Honduras: Interview mit dem Anwalt Martín Fernández von der „Breiten Bewegung für Würde und Gerechtigkeit“ (MADJ)
Daniela Dreißig in ila 415 (Mai 2018) S. 38–39
Der
Bau von Wasserkraftwerken sorgte in Honduras in den letzten Jahren
immer wieder für negative Schlagzeilen. Die Ermordung der renommierten
Umweltaktivistin Berta Cáceres, die gegen das illegale Wasserkraftwerk
Agua Zarca den Widerstand der indigenen Gemeinden koordinierte, erregte
national und international Aufmerksamkeit und Empörung. Die enge
Komplizenschaft von Politik und Wirtschaft ist mehr als sichtbar. Das
Justizsystem dient der Wirtschaftselite dazu, die opponierende
Bevölkerung zu kriminalisieren, dabei sichert die Polizei mit aller
Härte die Wirtschaftsinteressen ab. So auch im Departement Atlántida im
Norden von Honduras, das reich an Flora, Fauna und Wasserläufen ist.
Seit dem Putsch im Jahr 2009 wurden 24 Konzessionen für
Wasserkraftprojekte erteilt, fünf Wasserkraftwerke sind fertiggestellt,
ein Projekt befindet sich in der Phase der Erkundung.
Im
März 2017 blockierte die Bevölkerung in Pajuiles im Munizip Tela die
Zufahrtsstraßen zur Baustelle des Wasserkraftwerkes am Fluss Mezapa.
Gemeinden des benachbarten Munizips Arizona folgten zwei Monate später
dem Beispiel des zivilen Ungehorsams und errichteten ebenfalls ein
Blockadecamp zum Schutz des Flusses Jilamito.
Gemeinsame Besichtigung der Baustelle des Wasserkraftwerkes Los Planes durch die Bevölkerung des Sektors Pajuiles Foto: Darwin Alachan |
Worum handelt es sich bei den Konflikten und welche Folgen haben sie bisher?
Die Konzession für das Wasserkraftprojekt
Los Planes am Fluss Mezapa erhielt Jason Hawit, ein Unternehmer aus El
Progreso. Wenn es fertig ist, soll es eine Energieerzeugung von 1,3 MW
sicherstellen. Hawits Betreiberfirma HIDROCEP begann 2016 mit dem Bau.
Die Umweltbehörde stellte im selben Jahr erhebliche Umweltschäden fest.
Das andere Wasserkraftprojekt in Arizona soll einmal 14,85 MW erzeugen.
Emin Abufele aus San Pedro Sula erhielt die Konzession am Fluss
Jilamito. Seine Firma INGELSA begann im letzten Jahr mit den
Bauarbeiten. Die Polizei ging mehrfach gewaltsam gegen die
protestierenden Mitglieder der Blockadecamps vor. Gegen 17
Umweltverteidiger*innen aus Pajuiles wurde wegen „widerrechtlicher
Aneignung öffentlichen Raumes“ Strafanzeigen gestellt. In Jilamito wurde
gegen fünf Aktivist*innen Anzeige erstattet, einer der Angeklagten ist
der aktuelle Bürgermeister, der sich in der Vergangenheit klar gegen
dieses Projekt positionierte. Bei den Blockaden handelt es sich um
friedliche, permanente Camps, bei denen die Straßen abgesperrt werden.
Personen und PKWs können jedoch frei zirkulieren. Lediglich Baufahrzeuge
und Fahrzeuge, die Treibstoff oder Baumaterialien für die
Wasserkraftprojekte anliefern, werden nicht durchgelassen.
In Bezug auf die geplante
Produktionsleistung sind die Projekte sehr unterschiedlich.
Bemerkenswerterweise zeigt das kleinere Projekt größere Umweltschäden.
Bäume wurden gefällt, die Vegetationsschicht zerstört, nun reißen
Wassermassen nach Regenfällen alles mit sich. 20 Gemeinden entnehmen
Wasser aus dem Flussbecken und haben schon jetzt drastische Probleme mit
der Trinkwasserversorgung.
Staatliche Laboruntersuchungen des Wassers
haben ergeben, dass es mit giftigem Schlamm, Müll und Fäkalien
kontaminiert ist. Besonders die Kinder leiden unter
Magendarmerkrankungen, die auf die Verschmutzungen zurückzuführen sind.
Auf die Familien kommen weitere Kosten zu, denn sie müssen für die
medizinische Behandlung der Kinder selbst aufkommen und können ihrer
Arbeit während der Krankenbetreuung nicht nachgehen. Eine Folge, die
selten erwähnt wird, ist die Zerstörung des sozialen Friedens. Einigen
Gemeindemitgliedern wurde durch die Unternehmen Arbeit zugesichert.
INGELSA in Arizona verschenkte zu Beginn des neuen Jahres Schulsachen an
bedürftige Familien. In den Gemeinden gibt es wegen der
Ungleichbehandlung Zwist. Dieser Unfriede hat sogar ganze Familien
entzweit. Dies sind keine Entwicklungsprojekte, im Gegenteil, es sind
Projekte, die zerstören.
Liegen der MADJ Umweltverträglichkeitsstudien vor?
In Honduras ist das ein kompliziertes
Thema. Es gibt kaum Zugang zu Informationen. Von Seiten der
Institutionen findet die Geheimhaltung Zuspruch. Es wird argumentiert,
dass veröffentlichte Studien von Hand zu Hand gingen und die Gefahr
bestehe, dass andere Firmen daraus Profit schlügen. Dabei dürfen
Umweltangelegenheiten nicht geheim gehalten werden. Es handelt sich um
Informationen über einen öffentlichen Raum, in dem wir gemeinsam leben.
Auswirkungen eines Projektes in einer bestimmten Region haben Folgen für
andere. In der honduranischen Verfassung und weiteren sekundären
Gesetzen steht, dass Flüsse Gemeingüter sind – und Gemeingüter können
nicht privatisiert werden.
Welche Rolle spielt das Polizei- und Justizsystem?
Am 4. August letzten Jahres griffen etwa
20 bewaffnete Männer den Umweltaktivisten Oscar Martínez und mich in der
Gemeinde Pajuiles an und verletzten uns zum Teil schwer. Mehrere
Stunden lang versuchten wir, Anzeige in der Polizeistation zu erstatten.
Bis kurz vor Mitternacht fand sich kein Polizist, der dies machen
wollte. Obwohl wir vier Angreifer identifizieren konnten, wurde von
Seiten der ermittelnden Behörden nichts unternommen, um sie zu
ergreifen. Anders verhält es sich bei den Verfahren gegen die
Umweltaktivist*innen des Blockadecamps. Innerhalb von 24 Stunden hat
dasselbe Büro der Staatsanwaltschaft einstweilige Verfügungen
unterzeichnet und Haftbefehle ausgestellt. Allein diese unterschiedliche
Vorgehensweise der Behörden zeichnet ein exaktes Bild der
honduranischen Justiz. Sie ist ineffizient für die mittellose
Bevölkerung und funktioniert ausgezeichnet für den einflussreichen
Wirtschaftssektor.
Und die lokalen Instanzen?
Beide Projekte sind wegen fehlender
Zustimmung der Bevölkerung laut Gemeindegesetzgebung illegal. Diese Art
Projekte müssen in einer öffentlichen Versammlung bekannt gegeben
werden, in einem nächsten Schritt stimmt die Bevölkerung ab. Dies ist
nicht geschehen. Im Sektor Pajuiles hat sich eine überwältigende
Mehrheit der Bevölkerung gegen das Projekt ausgesprochen, und trotzdem
haben die kommunale Körperschaft und der damalige Bürgermeister Mario
Fuentes zugestimmt.
Es gibt Absprachen zwischen privaten
Unternehmen, Gemeindeverwaltung und Polizei. Die Staatsanwaltschaft
ermittelt nicht gegen die Verantwortlichen von Umweltschäden. Seit 2010
hat MADJ sieben Anzeigen wegen illegaler Konzessionierung,
Umweltverschmutzung und Drohungen gegen die Umweltaktivist*innen bei der
Staatsanwaltschaft in Tela eingereicht. Es ist weder eine einstweilige
Verfügung erlassen worden, noch kam es zu Verhaftungen, obwohl die
Umweltbehörde die Schäden festgestellt hat. Dazu kam, dass im Januar
2017 der Staatsanwalt Randy Mejía von der Umweltbehörde vor Ort war und
einen Bericht über die Schäden erstellte. Die Behörde ordnete einen
Baustopp an. Noch am gleichen Abend wurde ein Attentat auf Mejía verübt.
Er überlebte und verließ mit seiner Familie das Land.
Im August 2017 begann ein Dialogprozess
zwischen HIDROCEP, der betroffenen Bevölkerung, der Umweltbehörde und
der kommunalen Körperschaft in Tela. Eines der Übereinkommen an dessen
Ende war der Baustopp von HIDROCEP. Die Firma hielt sich nicht daran.
Was uns dieser Dialogprozess zeigt, ist die Unfähigkeit der Behörden und
insbesondere die Nachgiebigkeit des Bürgermeisters.
Sind die Gemeinden Nutznießer der Stromerzeugung?
Wir haben nach wie vor enorme
Energieschwankungen. Manchmal gibt es tagelang keinen Strom. Das
Geschäft mit dem Strom ist nicht für die armen Leute gedacht, die lokale
Bevölkerung wird nicht versorgt. Die Energie geht in den nationalen und
internationalen Markt, etwa in die Maquilas. Ein Paradebeispiel ist die
Betreiberfirma Genera, die südlich von San Juan Pueblo im Departement
Atlántida ein Wasserkraftwerk errichtet hat. Sie verdiente im Jahr 2016
88 Millionen Lempira (3,6 Millionen Euro). Darauf hat sie gerade mal
192 000 Lempira (7900 Euro) Steuern an die Gemeindeverwaltung in La
Masica gezahlt.
Im Januar 2018 wurden aktive Mitglieder
der Protestcamps ermordet. Was ist passiert und welche
Schlussfolgerungen zieht die MADJ daraus?
Der 35-jährige Geovanny Díaz war gegen 4
Uhr morgens von Uniformierten aus seinem Haus in Pajuiles gezerrt und
wenig später erschossen aufgefunden worden. Ramón Fiallos wurde kurz
zuvor bei der von Militär und Polizei gewaltsam aufgelösten
Straßensperre in Arizona von einer Kugel getroffen und erlag kurze Zeit
später seinen Verletzungen. Beide waren aktiv in den Blockadecamps und
in den Protesten nach dem Wahlbetrug bei den Wahlen im November 2017.
Sowohl der Putsch im Jahr 2009, die
anhaltende schwere politische Krise wie auch die Konsolidierung der
Diktatur gehen auf dieselben Interessengruppen zurück. Die Gemeinden in
beiden Regionen bemühen sich legitimerweise um den Schutz des Wassers
und verteidigen das Mitbestimmungsrecht. In Honduras werden fundamentale
Garantien verletzt. Wo der Staat nicht handelt, übernehmen wir
Bürger*innen den Schutz. Wir glauben, dass wir gewinnen werden, denn wir
bestehen lediglich auf dem universellen Recht auf Wasser. Dieses Recht
ist im Jahr 2010 auch von den Vereinten Nationen anerkannt worden. Wir
erteilen der Regierung und ihren Institutionen eine Lektion: Aufgrund
ihrer Abwesenheit begründen wir unsere Autorität vor Ort.
Das Interview führte Daniela Dreißig im März 2018 in Berlin.