Donnerstag, 11. September 2014

Die Macht der Kartelle

Seit dem Putsch im Jahr 2009 hat der Drogenhandel zwischen den Anbaugebieten in Südamerika und dem Markt in den USA in Honduras an Bedeutung gewonnen. Die Drogenkartelle konnten sich zwischen korrumpierten Staatsinstitutionen und einer Wirtschaftsoligarchie, die über Leichen geht, etablieren.

von Kathrin Zeiske, erschienen in der jungle world

Fast drei Jahre nach dem Mord an ihrem Mann hat Hilda Caldera nachgefragt, welche Ermittlungsergebnisse die Staatsanwaltschaft inzwischen vorweisen könne. Alfredo Landaverde, Chef der Nationalen Antidrogenbehörde (DNL) von Honduras und unermüdlicher Kämpfer gegen die Korruption, war im Dezember 2011 ermordet worden. Seine Witwe, Hilda Caldera, überlebte schwerverletzt die Schüsse der Auftragsmörder auf den Wagen ihres Mannes. Es gebe keine Ermittlungsergebnisse, so die lakonische Antwort der Behörden. Kurz vor seinem Tod hatte Landaverde öffentlich die enge Zusammenarbeit zwischen Politikern, Polizei und Drogenbossen in Honduras angeprangert. »Mit dem Mord an Landaverde setzte der Drogenhandel in Honduras eindeutige Zeichen«, sagt Edgar Soriano, ein honduranischer Analytiker, mit blick auf die historischen wie aktuellen Fakten. »Es war eine klare Ansage: Mischt euch nicht ein.«



Honduras hat sich seit dem Staatsstreich 2009 gegen den gewählten Präsidenten Manuel »Mel« Zelaya zum Narcostaat entwickelt. Es ist ein vielversprechendes Territorium für die Kartelle, die durch den Drogenkrieg in Mexiko gezwungen sind, neue Routen zu suchen. Beschränkte sich das Thema Drogenhandel in Honduras in den vergangenen drei Jahrzehnten auf wenige spektakuläre Ereignisse und Namen – wie die Auslieferung des Drogenbosses Ramón Matta an die USA im Jahr 1988, dessen erzürnte Anhänger daraufhin das US-Konsulat in Brand steckten, weil sie in ihm einen Volkshelden und Wohltäter sahen –, so ist die Präsenz der Drogenkartelle heute allgegenwärtig, in entlegenen Gemeinden und mar­ginalisierten Vierteln genauso wie in den Geschäftszentren des Landes. Staatsanwaltschaft, Gerichtshöfe und der Kongress sind von Kartellen infiltriert, ebenso das Militär, das staatlichen US-amerikanischen Quellen zufolge seit den neunziger Jahren am Kokainschmuggel in die USA beteiligt sein soll. »Eine besondere Gefahr, wurden doch, seit die demokratischen Institutionen am Boden liegen, ganze Regionen von Honduras militarisiert und eine neue Militärpolizei geschaffen«, konstatiert Soriano.

Auch die honduranischen Banken sind am Geschäft mit den Drogen beteiligt. So soll vor allem die Bank Continental des Politikers Jaime Rosenthal und seines Bruders, des Unternehmers Edwin Rosenthal, Geldwäsche betreiben. Dass auch der Bau neuer Shoppingmalls, Tourismuszentren und Luxusappartments der Wäsche von Drogengeld diene, sei ein offenes Geheimnis. »Das Geld, das in Honduras im Umlauf ist, muss aus dem Drogenhandel kommen, denn ansonsten steht der Staat kurz vor dem Bankrott«, gibt Soriano an. Staatliche Angestellte sind seit Monaten nicht bezahlt worden, in den öffentlichen Krankenhäusern mangelt es selbst an Verbandsma­terial.

Bertha Oliva, eine renommierte Menschenrechtlerin vom Komitee der Familienangehörigen von Verhafteten und Verschwundenen in Honduras (COFADEH), die die Aktivitäten von Todesschwa­dronen, Militär und Putschisten verfolgt, beobachtet eine Zunahme von Repression und Menschenrechtsverletzungen durch die Drogenkartelle. »Angehörige der Zivilgesellschaft und der Opposition werden seit dem Staatsstreich von den Machthabenden stetig aus dem Weg geräumt«, sagt Oliva. Dabei würden sie sich das gigantische Heer der Auftragskiller des Drogenhandels zunutze machen.
»In San Pedro Sula werden zerstückelte Körper und abgehackte Köpfe in Plastiktüten gefunden; Entführungen und Raub sind an der Tagesordnung. Das sind kolumbianische Zustände«, sagt die Menschenrechtlerin und schüttelt seufzend den Kopf. Honduras’ Wirtschaftsmetropole hat mittlerweile der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez den Rang abgelaufen und trägt den Titel der »gefährlichsten Stadt der Welt«. Hier werden Rechnungen zwischen den Kartellen beglichen, die eng mit unterschiedlichen Polizeieinheiten unter dem Polizeichef und mutmaßlichen Gründer von Todesschwadronen, Juan Carlos »El Tigre« Bonilla, zusammenarbeiten.

Außerhalb der Städte werden viele der Megaprojekte, die die honduranische Regierung auf dem Weltmarkt offeriert, von Angehörigen der Drogenkartelle geschützt. Die sozialen und indi­genen Bewegungen, die gegen den Ausverkauf ihres Gemeindelandes und den Raub ihrer Lebensgrundlage protestieren, sind deswegen in einer sehr gefährdeten Position. In Vallecito, einem einsamen Küstenstrich im Norden von Honduras, versuchten Mitte Juli schwerbewaffnete Kartellangehörige, Miriam Miranda, eine Vorkämpferin für die Rechte der indigenen Bevölkerung der honduranischen Karibik, sowie drei weitere Mitglieder der Garífuna-Organisation OFRANEH zu entführen. Nach mehreren Stunden konnten sie ihren Kidnappern entkommen.

Vallecito wird als kollektives indigenes Land beansprucht, es liegt zwischen den riesigen eingezäunten Palmölplantagen von Miguel Facussé und weiteren Großgrundbesitzern, die eng mit dem Drogenhandel verknüpft sind. »Inmitten der Palmölplantagen liegen Landepisten für Sportflugzeuge, die Drogen ins Land bringen«, berichtet Alfredo López von OFRANEH, auch er ein wichtiger Kämpfer für die Rechte der afro-honduranischen Garifuna.

Der millionenschwere Unternehmer Facussé gilt als ein Hauptinitiator und Finanzier des Putsches gegen die Regierung Zelayas, der eine politische Integration der marginalisierten Mehrheitsbevölkerung vorangetrieben hatte. Seine riesigen Ländereien im Norden des Landes nutzt Facussé nicht nur für das Agrobusiness, sie sind Hauptumschlagplatz des Drogenhandels zwischen Kolumbien und den USA. Er soll enge Verbindungen mit dem kolumbianischen Cali-Kartell unterhalten. Angehörige von Bauernorganisationen berichten auch von der Anwesenheit von Paramilitärs aus Kolumbien, die Vertreibungen und Morde durchführen.

»An der Karibikküste lässt Facussé vermeintliche ›Naturschutzgebiete‹ anlegen: eine nächtliche Anlaufstelle für mit Drogen beladene Schnellboote«, erzählt López von der Garífuna-Organisation, der in der Bucht von Tela ein Gemeinderadio betreibt. Er berichtet von extralegalen Hinrichtungen junger Männern aus Garífuna-Gemeinden durch vermeintliche Polizisten. »Die Omnipräsenz der Narcos und ihre enge personelle Verknüpfung mit der politischen und wirtschaftlichen Elite ist ein Sicherheitsproblem für die honduranische Bevölkerung geworden«, sagt López. Der Einzug des Drogenkriegs – der Kampf um Routen, Territorien und Gewinne in Abwesenheit eines Rechtsstaats – hat Honduras die höchste Mordrate der Welt beschert. Die Opfer sind meist nicht Narcos und Polizisten, sondern nicht am Drogenhandel beteiligte Zivilisten.