Interview mit dem oppositionellen Abgeordneten Jari Dixon Herrera über die Beschneidung der Rechte des honduranischen Parlaments
Bei den honduranischen Wahlen im November 2013 konnte die Nationale Partei (PN) mit Juan Orlando Hernández einen Sieg der oppositionellen Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro durch Wahlbetrug und Wahlfälschung verhindern (LN 475). Castros Partei für Freiheit und Neugründung (LIBRE) wurde jedoch zweitstärkste Partei im Parlament. Erstmals seit 100 Jahren wurde das Zweiparteiensystem in Honduras aufgebrochen, womit sich seitens der Opposition wie der EU-Wahlbeobachter_innen große Hoffnungen verbanden. Nach acht Monaten zeigt sich, dass die beiden traditionellen Parteien PN und PL (Liberale Partei) die parlamentarischen Rechte der drei Oppositionsparteien einschränken. Die LN sprachen mit dem LIBRE-Abgeordneten Jari Dixon Herrera über die Arbeit im Kongress.
Jari Dixon Herrera |
Die
beiden traditionellen Parteien, die PN und die PL, wählten den
Kongressvorstand gemeinsam. LIBRE machte zusammen mit zwei weiteren
Oppositionsparteien einen Vorschlag für mögliche eigene Kandidaten,
den Innenminister Áfrico Madrid jedoch ohne weitere Erklärung
abehnte. Das gleiche passierte bei der Wahl des Kongresspräsidenten.
Der aktuelle Kongressvorstand besteht jetzt zu 90 Prozent aus
Abgeordneten der PN, Kongresspräsident Mauricio Oliva ist ebenfalls
von der PN.
Nur
selten erhalten wir als Opposition das Recht im Kongress zu sprechen.
Wir können unsere Meinung äußern, wenn es um Unwichtiges geht.
Wenn jedoch wichtige Themen diskutiert werden, erhalten wir kein
Rederecht oder die Sitzung wird einfach abgebrochen. Um ein Beispiel
zu geben: Im August hat eine LIBRE-Abgeordnete den Antrag gestellt,
dass die Parlamentarier Rechenschaft über die von ihnen verwendeten
Mittel des Kongresses ablegen sollen. Denn einigen Abgeordneten
werden finanzielle Mittel gewährt und anderen nicht. Erstaunlich
ist, dass dieser Antrag zugelassen wurde. Als die regierende Partei
aber merkte, dass sie diese Debatte verlieren würde, wurde die
Sitzung geschlossen und der Antrag zurückgewiesen.
So
wird auch mit den Gesetzentwürfen von LIBRE verfahren. Nur ein
einziger wurde in den bisher acht Monaten Parlamentsarbeit
verabschiedet. Im Kongress werden lediglich die Entwürfe von der PN
und PL debattiert. Mit Blick auf die baldige Abgabe der Berichte der
Universal Periodic Review (Einem Mechanismus der UN zur Untersuchung
der Menschenrechte; Anm. d. Red) ist es möglich, dass LIBRE ein
weiteres Gesetz durch den Kongress bringen kann, das den Schutz von
Menschenrechtsverteidigern und Journalisten gesetzlich absichern
soll. Dies geschieht jedoch mehr durch nationalen und internationalen
Druck auf die honduranische Regierung.
Warum
wurde der Kongress am 13. Mai 2014 geräumt?
Am
13. Mai, als das honduranische Volk wie üblich an einer Sitzung im
Kongress teilnehmen wollte, prügelten Militär und Polizei sowohl
die LIBRE-Abgeordneten als auch die Bevölkerung unter Einsatz von
Tränengas und Schlagstöcken aus dem Kongress.
Seitdem
ist der Kongress ein hermetisch abgeriegeltes Gebäude. Vorher traf
sich auf dem Platz unterhalb des Kongresses das Volk mit den
Abgeordneten, dort fanden auch kulturelle Veranstaltungen statt.
Heute ist dies nicht mehr möglich, es gibt nur noch einen einzigen
Zugang zum Kongress. Wenn auf dem Platz eine Kundgebung abgehalten
werden soll, kommt sofort die Polizei und löst sie auf.
Wie
ist der Stand des Verfahrens gegen die Verantwortlichen dieser
gewaltsamen Räumung?
Es
wurde in der Staatsanwaltschaft für Menschenrechte Anzeige
erstattet, aber bis zum heutigen Tag gibt es dazu keine Entscheidung.
Haben
LIBRE und der regierende Präsident Juan Orlando Hernández von der
PN nach den Wahlen Absprachen zu parlamentarischen Verfahren
getroffen?
Nein,
LIBRE hat mit Juan Orlando Hernández keine Übereinkünfte
getroffen. Die Partei hat lediglich Gespräche mit der PL, der
Antikorruptionspartei PAC und mit der sozialdemokratischen PINU
geführt. Die Oppositionsparteien haben der PL den Vorschlag
unterbreitet, deren Kandidatur für die Kongresspräsidentschaft zu
unterstützen, jedoch hat die PL dies abgelehnt. Stattdessen zieht
sie es vor, mit ihrem historischen Feind der PN eine Allianz zu
bilden. Diese Allianz besteht aus Drohungen, wenn den Forderungen der
PL nicht stattgegeben wird. Sind diese dann erfüllt, ist die Allianz
wieder gefestigt.
Welche
neuen Vorschläge und Änderungen gibt es in der Kommission zur
Reform des Wahlsystems?
Es
geht um die elektronische Stimmabgabe und darum, dass alle
politischen Parteien im Obersten Wahltribunal und im Gremium zum
nationalen Personenregister vertreten sind. Die traditionellen
Parteien PN und PL möchten nicht, dass die neuen Parteien in diesen
Institutionen präsent sind. Damit kontrollieren sie vollständig das
Wahlverfahren.
Wie
unabhängig ist das Justizsystem von der Regierung, wie gut
funktioniert die Gewaltenteilung?
Das
ganze System wird von der Regierung kontrolliert, der Oberste
Gerichtshof, die Staatsanwaltschaft und auch der Nationalkongress, in
dem die Mehrheit der Entscheidungen klar von der Exekutive getroffen
werden. Im Januar 2016 werden im Obersten Gerichtshof zwei Drittel
der Richter neu gewählt. Ich habe die Hoffnung, dass die Opposition
gut agieren wird, dass sie sich nicht verkauft und ehrliche Richter
wählt, die mit hoher Verantwortung und Engagement in Sinne der
Rechtsprechung handeln.
Gibt
es überhaupt eine Kontrolle der Regierung, zum Beispiel durch den
Obersten Rechnungshof oder den Kommissar für Menschenrechte?
Wie
ich schon sagte, die Exekutive kontrolliert alles. Die Regierung hat
den Generalstaatsanwalt gewählt, obwohl dies die Aufgabe des
Kongresses gewesen wäre. Sie hat die vier Richter abgesetzt, die das
Gesetz zu den Sonderwirtschaftszonen der „Modell-Städte“ für
illegal erklärten (siehe Kasten auf Seite 44). Und hat sie durch
vier neue Richter ersetzt, von denen kein Widerstand zu erwarten ist.
Dieses Jahr wurde ein Kommissar für Menschenrechte gewählt, der der
regierenden Partei sehr nahe steht.
Welchen
Einfluss üben die Medien auf das politische System aus?
Die
alternativen Medien funktionieren als Sprachrohr der sozialen
Bewegungen und sind gesellschaftskritisch, jedoch sind sie
zahlenmäßig zu wenige. Die Mehrheit der Medien dient der Exekutive.
Es fließt sehr viel Geld von der Regierung in die Massenmedien und
deren Besitzer machen Geschäfte mit der Regierung. Gegenseitig
schätzen und schützen sie sich.
Die
Streitkräfte haben seit dem Putsch eine entscheidende Rolle in
Honduras gespielt. Aktuell garantieren sie die neoliberale und
extraktivistische Politik. Gibt es eine gesellschaftliche Debatte
über diese neue Rolle des Militärs?
Die
Streitkräfte sind überall. Sie sind in der Ausländerbehörde, in
der Handelsmarine, in der Telekommunikation, als Militärpolizei
garantieren sie die öffentliche Sicherheit, sie greifen sogar in
Krankenhäusern und Gefängnissen ein. Sie haben eine führende Rolle
eingenommen, die man nur aus den Zeiten des Kalten Krieges kennt.
Also
gibt es keine Zweifel an der neuen Rolle der Streitkräfte?
Sie
verfügen über eine große Maschinerie und nutzen die hohe
Kriminalität, um die Militärpräsenz in den Straßen zu
rechtfertigen. Sie haben eine effektive Kampagne geführt und die
Leute überzeugt, dass gegen die zunehmende Kriminalität das Militär
die einzige Lösung sei. Trotzdem ist die Kriminalität gestiegen,
sie ist auf dem höchsten Niveau, das wir jemals hatten. Und es gibt
auch viele Vorfälle, in denen Militärs am Tod von Menschen
beteiligt sind. Im Verhältnis zu den immensen finanziellen Mittel,
die für die Militärpolizei bereit gestellt werden, sind die
Ergebnisse schlichtweg nicht sichtbar.
Jari
Dixon Herrera
Dixon
Herrera ist Anwalt und Abgeordneter der Oppositionspartei LIBRE
(Freiheit und Neugründung). Er reichte gemeinsam mit anderen mehrere
Klagen gegen das erste Gesetzesvorhaben der Sonderwirtschaftszonen,
den Modellstädten, beim Obersten Gerichtshof ein, das 2012 als
verfassungswidrig beurteilt wurde.
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Interview: Daniela Dreißig
aus: Lateinamerika Nachrichten, Nr. 483, Sept./Okt. 2014
http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/archiv/ausgabe/483.html
http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/archiv/ausgabe/483.html