Am 2. März
2016 geschah in La Esperanza, Departement Intibucá, Honduras der Mord an der
Führungspersönlichkeit Berta Isabel Cáceres Flores und der versuchte Mord an
dem Umweltaktivisten Gustavo Castro Soto.
Familienangehörige
und der Zivile Rat der Basis- und indigenen Organisationen (Consejo Cívico de
Organizaciones Populares e Indígenas de Honduras - COPINH) forderten
unverzüglich eine unabhängige Untersuchung, da sie befürchteten, dass die
honduranischen Institutionen gegen die Hintermänner der Tat nicht ermitteln
würden.
Familienangehörige
von Berta Cáceres und COPINH wandten sich mit dieser Bitte an die
Interamerikanische Menschenrechtskommission, die Vereinten Nationen und eine
Vielzahl honduranischer und internationaler Akteure. Aber sie fanden beim
honduranischen Staat kein Gehör.
Angesichts
dessen Verweigerung drängten die Familie und COPINH darauf, ein Team
unabhängiger Expert*innen zu etablieren. Sie wurden darin von der Breiten
Bewegung für Würde und Gerechtigkeit (Movimiento Amplio por la Dignidad y la
Justicia –MADJ) und dem Center for Justice and International Law (CEJIL) und
weiteren nationalen und internationalen Organisationen bestärkt. Auf diese
Weise entstand im November 2016 die Unterstützungsgruppe Internationaler
Expert*innen (Grupo Asesor Internacional de Personas Expertas – GAIPE) mit Dan
Saxon, Roxanna Altholz, Miguel Ángel Urbina, Jorge Molano und Liliana Uribe
Tirado.
GAIPE reiste viermal
nach Honduras, befragte über 30 Personen und analysierte Berichte
internationaler Menschenrechtsorganisationen. Außerdem befassten sie sich mit
den Unterlagen zu zehn Strafanzeigen, die von COPINH gestellt worden waren und
weiteren juristischen Vorgängen wegen des Fehlens einer vorherigen, freien und
informierten Konsultation für das Projekt „Agua Zarca“. Zudem hatten sie Zugang
zu einem Teil der Beweismittel im Prozess wegen des Mordes an Berta Isabel
Cáceres und des versuchten Mordes an Gustavo Castro.
GAIPE erkennt
an, dass die staatlichen Stellen inzwischen gegen acht Personen ermittelt haben
und Anklage erheben. Ihre Namen sind bekannt: Sergio Ramón Rodríguez Orellana,
Douglas Giovanny Bustillo, Mariano Díaz Chávez, Henry Javier Hernández
Rodríguez, Óscar Aroldo Torres Velásquez, Elvin Heriberto Rápalo Orellana,
Edilson Atilio Duarte Meza und Emerson Eusebio Duarte Meza.
Derzeit
gründet sich die Anklage durch die Staatsanwaltschaft gegen die acht Genannten
hauptsächlich auf Telefondaten. GAIPE hatte Zugang zu einem Teil dieser Daten:
Aufzeichnungen und ausgelesenen Daten aus Telefonen und anderen elektronischen
Geräten sowie SIM-Karten, die unter anderem Textnachrichten, Telefongespräche, E-Mails,
Kontakte, Bilder, Videos und Aufnahmen sowie GPS-Daten enthalten.
Mit Hilfe
einer Analyse der zusammengetragenen Beweismittel konnte GAIPE eine Vielzahl
von Straftaten, Unregelmäßigkeiten in den Ermittlungen sowie die möglichen
Hintermänner des Mordes aufdecken.
Im Folgenden werden
die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst:
Aufgrund der
analysierten Informationen kommt GAIPE zu dem Schluss, dass der Mord an Berta
Isabel Cáceres kein isoliertes Geschehen war.
Der Bericht
der GAIPE zeigt die Strategien auf, die verschiedene Gruppen angewendet haben,
um das Recht auf vorherige, freie und informierte Befragung der
Lenca-Bevölkerung zu verletzen, unter ihnen: Gesellschafter, Leitungspersonal,
Geschäftsführung und Personal des Unternehmens Desarrollos Energéticos,
Sociedad Anónima (DESA); private Sicherheitsunternehmen im Dienst der DESA;
Staatsbedienstete und der staatliche Sicherheitsapparat.
Strategisches
Ziel war jegliche Opposition zu kontrollieren, zu neutralisieren und
schließlich auszulöschen. Diese Taten
beinhalteten: die Instrumentalisierung der Gemeinden, um das soziale Gefüge zu
zerstören, Schmutzkampagnen, Unterwanderung, Verfolgung, Drohungen, Einsatz von
Auftragsmördern, Sabotage der Kommunikationsmittel des COPINH; Kooptieren von
Justizangestellten und Sicherheitskräften und die Stärkung von Parallelstrukturen
innerhalb der staatlichen Sicherheitskräfte. Das
honduranische Sicherheitsministerium erfüllte dabei eine Doppelrolle. Zum einen
stellte es unter dem Einfluss von Gesellschaftern und Leitung der DESA Personal
und Ressourcen zum Schutz der Installationen des Projektes Agua Zarca zur
Verfügung, zum anderen unterließ es den
Schutz der Führungspersönlichkeit Berta Isabel Cáceres Flores – wohlwissend
welche unmittelbaren und schwerwiegenden Risiken ihr Leben und ihre Unversehrtheit
ausgesetzt waren.
Die
Informationen, zu denen GAIPE Zugang hatte, lassen auch darauf schließen, dass
DESA selbst nicht genügend Kapital besaß, um das Wasserkraftwerk Agua Zarca zu
bauen. Die Gelder, die das Finanzsystem dem Unternehmen deshalb zur Verfügung
stellte, wurden benutzt um innerhalb seiner Einflusssphäre das Gewaltniveau zu
erhöhen und Mitglieder des COPINH, unter ihnen Berta Isabel Cáceres Flores,
systematisch anzugreifen.
Durch ihre
Analyse konnte GAIPE feststellen, dass die geldgebenden Institutionen, wie die Zentralamerikanische Bank für Wirtschaftliche Integration (Banco Centroamericano
de Integración Económica - BCIE), die Niederländische Entwicklungsbank FMO und
Finnfund mit wohlüberlegter Nachlässigkeit handelten. Diese Institutionen
wussten vorab von den Strategien der DESA, sei es durch öffentliche Klagen oder
durch internationale Gutachten.
Dennoch
ergriffen sie keine geeigneten und wirksamen Maßnahmen, um die Achtung der
Menschenrechte der von dem Wasserkraftwerk Agua Zarca betroffenen indigenen
Gemeinden zu garantieren und erst recht nicht, um das Leben und die
Unversehrtheit von Berta Cáceres zu schützen. Außerdem unternahmen sie keine
ausreichenden Anstrengungen, um die entsprechenden strafrechtlichen
Ermittlungen einzufordern.
In Bezug auf
die konkrete Tat vom 2. März konnte GAIPE – mithilfe der gleichen Informationen
über die auch die Staatsanwaltschaft mindestens seit dem 2. Mai 2016 verfügt,
feststellen, dass die Planung, Ausführung und Vertuschung des Mordes an Berta
Isabel Cáceres Flores im November 2015 begann. Zeitgleich begannen [im November
2015] Demonstrationen indigener Gemeinden und von COPINH gegen das Projekt Agua
Zarca.
Im Januar und
Februar 2016 hielten sich einige der Angeklagten und namentlich nicht genannte
Personen in der Stadt La Esperanza auf, dem Wohnort von Berta Cáceres und Sitz
der Büros von COPINH, wo sie Ortserkundungen und Verfolgungen durchführten. Am
5. und 6. Februar wurde ein Kommando für die Ausführung des Verbrechens
geschickt, an dem, so die analysierte Information, mehrere der Angeklagten
teilnahmen. Aus logistischen Gründen wurde die Aktion “abgebrochen”.
Den
Analysen von GAIPE zufolge versammelten sich mindestens vier der mutmaßlichen ausführenden
Täter am 2. März 2016 in La Ceiba. Von dort aus fuhren sie morgens nach La
Esperanza-Intibucá. Als sie dort ankamen, kundschafteten sie die Lage aus und
verübten dann den Mord.
Aus der Analyse der Telefongespräche der
Beschuldigten, zieht GAIPE den Schluss, dass an der Ausführung des Mordes
weitere Personen beteiligt waren, gegen die die Staatsanwaltschaft nicht
ermittelt hat.
Die
staatlichen Ermittler konstruierten stattdessen unhaltbare Hypothesen. Sie schrieben
den Mord an Berta Cáceres einem ehemaligen Lebenspartner zu und gaben dem Mord
damit eine persönliche Note. Auch hielten sie daran fest, dass die Attacke auf
interne Interessenskonflikte COPINH´s zurückzuführen sei. Auf der
anderen Seite hat die Generalstaatsanwaltschaft die angemessene und tatkräftige
Teilnahme der Opfer, die zugleich Nebenkläger*innen sind, mit der Zurückhaltung
der Ermittlungsakte behindert. Diese Entscheidung hat den Zugang zu Unterlagen,
geeigneten Schritte und Beweisen zur Identifizierung, Prozessführung und
Urteilsfindung weiterer an der Tat Beteiligter und Auftraggeber der Ermordung von
Berta Cáceres und des versuchten Mordes Gustavo Castros eingeschränkt. Das Fehlen
der Übergabe besagter Informationen hatte auch Auswirkungen auf die
Straflosigkeit der Attacken gegen Mitglieder des COPINH und der
Lenca-Gemeinden, die sich gegen das Wasserkraftprojekt Agua Zarca stellten.
Trotz der
Geheimhaltung, mit der die Ermittlung geführt wurde, konnte GAIPE die
Beteiligung von Managern, Geschäftsführern und Mitarbeitern von DESA; von
privatem Sicherheitspersonal, das durch das Unternehmen unter Vertrag genommen
wurde; von staatlichen Akteuren und Parallelstrukturen der Sicherheitskräfte
des Staates, die in kriminellen Machenschaften vor, während und nach dem Mord
vom 2. März 2016 involviert wurden, beweisen. Diese Straftaten sind bis zum
heutigen Tag straffrei.
Die Auswertung
der Telefondaten ergibt außerdem, dass die Gesellschafter und Manager von DESA
Kontakt zum Innenministerium und zur Präventivpolizei hatten, um Details zu den
ersten rechtlichen Schritten in Verbindung mit dem Mord zu erfahren – und dies noch
bevor die Familie von Berta Isabel Cáceres Flores oder ihre rechtlichen
Vertreter davon erfahren haben. Gleichzeitig kann man aufzeigen, dass diese
Akteure auf die ersten Untersuchungsschritte Einfluss nahmen, indem die ersten
Hinweise in Richtung COPINH-Mitglieder bzw. aus dem persönlichen Umfeld Bertas
zeigten.
Auf Grundlage
der durch die Staatsanwaltschaft vorgelegten Informationen, der Zusammenstellung
und Analyse der Informationen durch GAIPE, wird empfohlen:
1. Der Regierung und der Legislative
A) die
Gesetzmäßigkeit zu überprüfen, und in diesem Fall in Abstimmung mit der
juristischen Ordnung und bezogen auf die internationalen Menschenrechts-Standards,
die Konzession, Verträge, Lizenzen und andere Bewilligungen des Projektes Agua
Zarca wegen der Missachtung der vorherigen, freien und informativen Befragung
und der systematischen Praxis der Verfolgung und Zerstörung zu widerrufen;
B) Einhaltung
des im Juli 2011 zwischen COPINH und dem Präsidenten Porfirio Lobo Sosa unterzeichneten
Abkommen, in dem die Verpflichtung „keinen Bau von Wasserkraftwerken in den
Lenca-Gemeinden durchzuführen ohne freie, vorherige und informative Befragungen
durchzuführen“ festgehalten wurde.
C) Ergreifen
von administrativen und gesetzgeberischen Maßnahmen um:
1) vorzubeugen
von potentiellen Menschenrechtsverletzungen, so dass Unternehmen, denen
Bewilligungen oder andere Zugeständnisse zum Abbau natürlicher Vorkommnisse und
Gemeingüter des Staates erteilt wurden, die Finanzmittel, Personal oder andere Mittel
einsetzen, um die sozialen individuellen und kollektiven Forderungen zu kontrollieren,
entgegenzuwirken und auszumerzen. Auch müssen Maßnahmen eingeleitet werden, um zu
ermitteln und in diesem Fall die Unternehmen zu sanktionieren, die einen unrechtmäßig
jene Mittel angewendet haben;
2) die Arbeit
des Schutzes der Menschenrechte zu garantieren.
3) die Kontrolle
und Unterordnung der privaten Sicherheitsfirmen und staatlichen Sicherheitskräfte
garantieren.
4) aufheben der
richterlichen Funktion der Nationalen Leitung des Nachrichtendienstes, und Ausstatten
der zivilen Behörden mit Befugnissen und Mitteln, um besagte Funktionen zu
übernehmen;
5) Stärkung
der Ermittlungsmechanismen, die erlauben kriminelle Strukturen, die die Rechte
der Menschenrechtsverteidiger*innen verletzten, abzubauen.
2. An das Justizsystem
A) Ein
wirksames Garantieren einer ernsthaften, umfassenden und ausführlichen
Untersuchung des Mordes an Berta Isabel Cáceres Flores sowie des versuchten
Mordes an Gustavo Castro Soto, die eine Verurteilung und Bestrafung aller
Personen ermöglicht, die nachweislich für die Taten verantwortlich sind –
Taten, Unterlassung und damit zusammenhängende strafbare Handlungen;
B)
Untersuchen der Handlungen der Ermittler, die mit der Aufklärung der Umstände
des 2. März 2016 betraut waren, um deren Verantwortlichkeit wegen der Aktionen
und Unterlassungen zu bestimmen.
C)
Untersuchen, verurteilen und sanktionieren der mit DESA involvierten Personen
und staatlicher Einrichtungen, die die kriminellen Strukturen geschaffen und
gestärkt haben, die gegen die Lenca-Gemeinden in Rio Blanco und Mitglieder
COPINH´s gehandelt haben, um letztendlich jene Strukturen zu zerstören und
zukünftige Taten von Einschüchterung und Gewalt vorzubeugen;
D) Gewähren
der Teilnahme der Opfer an dem internen Prozess und in diesem Sinne das
Gewähren eines angemessenen Zugangs zu allen Ermittlungsschritten, in gleichem
Maße wie es den Zugang zu Informationen den Angeklagten ermöglicht wird, um ihr
Recht auf Verteidigung gemäß der honduranischen Gesetzgebung und
internationalen Standards in Bezug auf Menschenrechte ausüben zu können.
3. An Unternehmen, Finanzinstitutionen und Geberländer
Sicher gehen,
dass Entwicklungsprojekte oder Investitionen eine Garantie und Verpflichtung eingehen,
die vorherige, freie und informierte Befragung der indigenen und afro-indigener
Völker zu respektieren. Der honduranische Staat sollte aufgefordert werden die
Arbeit des Schutzes der Menschenrechte durch Organisationen der
Zivilgesellschaft, durch Personen der betroffenen Gemeinden vor die Politik der
Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und Gemeingüter des Staates zu achten und
Folgen der Missachtung der Vorsorge des Artikel 169 der ILO zu etablieren.
4. An die Internationale Gemeinschaft
A) Stärkung der
Prozesse des Monitorings und des Sozialaudits angesichts der schweren
Menschenrechtsverletzungen, sowie die Förderung und Verteidigung von
Menschenrechten, angesichts von Projekten, die die Ausbeutung der natürlichen
Ressourcen und staatlichen Gütern des Staates betreiben.
B) Die Forderungen
nach Wahrheit und Gerechtigkeit und Wiedergutmachung als Mechanismen, die den
Aufbau und der Stärkung von Gesellschaften mit weniger Gewalt und mit dem
Respekt von Menschenrechten zu ermöglichen, begleiten, so dass dies eine von
den staatlichen Akteuren, Unternehmen und dem Finanzsystem in die tägliche
Praxis umgesetzt sein soll.
C) Der Familie
von Berta Isabel Cáceres Flores, Mitglieder COPINH`s, den nationalen und
internationalen Organisationen als auch dem Anwaltsteam zu helfen, um der
Straflosigkeit und Willkür in Ausübung staatlicher Funktionen zu
überwinden;
D) Stärkung der
normativen Anpassung und Einbettung von Maßnahmen, die die individuelle oder
kollektive Ausübung generell des Schutzes der Menschenrechte; und speziell jener,
die im Zusammenhang mit den Politiken der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen
und Gemeingüter des Staates stehen.
Übersetzung: HondurasDelegation
Spanischer Originalbericht unter: www.gaipe.net