Freitag, 19. November 2021

Die Landwirtschaft dem Klimawandel anpassen

Jerónimo Carranza Zepeda (60) ist Koordinator der Abteilung Territorium beim jesuitischen Forschungszentrum Eric in El Progreso, Honduras, das vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt wird. Mit ihm hat Knut Henkel über neue Anbau-, und Präventionskonzepte im Kontext des Klimawandels gesprochen sowie über die Auswirkungen der Wirbelstürme Eta und Iota vor einem Jahr.

Bauer José Abad aus Ojo de Agua, Honduras, bei der Bohnenernte auf seinem Feld. Foto (Symbolbild): Adveniat/Achim Pohl

Blickpunkt Lateinamerika:  Sie waren gerade in der Region Valle de Sula. Wie sieht es dort aus - rund ein Jahr nach den beiden Hurrikans? Sind die Schäden beseitigt, haben die Hilfsprogramme der Region Früchte getragen, laufen die Programme, um das Land besser auf derartige Naturkatstrophen vorzubereiten?


 
Jerónimo Carranza Zepeda: Ihre Frage legt die Defizite bloß. Es hat Hilfe der Regierung gegeben, ja. Aber wenn wir davon reden, dann sprechen wir von einem Beutel mit Lebensmitteln, Kochutensilien und vielleicht einem Bett. Aber diese Gaben wurden schon damals an Bedingungen geknüpft: 'Dann musst Du mich aber schon wählen.' Da wird mit der Abhängigkeit von Menschen gespielt, für die armen, einfachen Menschen ist das die Hilfe. Doch der Staat entledigt sich damit der eigentlichen Verpflichtungen, die er hat, denn die Infrastruktur ist nach wie vor beschädigt, wurde nicht wieder aufgebaut.
 
Ein Jahr später....?
 
Gehwege, Befestigungen von Brücken, Häuser sind nach wie vor zerstört. Die Leute kehren zu ihren Häusern zurück, reinigen und putzen, aber sie überlegen eben auch, wie sich die Infrastruktur erneuern lässt, wie sie die Agrarproduktion wieder aufnehmen können – dafür wenden sie oft eigene Mittel auf, weil vom Staat nichts kommt.
Das ist beschämend und manchmal können wir ihnen dank der Hilfe befreundeter Organisationen, wie dem Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat oder der Christlichen Initiative Romero, zur Seite stehen. Wir konnten 1.500 Bauern bei der Rückkehr zum Anbau helfen, aber das ist nur Kosmetik, denn das Tal ist zentral für die Nahrungsmittelerzeugung.
Zwar bauen viele Bauern nun auf ihren ehemals überschwemmten Böden an, aber die Flächen haben sich noch nicht wieder erholt – die Erträge sind niedriger. Zudem fehlt es an Baumaterial, um Reparaturen durchzuführen.....
 
Warum passiert nicht mehr? Die Hurrikan-Saison ist noch nicht vorbei und der Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeit von derartigen Katastrophen.
 
Gute Frage, aber wir sind in Honduras. Hier wird Prävention klein geschrieben. Das zweite große Thema ist die Anpassung der Pflanzen an die veränderten Anbaubedingungen. Wir brauchen oder müssen ein an das Klima angepasstes Saatgut züchten. Das Wetter hat sich verändert: Im Winter regnet es nicht, aber im Sommer. Der Zeitpunkt der Niederschläge hat sich merklich verändert, weshalb die Bauern vermehrt Probleme haben. Sie brauchen Beratung, es ist sinnvoll Flächennutzungspläne zu erstellen, Schutzzonen und Schwemmstreifen einzurichten. 
Ein weiteres Problem ist die Ausweitung des Ölpalmen-Anbaus, der sehr viel Wasser aus dem Böden saugt. Die Bauern pflanzen Ölpalmen an, weil sie von Mais und Bohnen nicht leben können. Sie brauchen alternative Anbauprodukte mit einer Absatzperspektive. Doch das Agrarministerium bleibt untätig.
 
In Tegucigalpa sind mit deutscher Entwicklungshilfe (GIZ) Schutzwände, Überflutungsschutz und auch Kanäle und Flüsse umgeleitet beziehungsweise erweitert worden. Gab es keine vergleichbaren Projekte in dieser Region?
 
Nein, hier ist davon noch nicht viel angekommen. 
 
Welche Rolle hat die Migration nach den Hurrikans Eta und Iota  gespielt?
 
Die Migration gehört zum Alltag. „Ich gehe, da oben verdiene ich Dollars und schicke sie der Famile“ ist ein geflügelter Satz, den Menschen fehlen Perspektiven. Auswanderung ist für sie ein typischer Ausweg, weil die Menschen es ja gar nicht anders kennen. 
 
Fehlt es am politischen Willen, an den Lebensbedingungen etwas zu ändern?
 
Leider ja, hier sind die Eliten auf ihren Vorteil bedacht und sie haben keine Skrupel, die Reichtümer des Landes zu veräußern, Wälder, Wasserressourcen, Strände, Bergbau – alles wird erschlossen. Zur Not wird eine so genannte "Zone für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung" (ZEDE) (Sonderwirtschaftszone mit eigenen Regeln, Anm. d. Red.) eingerichtet und das Territorium de facto Investoren überschrieben. Das ist eine Realität in Honduras.
 
Wie versucht das jesuitische Forschungszentrum Eric, andere Modelle zu etablieren. Zum Beispiel in der Landwirtschaft?
 
Wir haben ein Programm, das heißt „Vamos a la Milpa“. Die Milpa ist ein Biogarten. Wir arbeiten mit einem Kreis von Bauern zusammen, die keine Pestizide einsetzen, sondern nur Bio-Dünger. Derzeit arbeiten wir mit rund hundert Produzenten zusammen - das ist nicht mehr als ein Anfang, ein Beispiel, aber es könnte Schule machen. 
 
In Honduras stehen Ende des Monats Präsidentschaftswahlen (28.11.2021) an. Haben Sie die Hoffnung, dass mit den Wahlen ein Politikwechsel einhergehen könnte?
 
Die Umfragen von diesem Wochenende deuten darauf hin, dass Xiomara Castro, die Präsidentschaftskandidatin der Partei Libre, gewinnen könnte - auch, wenn es einen massiven Stimmenkauf gibt. Aber vieles hängt davon ab, ob die Partido Nacional im Falle des Wahlsiegs von Castro die Macht übergeben würde. Das ist keine Selbstverständlichkeit und könnte sehr gefährlich sein. Zudem braucht sie eine Mehrheit im Kongress. Das sind die drei Dinge, die zusammenkommen müssen, um auf einen politischen Wandel hoffen zu können. Das richtige Team für den Wandel hätte sie. Da bin ich zuversichtlich.