Dienstag, 29. November 2022

"Wir sind Menschen des Widerstandes"

aus npla.de, vom 24.11.2022

von Steffi Wassermann

OFRANEH-Koordinatorin Miriam Miranda bei der Abschlussrede
im August 2022 vor der Generalstaatsanwaltschaft /
Foto: HondurasDelegation (
CC BY-NC-SA 4.0)

(Berlin, 22. November 2022, npla).- Die afro-   indigenen Garífuna leben seit mehr als 200 Jahren in  Honduras an der Karibikküste. Ihre Rechte werden seit   jeher missachtet und ihr angestammtes Land  wird ihnen   systematisch geraubt. Waren es früher die großen   Bananenkonzerne, sind es heute Palmölunternehmen,   Hotel- und Ferienhausbesitzer*innen, die sich auf dem   Land breit machen. Zwar haben die Garífuna Landtitel   und internationale Gerichtsurteile. Der Kampf um ihre   Rechte bleibt aber einer gegen Windmühlen – auch unter  der aktuellen sogenannten progressiven Regierung.

Am 9. August, dem Internationalen Tag der indigenen Bevölkerungen, haben die Garífuna in die Hauptstadt Tegucigalpa vor die Generalstaatsanwaltschaft mobilisiert. Mit alten ausgemusterten Bussen sind sie aus dem Norden des Landes angereist, haben Trommeln, Maracas, Weihrauch und Zigarren mitgebracht, die bei keiner Zeremonie fehlen – aber auch bei keiner Demonstration. Die Garífuna kommen regelmäßig nach Tegucigalpa, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Sie haben auch einigen Grund dazu.

An der Karibikküste – dem traditionellen Land der Garífuna

Weit weg von der lauten, chaotischen und immer nach Abgasen stinkenden Hauptstadt liegt das angestammte Land der Garífuna. Es erstreckt sich entlang der Karibikküste von Nicaragua bis Belize. Die meisten Gemeinden leben aber in Honduras und eines ihrer Kerngebiete ist die Bucht von Tela. Um die namensgebende Stadt herum, direkt an der Küste, liegen einige traditionelle Garífuna-Dörfer. Eines davon ist San Juan.

San Juan ist ein kleiner beschaulicher Ort. Eine Handvoll Strandrestaurants zeugen von einem bescheidenen Tourismus, der hier einigen aus der Gemeinde ein bescheidenes Einkommen sichert. Doch beschaulich ist es hier nur auf den ersten Blick. „Wir haben die Situation analysiert und haben gesagt: So kann es nicht weitergehen“ sagt Eydy Olamugah. Die junge Frau lebt mit ihrer kleinen Tochter in San Juan und organisiert hier den Kampf gegen den voranschreitenden Raub des Garífuna-Landes. „Wir haben kein Land mehr, wir können unseren Maniok und unsere Kochbananen nicht mehr anbauen“, beschreibt Olamugah die ganz konkreten Folgen des Landraubes.

Circa 1.770 Hektar umfasst das traditionelle Land von San Juan, doch bei der Übertragung der kommunitären Landtitel im Jahr 2000 durch das zuständige Agrarinstitut kam es zu Unregelmäßigkeiten. Nur ein kleiner Teil des rechtmäßigen Landes wurde den Garífuna tatsächlich übertragen. Deswegen entschieden sie sich, beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IACHR) ihr rechtmäßiges Land einzuklagen. Die letzte öffentliche Anhörung fand im April dieses Jahres statt. Bis ein Urteil gefällt ist, dürfen keine Maßnahmen, wie Bauarbeiten auf dem verhandelten Territorium vorgenommen werden. So wurde es offiziell von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) verordnet.

Kontrollgänge zum Schutz des Territoriums

Olamugah steht mit einigen Mitstreiter*innen vor einer Baustelle. Sie haben einen Reifen angezündet, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Sie bleiben so lange, bis die Bauarbeiter abziehen. Und am nächsten Tag werden sie wieder hier stehen, weil die Bauarbeiten doch wieder aufgenommen wurden. Hier wird eine Ferienvilla für eine Privatbesitzerin gebaut. Ein Stück weiter steht ein Luxus-Ferienresort. Daran schließen sich wieder Privatgrundstücke an, wo gut betuchte Honduraner*innen ihre Urlaubsdomizile errichtet haben. Auch hier werden neue Häuser gebaut und Schilder sind zu sehen, die 
ein Stück Land zum Verkauf anbieten.„Zu verkaufen“ – illegaler Landverkauf auf dem Territorium von 

„Zu verkaufen“ – illegaler Landverkauf
auf dem Territorium von San Juan / Foto: HondurasDelegation
(
CC BY-NC-SA 4.0)
 Die Grundstücke fressen sich immer weiter in die Natur   hinein. Ein Teil der Lagune Los Micos, die die Garífuna   früher für den Fischfang nutzten, wurde aufgeschüttet,     um Bauland zu gewinnen. Ein Teil der Mangroven, die 
 das Ufer der Lagune säumten, ist abgeholzt. All das   passiert auf dem Land, auf dem laut   Interamerikanischer Menschenrechtskommission   eigentlich keine Veränderungen vorgenommen werden   dürfen. „Deshalb sind wir tätig geworden, weil sie sich   nicht an die Anweisung gehalten haben“ erklärt   Olamugah. Immer wieder machen die Garífuna kleine   Proteste, sprechen mit den Bauarbeitern und   Hausbesitzer*innen, um ihnen die rechtliche Lage zu e   erklären – und hoffen auf ein baldiges Urteil des   Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Bei den Protesten fahren immer wieder Pickups mit getönten Scheiben und ohne Nummernschild an den Aktivist*innen vorbei. Alle wissen, dass sie von der lokalen Polizeistelle kommen. Es sind mehrere Pickups, die ihre Kreise drehen und immer wieder vorbeifahren. Ihr einziges Ziel scheint darin zu bestehen, Unsicherheit und Angst zu verbreiten.

In Triunfo de la Cruz

Auf der anderen Seite der Bucht von Tela liegt Triunfo de la Cruz. Die Gemeinde hat bereits 2015 erreicht, worauf die Bewohner*innen von San Juan noch warten: in einem Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte wurde ihnen ihr angestammtes Land zugesprochen und der honduranische Staat aufgefordert, für eine adäquate Rückgabe zu sorgen.

Auf der Ladefläche eines Pickups geht es über das Territorium der Garífuna von Triunfo de la Cruz. Auch hier stehen Ferienresorts und luxuriöse Wochenendhäuser. Von der Straße aus sind immer wieder Baustellen zu sehen und schnell wird klar: Auch hier wird, trotz des Gerichtsurteils, einfach weitergebaut. „Hier haben alle möglichen Politiker ihre Ferienhäuser, Callejas, Maduro, Juan Orlando.“ Arnold, einer der Aktivisten von Triunfo de la Cruz, zeigt in die Richtung von luxuriösen Häusern, während der Pickup über eine staubige Schotterpiste fährt. Politiker*innen der abgewählten Nationalpartei sollen hier ihre Ferienhäuser haben. Und ehemalige Präsidenten, unter ihnen Juan Orlando Hernández. Nutzen kann er es nicht mehr, momentan sitzt er in den USA in Untersuchungshaft. Ihn erwartet ein Prozess unter anderem wegen Drogenhandel im großen Stil.

An der Playa Escondida, dem verborgenen Strand, hält der Pickup. Bis ans Ufer wurden hier Villen, Bars und Restaurants gebaut. Zuletzt wurde sogar ein halber Berg abgetragen, um mehr Bauland zu gewinnen. Der Berg ist ein heiliger Ort der Garífuna. Alfredo López, ehemaliger Vize-Koordinator der Garífuna-Organisation OFRANEH, erklärt die Schwierigkeiten, die mit der Landrückgabe zusammenhängen, genauer: „Sie verlangen einen hohen Geldbetrag“, erklärt der resolute Mann. Die Hotel- und Villenbesitzer*innen sollen entschädigt werden, gleichzeitig hat der Staat aber kein Geld, die vielen Millionen aufzubringen, die dafür nötig wären. López erzählt auch von Überlegungen, den Garífuna ein anderes Stück Land anzubieten. Ein Tausch kommt für ihn nicht in Frage: „Das ist für uns ausgeschlossen. Man kann nicht um diesen Ort verhandeln, er ist einzigartig für uns.“

Auch unter der Regierung Xiomara Castro bewegt sich nichts

Die Garífuna fordern vom Staat lediglich, dass er sich an die eigenen Gesetze hält. Gesetze und internationale Konventionen, die zumindest auf dem Papier die Rechte indigener Gemeinschaften stärken. „Wir verlangen nicht mehr, als dass sie auch eingehalten werden,“ erklärt López. Und fügt hinzu: „Unabhängig davon, ob es sich um eine Regierung der Linken oder der Rechten oder der Mitte oder was auch immer handelt.

Alfredo López (mitte) mit Arnold (links) und Hudson (rechts),
zwei Landrechtsaktivisten aus Triunfo de la Cruz an der Playa Escondida /
Foto: HondurasDelegation (
CC BY-NC-SA 4.0)

Seit Anfang des Jahres ist in Honduras eine teilweise progressive Regierung an der Macht. Die Präsidentin Xiomara Castro trat mit vielen Versprechungen für mehr soziale Gerechtigkeit an. Die Garífuna spüren davon bisher nichts. Und die Justiz wird ohnehin noch von Vertrauten der alten Machthaber kontrolliert. So bewegt sich auch bei der Aufklärung eines Verbrechens bisher nichts, das die Bewohner*innen von Triunfo de la Cruz im Juli 2020 erschütterte.

Verschleppt von Personen in Polizeiwesten

In den frühen Morgenstunden des 18. Juli 2020 wurden der Gemeindepräsident Snaider Centeno und drei seiner Mitstreiter aus ihren Häusern entführt. Die Entführer kamen in Pickups ohne Kennzeichen und mit Westen der honduranischen Ermittlungspolizei DPI. Seitdem fehlt jede Spur von den Männern. Darwin Centeno ist der Cousin von Snaider Centeno und Mitglied im Landverteidigungskomitee von Triunfo de la Cruz. Der junge Mann steht neben López an der Playa Escondida und erzählt von damals. „Sie kamen schwer bewaffnet hierher in die Gemeinde. Wir haben keine Waffen, aber wir haben den Mut und die Bereitschaft, nach ihnen zu suchen“, sagt er. Gemeinsam suchten sie die gesamte Gemeinde ab, in der Hoffnung, ihre Mitstreiter wiederzufinden. Später blockierten sie sechzig Tage lang eine wichtige Verbindungsstraße, um auf das Verbrechen aufmerksam zu machen und Druck aufzubauen, damit endlich ermittelt würde. Doch die zuständigen Behörden taten nichts. Bis heute wird nicht ernsthaft ermittelt.

Da die Ermittlungen nicht vorangingen, entschlossen sich die Garífuna, SUNLA, eine eigene Untersuchungskommission zu gründen. Sie besteht aus Familienangehörigen sowie nationalen und internationalen Expert*innen. Doch die Forderung, in die Untersuchungen miteinbezogen zu werden, wird von der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft seit Jahren ignoriert. Aufgeben werden die Garífuna von Triunfo de la Cruz aber nicht. Davon ist Centeno überzeugt: „Wir werden nicht aufhören zu fordern, dass sie lebend wieder auftauchen. Wir werden nicht aufhören zu fordern, dass sie uns als Garífuna respektieren, dass sie das Leben respektieren.


Wandbild in Triunfo de la Cruz, das den vier gewaltsam
verschwundenen Aktivisten Snaider Centeno, Milton Martínez,
Suami Mejía und Gerardo Trochez Calix gedenkt /
Foto: HondurasDelegation (
CC BY-NC-SA 4.0)

„Wir sind Menschen des Kampfes und des Widerstands“

Es gibt also viele Gründe, warum die Garífuna immer wieder den langen Weg nach Tegucigalpa auf sich nehmen, um dort für ihre Rechte zu demonstrieren, wie am 9. August, dem Internationalen Tag der indigenen Bevölkerungen. Sie fordern zum wiederholten Mal die Rückgabe ihres geraubten Landes und, dass endlich im Fall der gewaltsam Verschwindengelassenen aus Triunfo de la Cruz ermittelt wird. Wie auch zuvor bleiben die Türen der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft verschlossen und die konkreten Forderungen werden ignoriert. Miriam Miranda, Koordinatorin der Garífuna-Organisation OFRANEH ist die Wut und Enttäuschung darüber, entweder ignoriert oder instrumentalisiert zu werden, anzuhören. Aufgebracht ruft sie in das Mikrofon: „Denken sie, dass wir darum bitten, beim Tanzen fotografiert zu werden? Nein! Wir sind Menschen des Kampfes und des Widerstands.“ Die Garífuna haben genug davon, als folkloristische Kulisse an den Karibikstränden missbraucht zu werden, während ihre fundamentalen Rechte nicht garantiert sind. „Wenn es ihnen passt, um Tourismus zu verkaufen, benutzen sie uns. Wir haben genug davon, wir haben es satt, und wir sagen es deutlich: Das ist eine Kampfansage!“

Die Generalstaatsanwaltschaft hat derweil eine neue Eskalationsstufe gezündet. Nach dem Protest eröffnet sie ein Verfahren wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Nötigung gegen Miriam Miranda, den Menschenrechtsanwalt Edy Tábora und gegen Wissenschaftsminister Luther Castillo, der Garífuna und OFRANEH-Mitglied ist. Und auch die Bedrohung der Menschen in den Gemeinden geht weiter. Im Oktober wird über eine Welle von Einschüchterungsversuchen gegen Aktivist*innen in der Bucht von Tela berichtet. Unter ihnen Mitglieder des Landverteidigungskomitee von Triunfo de la Cruz und Alfredo López. Ihm wurde mit dem Tod gedroht, falls er Triunfo de la Cruz nicht binnen 24 Stunden verlasse. Er will bleiben.