Freitag, 4. Oktober 2013

Aufruf zur Verteidigung der indigenen Territorien in Honduras

In einer Stellungnahme des seit etwa zwei Jahren bestehenden Menschenrechtsobservatorium für Indigene und Schwarze Völker von Honduras ODHPINH, werden die vielfachen Verletzungen indigener Rechte in Honduras angeprangert. Die größte Bedrohung sehen die unterzeichnenden Repräsentant*innen der Lenca, Maya-Chorti, Tolupan, Garífuna, Miskito, Pech und Tawahka Völker in Projekten, die ohne vorherige Zustimmung der betroffenen Gemeinden durchgeführt werden und den Zugang auf die Gemeingüter in den indigenen Territorien einschränken, was zur allmählichen Vertreibung, systematischen Unterdrückung und dem Auslöschen ihrer Kultur führt. ODHPINH ruft deshalb dazu auf, diesen Landnahmen, den Bergbau- und Staudamm-Projekten, der Waldenteignung, der Militarisierung und anderen Programmen die Stirn zu bieten und die Territorien zu verteidigen. 

ÖFFENTLICHE STELLUNGNAHME
DES
MENSCHENRECHTS-OBSERVATORIUM FÜR INDIGENE UND SCHWARZE VÖLKER VON HONDURAS, ODHPINH[1]
Die in der Stadt Tegucigalpa im Rahmen des Seminars über den „Free, Prior and Informed Consent“ (die freiwillig vorab und in Kenntnis der Sachlage gegebene Zustimmung)[2] versammelten Vertreter*innen der Lenca, Maya-Chorti, Tolupan, Garífuna, Miskito, Pech und Tawahka Völker klagen an,

 
  1. dass 18 Jahre nach der Ratifizierung der Konvention 169 durch den honduranischen Staat die Verletzung unserer kollektiven Rechte angestiegen ist, wodurch unser Überleben als unterschiedliche Kulturen im Land gefährdet ist.
  2. dass der Staat einen Plan zum Verschwinden unserer indigenen und schwarzen Völker veranlasst und fördert, indem Gesetze ohne unsere Zustimmung verabschiedet werden, wie das Bergbaugesetz, das Mineralöl-Gesetz, das Wasser-Gesetz, das Gesetz zu den Modellstädten oder ZEDE[3], zu Staudämmen und Redd+[4]. Teil dieses Plans des Verschwindenlassens unserer Völker ist die allmähliche Vertreibung aus unseren Territorien, der wir durch das Eindringen Dritter, welche unsere uralten ererbten Eigentümer missachten, unterworfen sind.
  3. dass das Bündnis aus staatlichen Institutionen (Staatsanwaltschaft, Heer, Justizgewalt, Sedinafroh[5]), zusammen mit der chinesischen Firma Sinohydro und ihrer honduranische Zweigstelle DESA, eine Verfolgungs- und Kriminalisierungskampagne gegen die Leiter*innen des Zivilen Rats der Volks- und indigenen Organisationen COPINH, Berta Cáceres, Aureliano Molina und Tomás Membreño, aufgenommen haben, mit dem Ziel, den Widerstand der Lenca-Gemeinde von Río Blanco gegen den Staudamm Agua Zarca des Gualcarque-Flusses zu zerschlagen.
  4. dass sich der Staat am 14. März 1997 dazu verpflichtete, dem Maya-Chortí Volk 14.700 Hektar Flachland auszustellen und bis heute kein politischer Wille bestanden hat, diese Forderungen des Maya-Chortí Volkes zu erfüllen. Ergebnis ist, dass es schon mehrere Vertreibungen gegeben hat und weitere Räumungen in Gemeinden wie Plan del Perico, Chonco, Carrizalon und Boca del Monte im Departament Copán bevorstehen.
  5. die Verfolgung und Bedrohung von Gemeindeführer*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen in der Zone des Stammes San Francisco, Locomapa, Yoro, vonseiten der Auftragsmörder, die von Unternehmern bezahlt werden, welche unsere natürlichen Gemeingüter durch den Tagebau und die wahllose Ausbeutung des Waldes plündern; all dies gemeinsam mit dem Verband der Xicaques-Stämme von Yoro FETRIXY. Ebenfalls klagen wir den Mord unserer indigenen Tolupan-Geschwister María Enriqueta Matute, Armando Medina Fúnez und Ricardo Soto Fúnez an, welchen das Leben am 25. August diesen Jahres genommen wurde. Aufgrund dieser Tatsache wurden acht Tolupan-Compañeros kriminalisiert und zum Verlassen ihrer Wohnorte gezwungen.
  6. den Verlust der einheimischen Sorten aufgrund der Einführung von gentechnisch verändertem Saatgut, obwohl Honduras zur genetischen Wiege des Maises gehört. In diesem Sinne verurteilen wir, dass der aktuelle Landesplan[6] der Lobo Sosa Regierung die wahllose Aussaat von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) beinhaltet, wodurch die Ernährungssicherheit der Gemeinschaften und der honduranischen Gesellschaft bedroht wird.
  7. die Bergbaukonzession in der Pech-Gemeinde Santa María del Carbón ohne jegliche Befragung der Gemeinden und des Pech-Volkes ausgehändigt zu haben.
  8. Wir bedauern zutiefst den Zustand unseres ´Narco´[7]-Staats, mit dem der honduranische Staat ausgebootet wurde, da enorme Gebiete des nationalen Territoriums in den Händen von Feudalherren sind, die mit dem Drogenhandel verbunden sind – eine Situation, die zu einem provozierten gescheiterten Staat geführt hat.
  9. Wir lehnen die Verzerrung des Charakters des Garífuna-Volkes als simple Afrostämmige ab, was das vage Konzept der Rasse dem über ihre Kultur voranstellt. Dies ist Teil der kulturellen Homogenisierung, die von internationalen Finanzorganisationen und der derzeitigen Regierungsverwaltung vorangetrieben wird.
Als indigene und schwarze Völker fordern wir:
  1. Die Respektierung des Free, Prior and Informed Consent (FPIC) durch die staatliche Verwaltung und ein Ende der Kriminalisierung und Verfolgung unserer Völker, die für die Verteidigung ihrer Rechte kämpfen.
  2. Die Beendigung der juristischen Schikanierung unserer Schwester Berta Cáceres, Aureliano Molina und Tomas Gómez Membreño und weiteren Compañeros, die angeklagt und verurteilt sind allein aufgrund der Verteidigung unserer Territorien, Gemeingüter und Kulturen.
  3. Die Anerkennung des FPIC-Gesetzes, das direkt von den Völkern mit dem Ziel, unsere Territorien vor dem bestehenden enormen territorialen Druck verteidigen zu können, erarbeitet und beschlossen wird.
  4. Die beweiskräftige Untersuchung der Morde an Miskitos, Lenca und Tolupanes, die von honduranischen Militär- und Polizeikräften, Agenten der DEA[8] und Auftragskillern des Bergabbaus und des Staudammbaus ermordet wurden.
  5. Die Beschleunigung der Untersuchungen bezüglich der Anklagen, die von Indigenen bei der Staatsanwaltschaft für Ethnien vorgebracht worden sind, um Gerichtsurteile für die hunderten vor diese Institution getragenen Anklagen zu erwirken.
  6. Die Erfüllung der Vereinbarungen des Staates mit dem Maya-Chorti Volk, unterzeichnet am 14. März 1997.
  7. Die sofortige Aufhebung des Fischerei-Gesetzes bis der FPIC angewandt wurde, ebenso wie im Fall von Staudammbau, Bergbau und Abbau von Mineralöl.
  8. Die Informierung unserer Völker über das Human Terrain System[9] und die Untersuchungen, die darin gemacht wurden, aufgrund der Möglichkeit, dass wir uns als indigene Völker in ein Aufstandsbekämpfungs-Objekt verwandeln.
  9. Die Entmilitarisierung der Gemeinden und der honduranischen Gesellschaft. Wir lehnen die Verwendung des Heeres als Polizeikraft ab und warnen vor der durch diese Regierungs-Maßnahme provozierte Gefahr, die aufgrund des hohen Maßes an Korruption und der Verseuchung der Staatsstrukturen durch den Drogenhandel besteht, ebenso wie die Gefahr der wachsenden Anzahl an Menschenrechtsverletzungen im Land vonseiten staatlicher Organisationen.
Die indigenen Völker und Gemeinden im Widerstand erklären sich somit:
Erstens: in permanenter Widerspenstigkeit gegenüber dem Elend und der Armut, in all deren Formen und Äußerungen. Wir werden keine Bettler und Bettlerinnen mehr sein, keine Sklaven und Sklavinnen auf unserem eigenen Land, von keiner transnationalen, nationalen oder kommunalen Macht, die darauf abzielt, uns als Volk auszuschließen, ebenso wie von keiner anderen Autorität, die uns das Recht darauf, würdevoll zu leben, negiert.
Zweitens: in permanentem Widerstand gegen jedwede Autorität, die die heiligen Rechte der Mutter Erde verletzt, die unsere Flüsse und Wälder vergewaltigt und aneignet, die uns aus den uralten ererbten oder Gemeinde-Territorien vertreiben will, oder uns unsere überlieferte Kultur verwehrt und die Souveränität unseres Volkes an sich reißen will.
Drittens: in permanenter Widerspenstigkeit und im Widerstand gegen das Extraktivismus-Modell. Wir rufen alle Gemeinden, die vom transnationalen Kapital bedroht sind, dazu auf, ihre eigenen territorialen Aufstände auszuführen, die Organisierung und Mobilisierung zu stärken und die Unterdrückung, die Kriminalisierung und Militarisierung unserer Territorien abzulehnen.
Viertens: als Selbstproklamierte, ein erstes Treffen der Territorialen Aufstände abzuhalten, um unsere Kämpfe und Widerstände zu stärken, und mit dem Ziel, ein auf unseren Kosmovisionen und Erfahrungen gründendes FPIC-Gesetz und ein indigenes Gesetz zu erarbeiten.
Es unterzeichnen diese Stellungnahme Vertreter*innen der Lenca, Maya-Chorti, Tolupan, Garífuna, Pech, Miskito und Tawahka Völker.
Am 3. Oktober 2013 in Tegucigalpa



[1]  Observatorio de los Derechos Humanos de los Pueblos Indígenas y Negros de Honduras


[2] Verankert in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO


[3] ZEDE: Arbeits- und Wirtschaftsentwicklungszonen; Zonas de Empleo y Desarrollo Económico


[4] REDD+: Das Programm „Reducing Emissions from Deforestation and Degradation


[5] Sedinafroh: Staatsekretariat für die Entwicklung der Indigenen und Afrohonduranischen Völker; Secretaría de Estado para el Desarrollo de los Pueblos Indígenas y Afrohondureños


[6] Visión de País 2010-2038, Plan de Nación 2010-2022


[7] Drogenkartell-/Dealer


[8] Drug Enforcement Administration – US-amerikanische Drogenvollzugsbehörde


[9] Eine Art anthropologische Einheit des US-amerikanischen Militärs bestehend aus Sozialwissenschaftler*innen zur Erforschung lokaler Bevölkerungen, vordergründig zur Konfliktreduzierung. Siehe: http://www.aaanet.org/issues/policy-advocacy/statement-on-HTS.cfm