Kampf gegen das Staudammprojekt am Rio Blanco
Dokumentarfilm und Vortrag am 19. März 2015 im Centro Sociale in Hamburg
aus: Schattenblick, 31.3. 2015
In Honduras werden die Menschenrechte geachtet, freie Wahlen abgehalten und die Lebensverhältnisse dank ausländischer Investoren stetig verbessert - das besagt zumindest die offizielle Lesart der Bundesregierung und deutscher Unternehmen, die in dem mittelamerikanischen Land Geschäfte machen. Die Berliner Politik attestiert der Regierung in Tegucigalpa die Wahrung demokratischer Prinzipien, deutsche Wahlbeobachtermissionen finden am Urnengang in Honduras nichts auszusetzen, und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) finanziert eine kartographische Bestandsaufnahme der dortigen Bergbauressourcen durch deutsche Ingenieure. Die leidigen Turbulenzen um den früheren Präsidenten Manuel Zelaya Rosales, der am 28. Juni 2009 vom Militär gestürzt wurde, sind Schnee von gestern.
Fragt man die im Zuge des Staatsstreichs gegründete Nationale Widerstandsfront (FNRP), das Komitee der Familienangehörigen von Festgenommenen und Verschwundenen in Honduras (COFADEH), nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen, soziale Bewegungen und die indigene Bevölkerung, zeichnet sich ein gänzlich anderes Bild ab. Immer wieder kommt es zu repressiven Übergriffen durch Polizei, Militär, Geheimdienste und private Sicherheitsfirmen, die sich gegen Oppositionelle, Journalisten, jegliche Kritiker der Regierungspolitik wie auch indigene und sozial benachteiligte Gruppen richten. Staatliche Institutionen sind aktiv daran beteiligt, Anzeigen wegen Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen und Ermittlungen zu manipulieren. Wer den politischen und ökonomischen Bestrebungen der honduranischen Eliten, die sich wiederum ausländischen Interessen andienen, im Wege steht, ist von Einschüchterung, Entführung, Vergewaltigung, Folter und Mord bedroht.
Aus Perspektive vieler Menschen in Deutschland, die sich vor einigen Jahren noch für Honduras und Lateinamerika insgesamt interessierten, ist diese Weltregion in jüngerer Zeit weitgehend aus dem Fokus der Aufmerksamkeit verschwunden. Umwälzungen und Kriege im Nahen und Mittleren Osten wie auch in Osteuropa scheinen den Blick derart zu binden, daß wenig Raum für die Kämpfe um bessere Lebensverhältnisse in jenen Ländern bleibt, die seinerzeit als neue Hoffnungsträger einer schwindenden europäischen Linken galten. Um so wichtiger ist ein Zeichen gegen den Trend, das die Hamburger Romerotage [1] im März und April 2015 setzen. Unter dem Motto "Enredos. Violencia. Nuevos Inicios. - Verstrickungen. Gewalt. Neuanfänge." sollen Filme, Vorträge und Diskussionen, Ausstellungen, Gottesdienste, Tanzperformance und Konzerte nicht zuletzt viel Platz zum gegenseitigen Austausch schaffen.
Benannt nach Oscar A. Romero, dem Erzbischof von San Salvador, der am 24. März 1980 auf Befehl der Machthaber wegen seines Einsatzes für Gerechtigkeit und Frieden ermordet wurde, thematisieren die Romerotage das Erbe der Diktaturen, Migration, Vertreibung, die Verflechtungen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen wie auch die Lage der Indigenen und der armen städtischen Bevölkerung. Zur Sprache kommen dabei insbesondere auch die historischen Verstrickungen und aktuellen Komplizenschaften deutscher und europäischer Konzerne bei der Ausbeutung der Rohstoffe und der gewalttätigen Enteignung für Megaprojekte.
Den Kampf gegen ein solches Großprojekt dokumentiert der Film "Honduras: Territoriale Souveränität von Indigenen und Bäuerinnen/Bauern", der am 19. März im Hamburger Centro Sociale gezeigt wurde. Auf Einladung von zapapres e.V./Honduras-Koordination Hamburg berichteten Paola Reyes und Domingo Marin
vom Kollektiv Menschenrechtskette Honduras (CADEHO) aus Berlin über ihre Arbeit und standen in einer ausführlichen Diskussion Rede und Antwort, die ein wesentlich größeres Publikum verdient gehabt hätte. Desto interessierter waren die Anwesenden bei der Sache, wobei eine Minderheit der Gäste, die des Spanischen nicht mächtig war, dank der Übersetzung von Jutta Klass und Gerrit Höllmann vom Veranstalter zapapres stets im Bilde war.
Paola Reyes und Domingo Marin haben von 2013 bis Mitte 2014 eineinhalb Jahre in Honduras verbracht, wo sie als Beobachter von Menschenrechtsorganisationen verschiedene soziale Bewegungen, die staatlicher Repression ausgesetzt sind, weil sie sich für ihre Belange engagieren, filmisch und dokumentarisch begleiteten. Die Arbeit der Menschenrechtsbeobachtung umfaßt die physische Präsenz in den Gemeinden, die Dokumentation der Vorfälle und deren Verbreitung in den Medien. Dies erfordert eine ständige Präsenz vor Ort, wobei die gewonnenen Informationen zunächst mit den begleitenden Organisationen selbst geteilt und ausgetauscht werden. Daraus entstehen Quartals- und Jahresberichte, wobei in Notfällen auch sofortige Aktionen durchgeführt werden. Bei dieser Arbeit geht es vor allem darum, Konflikte zu verringern und Menschenrechtsverletzungen zu reduzieren, die von staatlichen Organen ausgehen. Diese Begleitung wurde mit Videoaufnahmen dokumentiert, die regelmäßig im Internet aufzurufen waren. Der im Centro Sociale gezeigte Dokumentarfilm setzt sich aus solchen Kurzberichten zusammen und befaßt sich mit dem Konflikt am Rio Blanco.
Dieses Beispiel aus der bäuerlichen indigenen Region wurde ausgewählt, weil derartige Großprojekte an verschiedenen Orten im Land die Gemeinden bedrohen. Die Bevölkerung büßt zunehmend die Möglichkeit zur Selbstversorgung ein, da sie ihre Anbauflächen verliert und die Lebensumwelt zerstört wird. Die Protagonisten des Dokumentarfilms gehören dem Zivilen Rat der indigenen Bevölkerung von Honduras (COPINH) an. Honduras hat 1985 den Artikel 169 der Internationalen Arbeitsorganisation und 2005 die Erklärung über indigene Rechte der Vereinten Nationen anerkannt. Artikel 169 spricht indigenen Völkern das Recht zu, bei Bodenschätzen auf ihrem Territorium mitzuentscheiden, wobei die Entscheidungsfindung gut informiert und frei erfolgen soll. Diese essentiellen Rechtsnormen zum Schutz der Bevölkerung werden jedoch tagtäglich durch den honduranischen Staat verletzt, so die Vortragenden.
Beim Projekt in der Region Rio Blanco geht es um einen Stausee zur Stromerzeugung, dessen Planung 2010 bekanntgemacht wurde. Drei Jahre später begannen ohne Abstimmung mit der lokalen Bevölkerung die ersten Bauarbeiten auf dem Betriebsgelände, das sich auf Agrarland erstreckt. Als Betreiber trat eine staatliche Gesellschaft auf, hinter der ausländisches Kapital vor allem aus China stand. Im April 2013 organisierten sich rund 300 Menschen, die am Rio Blanco leben, um die Bauarbeiten zu blockieren, da ihre Einwände bei staatlichen Stellen kein Gehör fanden und sie fortgesetzt von den Baufirmen drangsaliert wurden. Wird die Umwelt an diesem Fluß zerstört, verlieren die Menschen ihren Lebensunterhalt wie auch ihre kulturelle Identität, weshalb sie beschlossen, unter Berufung auf die genannten Schutzabkommen das Recht auf ihr eigenes Territorium einzufordern.
Um die Dorfbewohner zu vertreiben, wurden sie schikaniert, bedroht und in den Medien diffamiert, wobei es zu drei selektiven Morden kam. Zugleich sollte ihr sozialer Zusammenhalt von innen her zerstört werden, indem einzelne Leute gekauft und parallele Organisationen unter Verletzung der traditionellen Gemeinderäte geschaffen wurden. Die privaten Sicherheitsdienste arbeiten eng mit dem Militär zusammen, zumal in der Geschäftsführung beteiligter Firmen häufig ehemalige Mitglieder des Geheimdienstes oder der Streitkräfte sitzen.
In dem gezeigten Dokumentarfilm kamen viele Menschen zu Wort, die den unausgesetzten Druck durch Verbote, körperliche Angriffe wie auch Todesdrohungen gegen sie selbst und ihre Kinder eindrücklich schilderten, sowie gefälschte Unterschriftslisten mit ihrer angeblichen Zustimmung zu dem Projekt vorweisen konnten. Bemerkenswert ist insbesondere ihre Entschlossenheit, nicht zu weichen, ihr Zusammenhalt, der sie vor allem als Gemeinschaft denken und handeln läßt, und ihr Mut, die bewaffneten Soldaten beispielsweise am Zaun des geplanten Betriebsgeländes mit der Forderung zu konfrontieren, nicht länger im Dienst fremder Interessen gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen.
Dank dieser Unbeugsamkeit, der Unterstützung durch indigene Organisationen und der Präsenz von Menschenrechtsbeobachtern gelang es, landesweite und internationale Aufmerksamkeit auf diesen Konflikt zu lenken wie auch überregionale Unterstützung zu finden. Diese Publizität dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, daß sich der chinesische Konzern nach der Ermordung eines Gemeindemitglieds durch Sicherheitskräfte aus dem Projekt zurückzog. Gleiches galt für eine Unterabteilung der Weltbank, die an dem Projekt beteiligt war, dessen Bauarbeiten seit 2013 eingestellt sind. Dies war ein bemerkenswerter Erfolg, der andere indigene Gemeinden darin bestärken könnte, sich ebenfalls gegen derartige Angriffe auf ihre Lebensmöglichkeiten zur Wehr zu setzen.
Aufgegeben ist das Projekt am Rio Blanco allerdings noch nicht. Die Baustelle wurde von der Armee besetzt, ein anderer Baukonzern sprang ein, Banken haben eine weitere Finanzierung angeboten. Deutsche und europäische Konzerne beteiligen sich an solchen Vorhaben, so sind beispielsweise die Kraftwerksturbinen bei einer Siemens-Tochter in Auftrag gegeben. Siemens liefert Turbinen für Stauseeprojekte in mehreren Ländern Lateinamerikas, darunter auch Belo Monte in Brasilien. Deshalb sieht sich das Unternehmen mit Protestaktionen auf seinen jährlichen Aktionärsversammlungen konfrontiert, rechtfertigt sich jedoch mit der Ausflucht, Deutschland habe den Artikel 169 nicht ratifiziert, weshalb ein deutscher Konzern diese Norm gar nicht verletzen könne.
Unterstützung erfährt der Kampf gegen das Staudammprojekt aus Teilen der Kirche und der Umweltbewegungen in Honduras. Bündnispartner finden sich auch in den Reihen der Nationalen Widerstandsfront, der sich viele soziale Bewegungen angeschlossen haben. Vor zwei Jahren gründete sie eine Partei, die an den allgemeinen Wahlen teilnahm und zur zweitstärksten Kraft im Parlament aufstieg. Eine breite Plattform, die bäuerliche, indigene und Frauenorganisationen zusammenbrachte, ging aus einem Hungerstreik von Staatsanwälten hervor, der sich gegen die Korruption im Justizwesen richtete. Die daran beteiligten Juristen sind inzwischen als Rechtsanwälte tätig und vertreten auch die COPINH vor Gericht.
Die Menschenrechtsbeobachter laufen im Zuge ihres Engagements mitunter Gefahr, selbst mit Repression überzogen zu werden. Da es in Honduras keine Gesetze gegen solche Beobachter wie in Mexiko gibt, versuchen einige Organisationen, offizielle Anerkennung zu erlangen. Das wäre jedoch mit Auflagen und Kompromissen verbunden, wobei die Erlaubnis auch wieder entzogen werden kann. Unabhängige Beobachter arbeiten daher ohne einen solchen anerkannten Status und berufen sich auf die Menschenrechtserklärungen des Landes. Sie finanzieren ihre Tätigkeit in der Regel aus eigenen Mitteln oder bekommen kleine Stipendien von Menschenrechtsorganisationen oder Gewerkschaften.
Die schätzungsweise 1,2 Millionen Indigenen unter den insgesamt 8 Millionen Einwohnern des Landes werden zum einen durch die landesweit 15 Wasserbauprojekte bedroht, die überwiegend auf ihrem Land geplant oder im Bau sind. Hinzu kommt Bergbau zur Gewinnung der reichhaltigen Bodenschätze, der wie im Fall von Goldminen extrem zerstörerisch für Umwelt und Anwohner ist. An der Nordküste wird Land an einen Tourismuskonzern vergeben, der dort Resorts errichten will, so daß Anbauflächen zerstört und Fischereirechte beschnitten werden. Auf diese Weise überantwortet der honduranische Staat Zug um Zug die natürlichen Ressourcen des Landes an private Unternehmen, die die ansässige Bevölkerung mit repressiven Mitteln niederhalten oder vertreiben.
Wie vielerorts in Mittelamerika nimmt die Präsenz chinesischer Konzerne auch in Honduras insbesondere im Bergbaubereich zu. Zudem gibt es fortgeschrittene Pläne für steuerbefreite Wirtschaftszonen, und an der Pazifikküste wird ein großer Hafen gebaut, damit Rohstoffe und Waren leichter nach Asien transportiert werden können. China konkurriert dabei in zunehmendem Maße mit den USA, die das Land wie kein zweites in Lateinamerika kontrollieren. Seit sich die drei US-Konzerne United Fruit Company, Standard Fruit Company und Cuyamel Fruit Company um die
Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert mit Hilfe großzügiger Konzessionen riesige Flächen im karibischen Tiefland angeeignet haben, um Bananen zu exportieren, hat sich zwar manches geändert, nicht aber die grundsätzliche Abhängigkeit.
Obwohl die Gewinne dieser Konzerne den Staatshaushalt überstiegen, zahlten sie nur geringe Steuern. Sie korrumpierten die Politiker und versorgten Diktatoren mit Geld und Waffen, die wiederum Arbeiterschaft und Gewerkschaften unterdrückten. Half auch das nicht, fielen Interventionstruppen ein, später bediente man sich der Contras, um von honduranischem Boden aus Krieg gegen Nicaragua zu führen. In der noch heute auf den Agrarsektor ausgerichteten Volkswirtschaft sind die Großplantagen, auf denen Bananen und Kaffee für den Export angebaut werden, überwiegend in US-amerikanischem Besitz. Das gilt auch für die beginnende Industrialisierung, da US-Konzerne alle gewinnträchtigen Industrie- und Dienstleistungsbranchen beherrschen. Nennenswerte Profite können fast ausschließlich ausländische Unternehmen verbuchen, die aufgrund der geringen Mindestlöhne und vielen Arbeitslosen Fabriken in Honduras betreiben.
Die Regierung richtet ihre Wirtschaftspolitik eng nach den Auflagen der bilateralen und multilateralen Geber wie auch der internationalen Finanzinstitutionen aus. Ein streng neoliberaler Kurs erzwingt Freihandel und Investitionserleichterungen wie insbesondere freien Kapitaltransfer, Zoll- und Steuervergünstigungen für Investoren, Freihafenregelungen und ein Lohnveredelungsregime, wobei vor allem die Maquilagesetzgebung nach mexikanischem Vorbild Investoren insbesondere aus den USA, Taiwan und Korea ins Land gebracht hat.
Daß Honduras zu den ärmsten Ländern Mittelamerikas gehört und bis zu 80 Prozent der Bevölkerung an oder unter der absoluten Armutsgrenze leben, nimmt angesichts dieser ungebrochenen Auslieferung an die Maßgaben ausländischer Verwertungsinteressen nicht wunder. Als die EU ihr Freihandelsabkommen mit Honduras schloß, verhallten Proteste ungehört, die auf staatliche Re-
pression in dem mittelamerikanischen Land hinwiesen. Aus Brüsseler Perspektive werden dort die Menschenrechte respektiert, wie auch die Bundesregierung keinen Anlaß sieht, von etwas anderem auszugehen. Räumte man ein, in welchem Ausmaß nationale Eliten die Bevölkerung für die Ausplünderung zurichten, käme zwangsläufig auch die deutsche Beteiligung an der fortgesetzten Hervorbringung von Armut, Unterdrückung und Ausgrenzung zur Sprache.
aus:
Online-Zeitung SCHATTENBLICK
Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT
BERICHT/051: Investment Honduras - Ureinwohner wehren sich ... (SB)
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Fragt man die im Zuge des Staatsstreichs gegründete Nationale Widerstandsfront (FNRP), das Komitee der Familienangehörigen von Festgenommenen und Verschwundenen in Honduras (COFADEH), nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen, soziale Bewegungen und die indigene Bevölkerung, zeichnet sich ein gänzlich anderes Bild ab. Immer wieder kommt es zu repressiven Übergriffen durch Polizei, Militär, Geheimdienste und private Sicherheitsfirmen, die sich gegen Oppositionelle, Journalisten, jegliche Kritiker der Regierungspolitik wie auch indigene und sozial benachteiligte Gruppen richten. Staatliche Institutionen sind aktiv daran beteiligt, Anzeigen wegen Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen und Ermittlungen zu manipulieren. Wer den politischen und ökonomischen Bestrebungen der honduranischen Eliten, die sich wiederum ausländischen Interessen andienen, im Wege steht, ist von Einschüchterung, Entführung, Vergewaltigung, Folter und Mord bedroht.
Aus Perspektive vieler Menschen in Deutschland, die sich vor einigen Jahren noch für Honduras und Lateinamerika insgesamt interessierten, ist diese Weltregion in jüngerer Zeit weitgehend aus dem Fokus der Aufmerksamkeit verschwunden. Umwälzungen und Kriege im Nahen und Mittleren Osten wie auch in Osteuropa scheinen den Blick derart zu binden, daß wenig Raum für die Kämpfe um bessere Lebensverhältnisse in jenen Ländern bleibt, die seinerzeit als neue Hoffnungsträger einer schwindenden europäischen Linken galten. Um so wichtiger ist ein Zeichen gegen den Trend, das die Hamburger Romerotage [1] im März und April 2015 setzen. Unter dem Motto "Enredos. Violencia. Nuevos Inicios. - Verstrickungen. Gewalt. Neuanfänge." sollen Filme, Vorträge und Diskussionen, Ausstellungen, Gottesdienste, Tanzperformance und Konzerte nicht zuletzt viel Platz zum gegenseitigen Austausch schaffen.
Benannt nach Oscar A. Romero, dem Erzbischof von San Salvador, der am 24. März 1980 auf Befehl der Machthaber wegen seines Einsatzes für Gerechtigkeit und Frieden ermordet wurde, thematisieren die Romerotage das Erbe der Diktaturen, Migration, Vertreibung, die Verflechtungen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen wie auch die Lage der Indigenen und der armen städtischen Bevölkerung. Zur Sprache kommen dabei insbesondere auch die historischen Verstrickungen und aktuellen Komplizenschaften deutscher und europäischer Konzerne bei der Ausbeutung der Rohstoffe und der gewalttätigen Enteignung für Megaprojekte.
Den Kampf gegen ein solches Großprojekt dokumentiert der Film "Honduras: Territoriale Souveränität von Indigenen und Bäuerinnen/Bauern", der am 19. März im Hamburger Centro Sociale gezeigt wurde. Auf Einladung von zapapres e.V./Honduras-Koordination Hamburg berichteten Paola Reyes und Domingo Marin
vom Kollektiv Menschenrechtskette Honduras (CADEHO) aus Berlin über ihre Arbeit und standen in einer ausführlichen Diskussion Rede und Antwort, die ein wesentlich größeres Publikum verdient gehabt hätte. Desto interessierter waren die Anwesenden bei der Sache, wobei eine Minderheit der Gäste, die des Spanischen nicht mächtig war, dank der Übersetzung von Jutta Klass und Gerrit Höllmann vom Veranstalter zapapres stets im Bilde war.
Paola Reyes und Domingo Marin haben von 2013 bis Mitte 2014 eineinhalb Jahre in Honduras verbracht, wo sie als Beobachter von Menschenrechtsorganisationen verschiedene soziale Bewegungen, die staatlicher Repression ausgesetzt sind, weil sie sich für ihre Belange engagieren, filmisch und dokumentarisch begleiteten. Die Arbeit der Menschenrechtsbeobachtung umfaßt die physische Präsenz in den Gemeinden, die Dokumentation der Vorfälle und deren Verbreitung in den Medien. Dies erfordert eine ständige Präsenz vor Ort, wobei die gewonnenen Informationen zunächst mit den begleitenden Organisationen selbst geteilt und ausgetauscht werden. Daraus entstehen Quartals- und Jahresberichte, wobei in Notfällen auch sofortige Aktionen durchgeführt werden. Bei dieser Arbeit geht es vor allem darum, Konflikte zu verringern und Menschenrechtsverletzungen zu reduzieren, die von staatlichen Organen ausgehen. Diese Begleitung wurde mit Videoaufnahmen dokumentiert, die regelmäßig im Internet aufzurufen waren. Der im Centro Sociale gezeigte Dokumentarfilm setzt sich aus solchen Kurzberichten zusammen und befaßt sich mit dem Konflikt am Rio Blanco.
Dieses Beispiel aus der bäuerlichen indigenen Region wurde ausgewählt, weil derartige Großprojekte an verschiedenen Orten im Land die Gemeinden bedrohen. Die Bevölkerung büßt zunehmend die Möglichkeit zur Selbstversorgung ein, da sie ihre Anbauflächen verliert und die Lebensumwelt zerstört wird. Die Protagonisten des Dokumentarfilms gehören dem Zivilen Rat der indigenen Bevölkerung von Honduras (COPINH) an. Honduras hat 1985 den Artikel 169 der Internationalen Arbeitsorganisation und 2005 die Erklärung über indigene Rechte der Vereinten Nationen anerkannt. Artikel 169 spricht indigenen Völkern das Recht zu, bei Bodenschätzen auf ihrem Territorium mitzuentscheiden, wobei die Entscheidungsfindung gut informiert und frei erfolgen soll. Diese essentiellen Rechtsnormen zum Schutz der Bevölkerung werden jedoch tagtäglich durch den honduranischen Staat verletzt, so die Vortragenden.
Beim Projekt in der Region Rio Blanco geht es um einen Stausee zur Stromerzeugung, dessen Planung 2010 bekanntgemacht wurde. Drei Jahre später begannen ohne Abstimmung mit der lokalen Bevölkerung die ersten Bauarbeiten auf dem Betriebsgelände, das sich auf Agrarland erstreckt. Als Betreiber trat eine staatliche Gesellschaft auf, hinter der ausländisches Kapital vor allem aus China stand. Im April 2013 organisierten sich rund 300 Menschen, die am Rio Blanco leben, um die Bauarbeiten zu blockieren, da ihre Einwände bei staatlichen Stellen kein Gehör fanden und sie fortgesetzt von den Baufirmen drangsaliert wurden. Wird die Umwelt an diesem Fluß zerstört, verlieren die Menschen ihren Lebensunterhalt wie auch ihre kulturelle Identität, weshalb sie beschlossen, unter Berufung auf die genannten Schutzabkommen das Recht auf ihr eigenes Territorium einzufordern.
Um die Dorfbewohner zu vertreiben, wurden sie schikaniert, bedroht und in den Medien diffamiert, wobei es zu drei selektiven Morden kam. Zugleich sollte ihr sozialer Zusammenhalt von innen her zerstört werden, indem einzelne Leute gekauft und parallele Organisationen unter Verletzung der traditionellen Gemeinderäte geschaffen wurden. Die privaten Sicherheitsdienste arbeiten eng mit dem Militär zusammen, zumal in der Geschäftsführung beteiligter Firmen häufig ehemalige Mitglieder des Geheimdienstes oder der Streitkräfte sitzen.
In dem gezeigten Dokumentarfilm kamen viele Menschen zu Wort, die den unausgesetzten Druck durch Verbote, körperliche Angriffe wie auch Todesdrohungen gegen sie selbst und ihre Kinder eindrücklich schilderten, sowie gefälschte Unterschriftslisten mit ihrer angeblichen Zustimmung zu dem Projekt vorweisen konnten. Bemerkenswert ist insbesondere ihre Entschlossenheit, nicht zu weichen, ihr Zusammenhalt, der sie vor allem als Gemeinschaft denken und handeln läßt, und ihr Mut, die bewaffneten Soldaten beispielsweise am Zaun des geplanten Betriebsgeländes mit der Forderung zu konfrontieren, nicht länger im Dienst fremder Interessen gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen.
Dank dieser Unbeugsamkeit, der Unterstützung durch indigene Organisationen und der Präsenz von Menschenrechtsbeobachtern gelang es, landesweite und internationale Aufmerksamkeit auf diesen Konflikt zu lenken wie auch überregionale Unterstützung zu finden. Diese Publizität dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, daß sich der chinesische Konzern nach der Ermordung eines Gemeindemitglieds durch Sicherheitskräfte aus dem Projekt zurückzog. Gleiches galt für eine Unterabteilung der Weltbank, die an dem Projekt beteiligt war, dessen Bauarbeiten seit 2013 eingestellt sind. Dies war ein bemerkenswerter Erfolg, der andere indigene Gemeinden darin bestärken könnte, sich ebenfalls gegen derartige Angriffe auf ihre Lebensmöglichkeiten zur Wehr zu setzen.
Aufgegeben ist das Projekt am Rio Blanco allerdings noch nicht. Die Baustelle wurde von der Armee besetzt, ein anderer Baukonzern sprang ein, Banken haben eine weitere Finanzierung angeboten. Deutsche und europäische Konzerne beteiligen sich an solchen Vorhaben, so sind beispielsweise die Kraftwerksturbinen bei einer Siemens-Tochter in Auftrag gegeben. Siemens liefert Turbinen für Stauseeprojekte in mehreren Ländern Lateinamerikas, darunter auch Belo Monte in Brasilien. Deshalb sieht sich das Unternehmen mit Protestaktionen auf seinen jährlichen Aktionärsversammlungen konfrontiert, rechtfertigt sich jedoch mit der Ausflucht, Deutschland habe den Artikel 169 nicht ratifiziert, weshalb ein deutscher Konzern diese Norm gar nicht verletzen könne.
Unterstützung erfährt der Kampf gegen das Staudammprojekt aus Teilen der Kirche und der Umweltbewegungen in Honduras. Bündnispartner finden sich auch in den Reihen der Nationalen Widerstandsfront, der sich viele soziale Bewegungen angeschlossen haben. Vor zwei Jahren gründete sie eine Partei, die an den allgemeinen Wahlen teilnahm und zur zweitstärksten Kraft im Parlament aufstieg. Eine breite Plattform, die bäuerliche, indigene und Frauenorganisationen zusammenbrachte, ging aus einem Hungerstreik von Staatsanwälten hervor, der sich gegen die Korruption im Justizwesen richtete. Die daran beteiligten Juristen sind inzwischen als Rechtsanwälte tätig und vertreten auch die COPINH vor Gericht.
Die Menschenrechtsbeobachter laufen im Zuge ihres Engagements mitunter Gefahr, selbst mit Repression überzogen zu werden. Da es in Honduras keine Gesetze gegen solche Beobachter wie in Mexiko gibt, versuchen einige Organisationen, offizielle Anerkennung zu erlangen. Das wäre jedoch mit Auflagen und Kompromissen verbunden, wobei die Erlaubnis auch wieder entzogen werden kann. Unabhängige Beobachter arbeiten daher ohne einen solchen anerkannten Status und berufen sich auf die Menschenrechtserklärungen des Landes. Sie finanzieren ihre Tätigkeit in der Regel aus eigenen Mitteln oder bekommen kleine Stipendien von Menschenrechtsorganisationen oder Gewerkschaften.
Die schätzungsweise 1,2 Millionen Indigenen unter den insgesamt 8 Millionen Einwohnern des Landes werden zum einen durch die landesweit 15 Wasserbauprojekte bedroht, die überwiegend auf ihrem Land geplant oder im Bau sind. Hinzu kommt Bergbau zur Gewinnung der reichhaltigen Bodenschätze, der wie im Fall von Goldminen extrem zerstörerisch für Umwelt und Anwohner ist. An der Nordküste wird Land an einen Tourismuskonzern vergeben, der dort Resorts errichten will, so daß Anbauflächen zerstört und Fischereirechte beschnitten werden. Auf diese Weise überantwortet der honduranische Staat Zug um Zug die natürlichen Ressourcen des Landes an private Unternehmen, die die ansässige Bevölkerung mit repressiven Mitteln niederhalten oder vertreiben.
Wie vielerorts in Mittelamerika nimmt die Präsenz chinesischer Konzerne auch in Honduras insbesondere im Bergbaubereich zu. Zudem gibt es fortgeschrittene Pläne für steuerbefreite Wirtschaftszonen, und an der Pazifikküste wird ein großer Hafen gebaut, damit Rohstoffe und Waren leichter nach Asien transportiert werden können. China konkurriert dabei in zunehmendem Maße mit den USA, die das Land wie kein zweites in Lateinamerika kontrollieren. Seit sich die drei US-Konzerne United Fruit Company, Standard Fruit Company und Cuyamel Fruit Company um die
Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert mit Hilfe großzügiger Konzessionen riesige Flächen im karibischen Tiefland angeeignet haben, um Bananen zu exportieren, hat sich zwar manches geändert, nicht aber die grundsätzliche Abhängigkeit.
Obwohl die Gewinne dieser Konzerne den Staatshaushalt überstiegen, zahlten sie nur geringe Steuern. Sie korrumpierten die Politiker und versorgten Diktatoren mit Geld und Waffen, die wiederum Arbeiterschaft und Gewerkschaften unterdrückten. Half auch das nicht, fielen Interventionstruppen ein, später bediente man sich der Contras, um von honduranischem Boden aus Krieg gegen Nicaragua zu führen. In der noch heute auf den Agrarsektor ausgerichteten Volkswirtschaft sind die Großplantagen, auf denen Bananen und Kaffee für den Export angebaut werden, überwiegend in US-amerikanischem Besitz. Das gilt auch für die beginnende Industrialisierung, da US-Konzerne alle gewinnträchtigen Industrie- und Dienstleistungsbranchen beherrschen. Nennenswerte Profite können fast ausschließlich ausländische Unternehmen verbuchen, die aufgrund der geringen Mindestlöhne und vielen Arbeitslosen Fabriken in Honduras betreiben.
Die Regierung richtet ihre Wirtschaftspolitik eng nach den Auflagen der bilateralen und multilateralen Geber wie auch der internationalen Finanzinstitutionen aus. Ein streng neoliberaler Kurs erzwingt Freihandel und Investitionserleichterungen wie insbesondere freien Kapitaltransfer, Zoll- und Steuervergünstigungen für Investoren, Freihafenregelungen und ein Lohnveredelungsregime, wobei vor allem die Maquilagesetzgebung nach mexikanischem Vorbild Investoren insbesondere aus den USA, Taiwan und Korea ins Land gebracht hat.
Daß Honduras zu den ärmsten Ländern Mittelamerikas gehört und bis zu 80 Prozent der Bevölkerung an oder unter der absoluten Armutsgrenze leben, nimmt angesichts dieser ungebrochenen Auslieferung an die Maßgaben ausländischer Verwertungsinteressen nicht wunder. Als die EU ihr Freihandelsabkommen mit Honduras schloß, verhallten Proteste ungehört, die auf staatliche Re-
pression in dem mittelamerikanischen Land hinwiesen. Aus Brüsseler Perspektive werden dort die Menschenrechte respektiert, wie auch die Bundesregierung keinen Anlaß sieht, von etwas anderem auszugehen. Räumte man ein, in welchem Ausmaß nationale Eliten die Bevölkerung für die Ausplünderung zurichten, käme zwangsläufig auch die deutsche Beteiligung an der fortgesetzten Hervorbringung von Armut, Unterdrückung und Ausgrenzung zur Sprache.
aus:
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BERICHT/051: Investment Honduras - Ureinwohner wehren sich ... (SB)
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