El Progreso war 1954 das städtische Zentrum des “großen Streiks” bei den Bananengesellschaften Standard und United Fruit Company, von dem sich der Streik auf das ganze Land ausbreitete. Hier trafen wir Bartolo Fuentes, Journalist und seit 2013 Abgeordenter der Partei LIBRE (Libertad y Refundación) im Büro der größten Gewerkschaft für Arbeiter*innen in den Maquilas (SITRASTAR). Fuentes fühlt sich den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen nahe, beispielweise gibt er die Zeitschrift “Vida Laboral” über die Kämpfe der Gewerkschaften heraus.
Bartolo Fuentes |
Die Partei LIBRE wurde 2011 als politischer Arm der Widerstandsbewegung gegen den Putsch (FRNP) gegründet, der es 2013 bei den Wahlen gelang, die zweitstärkste Kraft im Parlament zu werden und damit das über 100 Jahre währenden Zweiparteiensystem aufgebrochen hat.
Zu diesen Wahlen sagt Fuentes: "Nicht einmal wir waren in der Lage uns vorzustellen, dass es einen Wahlbetrug solch enormen Ausmaßes durch die Nationale Partei geben würde." Von 16.300 Wahlurnen im ganzen Land konnte LIBRE in 2.500 Urnen Wahlbetrug feststellen. Der Unterschied zwischen den beiden Parteien LIBRE und Partido Nacional (PN) war trotz Wahlbetrug nicht sehr groß. Fuentes berichtet, dass die PN aufgrund der enormen Finanzkraft auf verschiedene Weise Stimmen kaufen konnte. Einer der größten Skandale nach der Wahl war die Tatsache, dass die PN die Mittel für ihre Wahlkampagne aus dem Institut der Sozialversicherung veruntreute. Mehr als 300 Mio. Dollar floßen aus der Sozialversicherung in deren Wahlkampf, was über 3.000 Tote verursachte, die in Krankenhäusern nicht adäquat versorgt werden konnten.
Eines der Hauptziele der Partei LIBRE ist die Neugründung des Landes mittels Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, um durch Verfassungsänderungen den neoliberalen Kurs radikal zu stoppen und das Land dem Volk zurückzugeben.
Fuentes gehört in der Partei LIBRE der Strömung an, die den sozialen Bewegungen nahestehen und die Kämpfe an der Basis direkt unterstützen. So unterstützt Fuentes den Widerstand in Progreso gegen die Straßennutzungsgebühren # NO AL PEAJE, die im Rahmen der Privatisierungen der Straßen eingeführt wurden.
Die Einführung dieser Gebühren sind verfassungswidrig, da laut Verfassung und internationaler Vereinbarungen das Recht auf Bewegungsfreiheit von Personen garantiert ist. Es werden Straßen privatisiert, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, zudem gibt es keine alternativen Wege. Vor allem die Bevölkerung von El Progreso und San Pedro Sula, von denen viele täglich zwischen beiden Städten pendeln, haben im Oktober einen Boykott der Gebühren begonnen. An den Stationen, wo die Gebühren gezahlt werden müssen, gibt es täglich Demonstrationen, um die Autofahrer*innen in ihrem zivilen Ungehorsam zu unterstützen.
Radio Progreso und etliche kommunitäre Radios rufen zum Boykott auf: “Drehen Sie die Scheibe runter, fahren Sie an die Sperre heran, warten Sie 10 Sekunden und fahren Sie ohne zu Bezahlen, weiter, wenn die Schranke hoch geht!”
Als wir am Mittwoch, den 30.November, nach San Pedro Sula fuhren, wurde die Wartezeit von 10 Sekunden auf eine Minute erhöht, um die Fahrer*innen durch lange Wartezeiten zu demotivieren. Es war beeindrucken zu sehen, dass diese Strategie nicht aufging. Wir standen 1,5h im Stau, alle Autofahrer*innen hatten ausreichend Geduld für den Widerstand.
In El Progreso (Region Yoro) besuchten wir auch Equipo de Relexion, Investigación y Comunicación (ERIC) - ein fortschrittlicher thinktank, einst durch die Jesuiten gegründet. Dort trafen wir von Pedro Landa (Spezialist in Umweltfragen) und Joaquín A. Mejía (Menschenrechtsspezialist).
Zum ERIC gehört die Radiostation Radio Progreso, die beinahe in ganz Honduras gehört werden kann.
Die Mitarbeiter*innen vom ERIC widmen sich vorrangig der benachteiligten Bevölkerung Honduras, zum Beispiel der Migrant*innen, Frauen, indigene Bevölkerung und Bauern und Bäuerinnen, die Landkonflikten ausgesetzt sind.
Ihre Schwerpunkte richteten sich auf eine gesellschaftliche Analyse, Forschung und Öffentlichkeitsarbeit über aktuelle Probleme. Sie begleiten und beraten Organisationen, die sich den illegalen Landbesetzungen, der Ausbeutung von natürlichen und menschlichen Ressourcen widersetzen und bieten ihnen die notwendige politische Bildung an. Die bedeutet, dass sie der betroffenen Bevölkerung die Komplexität der Konflikte vermitteln, um sich adäquat in Konfliktsituationen zu verhalten.
Pedro Landa und Joaquín A. Mejía bestätigen unsere Sorge der permanenten Diffamierung der Mitarbeiter*innen vom ERIC, die sich zunehmend in individueller Bedrohung für die Einzelnen widerspiegelt. Sie leben in ständiger Unsicherheit. Sie berichten uns, dass sie gelernt haben, mit der permanenten Bedrohung umzugehen. Das Wichtigste für sie ist, keine Angst zu zeigen, sondern sich gegenseitig zu unterstützen.
Diese Einschüchterungsmassnahmen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure spitzen sich seit der Unterstützung der aktuellen Mobiliserung der Bevölkerung der Region zu, die gegen Autobahngebühren protestieren.
Ein weiteres Problem größerer Reichweite in Honduras ist die fortschreitenden Planung der „Ciudades Modelos“ , die in ZEDES (Zonas Especiales de Desarrollo y Empleo) umbenannet wurden. Nach ihrer Einschätzung handelt es sich um von ausländischen Konzernen (insbesonders Korea zeigt großes Interesse) entwickelte „Staaten im Staat“, die sich der honduranischen Kontrolle bezüglich interner Verwaltung und Sicherheitspolitik völlig entziehen würden. Im Jahr 2012 haben mehrer soziale Organisationen eine Klage beim Obersten Gerichtshof eingereicht. Der Klage wurde zwar stattgegeben, aber als Konsequenz wurden die Richter, die dem stattgegeben haben, entlassen. Kurze Zeit später wurde ein neues Gesetz für die ZEDES vom honduranischen Kongreß bewilligt.
In Bezug auf das zunehmende Landgrabbing, der Ausbeutung von Rohstoffen und Holzeinschlag in den von überwiegend durch indigene Bevölkerung bewohnte Regionen, hat ERIC 24 Gesetze identifiziert, die den Großgrundbesitzern wie involvierte Politiker*innen Straffreiheit garantieren. Derzeit arbeitet der honduranische Kongreß an der Reform des Strafgesetzbuches, in dem ein Artikel geschaffen werden soll, der die Verteidigung der Flüsse in indigenen Territorien kriminalisiert.
Insbesonders die indigene Bevölkerung, die der Bedrohung und Eliminierung ihrer Lebensgrundlage ausgesetzt ist, werden kriminalisert und verfolgt. Selbst vor Ermordung wird nicht zurückgeschreckt.