Mittwoch, 18. Februar 2015

Die neue Sklaverei der Modellstädte

Bald nach dem Putsch vom Juni 2009 begann die Regierung in Tegucigalpa mit  einem US-Ökonomen die Planung von „Modellstädten“, in denen es keinen Schutz  vor Ausbeutung und keine staatliche Souveränität mehr gibt.

Erschienen in Lateinamerika Anders Nr 1/2015, Autorin Magdalena Heuwieser

Die „Bananenrepublik“ Honduras galt schon Anfang des vorigen Jahrhunderts als Enklaven-Musterkind. Die US-Bananenfirmen hatten die honduranische Regierung unter ihren Fittichen und bildeten sozusagen Staaten im Staat. Der Militärputsch 2009 bereitete dann den Boden für ein Comeback der Enklaven: Die ultra-neoliberale Initiative der „Arbeits- und wirtschaftlichen Entwicklungszonen“ (ZEDEs), auch bekannt als „Modellstädte“, hebelt jegliche Form staatlicher Kontrolle und demokratischer Einflussnahme aus. Die ZEDEs könnten zu einem neuen Boom von Land Grabbing in Honduras führen.



Ausbeutung nach Masterplan

Im Jahr 2010 begann die honduranische Regierung Gespräche mit dem US- amerikanischen Ökonomen Paul Romer, um dessen Idee der Modellstädte oder Charter Cities in Honduras umzusetzen. Romer versprach Wachstum wie in Hongkong oder Singapur, neue Arbeitsplätze und landesweite Entwicklung. Auf einer Fläche von 1000 km2 sollte eine exterritoriale Stadt mit eigener „Charter“, also mit autonomer Gesetzgebung und selbstständigem Regierungs- und Sicherheitssystem, aus dem Boden gestampft werden, eine völlig neue Stadt, erbaut nach einem Masterplan. 2012 erfuhr man durch eine Vereinbarung zwischen Regierung und dem US-amerikanischen Millionär Michel Strong, wo diese Stadt geplant war: an der Karibikküste, von der Bahía de Trujillo bis zum Fluss Sico. Die Region wird von 24 Garífuna-Gemeinden bewohnt, die seither mehrfach von Räumungen bedroht waren (Garífunas sind die Nachfahren afrikanischer Sklaven an der mittelamerikanischen Karibikküste; Anm.).
Die utopisch klingende und radikal neue liberalistische Idee fand schnell Zuspruch bei der honduranischen Regierung sowie bei internationalen Medien und bei einflussreichen Unternehmen – doch nicht unbedingt in der honduranischen Bevölkerung. Diese „Modellstädte“ sollen von reichen Ländern oder Privatpersonen gesponsert werden und transnationalen Konzernen eine Heimat bieten. Die bisher bereits bestehenden Sonderwirtschaftszonen haben in Honduras jedoch schon gezeigt, dass zwar kurzfristig (prekäre) Arbeitsplätze geschaffen werden, dieses Modell die Abhängigkeit vom Weltmarkt jedoch weiter zuspitzt und Armut keineswegs wirkungsvoll bekämpft. Die Idee der Modellstädte kommt von einer extremen Richtung des Neoliberalismus und ist höchst demokratiefeindlich. Die Freiheit der Personen ist so weit gewahrt, dass sie bleiben können, solange sie brav arbeiten und keine Kritik an diesem System üben.

Ein zweiter Putsch

In Madagaskar war Paul Romer mit seinem Projekt, eine erste Modellstadt zu verwirklichen, bereits gescheitert: Als die Bevölkerung von dem Plan erfuhr, stürzte sie den Präsidenten. Im repressiven System nach dem Putsch in Honduras fand Romer hingegten ein williges Regime. Schon im Jänner 2011 autorisierte die Regierung von Präsident Lobo durch eine Verfassungsänderung die Einführung der Modellstädte unter dem Namen „Spezielle Entwicklungsregionen“ (Regiones Especiales de Desarrollo, RED). Daraufhin regte sich heftiger Protest unter der Bevölkerung, getragen von einem breiten Spektrum sozialer, politischer und indigener Organisationen. Nach wöchentlichen Kundgebungen, 12.000 eingereichten Unterschriften, knapp 70 Verfassungsklagen und weiteren Klagen wegen Landesverrats gegen den Präsidenten und Kongressabgeordnete, erklärte die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs die Modellstädte im Oktober 2012 für verfassungswidrig. Die im RED-Gesetz vorgesehene parallele legislative, exekutive und juristische Struktur der Modellstädte hätte die Demokratie in diesen Zonen außer Kraft gesetzt.
Doch zwei Monate später setzte der Kongress mit einem juristischen Putsch die vier der fünf Mitglieder der Verfassungskammer ab, die sich gegen die „Speziellen Entwicklungsregionen“ ausgesprochen hatten. Oscar Chinchilla, der einzige Richter, der sich für die REDs ausgesprochen hatte, wurde mit dem Posten des Generalstaatsanwalts belohnt. Schon am 23. Jänner 2013 brachte der Kongress die Sonderregionen über eine Verfassungsänderung wieder zurück auf die Tagesordnung, dieses Mal unter dem Titel: „Arbeits- und wirtschaftliche Entwicklungszonen“ (Zonas de Empleo y Desarrollo Económico, ZEDEs). Das dazugehörige Gesetz wurde vom Kongress am 6. September 2013 verabschiedet. Die von über 50 Organisationen dagegen eingereichten Verfassungsklagen wurden nicht mehr behandelt.
Die ZEDEs stehen nicht mehr unter der Schirmherrschaft von Paul Romer, der sich schon Mitte 2012 aufgrund interner Streitigkeiten aus dem Projekt zurückgezogen hatte. Sie brachten sogar eine Verschärfung gegenüber dem RED-Projekt: Die wenigen von Romer vorgesehenen Schutzmaßnahmen für ArbeiterInnen wurden gestrichen, Transparenz und demokratische Legitimität radikal beseitigt.

„Soziale“ Ausbeutung

Vorgesehen sind verschiedene Formen von ZEDEs, so genannte Sonderregimes: „Nationale und internationale Finanzzentren, Internationale Logistikzentren, Autonome Städte, Internationale Handelsgerichte, Spezielle Investitionsdistrikte, Erneuerbare Energie-Distrikte, Spezielle Wirtschaftszonen, Speziellen Justizsystemen unterstellte Zonen, Spezielle Agrarindustrielle Zonen, Spezielle Tourismuszonen, Soziale Bergbauzonen, Soziale Forstzonen oder auch jedwedes andere Spezialregime, das in diesem Artikel nicht erwähnt ist oder eine Kombination dieser Regimes beinhaltet“.
Wie der Anwalt Jari Dixon aufzeigt, sollen diese Bezeichnungen der Bevölkerung suggerieren, die ZEDEs kämen ihr aufgrund der „sozialen“ Aspekte und der Schaffung von Arbeitsplätzen zugute: „Was man macht ist, dass man mit den Namen spielt. Doch die Absicht ist eindeutig, nämlich den Reichtum des Landes aufs Äußerste auszubeuten“. Es wird vermutet, dass diese Sonderregelungen in ganz Honduras beispielsweise an Bergbau-, Staudamm-, Windpark-, Maquila- und Tourismusstätten angewendet werden sollen, um den nationalen Regulierungen zu beispielsweise Arbeits- und Umweltrechten auszuweichen und die Gewinne direkt abziehen zu können.
Dass nicht vorgesehen ist, dass die Regimes Bürger- und Menschenrechte anerkennen, macht auch folgende Formulierung im ZEDE-Gesetz deutlich: „Die Arbeis- und wirtschaftlichen Entwicklungszonen (ZEDE) dürfen ihre eigenen Bildungs-, Gesundheits-, Sozialversicherungs- und Wissenschaftsförderungssysteme einrichten, ebenso wie sie die Gewissens- und Religionsfreiheit, Arbeitsschutz und Versammlungsfreiheit garantieren dürfen.“

„Die Bevölkerung bestimmt“

Während die Charter City an einem (zumindest scheinbar) unbewohnten Ort entworfen und von sich freiwillig dafür entscheidenden Menschen besiedelt werden sollte, können ZEDEs überall in Honduras entstehen, wenn sich die Bevölkerung in einem Referendum dafür entscheidet. Allerdings mit zwei Ausnahmen: erstens im Falle von „geringer“ besiedelten Gegenden, wobei das Nationale Statistikinstitut entscheiden kann, ob dies zutrifft oder nicht. Zweitens wurden mehrere Küstenregionen von Volksabstimmungen ausgenommen. Wie auf der ZEDE-Homepage (http://zede.gob. hn/?page_id=10) ersichtlich ist, handelt es sich bei diesen ausgerechnet um indigene Territorien. In diesen keine Befragungen durchzuführen, ist nicht nur menschenrechtswidrig, sondern verletzt auch die von Honduras ratifizierte und somit rechtlich bindende Konvention 169 der ILO über indigene Völker.

Das Komitee für die Verwaltung der ZEDEs

Bei den ZEDEs ist nicht, wie vormals bei RED, ein Übergang zu demokratischen Regierungs- und Justizformen vorgesehen. Sie sollen stattdessen permanent von einem selbsternannten 21köpfigen „Komitee für den Einsatz Optimalen Verfahrens“ (CAMP) regiert werden, das nicht von den BürgerInnen gewählt werden kann. Dieses ernennt für jede ZEDE einen Technischen Sekretär oder eine Technische Sekretärin. Die Aufgaben von CAMP decken alle exekutiven sowie legislativen Aufgabenbereiche ab, es ernennt selbst die Richter und steht unter keinerlei Aufsicht durch die honduranische Regierung. Die Abkommen und geplanten Durchführungsschritte müssen nicht öffentlich gemacht werden.
CAMP ist mit prominenten neoliberalen Persönlichkeiten bestückt, wie dem Sohn des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, der Generalsekretärin des Friedrich Hayek-Instituts, dem honduranischen Ex-Präsidenten Ricardo Maduro oder Mark Klugmann, einem der Erfinder des Projekts, ehemaliger Redenschreiber von Ronald Reagan und George H. W. Bush, sowie Berater von Porfirio Lobo. Statt von ZEDEs spricht Klugman lieber von „LEAP Zones“ (Legal, Economic, Administrative, Political Jurisdictions), die auch in anderen Ländern vorangetrieben werden. Der Vorteil von LEAP-Zones ist ihm zufolge: „schnelleres Wirtschaftswachstum, weniger Konflikte“.
Die Rhetorik, mit der die Bevölkerung teilweise erfolgreich von dem Modell überzeugt wird, präsentiert die ZEDEs als Lösung für Armut, Migration und Kriminalität. Anstatt zu versuchen, die Strukturen des Landes zu verändern, sei es leichter, Oasen zu bilden, in die freiwillig migriert werden kann, so Mark Klugmann. Dass in den für die ZEDEs vorgesehenen Territorien schon Menschen leben, die diese Entscheidung nicht frei treffen können, wird dabei nicht erwähnt.
Mehrere von ZEDEs bedrohte Gemeinden an der Karibik- sowie der Pazifikküste leisten schon jetzt Widerstand. So gibt es sowohl auf der Pazifik-Halbinsel Zacate Grande sowie im Garífuna-Territorium neue Versuche der Landaneignung und Vertreibung, welche Vermutungen der Gemeinden zufolge mit den Vorbereitungen auf die ZEDEs zusammenhängen. Viele Gemeinden fürchten den Verlust ihrer Ländereien, für die sie kaum offizielle Landtitel besitzen, sowie die Auflösung ihrer lokalen Regierungsstrukturen – ohne in irgendeiner Weise dazu befragt oder entschädigt zu werden. Auf der Pazifik-Insel Amapala sind im Zusammenhang mit einer ZEDE sowie dem „Trockenen Kanal“ und der neuen Zugstrecke zur Atlantik-Küste ein Hafen und eine Brücke zum Festland geplant.


Magdalena Heuwieser ist Autorin des in Kürze beim Verlag Promedia, Wien, erscheinenden Buches „Grüner Kolonialismus in Honduras. Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Territorien“. Sie engagiert sich seit mehreren Jahren in der Solidarität mit honduranischen sozialen und indigenen Bewegungen (hondurasdelegation.blogspot.com) sowie in Netzwerken, die sich kritisch mit Green Economy und der „Finanzialisierung der Natur“ auseinandersetzen (ftwatch.at).