Mit der Rückkehr Zelayas nach Honduras und der Wiederaufnahme des Landes in die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist die politische Krise nach dem Putsch 2009 beendet. So heißt es zumindest offiziell...
Von Magdalena Heuwieser, Artikel in der Zeitschrift Lateinamerika anders
Am Samstag, den 28. Mai, reiste der am 28. Juni 2009 geputschte Ex-Präsident Manuel Zelaya nach über einjährigem Exil wieder in sein Heimatland ein. Zehntausende Menschen erwarteten seine Ankunft auf dem Platz Isis Obed, benannt nach dem ersten Opfer des Widerstands gegen den Putsch. Eine der zentralen Forderungen der Widerstandsbewegung FNRP, die sich nach dem Putsch gegründet hatte und inzwischen die größte soziale Bewegung des Landes darstellt, war die Rückkehr Zelayas und anderer Exilierter – und so war die Freude über dieses erreichte Ziel groß. Andere Forderungen sind die Einhaltung der Menschenrechte und die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Die zu großen Teilen hinter dem Widerstand stehende Bevölkerung erhofft sich nun, dass ein großer Schritt in Richtung einer demokratischen „Neugründung“ und Transformation des Landes gemacht wurde.
Das Versöhnungsabkommen
Die Rückkehr Zelayas wurde ermöglicht durch die Unterzeichnung des Versöhnungsabkommens von Cartagena zwischen Zelaya und dem aktuell amtierenden Präsidenten Pepe Lobo der nationalen Partei. Die Verhandlungen waren erst durch die Vermittlung der Staatsoberhäupter von Venezuela und Kolumbien zustande gekommen.
Das Abkommen verspricht Zelaya eine geregelte Rückkehr ins Land und versichert, dass alle Anklagen, die vor zwei Jahren zur Legitimation des Staatsstreichs gegen ihn erhoben worden waren, fallen gelassen wurden. Die FNRP wird als politische Kraft anerkannt und ihr wird zugestanden, sich als Partei in die nächsten Wahlen einzuschreiben. Wahrscheinlich wäre dies jedoch auch ohne das Cartagena-Abkommen möglich gewesen. Die Forderung der FNRP nach einer Verfassungsgebenden Versammlung wird insofern erfüllt, als dass das Abkommen die Möglichkeit aufzeigt, eine Volksbefragung über die Einrichtung einer solchen Versammlung einzuleiten. Dieses Plebiszit-Gesetz war jedoch eigentlich unabhängig davon schon einige Monate vorher beschlossen worden. Eine paradoxe Tatsache, da eben solch eine Volksbefragung vor zwei Jahren der Auslöser für den Staatsstreich gewesen war. Eine Prüfungskommission bestehend aus venezolanischen und kolumbianischen Staatskanzler*innen soll die Einhaltung des Abkommens überwachen.
Für den ehemaligen Präsidenten ist seine Rückkehr „ein Zeichen der Hoffnung für die Demokratien Lateinamerikas“. Und auch für Pepe Lobo bedeutet das Abkommen einen ganz besonderen Erfolg. Ein zentrales Anliegen der Regierung war die Anerkennung in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), welche das Land direkt nach dem Putsch aus dem Staatenbündnis ausgeschlossen hatte. Auch wenn einige Länder, v.a. die USA, schon lange eine Wiederaufnahme in die OAS vorantreiben, hatten dies der Großteil der ALBA- und UNASUR-Länder weiterhin aufgrund ihrer Unterstützung des honduranischen Widerstands und der offensichtlichen Illegitimität des Regimes Lobo abgelehnt. Tatsächlich wurde bei der direkt auf das Abkommen folgenden OAS-Sitzung die Wiederaufnahme beschlossen, wodurch nun alle diplomatischen Beziehungen wieder hergestellt sind.
Eine Win-Win-Situation also? Pepe froh, Zelaya froh, alle froh?
In der honduranischen Bevölkerung gibt es durchaus auch viele kritische Stimmen, die zwar die Rückkehr Zelayas begrüßen, andererseits jedoch auf mögliche Gefahren hinweisen.
Zum einen besteht die Sorge, dass die Versprechen der Lobo-Regierung nicht eingehalten werden. Dies lässt zumindest die Erfahrung von vorangegangenen Verhandlungen mit dem Putschregime vermuten. Das erste Anzeichen dessen war eine Drohung des honduranischen Migrationsdirektors gegen den – nach dem Putsch aufgrund seiner Unterstützung des Widerstands expatriierten – Pater Tamayo, der mit Zelaya am Samstag wieder eingereist war. Es wurden trotz Abkommen keinerlei Anstalten gemacht, dem Befreiungstheologen Tamayo die honduranische Staatsbürgerschaft wieder zuzugestehen, wodurch er nur acht Tage Aufenthaltsrecht hätte. Der Migrationsdirektor ist des Weiteren als damaliger Militärgeneral direkt am Putsch beteiligt gewesen.
Viele Putschist*innen sitzen weiterhin in wichtigen Regierungspositionen oder bekamen Amnestien zugestanden, fast alle Menschenrechtsverletzungen blieben unbestraft. Gewaltsame Auflösungen von Demonstrationen, Morde, Entführungen und die Entlassung kritischer Staatsanwält*innen standen auch während der Lobo-Regierung, die seit Jänner 2010 amtiert, an der Tagesordnung. Honduras ist inzwischen zum gefährlichsten Land für Journalist*innen geworden. Gleichzeitig schreiten Privatisierungen von Ressourcen und Sozialleistungen stetig voran. Das Cartagena-Abkommen wurde zur gleichen Zeit eines Hungerstreiks unterschrieben, den mehrere Lehrerende seit einigen Wochen vor dem Kongress zum Protest gegen die politisch motivierte Entlassung von insgesamt 300 Lehrkräften durchführen. Aufgrund dieser Situation der Straflosigkeit und Repression drückten 20 wichtige nationale Organisationen in einer Petition ihre Ablehnung gegen die Anerkennung durch die OAS aus. Für sie stellt die aktuelle Regierung nur eine Fortführung des repressiven illegitimen Putschregimes dar.
Auch Bäuerinnen- und Bauern-Organisationen aus der Landkonfliktzone Bajo Aguán zeigen sich sehr besorgt darüber, dass durch die offizielle Normalisierung der Situation die internationale Aufmerksamkeit bezüglich des gewaltvollen Agrarkonflikts sinken könnte. In den letzten 15 Monaten – seit dem Amtsantritt Pepe Lobos – wurden in dieser Region allein 31 Bauern aufgrund ihres Protests gegen die ungleiche Landverteilung ermordet; erst kürzlich, am 5. Juni, starben wieder drei Mitglieder der Organisation MUCA an Schussverletzungen, weitere sind verschwunden. Kein einziger dieser 31 Morde wurde bisher auch nur annähernd aufgeklärt.
„Ohne Gerechtigkeit keine Versöhnung“ ist auch die Devise der indigenen Bewegung COPINH. Im Cartagena-Abkommen wird zwar die Gründung eines Menschenrechts-Sekretariats beschlossen, ob dieses jedoch tatsächlich zur Aufklärung und Strafverfolgung beiträgt, ist sehr fraglich. Viel wichtiger wäre stattdessen die Anerkennung der von honduranischen Menschenrechtsorganisationen gegründeten unabhängigen Wahrheitskommission gewesen, die aus renommierten internationalen Vertreter*innen besteht und alle Menschenrechtsverletzungen seit dem Putsch sammelt und dokumentiert.
Was bedeutet das Abkommen für die Widerstandsbewegung FNRP?
Die Rückkehr Zelayas brachte neuen Schwung in die Bevölkerung, die in den letzten Monaten vor allem Rückschläge hatte einstecken müssen. „Die Rückkehr bedeutet, dass der Kampf der FNRP eine neue Etappe erreicht hat“, erklärte Carlos H. Reyes, einer der Hauptkoordinator*innen. Während die FNRP bisher durch den Widerstand gegen den Putsch und gegen die illegitime Regierung Lobo gekennzeichnet war, so wird sie wohl alsbald als Partei selbst institutionalisiert und über einen möglichen Wahlgewinn Teil der Regierung. Die Entscheidung, eine Partei zu gründen, wurde zwar noch nicht in der demokratisch gewählten Hauptversammlung der Widerstandsfront gefällt, jedoch zeigt die Einstellung der Hauptkoordination sehr deutlich, dass sie zumindest dafür plädieren – sehr wahrscheinlich mit Zelaya als Präsidentschaftskandidat.
Die Garífuna Organisation OFRANEH kritisierte die vorschnelle Entscheidung, die FNRP zu einer Partei zu machen. Sie meinen, hierarchische Züge in der FNRP zu erkennen, wodurch sich der “Abstand zwischen Widerstandsbasis und FNRP immer mehr vergrößern würde”. Einige fürchten, dass die Bevölkerung wieder dazu übergeht, demokratische Veränderungen nur auf den Wahlzettel zu reduzieren und mit Zelaya als Leitfigur die angestrebten horizontalen Strukturen zunichte gemacht werden. So befürworten viele die Möglichkeit, dass die FNRP stattdessen ein neues politisches Instrument gründet, gleichzeitig aber in der Basis eine soziale Bewegung bleibt und somit das Potenzial der Politisierung der Bevölkerung und des Widerstands von Unten nicht verloren geht.
Das Ende der Krise also? Für Pepe Lobo und die honduranische Oligarchie vielleicht, da sich ihre Krise um die Nicht-Anerkennung und den sie gefährdenden Widerstand drehte. Für die Bevölkerung ist die Krise der Ungleichheit und Repression jedoch keinesfalls behoben. Die ihrer Krise zugrunde liegenden Probleme entsprangen schließlich auch nicht erst dem Putsch, sondern haben viel grundlegendere Ursachen. Eine Rückkehr zur honduranischen “Normalität” ist deshalb für die Bevölkerung keine Perspektive.