Die UNESCO zählt Tanz, Sprache und Musik der Garifuna zum
Weltkulturerbe der Menschheit. Doch in Honduras sind die indigenen
Gemeinschaften von Megaprojekten bedroht. So leisten die Nachkommen
afrikanischer Sklaven heute Widerstand gegen Landraub.
Von Kathrin Zeiske, erschienen im Amnesty Journal Juni 2013
Wer an der honduranischen Karibikküste einen Traumstrand sucht, ist
in Barra Vieja genau richtig. Blaugrüne Wellen schlagen dort sanft auf
weißen Sand, während Pelikane majestätisch übers Wasser ziehen. Über dem
lila blühenden Bewuchs der Dünen erheben sich Hütten aus Palmwedeln.
Zur paradiesisch anmutenden Kulisse bilden die ernsten Gesichter des
örtlichen Gemeinderates, der hier Patronat heißt, einen starken
Kontrast. Jesús Herrera, Giovanni Lalo und Helena Martínez haben heute
keine Augen für die Idylle. Die Angehörigen des Gemeinderates finden
sich unter Schatten spendenden Palmdächern am Strand zusammen, um über
die drohende Vertreibung des Dorfes zu sprechen.
Denn Barra Vieja ist im Weg. Wie die Nachbargemeinde Miami soll sie
dem Megatourismusprojekt "Los Micos Beach & Golf Resort" weichen.
"Ein 18-Loch-Golfplatz soll hier entstehen, ein Fünf-Sterne-Hotel mit
Casino, private Luxusresidenzen und Poolanlagen", berichtet Jesús
Herrera. "Für die Bucht von Tela bedeutet das den ökologischen
Selbstmord." Denn auf dem Baustellengelände befindet sich die
Micos-Lagune, die dem Projekt ihren Namen gibt. Sie ist das
Wasserreservoir der umliegenden Dörfer.
"Die Kosten für die Umwelt sind hoch; die sozialen Kosten
unermesslich", ergänzt Helena Martínez, auf deren Schultern ein großer
grüner Papagei wippt. Die Nachbargemeinden Miami und Tornabé haben sich
über das Projekt gespalten. Die Gemeinderäte wurden aufgekauft, erzählt
Martínez. "Sie spielen uns gegeneinander aus."
Die Weltbank zog ihren Kredit aufgrund von Protesten schließlich
zurück. Die Interamerikanische Entwicklungsbank, der Staat und die
finanzstärksten Investoren von Honduras - honduranische Millionäre,
allesamt Besitzer von Medien, Energiekonzernen, Banken und Baufirmen -,
treiben das Projekt weiter voran. "Wenn wir unser Land verlieren, dann
bleibt uns nur das Leben in den Städten", sagt Gemeinderätin Martínez.
Der Verlust des kollektiven Landes bedeute jedoch letztendlich auch den
Verlust kultureller Identität.
Ihren Ursprung haben die Garifuna, die seit rund 250 Jahren die
mittelamerikanische Küste besiedeln, auf der Karibikinsel San Vincente.
Sowohl indigene Arawak vom Festland, karibische Kreolen sowie auf ihrer
Odyssee gekenterte afrikanische Sklaven zählen zu ihren Vorfahren.
Religiöse Riten, Bootsbaupraktiken, kulinarische Traditionen und ein
umfassender Schatz mündlicher Überlieferungen lassen sich teilweise ins
südamerikanische Orinoco-Gebiet, teilweise bis zu den Yoruba an die
afrikanische Westküste zurückverfolgen. Auch heute bleibt die Kultur
dynamisch und mestizische Stadtbewohner werden in das Gemeindeleben
integriert, das auf Fischfang, Ökotourismus und Subsistenzwirtschaft
beruht.
"Die Garifuna-Gemeinschaften haben in den vergangenen Jahrhunderten
zahlreichen Gefahren getrotzt", erzählt Alfredo López, Direktor des
Community-Radios "Faluma Bimetu" (Süße Kokosnuss), das auf Spanisch und
Igñeri sendet - eine Sprache, die von rund 150.000 Menschen in Honduras,
Guatemala und Belize gesprochen wird sowie von zahlreichen
Migrantengemeinden in New York und anderen US-amerikanischen
Großstädten.
Gegen Sklaverei, koloniale Eroberungen und gewaltsame Umsiedlungen
hätten die Garifuna erfolgreich Widerstand geleistet, ergänzt López.
"Heute jedoch stehen wir den Megaprojekten der globalisierten Wirtschaft
entgegen." Gegen diese müssen sie die Küstengebiete von atemberaubender
Schönheit verteidigen, mit denen sie so eng verbunden sind.
Doch der Preis dafür ist hoch. Mehrere Gemeindemitglieder wurden
umgebracht. Der 59-jährige Alfredo López verbrachte sieben Jahre als
politischer Häftling im Gefängnis. Als sich seine Gemeinde Triunfo de la
Crúz Anfang der neunziger Jahre gegen die Veräußerung von kollektivem
Land für das Tourismusprojekt "Marbella" zur Wehr setzte - das erste in
der Bucht von Tela - wurde der Familienvater wegen angeblichen
Drogenbesitzes festgenommen und trotz fehlender Beweismittel nicht
freigelassen.
"Wir verhandeln nicht mit der Regierung, wir lassen die
internationalen Gerichtshöfe sprechen", konstatiert López stolz. Sein
Fall kam vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, der
gegen den Staat Honduras entschied. Auch der Fall der Gemeinde liegt
seit Ende vergangenen Jahres bei dem Gerichtshof. Nicht zuletzt, nachdem
Anfang 2010 zuerst die Radiostation abbrannte und in Folge auch in
López' Wohnhaus Feuer gelegt wurde.
Heute überwacht eine Videokamera den kleinen Vorraum der
Radiokabinen. Die Tür aus schwarzen Eisenstangen, die neuerdings den
Eingang sichert, ist kunstreich mit einem schmiedeeisernen Mikrofon
verziert. Kinder jagen einen Fahrradreifen über den Hof, auf dem Wäsche
in der Sonne zum Trocknen hängt. Die Leine ist zur einen Seite an der
rot-weißen Radioantenne festgemacht, die in den strahlend blauen Himmel
ragt.
"Unsere Radios sind ein wichtiges Instrument, um uns untereinander zu
informieren und zu organisieren", erklärt López. "Und um unsere Kultur
im Alltag festzuschreiben." Die UNO-Erklärung über die Rechte der
indigenen Völker beinhaltet schließlich auch das Recht auf eigene
Medien. Noch nie sei Honduras jedoch als multiethnisches Land
wahrgenommen worden. "Garifuna und Kreolen wurden stets diskriminiert."
Die schwarze Bevölkerung der Küste sei im vergangenen Jahrhundert dazu
verdammt gewesen, auf den Bananenplantagen zu arbeiten. Dort bekam sie
täglich den Rassismus der Vorarbeiter zu spüren.
"Seit der Öffnung zum Weltmarkt in den neunziger Jahren jedoch stehen
unsere Gemeinden handfesten Unternehmerinteressen im Weg." Der Kampf um
Land trat in den Vordergrund. Nach dem Staatsstreich 2009 setzte die
Nachfolgeregierung unter Porfirio Lobo Sosa den sozialen Programmen des
geputschten Ex-Präsidenten Mel Zelaya wieder verstärkt neoliberale
Großprojekte entgegen. Indigene Landrechte werden dabei übergangen.
Weiter östlich an der Karibikküste sollen nun ganze Modellstädte
entstehen. Als "Jahrhundertprojekt für Honduras" lobte das Kabinett die
autonomen Wirtschaftsenklaven aus. Miriam Miranda, Wortführerin der
afrohonduranischen Bewegung, sieht hingegen massive Vertreibungen
voraus. "So sehen sie doch aus, die angeblich unbewohnten Gebiete, die
für die 'Charter Cities' auserkoren wurden", schimpft sie, während sie
energischen Schrittes den Basketballplatz der Gemeinde Sambo Creek
überquert.
Im Ort herrscht geschäftiges Treiben - immer dort, wo weit ausladende
Vordächer Schatten spenden. Frauen nehmen den in der Nacht gefangenen
Fisch aus. Mobile Händler preisen über Lautsprecher Obst und Gemüse an.
Die stämmige Frau mit den kunstvoll geflochtenen Haaren hält sich die
Ohren zu.
Vor einigen Monaten erst wurde das Büro der einflussreichen
Garifuna-Organisation OFRANEH aus der Küstenmetropole La Ceiba in den
kleinen Fischerort verlegt. Die Morddrohungen gegen die
Vorstandsmitglieder ließen die Telefone heiß laufen. Miranda war eine
der Ersten, die öffentlich zum Widerstand gegen die Modellstädte
aufrief: auf dem Reißbrett geplante Metropolen mit Arbeitervorstädten,
Weltmarktfabriken und Hafenanlagen - alles unter Verwaltung und
Rechtsprechung internationalen Kapitals.
Besonders Firmen aus den
asiatischen Tigerstaaten, allen voran der südkoreanische Stahlgigant
POSCO, zeigten Interesse an einem solchen Projekt. Nur Fahne und Hymne
sollen von Honduras übernommen werden.
"Ein neokolonialer Akt", urteilt Miriam Miranda. "Zu keinem Zeitpunkt
wurden wir Garifuna über die Pläne informiert und angehört." Dies
stünde ihnen nach der von Honduras unterzeichneten ILO-Konvention 169
und der UNO-Erklärung über Indigene Rechte zu. Für die erste
Wirtschaftsenklave im Küstenabschnitt zwischen Punta Castilla und Brus
Laguna sollen zwei Dutzend Gemeinden weichen. "Für uns ist der Protest
gegen das Regierungsprojekt schlicht eine Frage des Überlebens."
Fast wöchentlich ist Miriam Miranda deswegen in die rund 400
Kilometer entfernte Hauptstadt Tegucigalpa unterwegs. Eine bunte Menge
protestiert dort seit Monaten abwechselnd vor Gerichtshof und Kongress.
Ende Januar brachte letzterer nun schon zum zweiten Mal eine
Verfassungsänderung zugunsten der "Speziellen Entwicklungszonen" durch.
Die erste war an der Empörung der Zivilgesellschaft über die Abgabe
staatlicher Territorien gescheitert - und schließlich vom Obersten
Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt worden. Daraufhin wurden die
beteiligten Richter kurzerhand durch den Kongress ihres Amtes enthoben.
Die politische Lage sei instabil, räumt Marvin Ponce im Hinblick auf
den kalten Putsch am Gerichtshof ein. Der Vizepräsident des Kongresses
lehnt im feinen Nadelstreifenanzug an einer der Betonsäulen, die den
Siebziger-Jahre-Bau der honduranischen Legislative in luftige Höhen
stemmen - abseits von den quirligen Straßen der Hauptstadt, die
Fußgänger, Straßenstände, Busse und Taxis füllen. Der Abgeordnete
bestätigt, dass Honduras mit dem Staatsstreich 2009 in seiner
Entwicklung um eine Dekade zurückgefallen sei. "Nichtsdestotrotz braucht
das Land dringend Investitionen. Der Staat ist hochverschuldet."
Seit einem halben Jahr stehen die Löhne der Lehrerschaft aus. In den
öffentlichen Krankenhäusern mangelt es an Verbandsmaterial. "Doch unter
den gegebenen Umständen Kapital anzuziehen, ist fast unmöglich", so
Ponce. Denn der Drogenhandel hat den demokratischen Niedergang der
Institutionen genutzt, um vom Land Besitz zu ergreifen. Nach Angaben der
Vereinten Nationen hat Honduras mit täglich 86 Ermordeten auf je
100.000 Einwohner die weltweit höchste Mordrate. San Pedro Sula, das
Handelszentrum des Landes, gilt als gefährlichste Stadt der Welt. "Die
Schaffung von Wirtschaftsenklaven ist unerlässlich für Honduras",
schließt Ponce.
Im von den Investoren begehrten Küstengebiet sind derweil zahlreiche
Aktivisten eingetroffen. In Vallecito soll kollektives Gemeindeland mit
Hilfe von Staatsanwaltschaft und Polizei zurückgewonnen werden. Dieses
wurde von Großgrundbesitzern widerrechtlich für Palmölplantagen besetzt.
Ein Landraub vor dem Landraub. Mehr Frauen als Männer sind auf Pick-ups
eingetroffen. "Für uns Frauen ist der Kampf um Land existenziell",
erklärt Jeanneth Herrera, mit buntem Kopftuch und hochgeschlagener
Jeans. Denn dieses werde in den Garifuna-Gemeinden matriarchal vererbt,
von der Mutter an die Töchter.
"Für uns bedeutet Vallecito die Zukunft", fügt sie hinzu. "Die rund
10.000 Hektar Gemeindeland sind ein Rückzugsgebiet." Denn neben
Tourismusprojekten und Modellstädten sind Garifuna-Gemeinschaften auch
vom Klimawandel bedroht, der in Mittelamerika längst Einzug gehalten
hat. Eine große Zahl der an Stränden angesiedelten Gemeinden wird
langfristig umsiedeln müssen - auf von der Küste abgelegenes
Gemeindeland wie Vallecito.
Vereinzelte Häuser stehen hier zwischen Pinienbäumen. Hinter
niedrigen Holzzäunen wachsen Kokospalmen und Yucca. Kooperativen wollen
hier eine Landwirtschaftsschule eröffnen. Dünne Wurzeln liegen in der
Sonne zum Trocknen aus, um schon bald dem traditionsreichen Kräuterlikör
Giffiti beigemischt zu werden - neben dem pulsierenden Musikgenre Punta
der wohl größte Konsumschlager der Garifuna.
"Ein merkwürdiger Ort", murmelt Jeanneth Herrera, "nachts fliegen
Sportflugzeuge klandestine Landepisten an." Sie zeigt zu den
angrenzenden Palmölplantagen. Man munkelt, dass mexikanische
Drogenkartelle hier Ware aus Kolumbien abholen. "Vielleicht", sagt die
junge Frau, "will die Regierung auch deshalb an ausländische Investoren
verpachten." Weil der honduranische Staat hier eh keine Kontrolle mehr
habe. "Wir jedoch werden dieses Land nicht verlassen", schließt sie und
fährt mit ihrem Turnschuh über das Gras auf sandigem Boden.
Auch außerhalb der Garifuna-Gemeinden glauben nicht alle an die
Verheißungen wirtschaftlichen Aufschwungs. "Was Honduras tatsächlich
braucht, ist eine wahrhafte Rückkehr zur Demokratie und keine
Investitionen", konstatiert Bertha Oliva von der renommierten
Menschenrechtsorganisation COFADEH. Im Jahr 2010 erhielt sie den
niederländischen Tulipanpreis für ihren Einsatz für die Menschenrechte.
COFADEH dokumentiert die unzähligen Menschenrechtsverletzungen und Morde
an Oppositionellen.
"Die mit Repressionen überzogene honduranische Demokratiebewegung
setzt auf die Wahlen im November. Gerade jedoch werden Land und
Ressourcen über Nacht veräußert." Vor allem indigene Organisationen
seien es, die sich Minenunternehmen, Staudammprojekten und Modellstädten
entgegenstellten. Denn sie seien direkt vom Landgrabbing betroffen. Als
"Hüter der Küste" bezeichnet Oliva in diesem Sinne die Garifuna.