Reportage über den schwierigen Kampf der Garifuna, ihr Land
zurückzugewinnen
Gemeinde Guadelupe, Quelle: HondurasDelegation |
Mit Landbesetzungen und Selbstverwaltung wehren sich die
Garifuna gegen den illegalen
Verkauf ihres Territoriums. Ihre Gegner*innen
versuchen, den Protest zu kriminalisieren, Drohungen und Räumungsversuche
sollen den Widerstand brechen. Die HondurasDelegation hat sich die Situation
vor Ort angesehen.
Unser Kleinbus schaukelt durch die Schlaglöcher einer
Schotterpiste. Ab und zu bricht ein kurzer Regenschauer über uns herein. Je
weiter wir uns von der Hauptstadt Tegucigalpa nach Norden Richtung
Atlantikküste begeben, desto flacher wird es, umso tropischer werden die
Temperaturen. Nach neun Stunden Fahrt sind wir froh, die erste Station unserer
dreiwöchigen Reise zu erreichen: Trujillo, die ehemalige Hauptstadt zu
frühkolonialen Zeiten. Wir, das sind sechs Menschen aus Honduras, Spanien und
Deutschland, die sich in der Solidaritätsbewegung HondurasDelegation
engagieren. Wir haben uns für diese Reise zusammengetan, um uns ein Bild von
der aktuellen Menschenrechtslage in Honduras zu machen und in Deutschland
darüber zu berichten. Seit dem Putsch 2009 ist es bereits die fünfte HondurasDelegation.
Aus den Reisen entstanden zahlreiche Berichte, Filme und eine Fülle von
Kontakten. Jede Delegation hatte andere Schwerpunkte, wir interessieren uns
besonders für den Kampf der indigenen Bevölkerung um ihre Landrechte.
Malvin Morales, Quelle: HndDel |
In Trujillo erwarten uns blauer Himmel und strahlender
Sonnenschein. Das Meer liegt ruhig in der Bucht. Das Städtchen ist auf einer
kleinen Anhöhe gelegen und neben einem Denkmal für Christoph Kolumbus, der hier
1502 erstmals den amerikanischen Kontinent betrat, haben wir einen guten Blick
über die Bucht. Wir treffen Malvin Morales, Aktivist bei OFRANEH (Organización
Fraternal Negra Hondureña), der Bewegung der afro-indigenen Garifuna. Malvin
begrüßt uns herzlich und berichtet sofort von den Landkonflikten in der Bucht:
„Wir haben als Garifuna seit 1901 kollektive Landtitel, die der damalige
Präsident Manuel Bonilla ausstellte. Doch nach und nach hat man uns dieses
Landes beraubt.“ Er zeigt auf die gegenüberliegende Landzunge: „Dort befand
sich mein Dorf Puerto Castilla. Wir mussten der staatlichen Hafengesellschaft
weichen und haben dabei einen guten Teil unseres Landes verloren. Nun wohnen
wir südlich vom Hafen und sind wieder von einer Umsiedlung bedroht.“ Wir spähen
gegen das Sonnenlicht herüber und können Umrisse der riesigen Container im
Hafen erkennen. Von dort werden Bananen von den Plantagen in die USA
verschifft.
Landrückgewinnung in Puerto Castilla, Quelle: HndDel |
Die Garifuna sind Nachfahren der karibischen
Arawak-Indigenen und afrikanischer Versklavter, die Ende des 18. Jahrhunderts
von englischen Kolonisator*innen nach Honduras deportiert wurden. Von dort aus
besiedelten sie die Küste Zentralamerikas zwischen Belize und Nicaragua. Die
meisten leben in 46 Gemeinden der honduranischen Karibikküste. Seit mehreren
Jahren plant die honduranische Regierung in der Bucht von Trujillo eine
sogenannte ZEDE (Zona de Empleo y Desarrollo Económico), auch bekannt als
„Modellstadt“ oder Sonderwirtschaftszone (LN 466), die zusätzlich
Investor*innen anlockt. „Alle Gemeinden sind von diesen Plänen gefährdet. Dazu
kommen illegale Landverkäufe an Privatinvestoren“, fährt Malvin fort. „Auf der
westlichen Seite der Bucht sind die Gemeinden Santa Fé, San Antonio und
Guadelupe von Landraub durch einen kanadischen Investor betroffen“. Was all
dies für die Garifuna-Gemeinden bedeutet, wird schnell klar. Sie werden
vertrieben und verlieren ihre Lebensgrundlage, die vor allem auf Fischfang und
kleinbäuerliche Landwirtschaft basiert. Die Regierung übt Druck auf die
Garifuna aus: Während Malvin von den Regierungsplänen zur Schaffung der
sogenannten Modellstadt in der Bucht von Trujillo berichtet, patrouillieren
ständig Militärs an uns vorbei. Er lässt sich davon allerdings nicht
beeindrucken.
Malvin hat sich OFRANEH angeschlossen, um die kollektiven
Landrechte der Garifuna zu verteidigen und bereits geraubtes Land
zurückzugewinnen. Bevor die Sonne höher steigt und es noch wärmer wird, machen
wir uns mit ihm auf den Weg, um zwei der OFRANEH-Projekte zur
Landrückgewinnung, sogenannte recuperaciones, zu besuchen. Wir fahren einen
malerischen, aber unbefestigten Küstenweg entlang und treffen Carmen Alvarez,
ebenfalls Aktivistin bei OFRANEH. Sie erzählt uns, wie die Garifuna-Gemeinden
Teile ihres Landes verloren: „Unsere Landwirtschaft funktioniert so, dass wir
nicht alles Land gleichzeitig bebauen, sondern immer einen Teil des Landes
brachliegen lassen. Die Brachen wurden
nach und nach von anderen besetzt und, wenn wir dort im Folgejahr etwas anbauen
wollten, war das Land bereits eingezäunt. Hinzu kommt, dass staatliche Behörden,
besonders die Gemeindeverwaltung von Trujillo, korrupt sind. Sie verkaufen
Land, das uns gehört, ohne uns zu fragen. Sie erkennen unseren kollektiven
Landtitel von 1901 einfach nicht an. So konnte zum Beispiel Randy Jorgensen
unser Land kaufen.“
Jorgensen, ein als „Porno-König“ bekannter Kanadier, nutzt
seine Nähe zu konservativen Politikern in Honduras, um sich im großen Stil Land
für Tourismusprojekte anzueignen. „Er versprach den Gemeinden, dass sie vom
Tourismus profitieren würden. Und der einzige, der verdient, ist Randy“, berichtet
Carmen. Auf dem Weg zur recuperación des Dorfes Guadelupe kommen wir an
mehreren neuen Luxus-Altersresidenzen für Rentner aus dem globalen Norden
vorbei, die sich in seinem Besitz befinden. In direkter Nachbarschaft zu einer
dieser Residenzen, die hinter Mauern und mit Sicherheitspersonal gut vor
Blicken von außen abgeschirmt ist, liegt das Gelände des Projektes. Ein großes
Banner mit der Aufschrift: „Unsere Kultur und unser Land sind nicht zum
Verkauf! – OFRANEH“ kündigt es an. Wir werden bereits von einer Gruppe junger
Menschen aus Guadelupe erwartet. Einige Frauen haben in einer provisorischen,
mit Plastikplanen überdachten Küche Essen zubereitet. Auf dem Grundstück der
recuperación stehen fünf fertige Häuser, an weiteren wird gebaut.
Von den rund 30 jungen Menschen, die sich an diesem
OFRANEH-Projekt beteiligen, hatten viele den Traum vom großen Glück in den USA.
Sie wurden deportiert oder kamen nie bis zur Grenze. Ohne Besitz und ohne
Aussicht auf Arbeit kehrten sie zurück und schlossen sich den Landprojekten an.
Einer von ihnen, Darwin Arriola, erzählt von seiner Motivation: „Ich kam bis
Mexiko, hatte kein Geld mehr und wusste nicht mehr weiter. Ich hatte Hunger und
Durst und hoffte darauf, dass mir jemand etwas geben würde, ich habe geweint.
Es war ein furchtbar entwürdigender Moment. So etwas möchte ich nie mehr
erleben. Ich bin froh wieder hier zu sein und möchte arbeiten, deshalb habe ich
mich der recuperación angeschlossen.“ Die meisten Menschen in diesem Projekt
haben zuvor nicht in der Landwirtschaft gearbeitet. Wir sind beeindruckt, wie
viel Kraft und Arbeit sie in die Nutzbarmachung des Landes stecken. Ausführlich
zeigen uns einige aus der Gruppe das Gelände: Hier eine kleine Pflanzung von
Bananen, dort Maniok. Sie wissen, dass das Land ihnen die einzige Chance
bietet, um zu überleben. Deshalb gehen sie die Risiken ein, die damit verbunden
sind.
Medellin David Hernández, Quelle: HndDel |
Am folgenden Tag besuchen wir Puerto Castilla auf der
Landzunge, die sich östlich von Trujillo um die Bucht erstreckt. Die nicht weit
entfernten Bananenplantagen und der Hafen machen das Garifuna-Land attraktiv
für Investitionen verschiedenster Art. Wir fahren durch das Dorf und wir ahnen,
wie dringend für die Bewohner*innen die Rückgewinnung ihres Landes ist. Die
Häuser stehen dicht gedrängt, es gibt keinen Platz für Hausgärten, manchmal
nicht einmal Platz, um Wäsche hinter dem Haus aufzuhängen. Malvin, der selbst
aus Puerto Castilla stammt, bestätigt dies: „Wir alle haben Kinder, aber wir haben
nicht genug Häuser und wir haben nicht einmal mehr ein kleines Stück Land, um
Maniok anzubauen. Was sollen wir unseren Kindern geben? Und das, obwohl wir die
Landtitel für viel größere Flächen besitzen.“ *Es bleibt noch viel zu tun, bis
diese Titel und das Recht der Garifuna auf Land wieder respektiert werden.
von Rita Trautmann, in Lateinamerika Nachrichten, 512 - Februar 2017