Montag, den 20. November 2017
Betreff: Besorgnis über die
Ausweisung internationaler Menschenrechtsverteidiger*innen seitens der
honduranischen Behörden
Sehr geehrte
Damen und Herren,
Als die fünf Staatsbürger*innen, die diesen Brief
unterzeichnet haben, wenden wir uns an Sie, um Sie über unsere Situation zu
informieren und um Ihnen gegenüber unsere Besorgnis zum Ausdruck zu bringen.
Wir sind vier Menschenrechtsbeobachter*innen mit europäischer Staatbürgerschaft
und ein Journalist aus Kolumbien, die seit 2016 Gegenstand eines
Ausweisungsverfahrens seitens des honduranischen Staates sind.
Die betroffen Personen sind:
Giulia FELLIN, italienischer und deutscher
Staatsangehörigkeit, Mitglied der Hondurasdelegation, ein Netzwerk mehrerer
Personen und Gruppen, die seit 2009 im Bereich Menschenrechtsbeobachtung tätig
sind; Luis DIAZ DE TERAN, spanischer
Staatsbürger, Menschenrechtsbeobachter und -verteidiger; Marine PEZET,
französischer Staatsangehörigkeit, ehemalige Leiterin von PROAH (Projekt zur
Internationalen Begleitung von Menschenrechtsverteidiger*innen in Honduras);
Heike ENGEL, deutsche Staatsbürgerin, Menschenrechtsverteidigerin und
unabhängige Journalistin und Víctor Hugo SOTO GALEANO, Fotojournalist
kolumbianischer Staatsangehörigkeit.
Kontext:
Nach der Ermordung der Menschenrechtsverteidigerin
Berta Cáceres am 2. März 2016 nahmen die Angriffe und Bedrohungen gegen
nationale und internationale Menschenrechtsverteidiger*innen zu. Insbesondere
nahmen die Angriffe gegen internationale Verteidiger*innen zu, die den Zivilen
Rat der Basis- und indigenen Organisationen Honduras (COPINH) begleiteten, die
Organisation, die Berta Cáceres leitete. Ein Beispiel dafür sind die Angriffe
und Einschüchterungsversuche gegenüber den Teilnehmer*innen und internationalen
Beobachter*innen des Internationalen Treffens „Berta Cáceres Vive“ am 15. April 2016, bei dem Giulia Fellin, Luis Díaz, Heike Engel und
Marine Pezet anwesend waren.
Am
9. Mai 2016 fand vor dem Präsidentenhaus eine friedliche Demonstration von
COPINH statt, die gewaltsam unterdrückt wurde. Die internationalen
Menschenrechtsverteidiger*innen Giulia
Fellin, Luis Díaz und Heike Engel waren zur Beobachtung und Dokumentation der
Geschehnisse vor Ort.
Am 10. Mai 2016
verkündete Herr Jorge Ramón Hernández Alcerro,
Generalsekretär der honduranischen Regierung in einer öffentlichen
Stellungnahme, dass der staatliche Sicherheitsdienst (Dirección de Inteligencia del Estado) und die Migrationsbehörde
angewiesen wurden, „die Identität der Ausländer*innen zu ermitteln, die an
dieser Art von Demonstrationen teilnehmen und zur Gewalt anstiften, und alle im
Gesetz festgeschriebenen Verfahren anzuwenden“. Ebenso verkündete er, dass „es
eine Ermittlung gegen die Ausländer*innen geben werde, die an Protesten von
COPINH teilnehmen und zur Gewalt ermutigen.“
Ab dem 10. Mai 2016
kam es zu mehrfachen Publikationen und Einschüchterungen bezüglich der
Tätigkeit von Giulia Fellin. Durch die gestartete Verleumdungskampagne sah sich die Beobachterin gezwungen, das Land zu
verlassen.
Die anderen oben
erwähnten Personen verließen in den folgenden Wochen ebenfalls das Land, ohne
eine offizielle schriftliche Mitteilung hinsichtlich eines Ausweisungsbescheids
erhalten zu haben. Darüber hinaus erklärte eine Vertreterin des Sekretariats für
Menschenrechte, Gerechtigkeit und Dezentralisierung im Juni 2016, dass zu
keinem Zeitpunkt eine Anweisung zur Ausweisung erteilt wurde.
Am 25. Oktober 2016
versuchte der Menschenrechtsverteidiger Luis Díaz erneut nach Honduras
einzureisen. Dabei wurde er durch Mitarbeiter der Nationalen Migrationsbehörde
aufgehalten, die ihn festnahmen und das verwaltungstechnische Verfahren der
Ausweisung anwendeten. Die Ausweisung geschah
ohne ihm die Möglichkeit zu gewähren diese anzufechten. Er erhielt auch kein
Dokument bezüglich der Ausweisung.
Nach diesem Vorfall
entschlossen sich die anderen europäischen Beobachter*innen, mit Hilfe von
Anwält*innen, die für honduranische Menschenrechtsorganisationen tätig sind,
herauszufinden, ob gegen sie ein Einreiseverbot (alerta migratoria) vorliege und ob sie ein ähnliches Verfahren zu
erwarten hätten.
Im
Februar 2017 gelang es einem der honduranischen Anwälte, Zugang zu einem
Dokument der Nationalen Migrationsbehörde vom 30. Mai 2016 zu bekommen, dass an
das Sekretariat für Menschenrechte, Gerechtigkeit, Regierungsführung und
Dezentralisierung gerichtet war und in dem die Überprüfung der Ausweisung der
fünf oben genannten Personen erbeten wird.
Seitdem
haben honduranische Anwält*innen mit der Nationalen Migrationsbehörde sowie dem
Sekretariat für Menschenrechte kommuniziert und zahlreiche Versuche unternommen,
um an die Unterlagen zu den besagten Ausweisungen zu gelangen. Gleichwohl der Abschiebungsentscheid gegen
die fünf Staatsbürger*innen von den honduranischen Behörden unterzeichnet wurde
und es das mündliche Versprechen gab, die Unterlagen ausfindig zu machen,
wurden bis zum heutigen Tag weder uns noch unseren Anwält*innen die Unterlagen
übergeben.
Eineinhalb Jahre nach den Geschehnissen bleibt uns als
ausländische Bürger*innen die Möglichkeit verwehrt, nach Honduras
zurückzukehren und den ergangenen Beschluss anzufechten.
Wir ersuchen die
Mitglieder des diplomatischen internationalen Dienstes und internationaler
Menschenrechtsorganisationen darum, gegenüber den staatlichen Behörden von
Honduras die bedeutsame Rolle internationaler Begleitung bei der Verteidigung
von Menschenrechten zum Ausdruck zu bringen und sie zu Folgendem aufzufordern:
- Auskunft zu geben über das Migrationsverwaltungsverfahren, das bei der Verhaftung und Ausweisung von Luis DIAZ DE TERAN und den weiteren vier ausländischen Staatsbürger*innen angewendet wurde. Von der Nationalen Migrationsbehörde und dem Sekretariat für Menschenrechte, Gerechtigkeit, Regierungsführung und Dezentralisierung ersuchen wir Information und Zugang zu den Unterlagen;
- Den Beschluss über das Einreiseverbot zurückzuziehen, da der Abschiebungsentscheid ungerechtfertigt ist und die Arbeit der Verteidiger*innen von Menschenrechten in Honduras beeinträchtigt;
- die Umsetzung zeitnaher, angemessener, umfassender, unabhängiger und unparteiischer Untersuchungen hinsichtlich der Drohungen und Angriffe gegen nationale und ausländische Verteidiger*innen in Honduras;
- Dringend Maßnahmen einzuleiten für die Umsetzung der „Erklärung über das Recht und die Verpflichtung von Individuen, Gruppen und Institutionen zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte und grundlegender und universeller Freiheiten“, anerkannt und verabschiedet durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 1998 sowie die Gewährleistung, dass die Personen, die sich der Förderung und dem Schutz fundamentaler Rechte verpflichten, ihre Aktivitäten unabhängig und frei ausüben können.
- Die Vollversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) und die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte haben die Bedeutung der Arbeit der Verteidiger*innen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte in einem demokratischen Staat immer wieder betont. Als Unterzeichner*innen des Briefes ersuchen wir daher die diplomatischen Dienste und ermutigen die internationale Gemeinschaft mit Menschenrechtsverteidiger*innen in Honduras Kontakt aufzunehmen, um ihnen - im Rahmen der Leitlinien der Europäischen Union zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen und weiteren internationalen und zu diesem Zweck eingerichteten Instrumenten und Mechanismen - Unterstützung und Schutz anzubieten.
Hochachtungsvoll,
Luis DIAZ DE
TERAN
Heike ENGEL
Giulia
FELLIN
Marine PEZET
Víctor Hugo
SOTO GALEANO