Von Jutta Blume
Was tun gegen die Kriminalisierung sozialer Bewegungen in Zentralamerika? - Unter dieser Fragestellung trafen sich Vertreter_innen von Nichtregierungsorganisationen und Solidaritätsgruppen aus dem deutschsprachigen Raum sowie aus Guatemala und Honduras Anfang Februar in Hofgeismar. Dabei ging es sowohl darum, das aktuelle Phänomen der Kriminalisierung in Zentralamerika besser zu verstehen als auch eine Perspektive der gemeinsamen Arbeit zu finden. Die teilnehmenden Organisationen fanden sich an diesem Wochenende zu einem „Runden Tisch Zentralamerika“ zusammen, der Forum für Informationsaustausch und Koordination gemeinsamer Aktionen werden soll.
In einer politischen Morgenandacht
erzählte Bernd Kappes die biblische Geschichte von Nabots Weinberg.
Darin möchte König Ahab den Weinbauern Nabot enteignen, weil ihm
dessen Weinberg gefällt und in der Nähe seines Palasts liegt, doch
Nabot weigert sich, das Erbe seines Vaters herzugeben. Der erboste
König bedient sich nun des Mittels der Kriminalisierung. Er lässt
falsche Zeugen Nabot der Gottes- und Königslästerung beschuldigen
und lässt ihn steinigen, um sich anschließend den Weinberg
anzueignen. Ob Wahrheit oder Parabel – die Geschichte zeigt, dass
die Kriminalisierung und der Landraub von jeher Mittel der
Machthabenden waren.
Kriminalisierung umfasst mehr als
juristische Aktionen des Staates gegen Personen, die ihm gegenüber
eine unliebsame Meinung vertreten. Das machte Anabella Sibrián von
der Internationalen Plattform gegen die Straffreiheit aus Guatemala
deutlich. Im Juni 2012 erarbeiteten mehrere internationale
Organisationen eine gemeinsame Begriffsbestimmung. Zu den Angriffen
von Seiten des Staates zählen willkürliche Verhaftungen und die
Verschleppung von Verfahren sowie das Verhängen von
Ausnahmezustände, um in der Verfassung garantierte Rechte außer
Kraft zu setzen. Kriminalisierung kann aber auch von Seiten nicht
staatlicher Akteure erfolgen, wie etwa durch Unternehmen und private
Sicherheitskräfte. Neben Belästigung, Einschüchterung und
körperlichen Übergriffen können dies auch Kampagnen sein, um das
öffentliche Ansehen von Menschenrechtsverteidiger_innen zu
beschädigen. „Dies ist ein Phänomen, das in verschiedenen Teilen
des Kontinents auftritt und nicht notwendigerweise mit der
politischen Rechten oder Linken verbunden ist“, so Sibrián.
Zunehmend richten sich Delegitimisierungskampagnen auch gegen
internationale Menschenrechtsorganisationen. Aus Guatemala berichtete
Sibrián von einer Kampagne gegen Menschenrechtsverteidiger_innen im
Zusammenhang mit dem Völkermord-Prozess gegen Efraín Ríos Montt.
Ergebnis der Delegitimisierung sei, das
Menschenrechtsverteidiger_innen als Verteidiger_innen von Verbrechern
oder selbst als Verbrecher wahrgenommen würden.
Verschärfte Gesetze, die etwa die
Versammlungsfreiheit außer Kraft setzen, oder die den Protest gegen
die Praxis eines Unternehmens zu einem terroristischen Akt
deklarieren, wie es in Honduras geschieht, machen die
Kriminalisierung politischer Gegner_innen leicht. „Wir müssen dazu
übergehen, die Gesetze in Frage zu stellen“, meint daher Sibrián.
Werden die Menschenrechtsverteidiger_innen einmal einem juristischen
Prozess unterworfen, erfolgen weniger Interventionen aus anderen
Ländern, aus Angst, sich damit in innere Angelegenheiten
einzumischen.
Ausverkauf und Repression in Honduras
und Guatemala
Besonders von der Kriminalisierung
betroffene Länder Zentralamerikas sind derzeit Honduras und
Guatemala, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass „die
Kriminalisierung sich immer weiter globalisiert und die Folge eines
ökonomischen Modells ist“, wie es der Soziologe und
Menschenrechtsverteidiger Pedro Landa vom honduranischen Zentrum für
die Förderung von Gemeindeentwicklung (CEHPRODEC) ausdrückte. Seit
dem Putsch im Jahr 2009 haben Gewalt und Kriminalisierung in Honduras
massiv zugenommen. Zur Unsicherheit tragen verschiedene Faktoren bei:
die Kontrolle großer Territorien durch die Drogenkartelle, die
Militarisierung der Gesellschaft nach dem Putsch, Straffreiheit auf
der einen und Kriminalisierung auf der anderen Seite, eine Politik
des Ausverkaufs der Naturgüter und nicht zuletzt die extreme Armut,
in der zwei Drittel der Bevölkerung leben. Die De-Facto-Regierung
nach dem Putsch hatte das Motto herausgegeben: „Honduras Open for
Business“. „Das System folgt einer perversen Logik, in der
lediglich Ressourcen zählen, nicht aber Menschen“, meint Landa.
„Das Land garantiert, dass keine einzige Menschenrechtsverletzung
verfolgt wird und damit freier Zugang zu den natürlichen Ressourcen
gewährleistet wird.“ Seit dem Putsch wurde eine Serie von Gesetzen
verabschiedet, die die Kriminalisierung erleichtern, dazu zählen das
Abhörgesetz, das Antiterrorismusgesetz, das Kommunikationsgesetz,
das Gesetz der Militärpolizei und das Gesetz der Staatsgeheimnisse.
Nach honduranischer Gesetzeslage gelte als Terrorist, wer die
Freiheit eines Unternehmens behindere. Auf diese Weise werden
Staudamm- und Minengegner zu Terroristen gemacht. Prominentestes
Beispiel für Repression und Kriminalisierung des Protestes war in
letzter Zeit das Staudammprojekt Agua Zarca, gegen das sich die
indigenen Lenca-Gemeinden in der Region stellten.
Auch in Guatemala sind indigene
Gemeinden oftmals von der Ausbeutung ihrer Naturgüter betroffen. Am
bekanntesten ist wohl der Protest gegen die Mine Marlin, der seit dem
Jahr 2005 aufrecht erhalten wird. Weitere Proteste richten sich
beispielsweise gegen eine Zementfabrik in der Gemeinde San Juan
Sacatepéquez oder gegen den Goldbergbau in der Mine „El Tumbor“
in La Puya. In beiden Fällen werden die indigenen Protestierenden
kriminalisiert, bedroht und tätlich angegriffen. Für die
Kriminalisierten hat ihr Protest oft auch ökonomische Konsequenzen,
z.B. wenn sie durch Gefangenschaft oder Auflagen, sich regelmäßig
bei der Polizei zu melden, ihren Arbeitsplatz verlieren.
Möglichkeiten politischer
Einflussnahme in Europa
Wie Menschenrechtsverteidiger_innen von
Europa aus geschützt und unterstützt werden können, diskutierten
die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europäischen
Parlament, Barbara Lochbihler (Grüne), Susanna Daag von der
Kopenhagener Initiative für Zentralamerika und Mexiko (CIFCA) und
Reiner Focken-Sonneck von Brot für die Welt.
Seit 2004 existieren die EU-Leitlinien
zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen, die auch konkret die
Aufgaben der EU-Botschaften definieren, erklärte Barbara Lochbihler.
Beispielsweise sollten sie Schutz bei unmittelbarer Gefahr bieten,
Menschenrechtsverteidiger_innen bei Veranstaltungen zu Wort kommen
lassen, im Fall von Verhaftungen Prozesse beobachten und
Gefängnisbesuche machen. Im Dezember 2013 wurde erstmals eine
EU-Menschenrechtsstrategie verabschiedet, zu deren Umsetzung es auch
einen Aktionsplan gibt. „Was im Aktionsplan steht, muss die EU
machen“, sagte Lochbihler. In der Realität fehle es allerdings an
der Implementierung der inhaltlich guten Leitlinien. Das sei das
Ergebnis einer Studie im Auftrag des wissenschaftliche Ausschusses.
Ursache für die mangelnde Umsetzung könnte sein, dass die jeweilige
in der Botschaft zuständige Person mit zu vielen Aufgaben betraut
sei und zumeist in der Hierarchie weit unten stehe. Es besteht das
Recht, Beschwerde in Brüssel einzulegen, wenn eine EU-Delegation
ihren Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich nicht nachkommt.
Mit dem Europäischen Instrument für
Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) verfügt die EU über
finanzielle Mittel, um die Menschenrechtsverteidigung zu
unterstützen. Eine konkrete Liste geförderter Projekte konnte die
Kommission auf Anfrage Lochbihlers bislang nicht vorlegen. Bei Brot
für die Welt ist der Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen ein
Bereich, der in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. „Wir
sehen uns mit Situationen konfrontiert, die wir in Zentralamerika
längst überwunden glaubten“, sagte Reiner Focken-Sonneck. Ein
organisatorisches Problem sei die Zusammenarbeit mit
Basisorganisationen, da diese oft keine juristische Person hätten.
„Im Bereich Kleinprojektprogramme könnten wir in Zentralamerika
besser aufgestellt sein“, so Focken-Sonneck.
„Wir müssen auf allen Ebenen an dem
Bild arbeiten, das wir von Menschenrechtsverteidiger_innen haben“,
meinte Susanna Daag. Menschenrechtsverteidiger_innen sind schon lange
nicht mehr nur die Vertreter_innen großer
Menschenrechtsorganisationen, sondern Vertreter_innen von Gemeinden,
Umweltschützer_innen etc. Ein weiteres noch zu bearbeitendes Feld
sei die Verpflichtung zur Unternehmensverantwortung europäischer
Unternehmen. Den (bislang noch nicht verabschiedeten) Pfeiler des
politischen Dialogs, der im Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika
vorgesehen ist, hielt Daag für ein eher unwirksames Instrument, um
Menschenrechte durchzusetzen.
Die Frage des „Was tun?“ stellte
sich im Verlauf des gesamten Wochenendes immer wieder. Die
Möglichkeiten reichen von mehr öffentlichen Mobilisierungen über
den besseren Gebrauch von (EU-) Richtlinien und Programmen,
Unterstützung über einen schnell mobilisierbaren Rechtshilfefonds
bis hin zum Austausch zwischen Gemeinden verschiedener Länder.
Fundamental dabei bleibt, Menschenrechtsverteidiger_innen nicht zum
Opfer zu stilisieren und sie für sich selbst sprechen zu lassen.