Donnerstag, 1. Dezember 2016

Garifuna-Gemeinden verteidigen ihr Siedlungsgebiet


An der Nordküste von Honduras leben die Garifuna, afro-indigene Gemeinden, die Ende des 18. Jahrhunderts von englischen Kolonisator*innen aus St. Vincent in der Karibik nach Roatán deportiert wurden und danach die Küste Zentralamerikas besiedelten. Der größte Teil von ihnen lebt in Honduras.

Im Jahr 1901 wurde ihnen ein Landtitel vom damaligen Präsidenten Manuel Bonilla übertragen. Die Verteidigung ihrer Territorien ist seit Jahrzehnten eines der Hauptanliegen der Garifuna, da die Landtitel im Zuge der neoliberalen und diskriminierenden Politik nicht anerkannt werden, obwohl Honduras 1995 die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Rechte ratifiziert hat.

Die Organisation OFRANEH (Organización Fraternal Negra Hondureña) wurde Anfang der 90er Jahre gegründet, um sich für die Rechte der Garifuna einzusetzen. Seitdem begleitet OFRANEH Gemeinden bei der Verteidigung ihres Landes. Fast alle der 46 Garifuna-Gemeinden liegen an der Karibikküste. Sie sehen sich mit einer Vielzahl von Landkonflikten konfrontiert.

Für die folgenden zwei Tage hat OFRANEH uns eingeladen, in der Bucht von Trujillo einige Garifuna-Gemeinden kennen zu lernen, die sich sich gegen die Landnahme durch nationale und internationale Akteure zur Wehr setzen.

Am zentralen Platz des Städtchens Trujillo, gleich bei dem Denkmal von Christoph Kolumbus, der hier 1502 zum ersten Mal amerikanisches Festland betrat, treffen wir Malvin Morales, einen Aktivisten von OFRANEH, der uns die nächsten Tage begleiten wird. Er erklärt uns die Situation in der malerischen Bucht folgendermaßen:

Dank einer Entscheidung des Präsidenten Manuel Bonilla aus dem Jahr 1901 verfügen die Garifuna hier über kollektive Landtitel für Teile der Bucht und des umliegenden Berglandes. Trotzdem wurden Großprojekte – wie eine Militärbasis und ein Hafen für Palmöl und Bananen in den 60er und 70er Jahren – mittels Zwangsumsiedlungen einer Garifuna-Gemeinde durchgesetzt. Seit den 90er Jahren macht insbesondere Randy Jorgensen, in Kanada bekannt als „Porno King“ von sich reden. Er eignete sich mit illegalen bzw. illegitimen Methoden weite Teile der Bucht an, um dort Tourismusprojekte zu realisieren, darunter einen Anlegesteg für Kreuzfahrschiffe. Einige seiner Projekte befinden sich auf Garifuna-Gebiet, was zu einem offenen Landkonflikt führte. Jorgensen macht sich dabei die Korruptionsanfälligkeit und den Rassismus der honduranischen Behörden zunutze.

Für die Garifuna-Gemeinden beginnt das Land knapp zu werden. Unter Berufung auf ihren historischen Landtitel betreiben sie Siedlungsprojekte, „Wiederaneignungen“ (recuperaciones). In Begleitung von Malvin und seiner compañera Carmen Alvarez dürfen wir einige dieser Projekte kennen lernen. Wir sind beeindruckt: Vorwiegend junge Menschen, die zuvor nicht in der Landwirtschaft tätig waren, nehmen große Risiken auf sich, um brachliegendes Land bewohn- und nutzbar zu machen. Die meisten von ihnen haben eine Migration in die USA hinter sich und fangen nun gemeinsam von vorne an. Die Größe der Gruppen bewegt sich zwischen 20 und 200 Personen. Das älteste Projekt besteht seit 2012, das jüngste hat sich im Oktober diesen Jahres gegründet. Die meisten haben bereits einen Räumungsversuch der Polizei erlebt. Rechtlich besteht dafür keine Grundlage.


Medelin, eine der Aktivist*innen, geht davon aus, dass Randy Jorgensen hinter den Attacken steht. Sie ist selbst von der Polizei verprügelt und verschleppt worden und zeigt uns die noch nicht verheilten Wunden. Unser Begleiter Malvin zeigt uns auf seinem Handy Fotos von Mitarbeitern des Pornokönigs, die der Polizei nach getaner Arbeit Essen austeilen.

Bereits am Tag unserer Abreise ereignet sich ein weiterer Übergriff auf ein Siedlungsprojekt, bei dem Hütten und Möbel von Polizisten zerstört werden (siehe weiterer Blog-Eintrag).

Die Garifuna-Aktivist*innen betreiben die Land-Wiederaneignungen mit Kraft und Würde, und sie machen uns gegenüber deutlich, dass sie bereit sind, ihre Existenz in der Bucht von Trujillo gegen jeden Widerstand zu verteidigen. Malvin macht uns jedoch auf eine noch weit größere Bedrohung aufmerksam: Die Bucht von Trujillo ist eine von zwei Regionen die die honduranische Regierung für sogenannte ZEDE-Projekte vorgesehen sind: „Zonen für Arbeitsplätze und wirtschaftliche Entwicklung“ - kurz: „Modellstädte“. Es sollen extraterritoriale Gebiete entstehen, die von Investorenkonsortien verwaltet werden und unter deren eigener Gesetzgebung funktionieren. Pläne dafür liegen OFRANEH vor. Sie zeigen in den schönsten Farben weitläufige Hotelanlagen im Stile von Acapulco, einen Flughafen, einen erweiterten Frachthafen, Regierungsgebäude und vieles mehr, was für weltweit tätige Investoren*innen lukrativ sein dürfte, aber in krassem Gegensatz zur Kultur der Garifuna steht. Sich dagegen zu verteidigen, bedarf einer weitaus größeren Anstrengung und vor allem internationaler Solidarität, so Malvin. Denn wenn die „Modellstadt“ hier durchgesetzt werden kann und erfolgreich funktioniert, wird es viele Regierungen im Globalen Süden geben, die sich auf entsprechende Angebote einlassen.


Wir verabschieden uns von Malvin und den Garifuna mit einem Besuch beim lokalen Radio. In der Sprache der Garifuna werden wir willkommen geheißen und grüßen selber auf spanisch in den Äther bevor der Strom im ganzen Viertel ausfällt. OFRANEH wird die Radioprojekte ausbauen, denn sie sind wichtige Instrumente in der Aufklärung der Bevölkerung über die Bedrohungen, gegen die sich die Garifuna zur Wehr setzen müssen.