Sonntag, 10. März 2024

Das ewige Leben als Geschäftsmodell

Mit teuren Behandlungen in einer honduranischen Privatstadt soll das Altern bekämpft werden. Wissenschaftlich nachvollziehbare Ergebnisse gibt es nicht

Isabelle Bartram erschienen im nd-Die Woche am 17. Februar 2024

Symbolbild: mcmurryjulie
Symbolbild: mcmurryjulie via Pixabay

In Próspera, einer Privatstadt auf der honduranischen Insel Roatán, scheint sich eine Brutstätte für kontroverse medizinische Eingriffe und Medizintourismus zu entwickeln. Gentherapien, also die genetische Veränderung von Patient*innen zur Behandlung von Erkrankungen oder zur vermeintlichen Optimierung von Eigenschaften, sind Teil der Innovationen, die in der regulierungsarmen Umgebung gedeihen sollen. Der Begriff »Therapien« ist bei genauer Betrachtung der von Biotechfirmen und Biohacker*innen vorgestellten Ziele und den vorgelegten Belegen für die vermeintliche Wirksamkeit jedoch fragwürdig.

Denn nicht Krankheiten, sondern das Altern selbst steht an erster Stelle der zu beseitigenden Fesseln der Menschheit, mit dem ultimativen Ziel, das ewige Leben zu erreichen. Vom 6. Januar bis 1. März soll in Vitalia, einer »Pop-up-City« in der Nähe von Próspera, an dem gemeinsamen Ziel gearbeitet werden, »den Tod optional zu machen«(1).

»Die Bekämpfung des Alterns selbst, der Hauptursache der meisten Krankheiten, wird eine medizinische Revolution darstellen«, schreiben die Macher*innen der Vitalia-Konferenz auf ihrer Webseite. Sie versprechen Erkenntnisse auf einem Level mit Louis Pasteurs »Keimtheorie« zur Entstehung von Krankheiten und der Erfindung von Antibiotika. Die menschliche Lebenserwartung soll »innerhalb weniger Jahrzehnte verdoppelt« werden.

Das Programm der in verschiedene Phasen aufgeteilten Konferenz verspricht eine Verwebung von kapitalistischen Interessen und Medizin: Im Januar sollten unter anderem der Stand der Forschung zu Langlebigkeit, Ökonomie und Anreizen von Gesundheitssystemen sowie »philosophische Ansichten und Ethik der Lebensverlängerung« thematisiert werden. Ab dem 19. Februar sollen Biotechfirmen neue Medikamente vorstellen, außerdem Ansätze von »Biohacking und Selbstoptimierung« zur Lebensverlängerung thematisiert werden.

Nach Stammzellen der neue Hype

Die unglaubwürdigen Versprechen von Heilung und menschlicher Optimierung erinnern an den Stammzellhype der Jahrtausendwende und den resultierenden Markt für wissenschaftlich unbelegte und zum Teil schädliche Stammzellbehandlungen. Stammzellen können sich, anders als ausgereifte Körperzellen, teilen und dazu gebracht werden, alle möglichen Arten von Gewebe zu bilden. Theoretisch könnten sie in Patient*innen geschädigte Organe ersetzen, in der medizinischen Praxis gestaltet sich dies jedoch schwierig.

So wie die Transplantation von Blutstammzellen aus dem Knochenmark von gesunden Spender*innen seit den 70er Jahren die Behandlungen von Leukämien revolutionierte, versprach die Stammzellforschung, eine große Palette von Erkrankungen heilbar zu machen. Allerdings haben auch nach fast 30 Jahren Forschung nur wenige Therapieansätze die Kliniken erreicht.

Noch weniger konnten klinische Studien eine Wirksamkeit bei Patient*innen zeigen. Doch im Fahrwasser der von Wissenschaftler*innen beschworenen Vision der medizinischen Revolution bildete sich ein unregulierter globaler Markt für Stammzellkliniken. Verzweifelten Patient*innen weltweit werden für viel Geld eigene und fremde Stammzellen in den Körper gespritzt, Behandlungen bei denen es immer wieder zu gefährlichen Immunreaktionen oder Tumorwachstum kommt, während der Nutzen höchst fragwürdig ist.

Nicht überraschend also, dass unter den angekündigten Vitalia-Referent*innen auch Mitarbeiter*innen von Stammzellunternehmen sind, wie eine Mitbegründerin der US-amerikanischen Firma Aspen Neuroscience, die laut Webseite an der Therapie von Parkinson mit induzierten pluripotenten Stammzellen forscht. Auch ein Mitarbeiter von Stem Medical, einer dänischen Stammzellklinik, die neben Schönheitschirurgie auch die Teilnahme an klinischen Studien mit patienteneigenen Stammzellen anbietet, ist dabei.

Die Bezeichnung von kostenpflichtigen Behandlungen als klinische Studien ist eine verbreitete Strategie von Stammzellkliniken. Für einen seriösen Anstrich bewerben diese die Behandlungen auch gern im US-amerikanischen Studienregister clinicaltrials.gov(2).

Die Suche nach Roatán in der Datenbank spuckt mehrere Studien der Global Alliance for Regenerative Medicine (GARM) aus, ein Unternehmen, das laut dem Bioethiker Leih Turner »ziemlich typisch« ist für Firmen, »die nicht zugelassene, unbewiesene Stammzelltherapien anbieten«. Die Studien sollen Behandlungen für chronische Schmerzerkrankungen, Multiple Sklerose und andere Autoimmunerkrankungen testen. Der Internetauftritt der Klinik verspricht weitere Stammzelltherapien für Erkrankungen von Diabetes bis Post-Covid und wirbt mit einer risikolosen Behandlung, während der der Rest der Familie das »Resort-Paradies« genießen könne.

Möglichst regulierungsfreies Umfeld

Neben den bekannten Umtrieben von Stammzellkliniken scheint sich jedoch ein neues Geschäftsmodell auf Roatán zu entwickeln. Im Februar vergangenen Jahres berichtete das Magazin »MIT Technology Review« von dem Biotech-Start-up Minicircle, das Proband*innen für eine klinische Studie für eine »reversible Gentherapie« suchte. Durchgeführt wurde die Behandlung in der GARM-Klinik, deren Gründer Glenn Terry als Referent auf der Vitalia-Konferenz angekündigt wird. Minicircle sitzt zwar in Austin, aber für die Behandlungen der Firma ist das libertäre Próspera aufgrund der laxen Regulierung interessant.

Klinische Studien, um die Wirksamkeit von Therapien zu belegen, sind normalerweise aufgrund der vielen Vorschriften und hohen Anforderungen in der EU und den USA sehr teuer. Auf Roatán muss das Unternehmen nur eine Versicherung abschließen und sich von den Proband*innen bestätigen lassen, dass sie sich der Risiken bewusst sind. Man wolle auch in den USA Studien durchführen, aber laut Mitbegründer Walter Patterson ist das Unternehmen »in Honduras, weil wir die Dinge hier wesentlich schneller erledigen können«.

Die Praxis des »Ethik-Dumping« ist nicht neu und auch von konventionellen Pharmafirmen bekannt: Klinische Studien werden im globalen Süden durchgeführt, wo es leichter ist, Proband*innen zu finden und Bewilligungen von Behörden zu bekommen. Doch bei Minicircle gehören die Teilnehmer*innen des Menschenexperiments nicht zur armutsbetroffenen lokalen Bevölkerung. Unter den Testpersonen sind vor allem Reiche, unter anderem der Biohacker und Milliardär Bryan Johnson, der von Unsterblichkeit träumt. Dazu passend gehören zu den Investor*innen in die Idee der Lebensverlängerung Tech-Milliardäre wie Peter Thiel. Wie der »MIT Technology Report« schreibt, scheint Minicircle 2021 mindestens 150 000 US-Dollar von Thiel und Naval Ravikant, einem prominenten Tech- und Kryptoinvestor, erhalten zu haben. Auch Sam Altman, CEO des KI-Entwicklers OpenAI, steckte 250 000 Dollar in das Start-up.

Wirksamkeit nicht belegt

Minicircle positioniert sich getreu dem »Disruptions«-Narrativ des Start-up-Milieus als Gegenpol zur Pharmaindustrie: »Das gesamte Big-Pharma-System ist derzeit darauf ausgerichtet, extrem teure Medikamente für extrem seltene Krankheiten herzustellen, an denen nur sehr wenige Menschen leiden«, so Mitgründer und CEO Machiavelli Davis. Auch des zeitgemäßen Weltverbesserungsethos bedient sich das Unternehmen: Es wolle bezahlbare Medikamente für Krankheiten entwickeln, die jede*r habe.

Die Studie scheint inzwischen beendet zu sein. Auf der Webseite erfährt man, dass die »weltweit erste reversible Follistatin-Gentherapie (…) jetzt verfügbar« (3) sei. Aus philanthropischen Gründen scheint Minicircle nicht zu agieren. Für 250 US-Dollar können Interessierte sich telefonisch über das Angebot beraten lassen, die Behandlung selbst kostet dann 25 000 US-Dollar. Das ist billiger als Gentherapien von konventionellen Pharmafirmen, die rund zwei Millionen US-Dollar kosten können, jedoch müssen diese für die Zulassung Wirksamkeitsbelege vorlegen. Bei Minicircle findet man solche Belege nicht.

»In unserer jüngsten klinischen Studie am Menschen erhöhte Follistatin die Magermasse, verringerte die Fettmasse, verringerte den Blutdruck und verlängerte die Telomere und kehrte die epigenetische Altersbeschleunigung drastisch um«, behauptet die Firma in einem Informationsblatt. Für Minicircle ist das Glykoprotein Follistatin interessant, weil es Myostatin unterdrückt, ein Protein, das das Muskelwachstum hemmt. Fehlt Myostatin, können sich die Muskelzellen ohne die üblichen biologischen Kontrollen vermehren und ausdehnen. Infolgedessen besitzen Tiere mit Mutationen in diesem Gen eine extreme Muskelmasse.

Wissenschaftler*innen haben bereits versucht, durch die Manipulation des Gens Erkrankungen wie Muskeldystrophie und ALS zu behandeln – bisher ohne Erfolg. Die Behauptung des Start-ups, seine Gentherapie könne »Gebrechlichkeit, Fettleibigkeit und übermäßige Entzündung« als »Kennzeichen der Alterung« behandeln und somit als eine Art Jungbrunnen wirken, ist wissenschaftlich ebenfalls sehr fragwürdig. Reversibel sei die Therapie, weil das Plasmid, ein kreisförmiges DNA-Stück, sich nicht in die DNA der Kund*innen integrieren soll. Zudem enthalte es einen »Killswitch«, mit dem das Plasmid bei Gabe bestimmter Antibiotika neutralisiert werden könne.

Irrelevant oder gesundheitsschädlich

Die von Minicircle vorgelegten Ergebnisse sind verglichen mit den großspurigen Behauptungen mager: Die Patientenzufriedenheit habe zwar bei 100 Prozent gelegen, im Durchschnitt habe die fettfreie Masse jedoch nur um rund ein Kilogramm zugenommen, der Fettanteil sich um 0,8 Prozent reduziert. Ein Diagramm mit großer Datenstreuung illustriert das beeindruckendste Ergebnis: Zwölf Jahre habe die Gentherapie die »epigenetische Uhr«, die das biologische Alter einer Person angeben soll, im Durchschnitt bei den behandelten Personen zurückgedreht.

Wie dies gemessen wurde und wie nachhaltig der Effekt war, lässt sich nicht nachvollziehen, denn die Ergebnisse wurden nicht in einem wissenschaftlichen Fachjournal veröffentlicht. Ob die Gentherapie mit der von Minicircle verwendeten Plasmid-Technologie überhaupt theoretisch irgendetwas bewirken könnte, ist unklar. Laut einem der Erfinder der Minicircle-Technologie, Mark Kay, Professor für Genetik an der Stanford University, ist es mit Plasmiden bisher nicht gelungen, DNA auf eine Weise in den Zellkern einzubringen, die klinisch relevant, sicher und therapeutisch ist. Nach Betrachtung der Webseite der Firma verstehe er nicht, warum das Start-up Erfolg haben sollte, wo andere gescheitert seien.

Die Ärztin Christin Glorioso warnt sogar vor Krebs und Leberschäden durch die Behandlung, die »wahrscheinlich jemanden töten wird«(4). Regulationen und Hürden für die Zulassung von Medikamenten und klinische Studien haben daher ihren Grund. Sie sollen Proband*innen und Patient*innen vor Schäden schützen und wissenschaftlich unbelegte Abzocke verhindern.


Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin beim Gen-ethischen Netzwerk e.V.

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Weitere Information zur Realität vor Ort auf Roatán:

Privatstädte in Honduras: Gentherapie-Experimente und Widerstand
https://amerika21.de/audio/268367/privatstaedte-honduras-gentherapie 

(1) https://vitalia.city/
(2) https://europepmc.org/article/MED/28721755
(3) https://minicircle.clinic/
(4) https://drglorioso.substack.com/p/longevitys-snake-oil-problem