Sie verbieten allen
Personen, die sich für den Schutz der Gemeingüter einsetzen und sich gegen die
unkontrollierte Nutzung der Gemeingüter wehren, sowohl den Zugang zu den
Gemeinden als auch das Verlassen der Gemeinden.
Trotz der Aufforderungen an die Polizei in Yoro, die
Personen, die diese illegalen Handlungen in den Tolupan-Gemeinden begehen, zu
vertreiben und festzunehmen, gab es keine positiven Reaktionen. Dies schafft
eine angespannte Sicherheitssituation für die unter Schutzmaßnahmen stehenden
Personen, die sich aktuell in den Gemeinden befinden und diese nicht verlassen
können. Bisher konnten auch Ramón Santiago Matute und Rosa Adilia Vieda nicht nach
Hause zurückkehren. Rosa Adilia Vieda kann so ihre drei minderjährigen Kinder
nicht versorgen.
Mit größtem Respekt und im Geiste der Solidarität mit dieser
schwierigen Situation für die Umweltverteidiger:innen der Tolupan-Gemeinden bitten
wir euch, die Situation in San Francisco de Locomapa weiter zu verfolgen.
Estefany Contreras im Namen von MADJ