Mittwoch, 25. Oktober 2023

Zum Beispiel Honduras: Privatstädte gegen den Staat und die Bevölkerung

Seminar am 12. November 2023 

Ort: Versammlungsraum des FDCL e.V. im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, 10961 Berlin

Zeit: 11 - 17 Uhr





Radikalkapitalistische Unternehmer:innen und „digitale Nomaden“, die von gescheiterten Staaten mit möglichst handlungsunfähigen Regierungen schwärmen, Steuern ablehnen und möglichst autonome Enklaven für ihresgleichen und ihr Kapital nach ihrem Gutdünken aufbauen wollen, erstmal auf der Erde, dann vielleicht sogar auf dem Mars. Gerne auch als künftig Unsterbliche - wenn nur erst die lästigen Restriktionen für medizinische Experimente abgeschüttelt sind... Das alles klingt nach Dystopie, es gibt sie aber wirklich. Und in mittelamerikanischen Honduras ist mit den ZEDE schon ein Stück davon Realität geworden. In einem Tagesseminar mit internationalen Referent:innen wollen wir uns mit den Details der honduranischen „Zonen für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung“ (ZEDEs) auseinandersetzen. Wir loten die Möglichkeiten der aktuellen Regierung aus, die ZEDEs wieder loszuwerden und erfahren mehr über den Widerstand sozialer Bewegungen gegen die ZEDE. Außerdem sehen wir uns das System der internationalen Schiedsgerichte und der Klagen von Investor:innen gegen Staaten genauer an und diskutieren gemeinsam über Lösungsstrategien und Unterstützungsmöglichkeiten für die betroffenen Gemeinden in Honduras.

Honduras ist der erste Staat weltweit, der von Unternehmer:innen geführte Privatstädte als Enklaven auf dem eigenen Staatsgebiet zuließ. Im Jahr 2013 erließ die Regierung unter Ex-Präsident Juan Orlando Hernandez das Gesetz über die „Sonderzonen für Beschäftigung und Entwicklung“ (ZEDEs) Hinter dem Konzept der von Unternehmen regierten Enklaven stehen internationale marktradikale („libertäre“) Netzwerke, die Demokratie und Sozialstaat in weiten Teilen ablehnen. Seit 2019 wurden in Honduras tatsächlich erste ZEDEs umgesetzt, zuerst „Próspera“ auf der Karibikinsel Roatán, dann „Morazán City“ in der Nähe von San Pedro Sula und „Orquídea“ im Süden des Landes.

Die ZEDEs durften sich ihre eigenen Gesetze geben, eigene Gerichte und Sicherheitsdienste einsetzen und – wie es Próspera vormacht – eine eigene Citizenship vergeben.

Protest auf dem Dorfplatz von Crawfish Rock gegen die Privatstadt Próspera.
Protest auf dem Dorfplatz von Crawfish Rock gegen die Privatstadt Próspera. Foto:Venessa Cardenas

Soziale Bewegungen hatten sich von Anbeginn gegen die Pläne gestellt, Land an unternehmensgeführte Privatstädte abzutreten, gefürchtet wurde von Anfang an die Vertreibung insbesondere indigener Gemeinden und armer Bevölkerungsschichten. Mit dem Bekanntwerden der ersten realen Projekte wuchs eine breite Protestbewegung gegen die ZEDEs in Honduras und so gehörte deren Rückabwicklung zu den wichtigsten Vorhaben der im Dezember 2021 gewählten Präsidentin Xiomara Castro und ihrer Partei LIBRE. Doch obwohl das Gesetz über die ZEDEs im April 2022 vom Parlament annulliert wurde, treibt vor allem Próspera weiter seine Projekte voran; auf Roatán werden trotz fehlender Umweltgenehmigung Hochhäuser errichtet. Demnächst soll ein dort offenbar ein Zentrum für medizinische Studien eröffnet werden. Im Dezember 2022 reichten die Betreiber von Próspera eine Milliardenklage gegen Honduras vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten mit Sitz in Washington DC ein.

In dem Tagesseminar wollen wir uns mit den Netzwerken hinter den Privatstädten, der Situation vor Ort, dem aktuellen Stand der Protestbewegung gegen die ZEDEs und der politischen und rechtlichen Situation beschäftigen, die die Rückabwicklung der Investor:innenstädte weiterhin erschwert. Dazu sehen wir uns auch das System der internationalen Schiedsgerichte und der Klagen von Investor:innen gegen Staaten genauer an. In einem gemeinsamen Austausch wollen wir über Lösungsstrategien und Unterstützungsmöglichkeiten für die betroffenen Gemeinden in Honduras diskutieren.

Referent:innen:

Christopher Castillo Sánchez ist Architekt und Koordinator der Umwelt- und Gemeindebewegung ARCAH (Alternativa de Reivindicación Comunitaria y Ambientalista de Honduras). Als langjähriger Aktivist ist er einer der führenden Köpfe des honduranischen Widerstandes gegen die privaten Unternehmer-Städte in Honduras. ARCAH hat mehrere Klagen gegen honduranische Politiker:innen eingereicht, die ZEDEs in Honduras möglich gemacht haben.

Venessa Cardenas Woods ist Lehrerin. Sie leitet die honduranische Sektion des internationalen Zusammenschlusses von Frauen afrikanischer Abstammung (Asociación de Mujeres Afrodescendientes – AMA) und die Gruppe CREW (Crawfish Rock Entrepreneur Women). Als stellvertretende Vorsitzende des ehrenamtlichen Gemeinderates von Crawfish Rock repräsentiert sie die letzte noch von der traditionellen Kultur Schwarzer englischsprachiger Inselkarib:innen geprägte kleine Fischergemeinde auf Roatán in unmittelbarer Nachbarschaft zu Próspera.

Thomas Fritz arbeitet als Referent für Handel und Investitionen bei der Nichtregierungsorganisation Powershift e.V. in Berlin. Daneben ist er als Autor und Berater zu Fragen von Wirtschaft und Nachhaltigkeit tätig. Seit seinem Studium der Informationswissenschaft an der Freien Universität Berlin hat er zahlreiche Studien über Handel, Umwelt- und Klimaschutz verfasst. Er analysiert globale Lieferketten und entwirft Empfehlungen für die sozial-ökologische Transformation im Handel und in der Industrie.

Beth Geglia (angefragt) ist promovierte Anthropologin der American University in Washington DC (USA), Menschenrechtsaktivistin, Filmemacherin und Übersetzerin. Sie hat Soziologie und internationale Studien an University of Wisconsin Madison studiert und forscht seit langem zu den ZEDEs in Honduras.

Das Seminar findet auf Spanisch (bei Bedarf mit Übersetzung ins Deutsche) statt. Die Teilnehmendenzahl ist begrenzt.

Die Teilnahme ist kostenlos. Wir bitten um eine Spende von etwa 10 – 15 Euro (nach Selbsteinschätzung).

Anmeldung mit

  • vollständigem Namen, ggf. Organisation und
  • einer kurzen Angabe zum eigenen Hintergrund,
  • zur Motivation für die Teilnahme und
  • zum Bedarf einer Übersetzung ins Deutsche

bitte bis zum 4. November bei Andrea Lammers: elsal@oeku-buero.de

Das Seminar wird veranstaltet vom Ökumenischen Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V. in Kooperation mit dem Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), dem Netzwerk HondurasDelegation und dem Menschenrechtskollektiv für Honduras CADEHO.